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Kapitel 12
ОглавлениеKloster Ilsenburg, Ende Oktober 1069
„Wenn Ihr möchtet, bleibe ich noch für einige Zeit Euer Bewacher. Vielleicht wird es notwendiger denn je sein.“ Arend hatte die Arme tröstend um Bertha gelegt und genoss ihre Nähe. Sie hatte einen Augenblick der Schwäche, fürchtete sich vor dem, was sie in Goslar erwartete.
„Ich lasse dich nicht gehen! Du hast geschworen, mich zu beschützen, und niemand anderem möchte ich mein Leben anvertrauen. Ich fürchte mich, denn morgen begegne ich Heinrich wieder!“ Mit ihren kalten Fingern streichelte sie seine Hand. „Niemals hätte ich gedacht, einmal so offen mit dir zu reden“, sie gluckste, „geschweige denn, mich von dir berühren zu lassen. Das ist gefährlich, doch ich brauche jetzt deine Umarmung, um Kraft zu schöpfen.“ Sie lehnte ihren Kopf an seinen Arm. „Und dabei habe ich dich damals für einen Schergen Heinrichs gehalten. Du bist so anders als er, so edel. Ich wünschte, er hätte deinen Charakter.“
Edel … Er löste die Umarmung. Edel. Junge Krieger der Liutizen hatte er abgeschlachtet, war wild wie ein Tier geworden, einer Art Blutrausch verfallen. Und es würde wieder so sein, wenn er in den Krieg zöge. Es brach aus ihm heraus … Er hasste diesen Teil von sich, fühlte sich schuldig und besudelt und meinte, manchmal bereits das Höllenfeuer spüren zu können, das unter seinen Füßen züngelte.
Sie ergriff seine Arme und legte diese wieder um sich. „Ich brauche jetzt deine Nähe … ich fühle mich gerade so schwach und verletzlich. Weißt du, ich wurde erzogen, mir eine Maske aufsetzen zu können und mir meine Gefühle nicht anmerken zu lassen, dies kann am Hof überlebenswichtig sein. Sieh es als großes Privileg an, dass ich dir offenbare, wie ich wirklich bin.“ Sie schloss die Augen und zitterte ein wenig. „Ich hörte von den schlimmen Dingen, die ein Mann einer Frau antun kann. Heinrich ist gewiss nicht einfühlsam … Er ist berüchtigt für seine nächtlichen Streifzüge, bei denen er sich Frauen mit Gewalt nimmt. Nein, zärtlich wird er nicht sein. Im Gegenteil: Er wird sich an mir rächen wollen …“ Sie schaute in seine mitfühlenden Augen. „Warum sind viele Männer so? Warum nutzen sie ihre körperliche Überlegenheit feige, um sich den Frauen gegenüber schäbig zu verhalten, anstatt sie zu behüten und zu beschützen? Warum macht es ihnen Freude, über die schwächeren Weiber herzufallen?“
Er räusperte sich, fühlte sich von ihren Fragen überfordert. „Ich … weiß es nicht … Es sind ja nicht alle Männer so. Es gibt sogar durchaus welche, die von ihren Frauen geschlagen werden. Ich weiß es, da in der Burg meines Vaters eine Magd regelmäßig ihren Mann verprügelt hat. Er hat aber nie darüber gesprochen, weil ihm dieses peinlich war. Von mir kann ich nur sagen, dass ich mir bisher keine Verbrechen gegen Frauen vorzuwerfen habe.“
Sie schenkte ihm ein sanftes Lächeln. „Das habe ich von dir auch nicht gedacht … Dennoch … Was soll ich tun, wenn Heinrich in mein Gemach eindringt? Ich bin seine Königin, und ich will auch die Mutter seiner Kinder sein … Ich wünsche mir Kinder, die ich lieben und umsorgen kann … die mir helfen, nicht mehr so einsam zu sein. Aber dazu muss ich den König in mein Bett lassen. Ich kann ihn nicht aus meinem Gemach herausprügeln. Wie gelingt es mir, dass er sanft zu mir ist?“
„Herrin, ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll … Ihr seid eine Frau und werdet zur rechten Zeit spüren, was ihr tun und sagen müsst, da bin ich mir sicher. Ihr kennt Heinrich von Kindheit an, Euch wird das Richtige einfallen.“
Bertha seufzte. „Ich merke, du fühlst dich unwohl, wenn ich mit dir über solche Dinge spreche. Wahrscheinlich quäle ich dich sogar damit. Ach, Arend, warum nur kannst du nicht mein Gemahl sein? Dies ist ein Gedanke, der mir sehr oft in den Sinn kommt. Du würdest liebevoll zu mir sein, das weiß ich. Aber es war nicht Gottes Plan …“ Verliebt und gleichzeitig unsäglich traurig blickte sie ihn an. Eine Träne schimmerte in ihrem Augenwinkel.
