Читать книгу Königin im Schatten Gesamtausgabe - Iris Hennemann - Страница 16
Kapitel 7
ОглавлениеAus dichten weißen Wolken wirbelten Schneeflocken, groß wie Daunenfedern, auf die Erde hernieder. Manche von ihnen hielten sich fest umklammert, bildeten Gemeinschaften, als fürchteten sie sich davor, auf den Boden dieser elenden Welt zu fallen. Und so formierten sie sich zu einer Armee und stapelten sich höher, deckten alles zu, als wollten sie jedwede Schlechtigkeit ersticken.
In der Nacht war der Winter zurückgekehrt, hatte die Landschaft mit einer wadenhohen weißen Schicht überzogen. Manchmal riss der Himmel auf, zeigte ein tiefes Blau, doch dann wälzten sich über die Bergkuppen schwere, tief hängende Wolken heran und schlossen diese Lücken wieder.
Am frühen Morgen war der Hof des Königs mit zahlreichen Kriegern, Reitern, Pferde- und Ochsengespannen, Packtieren und Fußläufern losgezogen und schob sich fast endlos die verschneiten Wege im Harz entlang. Bertha hatte den Aufbruch der annähernd tausend Personen innerhalb weniger Tage organisiert. Arend war aufgefallen, dass sie ein bewundernswertes Talent besaß, Dinge zu planen und Fehler in der Ausführung zu erkennen. Dennoch hatte Heinrich sie vor all den anderen gescholten, weil ihm alles viel zu lange gedauert hatte.
Arend ritt mit Folkmar hinter dem Reisewagen, in dem die Königin mit ihren drei vertrautesten Dienerinnen und ihrer Tante Imula saß. Der Wagen bestand aus einem prächtig bemalten Holzkasten, der oben bogenförmig mit Planen überspannt und vorn und hinten ebenfalls verhangen war. Bei gutem Wetter konnten an den Seiten schmale Teile emporgerollt werden. Bei widriger Witterung – so wie jetzt – war alles verschlossen, doch kleine mit Vorhängen versehene Ausschnitte dienten als Fenster, falls die Frauen hinausschauen wollten. Der Sachse zog den dunkelbraunen Mantel aus gefetteter Wolle enger um sich und beobachtete die Flocken, die darauf landeten und sich in ihrer filigranen Schönheit und Einzigartigkeit präsentierten. Einige verformten sich durch seine Körperwärme und wurden zu schnöden Wassertropfen, aber die meisten blieben liegen, legten sich auf seinen Mantel und seine Kapuze.
Es schneite immer mehr, und die Schneedecke wuchs. Bald wirbelte es so heftig, dass der Zug der Menschen und Tiere hinter einem weißen, mystisch anmutenden Vorhang verschwand.
Zwar war der Schnee vor ihnen bereits von vielen Hufen und Füßen plattgetrampelt, doch dadurch war der Weg auch rutschiger. Er war mit Urin und dampfenden Haufen von Pferden und Zugtieren markiert, und die Fußgänger schafften es nicht immer, diesen auszuweichen.
Arends Streitross stapfte mühelos durch den Schnee, zeigte keinerlei Anstrengung. Weiße Atemfahnen stoben aus den Nüstern des Rappen Widu, und Arend tätschelte ihn mehrmals. Er hing an diesem Tier, das ihn bei den Kämpfen gegen die Liutizen so furchtlos in die Schlacht getragen hatte.
Der Fahrer des königlichen Wagens lenkte diesen aus der Spur, und Arend beäugte skeptisch das Fahrmanöver. Immer schwerer bewegte sich der Wagen vorwärts. Schließlich ritt Arend an dem Gefährt vorbei. Auf dem Bock saß ein älterer Mann, der die Decken, in die er gehüllt war, neu ordnete. Die Zügel hatte er indes einem Knaben überlassen, der diese ungeschickt in Händen hielt und mit der Aufgabe restlos überfordert war. Seine Pausbacken leuchteten hochrot, und die Augen waren furchtsam geweitet.
