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5. Die Konsolidierungsphase

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In seinem Buch von 1985 reduziert Williamson die vormals sechs Erklärungsfaktoren auf im wesentlichen drei. An den Akteurseigenschaften beschränkter Rationalität und opportunistischen Verhaltens hält er unverändert fest. Konzeptionelle Umstellungen betreffen lediglich die anderen Bestandteile seines Erklärungsansatzes: Die Umwelteigenschaft ‚Unsicherheit‘ wird – analog zum ökonomischen Begriff der Knappheit – als universelle Hintergrundannahme ausgewiesen.[276] Die Erklärungsgröße ‚Abhängigkeit‘ wird durch das Konzept transaktions-spezifischer Investitionen operationalisiert. ‚Spezifität‘ als Bestimmungsgröße wirtschaftlicher Abhängigkeit ist somit der dritte Faktor und bildet zusammen mit den Faktoren beschränkter Rationalität und opportunistischen Verhaltens den analytischen Kern des organisationsökonomischen Forschungsprogramms, das nun in der Tat als ein Transaktionskosten-Ansatz gekennzeichnet werden kann.[277]

|177|Die heuristische Idee des konsolidierten Forschungsprogramms besteht darin, alle Organisationsprobleme als Vertragsprobleme zu konzeptualisieren und sodann alternative Vertragsformen in bezug auf Transaktionen einem Kostenvergleich zu unterziehen.[278] Dieser Ansatz zielt darauf, die relative Vorteilhaftigkeit einzelner Vertragsformen mit bestimmten Transaktions-Eigenschaften in Verbindung zu bringen, und die zentrale Eigenschaft, die hierfür am besten geeignet ist, wird von Williamson als ‚Spezifität‘ identifiziert: ‚Spezifität‘ liegt vor, wenn eine Transaktionsabwicklung durch Ressourcen unterstützt werden muss, deren allgemeiner Wert durch diese spezielle Widmung abnimmt.[279] Ein Beispiel hierfür ist eine Maschine, deren Konstruktion speziell auf die Bedürfnisse eines bestimmten Kunden zugeschnitten ist und die folglich sehr stark an Wert verlieren würde, wenn dieser Kunde abspringt und in der Folge dann mit dieser Maschine für andere Kunden produziert werden soll. Die Anschaffung einer solchen Maschine ist eine transaktions-spezifische Investition. Sie führt zu versunkenen Kosten, weil die einmal eingesetzten Ressourcen später nicht ohne weiteres, d.h. nicht ohne Wertverlust, umgewidmet werden können.

Aus genau diesem Grund leiten spezifische Investitionen eine ‚fundamentale Transformation‘ der Verhandlungssituation ein: Ohne spezifische Investition ist ein Wechsel des Transaktionspartners kostenlos. Steht der Transaktionspartner im Wettbewerb mit anderen, so kann die Abwanderungsoption als Disziplinierungsinstrument eingesetzt werden. Wird jedoch eine spezifische Investition getätigt, so ist dies gleichbedeutend mit einer Verteuerung der Abwanderungsoption, die im Extremfall sogar prohibitiv sein kann. Es kommt zu einer Bindung an den Transaktionspartner, so dass die ursprüngliche Wettbewerbssituation in eine bilaterale Situation transformiert wird, mit der Folge, dass nun andere Disziplinierungsinstrumente eingesetzt werden müssen, um die Transaktion gegen opportunistisches Verhalten zu schützen.

Das systematische Zusammenspiel der drei Erklärungsfaktoren im Rahmen des organisationsökonomischen Ansatzes lässt sich mit Hilfe von Abb. 3 verdeutlichen.

Ohne kognitive Beschränkungen wäre es möglich, sämtliche Eventualitäten in einem vollständigen Vertrag zu regeln und so von vornherein, ex ante, also noch bevor investiert wird, eine wirksame Vorkehrung zu treffen, die eine nachträgliche Ausbeutung der wirtschaftlichen Abhängigkeit in Form von Ex-Post-Opportunismus ausschließt. Das Transaktionsproblem ließe sich durch Planung lösen.

|178|Abbildung 3:

Das Zusammenspiel der drei Erklärungsfaktoren[280]

Dass spezifische Investitionen zu einer fundamentalen Transformation der Verhandlungssituation führen, wäre ohne Opportunismus praktisch bedeutungslos. Folglich wäre es wenig informativ, in bezug auf Anreizprobleme zwischen einer Ex-Ante-Phase und einer Ex-Post-Phase der Transaktionsbeziehung zu unterscheiden. Ohne Opportunismus wäre jede Form von Versprechen glaubwürdig. Somit würde es ausreichen, dass sich die Vertragsparteien auf einen ‚Geist‘ des Vertrages einigen und einander versprechen, zukünftig auftretende Konflikte diesem ‚Geist‘ entsprechend beizulegen.

