Читать книгу Einmal morden ist nicht genug - Irene Scharenberg - Страница 4
ОглавлениеKapitel 1
Max Hölterhoff, eigentlich Maximilian, den Namen würde er seinen Eltern niemals verzeihen, stand auf dem Hof der Firma Teppichhandel Thorben Hachlinger im Gewerbegebiet Duisburg-Neuenkamp und schnippte die Asche von seiner Zigarette. Stoßweise blies er den Rauch aus. Er sah ihm nach, bis er sich aufgelöst hatte, und fragte sich, wie lange dieser elende Kunde noch im Büro seines Chefs abhängen würde. Missmutig blickte Max auf die billige Armbanduhr am linken Handgelenk. Seine Arbeitszeit war seit etwa fünfzig Minuten beendet und noch immer hatte sich keine Gelegenheit gefunden, mit dem Chef zu sprechen. Übermorgen fand das Auswärtsspiel seines Lieblingsvereins statt, bei dem Max unbedingt dabei sein wollte, aber dazu brauchte er von seinem Chef dringend ein paar Stunden eher Feierabend, wenn nicht gar einen ganzen Urlaubstag.
Max schaute nach unten auf seine Schuhe, die dringend geputzt werden mussten. Schließlich legte man in der Firma wegen der Kunden Wert auf das äußere Erscheinungsbild. Sein Mund verzog sich augenblicklich zu einem verächtlichen Grinsen. Alles Fassade. Max traute Thorben Hachlinger nicht zu, dass die Geschäftsbücher in Ordnung waren. Allerdings konnte er als Kleinganove, dessen Bewährungsfrist noch lange nicht abgelaufen war, Hachlinger Unregelmäßigkeiten kaum verübeln. Max warf die Kippe auf den Boden und trat sie aus. Für einen Moment erwog er, sie aufzuheben, aber dann kickte er sie einfach mit der Fußspitze etwas näher an die Wand.
Eine Frage beschäftigte ihn immer wieder. Hatte sein Chef ihn nur wegen Hannos Fürsprache eingestellt? Natürlich war sein Kumpel Hanno bei Hachlinger aus irgendeinem Grund gut angesehen, aber hatte das wirklich den Ausschlag gegeben? Max wurde das Gefühl nicht los, dass etwas anderes dahintersteckte und garantiert nicht Thorben Hachlingers Gutherzigkeit. Möglicherweise hatte der Chef vor, ihn später mal für eine windige Sache einzusetzen, zumal er seine kriminelle Vergangenheit kannte. Irgendetwas lief hier neben dem normalen Teppichgeschäft, darauf würde er wetten. Gespräche, die plötzlich verstummten, wenn er oder andere unbedarfte Kollegen sich näherten. Die helle Aufregung, als die Polizei einmal auf dem Firmengelände aufgetaucht war. Dabei hatten die nur nach einem mutmaßlichen Dieb gesucht, der sich auf dem Gelände verirrt oder versteckt haben sollte. Leider blockte Hanno in dieser Angelegenheit. Er tat seine Vermutung als Spinnerei ab und basta. Hatte er vom Chef genaue Instruktionen bekommen, wie weit er seinen Freund einweihen durfte?
Max wollte gerade laut seufzen, da öffnete sich die Tür zum Trakt, in dem sich das Büro des Chefs befand. Heraus trat ein Mann mittleren Alters mit getönter Brille und schütterem dunklen Haar. Eine dicke Strähne lag quer über seinem Kopf und schien seine Glatze eher richtig in Szene zu setzen, als zu kaschieren. Der Mann nickte Max gedankenverloren zu und lief dann in Richtung Straße. Max verlor keine Zeit und stürmte in das Firmengebäude. Im Vorraum zum Büro des Chefs saß normalerweise Hachlingers Sekretärin mit auffälligem Lippenstift und stets frisch manikürten Fingernägeln. Die Madame, wie er sie wegen ihres herrischen Gehabes insgeheim immer nannte, war durchgestylt bis zum Anschlag. Nur das dunkle Muttermal über der linken Augenbraue, das ihn seltsamerweise an eine Schlange erinnerte, störte das attraktive Erscheinungsbild. Sie selbst sah das wahrscheinlich anders, sonst hätte sie das Mal in ihrem Gesicht besser kaschiert oder vielleicht einfach von einem Arzt entfernen lassen. Womöglich auf Kosten des Chefs. Maximilian unterdrückte den aufkommenden Lachreiz. Er würde viel darauf verwetten, dass sie ein Verhältnis mit Thorben Hachlinger hatte. Okay, der Mann war frisch geschieden, aber hatte die Madame wirklich so lange abgewartet oder war sie vielmehr der Grund für die Scheidung?
