Читать книгу Einmal morden ist nicht genug - Irene Scharenberg - Страница 7
ОглавлениеKapitel 4
Seit Max das Telefonat belauscht hatte, dachte er immer wieder über Hannos Rolle in der Firma nach. Wusste sein Kumpel von den heimlichen Geschäften oder ahnte er nicht einmal etwas von dem offensichtlich lukrativen Nebenverdienst des Chefs? Die Situation war geradezu vertrackt. Auf der einen Seite hätte er sich Hanno zu gerne anvertraut, ihm sogar eine Beteiligung an seinem geplanten Coup angeboten, auf der anderen Seite jedoch wollte er nicht unvorsichtig sein. Möglicherweise machte Hanno sogar bei den krummen Sachen mit. Seit Max Zeuge dieses Telefonats geworden war, ertappte er sich dabei, wie er jedes Wort seines Kumpels auf die Goldwaage legte. Nein, er konnte es wirklich nicht riskieren, ihn in seine eigenen Pläne einzuweihen. Eigentlich hatte er auch keinerlei Lust, heute etwas mit ihm zu unternehmen, aber Hanno hatte sich einfach nicht abwimmeln lassen. Schließlich hatte Max nachgegeben.
Das Klingeln an der Haustür riss ihn aus seinen Gedanken. Max schielte zu dem Sofa, auf dem er vorhin noch gelegen hatte. Eine Wolldecke hing halb auf dem Boden. Und die Kissen, deren originelle Bezüge seine längst verstorbene Mutter gehäkelt hatte, lagen unordentlich herum. Er hatte sich nicht entschließen können, sie wegzuwerfen, obwohl sie ihm, wenn mal Besuch zu ihm kam, ein bisschen peinlich waren. Sie besaßen Tiermotive. Mäuse, deren Ohren und Schwänze aus dem Bezug herausragten. Für einen Moment überlegte Max, das Sofa in Ordnung zu bringen, aber dann lief er schnurstracks in die Diele. Er nahm seine Jacke von der Garderobe und verließ eilig die Wohnung. Verdutzt sah er Hanno vor einem knallroten Audi TT stehen.
»Dadadada«, schmetterte sein Kumpel und lachte. »Hast bestimmt erwartet, dass ich dich zu Fuß abhole, oder?«
»Eigentlich schon«, antwortete Max, weil ihm nichts Besseres einfiel. Den Überraschungscoup musste er erst einmal verdauen, besonders weil ihn daran etwas erheblich störte. »Wo hast du denn das Geld für einen solchen Flitzer her?« Eigentlich hatte er die Frage nicht laut stellen wollen, aber nun war sie heraus.
»Komm schon, steig endlich ein«, maulte Hanno. »Du bist ein richtiger Spielverderber. Benimmst dich, als wärst du mein spießiger Alter. Oder bist du neidisch?«
»Ne, ne, is nur ... also, ich mach mir nur Sorgen, dass du dich mit dem Schlitten vielleicht saumäßig verschuldet hast.«
»Das lass nur meine Sorge sein. Schon mal was von Leasing gehört?«
»Klar, aber ich denke, du musst eine Unmenge an deine Ex und die Kinder zahlen und am Monatsende bleibt dir kaum noch was übrig. Du hast dich oft genug darüber beschwert.«
»Mensch Max, nun mach mal halblang.« Hanno sah ihn mit ärgerlicher Miene an. »Was ist eigentlich mit dir los? Gestern auf der Arbeit warst du auch schon so komisch. Egal, ich will jetzt nicht quatschen, lass uns endlich losfahren.«
Max stieg ein und zog die Luft durch die Nase. Die Matten, die Verkleidung, vielleicht auch die Polster, rochen noch wie frisch aus der Fabrik. Nachdem sie einige Runden mit dem neuen Wagen gedreht hatten, besserte sich die Stimmung langsam.
»Ich geb einen aus«, erklärte Hanno. »Schließlich ist das mein erster Wagen seit ...« Er lachte. »Muss über sechs Jahre her sein. Willst du vorher noch inne Pommes?«
»Ne, lass mal stecken. Ein Köpi vertrag ich auch so.«
Wenig später stoppte Hanno auf einem kleinen Parkplatz in Ruhrort. Etwas unterhalb mündete der Vinckekanal in den Rhein. In der Nähe des Anlegers für Hafenrundfahrten flatterten einige Fahnen an hohen Masten im Wind. Max sah zu dem Hotelgebäude hoch, in dessen oberster Etage sich ein italienisches Restaurant befand, aber da wollte sein Kumpel bestimmt nicht einkehren. Sie stiegen aus. Hanno klopfte mit der Hand auf das glänzend polierte Dach des Audis und grinste. »Jetzt machen wir erst einmal ein Foto mit uns und dem neuen Flitzer.«
»Muss das sein?« Während Hanno sein Smartphone zückte, verzog Max das Gesicht. Warum machte sein Kumpel immer um alles so einen Wirbel?