Ohne spezifische Investitionen gäbe es keine wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen Transaktionspartnern. Hier würde Opportunismus wenig Schaden anrichten, und so machte es wenig aus, dass es aufgrund beschränkter Rationalität schwer fällt, opportunistischem Verhalten ex ante vorzubeugen. Folglich könnte man hier auf die Abwanderungsoption setzen und sich mit einer wettbewerblichen Ex-Post-Koordination begnügen. Die Rivalität auf der Marktseite der Transaktionspartner reichte als Disziplinierungsinstrument aus.

Erst dann, wenn alle drei Faktoren zusammenwirken, entsteht das Problem, eine Transaktionsbeziehung im Zeitablauf zu schützen. Hier versagt Planung, weil nicht für alle Eventualitäten Ex-Ante-Vorkehrungen getroffen werden können. Hier versagen Versprechen, weil sie nicht automatisch glaubwürdig sind, so dass den Ex-Post-Anreizen Rechnung getragen werden muss, sich an zugesagte Verpflichtungen nicht zu halten. Und hier versagt Wettbewerb, weil Abwanderung kostspielig wird. Somit werden Vorkehrungen nötig, die sicherstellen, dass trotz beschränkter Rationalität dem Ex-Post-Opportunismus Grenzen gesetzt werden. Genau hierauf zielt Williamsons Begriff der ‚Governance‘. Er bringt den Gedanken zum Ausdruck, dass die (Fehl-)Anreize für opportunistisches Verhalten durch ein geeignetes Arrangement institutioneller Bindungen beherrschbar gemacht werden können.

Die Systematizität der analytischen Kernüberlegungen des Williamson-Ansatzes lässt sich damit wie folgt zusammenfassen: Spezifität führt zu wirtschaftlicher Abhängigkeit. Opportunismus ruft die Gefahr hervor, dass diese Abhängigkeit |179|ausgebeutet wird. Beschränkte Rationalität begrenzt die Möglichkeiten, dieser Gefahr durch vollständige Verträge bereits im vorhinein vorzubeugen. Das organisationsökonomische Zusammenspiel dieser drei Faktoren konstituiert mithin ein Transaktionsproblem, das gleichsam die Hintergrundfolie bietet, vor der alternative vertragliche Arrangements als organisatorische Lösung dieses Transaktionsproblems rekonstruiert und in Bezug auf ihre jeweiligen Transaktionskosten miteinander verglichen werden können. Diese Funktionalitätsbetrachtung erhellt die Produktivität und mithin die raison d’être wirtschaftlicher Institutionen, und zwar auch in solchen Fällen, wo traditionell ein einseitiger Machtmissbrauch vermutet wurde, anstatt ein gemeinsames Effizienzstreben zu erkennen. Dies sei im Folgenden erläutert.

Betrachtet sei eine Transaktion zwischen zwei Firmen auf einem Markt für Zwischenprodukte. Der Wettbewerbspreis betrage PW. Der Lieferant stehe nun vor der Wahl, ob er eine spezifische Investition vornehmen soll. Dies wäre mit dem Vorteil verbunden, dass Produktionskosten eingespart werden könnten. Allerdings stünde diesem Vorteil der Nachteil gegenüber, dass es nun zu einer wirtschaftlichen Abhängigkeit käme. Ohne Sicherheitsvorkehrung gegen opportunistische Ausbeutung würde der Lieferant folglich einen hohen Preis PO einkalkulieren müssen, um auf seine Kosten zu kommen. Mit Sicherheitsvorkehrung jedoch könnte er sich ohne Gefahr auf die spezifische Investition einlassen, den Produktionskostenvorteil geltend machen und mit einem Preis in Höhe von PS seinen individuellen Gewinn steigern. Es gelte: PO > PW > PS.

Vor diesem Hintergrund lässt sich vertikale Integration als eine Sicherheitsvorkehrung interpretieren: Indem der Lieferant seinen Kunden aufkauft, transformiert er mögliche Ex-Post-Konflikte zwischen Firmen mit je eigenständiger Gewinnorientierung zu firmeninternen Ex-Post-Konflikten, die durch eine – vergleichsweise stärker – gemeinsame Gewinnorientierung entschärft sind. Dies ist freilich ein Extremfall für die Harmonisierung antagonistischer Interessen. Aber es sind auch Vorkehrungen gegen Ex-Post-Opportunismus denkbar, bei denen der potentielle Opportunist seine rechtliche Selbständigkeit behält und freiwillig ein Arrangement wählt, seinem Transaktionspartner glaubwürdig zu signalisieren, dessen wirtschaftliche Abhängigkeit nicht auszubeuten, etwa indem er sich selbst bindet und seinem Partner, den er zu einer spezifischen Investition anregen möchte, ein Pfand (= Sanktionspotential) in die Hand gibt.