„Schau gefälligst, wohin du die Pferde lenkst!“, blaffte Arend ihn an.
Der rothaarige Knabe zuckte zusammen und ließ es zu, dass das Gefährt noch weiter vom Weg abkam.
Und dann geschah es: Der Wagen fuhr sich fest.
Der erzürnte Alte gab dem Jungen eine schallende Ohrfeige und überhäufte ihn mit derben Flüchen.
„Hör auf damit! Er ist unerfahren. Es war dein Fehler!“, schmetterte Arend.
Der Alte übernahm die Zügel und trieb die Pferde an, doch nichts bewegte sich. „Alles deine Schuld, du Missgeburt“, raunte der Alte dem Jungen durch zusammengebissene Zähne zu.
Arend sprang vom Rappen, beschaute sich die im Schnee versunkenen Räder, ging um den Wagen herum und versuchte zusammen mit Folkmar, ihn anzuschieben. Nichts regte sich.
„Er ist zu schwer. Die holde Weiblichkeit muss wohl hinaus ins Schneegestöber“, feixte Folkmar leise.
Hinter ihnen wurden verärgerte Rufe laut, warum es nicht weiterging.
Freudlos nickte Arend. Widerwillig ging er zum Gefährt, stellte sich vor die Tür und räusperte sich laut. Doch der Vorhang des kleinen Fensterausschnitts blieb zugezogen. Im Wagen herrschte aufgeregtes Geplapper. Vielleicht hatten sie ihn einfach nicht gehört. Er zögerte, dann klopfte er beherzt gegen das Holz.
Imula schob den Vorhang ein wenig beiseite. „Ja?“
„Ihr müsst für einen Moment aussteigen, der Wagen steckt fest.“
Missmutig verzog die Tante den Mund. „Hier sind genug Kerle. Gemeinsam werdet ihr dies ja wohl schaffen, oder?“
„Es wird erheblich einfacher und auch schneller gehen, wenn der Wagen leichter wäre.“
Verdrießlich spitzte Imula die Lippen. „Nun, das sind Worte, die uns Frauen wahrlich nicht schmeicheln.“
Dann war ihr Gesicht verschwunden, und es wurde im Inneren des Wagens heftig diskutiert. Die Tante wollte keinesfalls ins Freie, aber schließlich forderte Bertha sie mit barschen Worten dazu auf.
Arend und Folkmar wechselten erleichterte Blicke.
Endlich wurde die Plane beiseitegezogen, und Tilda kletterte forsch heraus. Fast amüsiert betrachtete sie die im Schnee versunkenen Räder. „Ja, meine Lieben, wollen wir weiter, müssen wir wohl kurz mit den Flocken vorliebnehmen. Also kommt! Seid versichert, sie beißen nicht!“
Nun tauchten auch Imma und die Tante auf und ließen sich von Arend aus dem Wagen helfen. Hiernach erschien Ada. Ihre moosgrünen Augen erfassten Arend und strahlten, sie erhoffte sich wohl ein Zeichen seiner Zuneigung. Schon seit Tagen suchte sie seine Nähe, zeigte ihm deutlich, dass er ihr gefiel. Sie war kokett und verführerisch, und er fühlte sich geschmeichelt, doch sie war Berthas Dienerin, gar ihre Vertraute, und daher für ihn eine Blume, die man nicht pflückte.
Sie stand oben auf dem Wagen, taumelte, verlor das Gleichgewicht und ließ sich in seine Arme fallen. Das war Absicht gewesen! Er hatte ganz genau gesehen, wie sie sich abgestoßen hatte. Dieses kleine Biest!
Er fing sie auf, fiel fast mit ihr zusammen in den Schnee. Sie drückte sich an ihn und lächelte herausfordernd. Plötzlich weiteten sich ihre Augen. Ihre Finger lagen auf seinem linken Handgelenk und berührten einen der drei Kratzer, der noch Schorf besaß. Sie vergewisserte sich, indem sie einen raschen Blick darauf warf, und starrte ihn überrascht an.