Jedenfalls hatte sie das Gelände zum Glück bereits verlassen und das Vorzimmer war unbesetzt. Max drückte die Klinke hinunter, ohne vorher anzuklopfen. Die Tür, die zum Reich des Chefs führte, stand einen Spalt offen und er hörte Hachlingers Stimme. Max blieb abrupt stehen. Hatte der Boss noch Besuch oder telefonierte er gerade? Auf jeden Fall war es nicht ratsam, ihn zu stören. Erst recht nicht, wenn er ihn für sein Anliegen gnädig stimmen wollte.
»Du mieser Erpresser!«, schrie sein Chef plötzlich recht laut und hörbar verärgert.
Von einer unsichtbaren Macht angezogen verharrte Max an der Tür. »Du steckst doch da genauso drin wie ich. Bei den meisten Geschäften hast du mitgemacht. Und die Sache mit Krishan Kumar hast du sogar ganz allein durchgezogen. Mit einem international Gesuchten! Das war mir viel zu riskant. Ich möchte nicht wissen, wie viele Rupien dir der stinkreiche Inder für die illegale Einreise zur Hochzeit seiner Tochter in Good Old Germany gezahlt hat.«
Das war der Beweis! Anscheinend lief neben dem offiziellen Teppichhandel tatsächlich ein lukratives Zweitgeschäft. Versteckte man zahlungswillige Einwanderer, die sonst nicht nach Europa einreisen durften, in den Lastwagen mit der angelieferten Ware?
»Was heißt das?«, schimpfte Hachlinger mit einem Mal außer sich, so dass Max unwillkürlich zusammenzuckte. »Du willst dich aus Deutschland absetzen?« Eine Weile redete Hachlinger nicht mehr. Anscheinend hörte er seinem Gesprächspartner zu. Max fragte sich schon, ob er das Telefonat gleich beenden würde, und stellte sich darauf ein, eilig den Rückzug anzutreten. Auf keinen Fall durfte er seinem Chef jetzt begegnen, Fußballspiel hin oder her.
»Dass ich dir eine solche Summe gebe, bleibt eine einmalige Angelegenheit, damit das von vornherein klar ist«, sprach Hachlinger doch weiter, als Max schon nicht mehr damit gerechnet hatte. »Und sofort geht auch nicht. Ich kriege selbst erst in zwei Tagen die nächste Zahlung. Der Geldbote kommt am Nachmittag. Aber ich hab danach nicht sofort Zeit. Du kannst am Abend auflaufen, sagen wir um zehn.«
Max hatte genug gehört. Außerdem vermutete er, dass der Chef das Gespräch gleich beenden würde. Lautlos schlich er hinaus. Im Flur hastete er zum Ausgang. Dabei drehte er sich immer wieder um, als ob Hachlinger jeden Moment auftauchen könnte. Er verzichtete darauf, seine Jacke aus dem Spind zu holen und hetzte nach draußen. Während er das Gebäude verließ, reifte in ihm ein Plan. Hachlinger würde das Geld übermorgen garantiert in seinem Tresor deponieren, bevor sein Kumpan am späten Abend erschien. Und mit Tresoren kannte Max sich aus. Bliebe nur zu hoffen, dass der Chef nicht die ganze Zeit davorsitzen würde und das Büro eine Weile unbesetzt wäre.