Am liebsten hätte er sie geküsst und wäre mit ihr vom Hof geflohen. Stattdessen entzog er sich sachte ihrer Umarmung. „Ich gehe jetzt wieder hinaus, ehe entdeckt wird, dass ich nicht mehr vor der Tür stehe. Ich bin mir sicher, dass Ihr auf den König einwirken könnt, dass er Euch seinen Zorn nicht spüren lässt.“ Dies war ein hilfloser Versuch, sie zu trösten, er wusste es selbst.
Wehmütig seufzte sie, setzte sich an den Tisch und schob nachdenklich den darauf liegenden Schmuck mit dem Zeigefinger hin und her, während Arend vor die Tür in der Hoffnung huschte, dass niemand sein Fehlen bemerkt hatte. Er atmete auf, er war allein.
Dann schwirrten ihm die Gedanken wie ein Mückenschwarm durch seinen Kopf. Konnte er sich beherrschen, wenn Heinrich ihr etwas antäte? Würde er eine Dummheit begehen und den König vielleicht sogar aufspießen? Und wenn Heinrich wider Erwarten zärtlich zu ihr war? Was dann? Er wünschte ihr dieses tausendfach, doch … würde in ihm Eifersucht erwachen? Sie war seine Bertha.
* * *
Das Laub der Bäume auf den Hügeln hatte sich golden verfärbt, wirkte im Licht der Abendsonne kostbar und geheimnisvoll. Vermehrt fielen die Blätter zu Boden, kündeten vom nahenden Winter, der härtesten, unerbittlichsten Jahreszeit für Mensch und Tier.
Als Bertha mit dem riesigen Tross in die Goslarer Pfalz einzog, herrschte geschäftiges Treiben. Ihr wurde kein jubelnder Empfang bereitet, sondern die Stimmung war seltsam lauernd. Jeder Knecht, jede Magd schien bedrückt. Nur wenigen huschte ein fast mitleidiges Lächeln zur Begrüßung über die Lippen.
Wie erwartet, erschien ihr Gemahl nicht, um sie willkommen zu heißen. Er blieb unsichtbar. Als Bertha aus dem Wagen stieg, kam sie sich vor wie eine Fremde. Es war beklemmend. Um sich von dieser frostigen Atmosphäre abzulenken, ließ sie sogleich diejenigen Möbelstücke, die sie in jede Pfalz begleiteten, wieder in ihre Räumlichkeit bringen und organisierte das weitere Entladen. Doch eigentlich wusste jeder, was er zu tun hatte. Sie waren allesamt das Reisen gewohnt.
Recht bald zog sich Bertha in ihr Gemach zurück. Nach der langen Reise verlangte es ihr nach einem Bad, und sie trug Ada auf, dass im Badehaus, das sich direkt neben dem Küchengebäude befand, der Zuber gefüllt wurde.
Das Bad war ein Genuss, und das Wasser enthielt duftende Essenzen aus Kräutern und kostbarem Rosenöl. Der Zuber war innen mit einem großen Laken bedeckt, damit sie sich keinen Holzsplitter zuzog. Umflutet von dieser herrlichen, sie umfangenden Wärme stellte sich Bertha auf das erste Zusammentreffen mit Heinrich ein, tauchte mit dem Haupt lange unter Wasser, fühlte sich dieser Welt entschwunden. Sie fürchtete sich, doch dann sagte sie sich, je schneller sie die Begegnung hinter sich brachte, desto besser.
Ihre Dienerinnen kleideten sie im Badehaus an, trockneten ihr mit einem Tuch weitestgehend die hüftlangen goldenen Haare, flochten diese und verbargen sie unter einem Schleier. Anschließend führten sie sie zum Mahl in den Wintersaal. Man hatte nur mäßig eingeheizt, und Bertha fror. So ließ sie ein Kohlebecken in ihre Nähe rücken.