Der Schlüssel zum Verständnis solcher Selbstbindungspraktiken ist die Erkenntnis, dass es im wohlverstandenen eigenen Interesse liegt, an der Beseitigung eigener Fehlanreize aktiv mitzuwirken, weil diese – durch Antizipation des Transaktionspartners – auf einen selbst zurückfallen: Ohne Selbstbindung muss der Kunde PO bezahlen, um den Lieferanten zu einer spezifischen Investition zu veranlassen. Erst durch ein glaubwürdiges, d.h. sanktionsbewehrtes Signal, nach Durchführung der spezifischen Investition auf Ex-Post-Opportunismus zu verzichten, kann der Kunde in den Genuss des vergleichsweise niedrigeren Preises PS gelangen, von dem beide Transaktionspartner wechselseitig profitieren. Hierin liegt die organisationsökonomische raison d’être zahlreicher Nichtstandard-Praktiken vertraglicher Arrangements im Wirtschaftsleben.

Aufgrund der Konsolidierung des organisationsökonomischen Ansatzes, die mit einer Reduktion der Erklärungsfaktoren und einer besonderen Betonung |180|des Spezifitäts-Konzepts einher geht, kann Williamson für die theoretische Rekonstruktion vertraglicher Hybridformen, die gedanklich zwischen Markt und Hierarchie angesiedelt sind, folgenden Tradeoff-Kalkül anbieten.[281]

Der Governance-Form des Marktes spricht Williamson die Eigenschaft zu, besonders intensive Anreize zu setzen. Das typische Beispiel hierfür ist die Gewinnorientierung der Marktteilnehmer. Sie ist für Williamson mit zwei ambivalenten Konsequenzen verbunden. Effizienzfördernd sei, dass gewinnorientierte Marktteilnehmer im eigenen Interesse ein Kostenbewusstsein entwickeln und darauf achten, Verschwendung zu vermeiden. Effizienzbehindernd hingegen sei, dass gerade die Orientierung am eigenen Gewinn zu Interessenkonflikten führen könne, die es schwer machen, eine harmonische Verhaltensabstimmung nach Vertragsabschluss zu gewährleisten. Dieser Nachteil schlage besonders dann stark zu Buche, wenn aufgrund transaktions-spezifischer Investitionen der Bedarf an nachvertraglichen Verhaltensabstimmungen besonders groß ist.

Umgekehrt spricht Williamson der Firma als Governance-Form die Eigenschaft zu, die Abwicklung von Transaktionen sowohl ex ante als auch insbesondere ex post hierarchisch kontrollieren zu können. Auch diese Eigenschaft ist für Williamson mit zwei ambivalenten Konsequenzen verbunden. Auf der einen Seite bringe eine Firmenhierarchie den Nachteil bürokratischer Kosten mit sich. Dem stehe auf der anderen Seite der Vorteil gegenüber, firmenintern gegen Ex-Post-Opportunismus vorgehen zu können. Dieser Vorteil schlage besonders dann stark zu Buche, wenn aufgrund transaktions-spezifischer Investitionen der Bedarf an einem Schutz vor Ex-Post-Opportunismus besonders groß ist.

Abbildung 4:

Der Tradeoff zwischen Markt und Hierarchie[282]

|181|Williamson zufolge wird mit dem Erklärungsfaktor ‚Spezifität‘ die entscheidende Dimension eines organisatorischen Spektrums identifiziert, das zwischen den beiden Extrempunkten ‚Markt‘ und ‚Hierarchie‘ aufgespannt ist. Ohne ‚Spezifität‘ (s = 0) weist der Markt einen komparativen Vorteil auf, weil bürokratischer Aufwand zur Überwachung der Transaktion eingespart werden kann. Hinsichtlich der Governance-Kosten von Markt (M) und Firma (F) gilt:

M(s = 0) < F(s = 0).

Bei hoher ‚Spezifität‘ hingegen (s >> 0) weist die Hierarchie einen komparativen Vorteil auf, weil sich spezifische Investitionen firmenintern vergleichsweise leichter gegen Opportunismus schützen lassen. Unter der vereinfachenden Annahme, dass mit zunehmender ‚Spezifität‘ die Governance-Kosten des Marktes kontinuierlich stärker ansteigen als die Governance-Kosten der Firma, gibt es genau einen Schnittpunkt der beiden Kostenkurven, und dieser definiert einen kritischen Spezifitätsgrad s* (Abb. 4).

Vor diesem Hintergrund nun kann Williamson eine empirische Hypothese über real vorfindliche Governance-Strukturen formulieren. Diese besagt, dass in der Zone niedriger Spezifität (s << s*) die marktliche Governance dominiert, in der Zone hoher Spezifität (s >> s*) die hierarchische Governance und dass in der Zone mittlerer Spezifität (s ~ s*) Hybridformen vorfindlich sind, die versuchen, durch eine Kombination von Markt und Hierarchie Anreizintensität und Kontrollintensität miteinander zu verbinden.

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