Arend stockte der Atem. Sie hatte ihn als denjenigen erkannt, der sie gewarnt hatte! Sie durfte ihn nicht verraten! Er legte ein eindeutiges Flehen in seinen Blick. Kaum merklich nickte sie, und sogleich huschte ihr ein freudiges Lächeln über die Lippen.
„Danke, Arend! Du warst eine große Hilfe“, ließ sie sich vernehmen und spielte damit ganz gewiss auf jenen Abend in der Pfalz an.
Verunsichert nahm er seine Hände von ihr und sah zu, wie Folkmar der Königin beim Aussteigen half.
Während Arend sich zusammen mit anderen Männern gegen den Wagen stemmte, um diesen aus dem Schnee zu befördern, kreisten seine Gedanken heftig wie Blätter in einem Wasserstrudel.
Soweit er es gesehen hatte, hatte Ada bisher kein einziges Wort an Bertha gerichtet. Würde sie es den anderen Weibern erzählen, sobald sie wieder im Wagen waren? Wie ein Lauffeuer würde sich diese Neuigkeit am Hof verbreiten und an Heinrichs Ohr gelangen. Seine Rache würde nicht lange auf sich warten lassen, ganz gewiss nicht.
„Das hättet ihr aber auch zügiger schaffen können. Jetzt sind wir völlig durchgefroren“, scholt Imula, und Tilda verdrehte hinter deren Rücken die Augen.
Bertha ließ sich von Folkmar in den Wagen helfen, während Imma dem Sachsen ihre dürre Hand reichte, ihn dabei aber kaum beachtete. Ada war als Letzte draußen verblieben. Sie schenkte ihm ein kaum merkliches Lächeln und hatte dabei ein Leuchten in den Augen, das er nicht genau zu deuten vermochte.
Als Arend wieder auf seinem Hengst saß, wurde ihm bei der Vorstellung, was dort drinnen nun hemmungslos getuschelt werden könnte, übel.
Die Sonne brach hervor, trieb die mächtigen Wolkenberge auseinander und ließ den Schnee funkeln. Es wurde wärmer, und ganz sachte setzte Tauwetter ein. Von den Bäumen fielen glitzernde Tropfen wie kostbare Juwelen herab. Der Schnee schmolz mit höher steigender Sonne und bildete kleine Rinnsale. Fasziniert beobachtete Arend das Schauspiel, versuchte sich vom Geplapper und Gelächter im Wagen abzulenken, doch es gelang ihm nicht. Hoffentlich erzählte Ada nichts.
* * *
„Nein, das kann ich nicht glauben. Du musst dich irren. Die Narben wird er sich anderswo geholt haben. Vielleicht von einer unwilligen Hure.“ Bertha saß an einem kleinen Tisch in ihrem Quartier, das sich in einem Nebengebäude des mächtigen Klosters Ilsenburg befand. Hier, auf halbem Weg nach Quedlinburg, würden sie übernachten.
Es war kalt und feucht in diesem Raum. An den kahlen Wänden prangte lediglich ein einfaches Holzkreuz. Den einzigen Luxus boten das Glas vor den kleinen Fenstern, zwei einigermaßen bequeme Betten und die duftenden Wachskerzen, die alles in heimeliges Licht tauchten.
„Nein, ich kann und will das nicht glauben. Es war bestimmt eine Hure!“ Bertha war aufgebracht.