Dort saßen sie: die Ministerialen, einige Fürsten, die rivalisierenden Erzbischöfe Anno und Adalbert, der Baumeister Bischof Benno und viele andere mehr. Als Bertha den Saal betrat, kehrte schlagartig Ruhe ein. Die Stille war grausam. Lediglich ein paar Hunde unter einem der Tische zermalmten mit ihren starken Kiefern genüsslich einige Knochen.
Bertha fühlte die Blicke auf sich brennen, von allen, außer von Heinrich. Er saß auf seinem Stuhl, zerfleischte mit seinen Fingern grob eine Haxe und warf den Knochen schwungvoll zu den Hunden unter den Tisch. Bertha näherte sich ihm mit bibbernden Knien, setzte eine gleichmütige Miene auf und nahm neben ihm Platz.
Verächtlich schnaufte er und stürzte Wein in sich hinein, donnerte das geleerte goldene Gefäß auf den Tisch und schaute in die schweigende Runde. „Was ist?“, fuhr er die Anwesenden an. „Schmecken Euch die Speisen an meiner Tafel nicht?“
Augenblicklich aß man wieder, und es wurden verhaltene Gespräche geführt.
Bertha nahm sich ein Stück Brot, doch abbeißen konnte sie nicht davon. Sie befürchtete, dass es ihr in der Kehle stecken bliebe. „Ich grüße dich, mein Gemahl. Ich habe meine Möbel in mein früheres Gemach bringen lassen. Ist dir dieses recht, oder hast du einen anderen Raum für mich vorgesehen?“
Heinrich lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verdrehte die Augen. Er wollte nicht sprechen. Still saß er neben ihr, schüttete Wein in sich hinein und stocherte mit seinem scharfen Messer im Essen herum. Mehrmals machte er Anstalten zu reden, verkniff es sich dann aber wieder.
„Ist dir dieses recht?“, wiederholte sie.
„Ja“, zischte er. „Halte dich bereit, heute Nacht komme ich zu dir, um die Ehe zu vollziehen.“
In Bertha erwuchs Panik. Er hatte so viel Wut in sich, die sich bestimmt wie ein gewaltiges Gewitter entladen würde.
Neben ihr saß ihre Tante Imula und zog besorgt die Stirn in Falten. Sie lehnte sich vor, um Heinrich besser sehen zu können. „Mein werter, edler König. Ihr solltet dieses Ereignis in Ehren halten und dafür sorgen, dass es die Bindung stärkt und keinen herben Beigeschmack hinterlässt. Mein erster Gemahl zum Beispiel …“
„Niemanden interessiert, was dein erster Gemahl getan oder nicht getan hat“, fauchte Heinrich, schoss einen pfeilschnellen Blick auf sie ab und widmete ihr hiernach keine Aufmerksamkeit mehr. Er hatte seine Ellenbogen aufgestellt und schwenkte den Wein in seinem Becher. Sein Blick richtete sich auf den Tisch, wo bei Festen üblicherweise seine Kebsweiber saßen. Er war trotz allem noch nicht so weit gegangen, sie bei den alltäglichen Mahlzeiten im königlichen Saal speisen zu lassen.
Imula ergriff unter dem Tisch Berthas Hand und drückte diese ganz fest. Sie schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, gleichwohl konnten ihre Augen die Sorge nicht verbergen.
Bertha lächelte nicht, ihr Magen war wie zugeschnürt, und dennoch zwang sie sich ein wenig Essen hinein.
Nachdem die Tafeln abgeräumt worden waren, setzte sich Heinrich mit seinen Beratern und seiner Hofkapelle zusammen an einen Tisch. Bertha blieb noch eine Weile, hörte, dass Bischof Rumold von Konstanz gestorben sei. Heinrich ließ verlauten, dass er Karl, den Propst der Stiftskirche der Harzburg, als neuen Bischof einsetzen wollte. Als vorsichtige Bedenken geäußert wurden, dass das Domkapitel in Konstanz dieses wohl nicht widerstandslos hinnehmen würde, wischte Heinrich diese hinfort. Er wollte einen seiner eigenen Männer in Konstanz haben.
Sein verärgerter Blick streifte Bertha, weil sie noch anwesend war, so ging sie hinaus ins Freie. Dort warteten zahlreiche Botschafter der Reichsfürsten und Gesandte aus anderen Ländern darauf, beim König vorsprechen zu dürfen.
Bertha entzog sich diesen Besuchern, ihr stand wirklich nicht der Sinn danach, wahrscheinlich hätte Heinrich sie ohnehin nicht dabei haben wollen. So suchte sie Ablenkung auf dem Pfalzgelände, sah eine Zeit lang den Handwerkern zu, schlichtete Streit unter zickigen Mägden, hörte sich Klagen des Mundschenks und des Truchsesses über die Versorgung der Pfalz an, und dann zog es sie magisch zum Kampfübungsplatz.