»Keine Widerrede! Komm schon!« Er hielt das Smartphone gerade für ein Selfie mit Freund und Auto bereit, da passierte eine Frau mittleren Alters die Straße und schaute neugierig zu ihnen hinüber. Hanno brach seine Aktion ab und eilte zu der Passantin. Wenig später kehrte er mit ihr zurück.
»Soll das ganze Auto aufs Foto?«, fragte sie.
»Am besten schießen Sie gleich zwei, einmal mit uns in Großaufnahme und einmal mit dem ganzen Wagen.«
»Schade, dass du was gegen WhatsApp und Konsorten hast, sonst könnte ich dir die Bilder gleich schicken«, wandte sich Hanno wieder an ihn.
»Ich hab dir großartig erklärt, warum.«
»Ist ja schon gut. Ich lass von den Fotos extra für dich Abzüge machen. Nur maul jetzt bitte nicht mehr rum und verdirb mir damit nicht den Abend. Und jetzt gehen wir erst mal was trinken. Hübi oder Anker, weiß meinst du?«
»Wir losen.«
»Ja, wie in alten Zeiten. Kopf heißt Zum Hübi und Zahl heißt Zum Anker.« Noch während er die Spielregeln erklärte, holte Hanno einen Euro aus der Tasche. Er warf ihn in die Luft und ließ ihn auf den Handrücken klatschen. »Zahl!«
Wenn einem die Entscheidungen nur immer so einfach abgenommen würden. Max seufzte, dann setzte er sich in Bewegung.
In Schimmis ehemaliger Kneipe ließen sie sich auf einer rustikalen Bank an der rechten Wand nieder. Die Einrichtung mit halbhoher Holzvertäfelung an den Wänden und ohne überflüssigen Schnickschnack passte zu einem Lokal, in dem Horst Schimanski seinerzeit gern verkehrt hatte. Hanno orderte zwei Köpi. Nachdem sie das Bier ungewohnt schweigend geleert hatten, stand die unausgesprochene Frage im Raum, ob sie den bisher nicht gerade erquickenden gemeinsamen Abend jetzt lieber schnell beenden sollten. Oder würden sie ihm noch einmal eine neue Wendung geben können?
»Noch zwei«, rief Hanno plötzlich quer durch die Kneipe. Und dabei sollte es nicht bleiben. Sie harrten aus, bis alle anderen Gäste sich verabschiedet hatten, und brachen dann eher notgedrungen selbst auf.
»Aber du kannst doch jetzt nicht mehr fahren«, bemerkte Max. Ihm war nicht ganz wohl bei der Vorstellung, dass sich Hanno hinter das Steuer setzen würde.
»Ich lasse das Auto stehen und du schläfst heute Nacht bei mir«, erwiderte Hanno, während er ihm kameradschaftlich auf die Schulter klopfte. »Und dahin nehmen wir uns zusammen ein Taxi.«
In Hannos winziger Wohnung in einem vierstöckigen Mietshaus tauten beide nach einigen weiteren Drinks so richtig auf. Gemeinsame Erlebnisse, bei denen sie sich rühmlich – oder auch nicht – hervorgetan hatten, kamen auf den Tisch und sie lachten viel. Irgendwann wurde es Zeit zum Schlafen.
»Kannst mein Bett haben«, erklärte Hanno. »Ich penn auf der Couch. Meistens sack ich sowieso im Wohnzimmer vor dem Fernseher weg und steh nicht mehr auf.«
»Wie du meinst«, erwiderte Max und verzog sich gähnend ins Bad.
Bevor er später ins Schlafzimmer verschwinden konnte, fasste Hanno seinen Arm und sah ihn mit ernster Miene an. »Es ist alles ganz anders ... ganz anders, als du denkst«, brachte er mit brüchiger und seltsamer Stimme hervor.
»Wovon sprichst du?«, fragte Max irritiert.
»Ach vergiss es.« Hanno versuchte zu lachen. Als das missglückte, drehte er sich abrupt um und wankte zum Sofa.