Da Ada mit ihrer Königin allein war, hatte sie die Gelegenheit als günstig erachtet, ihr die Geschichte mit Arend anzuvertrauen. „Herrin, ich täusche mich nicht. Glaubt mir, er war derjenige!“
„Er ist der Freund von diesem verfluchten Egeno. Warum also hätte er mich schützen sollen?“ Nachdenklich nagte Bertha an ihrer Unterlippe herum, sodann zeigte sich ein bitteres Lächeln. „Ja … so muss es sein: Er soll sich mein Vertrauen erschleichen.“
„Nein, Herrin. Er hat seine Narben zu keiner Zeit zu erkennen gegeben. Wäre ich nicht so ungeschickt in seine Arme gefallen, hätte ich diese Male nie entdeckt. Sprecht mit ihm.“
„Was soll ich?“ Bertha verschränkte die Arme vor ihrer Brust. „Mit dem Hund sprechen? Ich sage: Er ist ein Spion von Heinrich!“
Ada fiel vor ihr auf die Knie und blinzelte sie flehend an. „Das glaube ich nicht. Findet es heraus, Herrin. Die Gelegenheit ist günstig. Er steht gerade vor Eurer Tür, und hier am Ende des Traktes ist sonst niemand mehr. Heinrich übernachtet in einem anderen Bereich des Klosters. Bitte! Tut es um Euretwillen. Stellt fest, ob er nicht vielleicht sogar Euer Verbündeter ist.“
Verärgert zog Bertha die Augenbrauen zusammen und schob die Unterlippe vor. Sie wollte nicht mit ihm reden, denn sie hatte ihr Urteil bereits gefällt. Doch dies wäre weder klug noch weise. „Also gut!“, sagte sie seufzend. Dann rückte sie den Stuhl ein wenig vom Tisch fort. „Stelle alle Kerzen vorn auf die Tischkante. Er soll im Licht stehen, während ich eher im Schatten sitze.“
„Gut so, Herrin!“, sagte Ada erleichtert und erhob sich mit einem kleinen Hüpfer. „Ihr werdet schon sehen!“ Sie schob die Kerzen so, wie ihre Königin dies gewünscht hatte, und als Bertha ihr einen Wink gab, eilte ihre Dienerin zur Tür und redete dort einige Zeit mit dem Wächter. Wo blieb sie denn? Was hatte sie ihm zu erzählen?
Bertha fühlte sich zutiefst unwohl. Ihr unregelmäßiger Atem verriet ihre Nervosität, und ihre ohnehin stets kalten Finger wurden eisig. Unruhig umklammerte sie die rauen Armlehnen des Stuhls, dann legte sie die Hände wieder in den Schoß, um entspannter zu wirken.
Arend erschien an der Tür, unbewaffnet, zögernd, fast unsicher.
„Komm näher!“, forderte sie ihn in schroffem Ton auf.
Als er in den Schein der Kerzen getreten war, hob sie die Hand, um zu signalisieren, dass dies nahe genug war.
Steif verneigte er sich, und sein glitzerndes Kettenhemd klingelte leise.
„Zeige mir die Narben an deinem Handgelenk!“, befahl sie.
Er zögerte, sein Blick glitt zurück zur Tür. Er wollte nicht hier sein, ganz deutlich war ihm dies anzusehen. Ein wenig widerstrebend kam er der Aufforderung nach, zog den linken Ärmel des Kettenhemdes, des Gambesons, der Tunika und des Leinenhemdes nach oben. Drei vernarbte Kratzspuren waren zu erkennen, eine davon war noch zum Teil mit Schorf bedeckt. Berthas rechte Augenbraue zuckte empor. Man konnte Ada wahrlich nicht vorwerfen, zimperlich gewesen zu sein.
„Woher hast du die Narben?“
„Ich denke, Ihr wisst es bereits, Herrin.“
„Ich will es hören. Also: Woher?“
Zwischen Arends Brauen zeigte sich eine unwillige Falte, während er die Kratzer wieder verdeckte.
„Sprich!“, forderte Bertha streng.