Dort war Arend. Er übte gerade mit seinem Freund mit stumpfen Waffen. Dennoch war Folkmars Übungsschild schon lädiert. Die Umrandung aus Rohleder hing an einer Seite herab, und an dieser Stelle war der große mandelförmige Infanterieschild reichlich zerhackt. Um die beiden Leibwächter herum hatte sich ein Kreis von Männern gebildet, die den sächsischen Hünen bewundernd anschauten. Die beiden kämpften hart, schenkten sich nichts. Arend ließ sein Schwert auf Folkmars Nasalhelm donnern, sodass es blechern dröhnte. Anschließend gab er ihm mit seinem eigenen Helm einen wuchtigen Kopfstoß, schlug noch mal mit dem Knauf seines Schwertes zu und riss Folkmar zu Boden. Lachend trat Arend zurück und half seinem gerüsteten Freund beim Aufstehen, der ein wenig taumelte und vor Anstrengung keuchte.
Auch wenn es ihr nicht zustand, so war sie dennoch ärgerlich auf den Allmächtigen. Warum hatte er Arend nicht als ihren Gemahl bestimmt? Dann wäre ihr Leben besser verlaufen. Als Bertha ihr schwärmerischer Blick bewusst wurde, wandte sie sich sofort ab, konnte noch hören, wie weitere Männer Arend zum Kampf forderten, da sie etwas von ihm lernen wollten.
Bertha überlegte für einen Augenblick, sich selbst wieder einmal im Bogenschießen zu üben, doch ihre Hände hätten ohnehin zu sehr gezittert. Sie fürchtete sich vor der kommenden Nacht, und es zog sie in die Liebfrauenkapelle, wo sie sich niederkniete und um göttlichen Beistand bat.
Hell schien das Sonnenlicht durch die bleiverglasten Fenster und drang als dicker Streifen bis zu ihr vor. Vereinzelte bunte Scheiben leuchteten in spektakulären Farben und warfen ein schönes Muster auf den Boden. Als sie hinter sich ein Geräusch hörte, zuckte sie zusammen. Dort kniete Erzbischof Anno und erhob sich ein wenig schwerfällig. Bertha hatte ihn in den Gebäuden des Stiftes St. Simon und St. Judas vermutet, nicht jedoch hier.
„Ihr habt bekommen, was Ihr wolltet“, ließ er verlauten. Hager und aufrecht stand er dort.
„Ich denke, wir bekommen das, was Gott will, nicht wahr?“, meinte sie vorsichtig.
Seine rechte Braue schnellte empor, dann wurden seine Augen hart wie Granit und für einen Atemzug lang sogar schwarz wie der Torf in den Hochmooren des Harzes. „Nun, die Macht des Verführers, des Fürsten dieser Welt, ist nicht zu unterschätzen.“
Was meinte er damit? Reuten ihn Dinge, die er in seinem Leben getan hatte? Oder war dies eine an Bertha gerichtete Anklage? Sie konnte es nicht einschätzen. Sie kam ohnehin nicht dazu, ein weiteres Wort an ihn zu richten, denn er bekreuzigte sich und verließ die Kapelle.
Bertha blieb verwirrt zurück, wandte sich wieder zögernd dem prächtigen goldgeschmückten Altar zu und betete furchtsam.
* * *
Arend stand neben Berthas Tür. Kuno hatte sich ihm gegenüber vor Heinrichs Gemach aufgebaut und bedachte ihn mit vernichtenden Blicken. Das Licht der knisternden Fackeln erzeugte in Kunos Gesicht dämonische Schatten. Es war das erste Mal seit ihrer tätlichen Auseinandersetzung, dass sie wieder gemeinsam Wache hielten. Arend konnte nicht so recht den Grund verstehen, warum es ausgerechnet an diesem Abend sein musste, an dem die Ehe nach über drei Jahren vollzogen werden sollte.
„Du blöder Sachsenarsch! Wegen dir bin ich jetzt entstellt und kann schlechter riechen.“
Entstellt? War er nicht schon vorher hässlich gewesen?
Arend schwieg, mied den Augenkontakt, konnte sich aber ein sarkastisches Grinsen nicht verkneifen.
