Читать книгу Einmal morden ist nicht genug - Irene Scharenberg - Страница 14
ОглавлениеKapitel 12
Max keuchte. Seine Lungen brannten, seine Beine schmerzten, aber zumindest war sein Kopf plötzlich seltsam klar. Während er nach der brenzligen Situation an dem LKW zunächst nur versucht hatte, aus der Gefahrenzone zu kommen, überlegte er nun, wohin er fliehen sollte. Nein, eigentlich kamen ihm im Moment nur die Orte in den Sinn, die er auf gar keinen Fall aufsuchen konnte. Bei der Polizei eine Anzeige zu erstatten, fiel definitiv aus. Zu schnell würde er sich bei seiner Aussage in Widersprüche verwickeln und seine Bewährung aufs Spiel setzen. Möglicherweise schaffte es der angesehene Hachlinger sogar, ihm den Mord in die Schuhe zu schieben. Max hatte wahrlich nicht die geringste Lust, erneut in den Knast zu wandern. Seine Wohnung war ebenfalls tabu. Schließlich kannte Hachlinger seine Adresse und würde ihn genau dort vermuten. Wahrscheinlich setzte er inzwischen die Suche nach ihm mit dem Auto fort. Für einen kurzen Augenblick zog Max in Erwägung, Hanno um Hilfe zu bitten. Aber konnte er seinem Kumpel wirklich trauen? Was, wenn ihm der mit Scheinen winkende Chef näherstand als ein Freund, mit dem er gelegentlich einen gemütlichen Bierabend verbrachte? Er wusste nicht, ob ihre Freundschaft so tief war, dass Hanno unter allen Umständen loyal zu ihm stehen würde. Vielleicht würde ihm irgendwann nichts übrigbleiben, als ihn um Rat oder sogar Hilfe zu bitten. Zuerst aber musste er ein Versteck finden, in dem er in aller Ruhe nachdenken konnte.
Wohin nur sollte er sich wenden? Verwandte besaß er nicht und ehemaligen Knastkumpanen wollte er lieber nicht trauen. Max schnaufte. Er musste kurz ausruhen. Außer Atem hockte er sich hinter einen Busch, stützte den Kopf auf seine Hände und grübelte eine Weile. Endlich kam ihm eine Idee. Die Jannings, seine Nachbarn, besaßen eine Laube in ihrem Schrebergarten. Zweimal war er dort gewesen. Einmal hatten sie Fraukes fünfzigsten Geburtstag dort gefeiert und vor gut einem Monat hatten sie ihn zum Grillen eingeladen, weil er ihnen beim Umzug ihrer Tochter geholfen hatte. Sie waren gemeinsam dort angekommen und Frauke Janning hatte den Schlüssel zu der Hütte in einem Plastikbeutel unter einem der Blumentöpfe hervorgeholt.
Eigentlich war die Gartenlaube als Versteck ideal. Niemand würde ihn dort vermuten. Außerdem machten die Jannings gerade Urlaub in Spanien. Dass ihre Tochter die Laube nutzte, hielt er für unwahrscheinlich. Und selbst wenn sie ihn dort überraschen würde, konnte er ihr immer noch irgendeine Geschichte auftischen und dann verschwinden. Die Chancen, bei einer Begegnung mit der Nachbarstochter heil davonzukommen, standen allemal besser als bei einem Zusammentreffen mit Hachlinger. Dumm nur, dass die Kleingartenanlage in derselben Richtung lag wie sein Zuhause, wo Hachlinger ihn wahrscheinlich vermutete und vielleicht versuchen würde, ihn abzufangen. Aber eine andere Lösung fiel ihm nicht ein.
Ein Hund im nahen Tierschutzzentrum Duisburg begann zu jaulen. Seufzend erhob er sich. Es wurde höchste Zeit, von hier zu verschwinden. Am sichersten erschien es ihm, einen Umweg einzulegen und am Rhein entlangzulaufen.
Inzwischen hatte Max ein gutes Stück des Weges in Richtung Rhein zurückgelegt. Er schaute sich immer wieder um, aber er konnte nichts Verdächtiges entdecken. Niemand verfolgte ihn. Plötzlich hörte er ein Motorengeräusch. Ein Wagen schien sich mit hoher Geschwindigkeit zu nähern. Obwohl das Fahrzeug noch weit entfernt war, begannen seine Knie zu zittern. Max hechtete in den nächsten Hauseingang. Zuerst lehnte er sich an die Haustür, dann bückte er sich, als wolle er das Schlüsselloch suchen. Mit einem Mal flammte Licht auf. Offensichtlich reagierte nun der Bewegungsmelder. Scheiße, warum hatte er diesen Hauseingang gewählt? Das Motorengeräusch näherte sich unaufhaltsam. Er wagte nicht, auf die Straße zu sehen. Schweiß stand auf seiner Stirn. Als das Auto nur noch wenige Meter entfernt war, tropfte er ihm ins linke Auge. Es brannte, aber Max verharrte regungslos. Erst als der Wagen sich weit genug entfernt hatte, rieb er sich mit dem Handrücken über das Lid. Dabei stieß er geräuschvoll die Luft aus. Er wartete kurz ab, dann stieg er die zwei Treppenstufen zum Bürgersteig nach unten und spähte die Straße hinunter. Anscheinend war die Luft rein. Seufzend setzte er sich in Bewegung.
Die Rheinwiesen lagen nun vor ihm, und er hatte schnell den Weg erreicht, der unter der A40 herführte. Hier durften und konnten keine Autos fahren. Kurz vor der Unterführung hielt Max inne. Vielleicht hatte Hachlinger auf der anderen Seite Posten bezogen und wartete nur darauf, ihn zu erwischen. Quatsch, redete Max sich ein. Schließlich konnte sein Chef nicht überall auf ihn lauern.
Über ihm donnerte ein LKW über die A40, der offensichtlich die Waage passiert und das zulässige Höchstgewicht nicht überschritten hatte. Der Lärm hallte in Max’ Ohren. Mit jedem Schritt rannen neue Schweißperlen über seinen Rücken. Er hatte noch nicht das Ende des Tunnels erreicht, da war sein Hemd völlig durchnässt. Er bewegte sich vorwärts, erst vorsichtig, dann rannte er so schnell, wie es seine Beine zuließen.
Endlich konnte er wieder den Himmel sehen und niemand hatte sich am Tunnelausgang auf ihn gestürzt. Erleichtert drosselte er das Tempo. Nach einer Weile erkannte er das beleuchtete Rheinorange. Das Denkmal der Industriekultur hatte er im Frühjahr mal mit Hanno besucht.
Kurz bevor die Ruhr in den Rhein mündete, bog der Weg in Richtung der maroden Bürgermeister-Karl-Lehr-Brücke ab, die Max als den höchsten Gefahrenpunkt auf seiner Route einschätzte. Wenn er nicht noch einen großen Umweg machen wollte, musste er über die Brücke und das ahnte sein Chef ganz sicher.
Max hatte die kritische Zone fast erreicht. Er stellte sich die engen Spuren in der Baustelle vor und Hachlinger, der auf der anderen Seite auf ihn wartete. Nein, er riskierte, ihm direkt in die Arme zu laufen. Plötzlich kam Max eine Idee, wie er die Gefahr vermeiden konnte.