Der Hüne kämpfte mit sich. Für einen Moment biss sich sein Blick am Holzkreuz fest. „Ada hat sie mir beigebracht.“
„Und wobei? Bist du über sie hergefallen, und sie hat sich gewehrt? Hast du ihr Rache angedroht, wenn sie deine ungeheuerliche Tat verrät?“
Arends Blick verdunkelte sich. „Natürlich nicht! So war es nicht!“
„Wie sonst?“
Verärgert schnaufte er, doch dann fügte er sich und berichtete bereitwillig. „Egeno hatte mir von seinem Plan erzählt, Euch zu erobern. Ich sah die Möglichkeit, Euch durch Ada warnen zu lassen, als Ihr sie fortgeschickt habt.“
„Egeno ist dein Freund, und du bist zudem ein Sachse wie er. Dass du mich hast warnen lassen, ergibt für mich überhaupt keinen Sinn“, gestand sie mit unverhohlenem Zweifel.
Mit einem tiefen Blick gestand er ihr für drei tiefe, aufgewühlte Atemzüge lang seine Gefühle für sie. Da war so viel Wehmut, so viel Wärme, aber auch Schmerz und … Liebe? Ja. Er liebte sie! Nein, das konnte nicht sein! Sie wollte das nicht!
Rasch wandte er den Blick ab, trat fast fluchtartig einen Schritt zurück und senkte das Haupt, haderte wohl mit sich selbst über seine unbedachte Offenbarung.
Sie tat so, als hätte sie dieses kurze Geständnis gar nicht mitbekommen, wenngleich in ihrem Innern ein Sturm alles durcheinanderwirbelte. „Du hast deinen König hintergangen!“
„Wenn Ihr meint, dies dem König sagen zu müssen, so werde ich Euch nicht daran hindern!“, entgegnete er entschieden.
Nun betrachtete sie ihn genauer, stellte fest, dass er gar nicht so düster war, wie sie ihn immer gesehen hatte. Trotz seiner Jugend war er männlich, mit einer geraden Nase, dem kantigen, bärtigen Kinn und diesen auffallend blauen Augen auch sehr hübsch. In ihnen lagen keine Arglist, kein Hohn, keine vernichtende Ablehnung wie bei Heinrich. Und plötzlich fühlte sie sich geschmeichelt. Ihr Herz tat einen freudigen Hüpfer, und es kribbelte in ihrem Bauch. Trotzdem erlaubte sie sich nicht, ihre Vorsicht ihm gegenüber fallen zu lassen. „Ich werde meinem Gemahl nichts berichten. Allerdings, Sachse, ich bin misstrauisch. Wäre es nicht im Interesse deines Volkes, wenn Intrigen diesen Königshof zerrütteten?“
Nur flüchtig schaute er sie an und blickte dann in die tanzende Flamme einer Kerze. „Von einer Intrige zu wissen und diese zuzulassen ist so, als würde man selbst daran beteiligt sein. Gott sieht alles und weiß alles. Also gilt es, sein Gewissen zu befragen und dementsprechend zu handeln.“
Bertha lehnte sich in ihrem Stuhl weit vor, musterte ihn prüfend. „So edel“, spottete sie. „Fast zu edel für diese Welt … Und dennoch hast du deinen Freund verraten.“
„Ja, meine Königin. Alle Taten der Menschen, die nicht durch oder für Gott sind, sind niemals edel, da stets ein anderer, vielleicht unbewusster Gedanke Anstoß des Handelns ist.“
„Sieh an, ein Philosoph und Heiliger ist mein Türwächter auch noch!“, ließ sie sich bissig vernehmen. „Du hast Heinrich die Treue geschworen, stehst aber vor meiner Tür. Wie kannst – wie wirst – du das miteinander vereinbaren?“
Er erhob seinen Blick. „Ich schwor Euch und auch ihm, Euer Leben und Eure Ehre zu behüten, und das werde ich auch tun. Dabei ist es nicht von Belang, ob ich ein Sachse bin oder nicht.“
Erst wollte sie seinen Edelmut erneut verhöhnen, aber sie hielt sich zurück. Sie war vorsichtig. Noch immer bestand die Möglichkeit, dass er sich verdammt gut verstellen konnte. „Nun gut, Arend, dann ist dieses nun geklärt. Ich erwarte, dass du deinen Schwur hältst – wenn du es nicht tust, sollst du in der Hölle schmoren!“
Sein Gesichtsausdruck war vielsagend, eine Mischung aus all den Gefühlen, die gerade in ihm tobten und die er ihr gegenüber nicht zu verschleiern vermochte. Und da funkelte auch diese liebevolle Zuneigung in seinen klaren Augen. „Ja, Herrin.“
„Du kannst nun wieder vor die Tür treten und mir Ada hereinschicken!“
Er verneigte sich nochmals und ging.
„Ach“, hielt sie ihn auf, bevor er die Tür erreicht hatte.
Verwundert wandte er sich um.
„Ich erwarte, dass du stets Stillschweigen bewahrst, was in meinen Räumlichkeiten vor sich geht.“
„Ja, Herrin.“
„Gut, nun verlasse das Gemach!“
Er öffnete die Tür und schritt hinaus in den Gang.
Berthas Herz bummerte wie eine Trommel, und erst jetzt bemerkte sie, wie angespannt sie gewesen war, ihre Finger, ihr Körper fühlten sich völlig verkrampft an.
Ada kam herein, schloss die Tür und huschte breit lächelnd auf sie zu. „Und? Was sagt Ihr?“ Sie ließ sich zu Füßen ihrer Königin nieder und ergriff vertraulich deren schmale Hand.
Bertha zögerte. „Ich weiß es nicht.“ Sie wollte weiterhin Argwohn gegen ihn hegen.
„Ich bin davon überzeugt, dass wir ihm trauen können. Trotzdem werde ich ihn im Auge behalten, vielleicht kann ich erkennen, aus welchem Holz er geschnitzt ist.“ Keck lächelte Ada, und ihr Blick glitt kurz zur Tür, vor der zu hören war, wie Arends Schwert scheppernd auf den Boden fiel. Ein kurzer Fluch folgte. Dann war es still.
Nachdenklich nickte Bertha, immer noch misstrauisch. Gern hätte sie gewusst, welcher Gesinnung ihr Bewacher wirklich war. „Hilf mir aus meiner Kleidung. Wenigstens bin ich heute nicht allein, da du bei mir schlafen wirst. So brauche ich den großen Sachsen vor der Tür nicht fürchten.“ Ihre Mundwinkel zuckten zu einem Lächeln. Gleichwohl hegte sie Groll gegen sich selbst, denn das verletzliche Glitzern in seinen Augen ging ihr nicht mehr aus dem Sinn.
* * *
In der Nacht war abermals Schnee gefallen, doch am Vormittag drängte die Sonne die Wolkendecke auseinander, brach mit fast belästigend blendendem Schein hervor und ließ die weiße Schicht rasch dahinschwinden. Überall tropfte es, und kleine Rinnsale sammelten sich zu fließenden Bächen, die die Anhöhen hinabplätscherten. An schattigen Hängen hielt sich der Schnee ein wenig hartnäckiger und mahnte davor, dass die kalte Jahreszeit noch nicht vorüber war.
Arend hielt sich hinter dem Wagen der Königin, ergab sich dem Schritt seines Hengstes Widu. Sein Gesicht war versteinert, doch im Innern war er ruhelos. Er war zornig auf sich, da er nicht fähig gewesen war, seine Gefühle vor Bertha zu verbergen. Die letzte Nacht vor ihrer Tür war eine Qual gewesen, und er wäre am liebsten davongeritten, zurück zur Burg seines Vaters, um Pläne gegen Heinrich zu schmieden …
Ihm wurde bewusst, wie sehr er seine Familie vermisste und auch sein Leben auf der väterlichen Burg. Dort hatte er seine Freiheit genossen, sich mit Freunden getroffen, sich mit ihnen in den Waffen geübt, lange Ausritte unternommen, und er war oft jagen gegangen. Seine Brüder hatten leider nicht mehr viel Zeit für solche Vergnügungen, seit sie vor einigen Jahren geheiratet hatten. Der Älteste, Giselher, hatte bereits zwei Söhne und eine Tochter, während Suidger zwei Jungen hatte. Für Arend hatte seine Mutter Mathilde wohl auch schon eine Braut ins Auge gefasst, doch er war diesen Gesprächen stets aus dem Wege gegangen und lieber in der Gegend umhergestreift. Mathilde war eine schlanke, große Frau mit aufmerksamen graublauen Augen, überaus streng und gottesfürchtig. Sie schmiedete gern Pläne und Bündnisse, daher hatte sie sich geärgert, dass er sich diesen entzogen hatte. Als unreif und kampfbesessen hatte sie ihn geschimpft und ihm vorgeworfen, dass ihm der Sinn so gar nicht nach einem Weib stünde, sondern sein Schwert wohl seine Geliebte sei.
Die beiden ältesten Töchter hatte sie bereits gut verheiratet, doch bis sie auch ihre beiden jüngsten Mädchen vermählen konnte, musste sich die Mutter noch einige Jahre gedulden. Nach geeigneten Kandidaten hielt sie jedoch bereits eifrig Ausschau. Da die Mädchen überaus hübsch waren, hoffte sie, diese gut verheiraten zu können und ihre gesellschaftliche Stellung erheblich zu verbessern. Der ehrgeizigen Mathilde genügte es nicht, dass ihr Gemahl einem altehrwürdigen Adel entstammte, denn er verfügte nicht über die großen Besitzungen und Reichtümer, die sie sich eigentlich gewünscht hatte. So nahm sie oft Einfluss auf Eilbrecht und trieb ihn zu mehr an.
Zumeist war sie Arend kühl wie dieser Schnee erschienen. Wenn er als kleines Kind gestürzt war, hatte sie ihn nur selten in den Arm genommen. Nur bei ihrem Jüngsten war sie anders gewesen. Sie hatte Herwin vergöttert, war immer um ihn herum gewesen. Daher hatte sie Arend auch nicht verzeihen können, dass er, als fähigster Krieger der Familie, in der Schlacht gegen die Liutizen nicht besser auf ihn achtgegeben hatte und Herwin von den Feinden erschlagen worden war. Giselher hatte sie darin bestärkt, ihm die Schuld zuzuweisen – genährt durch seine Missgunst, denn schon immer war er neidisch auf die Kampfkünste seines Bruders gewesen. Zudem war er angekratzt gewesen, da sein Weib seiner Meinung nach zu sehr für ihren Schwager geschwärmt hatte.
Dennoch liebte Arend seine Familie sehr, würde alles tun, um sie zu schützen. Deshalb war er nun der Türwächter der Königin. Seine Mutter hatte die Forderung des Königs als „Frechheit“ und „Anmaßung“ betitelt und gemeint, dass solch ein Dienst eine Herabwürdigung eines solch altehrwürdigen Geschlechts sei. Als sie sich von Arend verabschiedet hatte, da hatte sie ihn mit einem seltsamen, wehmütigen Blick angeschaut, als würde er in eine hoffnungslose Schlacht ziehen, hatte geäußert, dass sie kein gutes Gefühl bei der Sache hätte.
Nun, sie hatte wohl irgendwie geahnt, dass er bei dieser Sache in Schwierigkeiten geraten könnte. Vielleicht waren ihr seine Unsicherheit und die leichte Röte in den Wangen nicht entgangen, als über Bertha gesprochen worden war. So hatte sie ihm zum Abschied fast mahnend die Wange getätschelt und gemeint: „Die Zeit als Sachse am Hof kann eine schwere Prüfung für dich sein. Mach also keine Dummheiten! Wir haben dich zu Ehre und Anstand erzogen! Sei redlich, aber verhehle auch nicht deine stolze Herkunft! Bleibe dir selbst und uns stets treu!“
Nun, er wurde durchaus jeden Tag geprüft …