Kuno schnaufte. „Eines Tages, du dämlicher Sachse, werde ich dir deinen Bauch aufschlitzen – schön langsam –, dir deine Eingeweide herausziehen und um den Hals hängen.“ Heiser war sein Lachen, das zunehmend gehässiger wurde. „Aber gleich wird mein Herr erst einmal deiner Herrin zeigen, dass sie für ihn nicht mehr als eine Hure ist. Und du darfst das alles mit anhören. Schade, dass wir nicht zuschauen dürfen.“
Arends Blick schnellte zu Kuno. Dieses miese Schwein! Er musste sich zwingen, nicht auf den Franken zuzuspringen und nochmals seine Nase zu zertrümmern. Er legte ein Versprechen in seinen Blick, ja, eines Tages würden sie sich im tödlichen Kampf gegenüberstehen, ganz bestimmt …
Als Heinrichs Tür ruckartig geöffnet wurde, zuckte Arend unmerklich zusammen. Es war soweit. Der junge König hielt einen goldenen Pokal in seiner Hand und nahm einen kräftigen Schluck daraus. Er war vollständig angezogen und mit Gold behängt. Sein schmales, bärtiges Gesicht zeigte Zorn, Entschlossenheit, aber auch Missmut.
„Weg da!“, schalt er den Sachsen, der unbewusst die Tür versperrt hatte.
Arend schluckte einen Anflug von Befehlsverweigerung herunter und trat widerwillig beiseite.
Der König riss die Tür auf, und dort saß Bertha zusammen mit Tilda, Imma und Ada am Tisch. Die Frauen fuhren ängstlich zusammen – bis auf Tilda. Sie erhob sich, verneigte sich und blickte den König furchtlos an. „Ich bitte Euch, Herr, seid gut und sanft zu ihr.“
„Raus hier!“, befahl Heinrich den Dienerinnen rüde, wartete, bis sie mit hängenden Häuptern hinausgegangen waren und schloss die Tür.
Ada und Arend wechselten rasche Blicke. Sie bat ihn eindeutig um Hilfe. Aber wie sollte er diese leisten? Heinrich war Berthas Gemahl, der König, und hatte jedes Recht.
Die Dienerinnen schwiegen, als sie an ihnen vorbeigingen, doch als sie die Treppe hinabschritten, tuschelten sie heftig.
Kuno grinste Arend hämisch an und trat neben ihn, auf die andere Seite der Tür. „Na, dann wollen wir mal schön Berthas Domestizierung lauschen.“
Arends Hand lag um den Griff seines Schwertes. Er wusste gar nicht, wem er es am liebsten zuerst in den Leib rammen würde: diesem widerlichen Wachhund oder dessen entsetzlichem Herrn. Es fiel ihm so unendlich schwer, hier unbewegt zu stehen und nicht eingreifen zu dürfen.
Heinrichs Stimme war drohend und leise, aber dann erwiderte Bertha etwas, was ihn rasend machte. Sein Kelch flog scheppernd und polternd durch den Raum. Daraufhin brüllte er sie an, sie solle sich endlich ausziehen und aufs Bett legen. Es herrschte Stille. Dann … ein Schlag … Stoff zerriss.
Arends Hand legte sich fester um den Schwertgriff, und er wandte sich zur Tür um.
„Na los, tue es! Beschütze deine Herrin! Greif deinen König an! Nachdem du qualvoll hingerichtet wurdest, werde ich auf deinen Kadaver pissen!“ Kuno grinste dreckig, und in seinen Augen loderte ein diabolisches Feuer.
Er kam Arend wie der Teufel höchstpersönlich vor, der sich über ihn lustig machte.
„Würdest jetzt wohl gerne selbst anstelle des Königs sein“, stichelte Kuno weiter.
Arend verkniff sich eine Beleidigung und kämpfte mit aller Kraft gegen seinen glühenden Zorn an.
Da! Ein weiteres Klatschen!
Arend presste die Zähne aufeinander, und seine Wangenmuskeln zuckten. Sollte er eingreifen?
Noch ein Schlag! Und weitere! Arend konnte es kaum noch ertragen. Nun ein dumpfer Aufprall. War Bertha gestürzt? Noch ein weiteres gewaltvolles Geräusch, dann würde er einschreiten, gleichgültig, was sie mit ihm danach machten! Er hatte geschworen, sie zu beschützen. Er liebte sie …
Dann schrie Heinrich, sie solle damit aufhören. Er würde sie nicht mehr schlagen. Bertha hatte sich also gewehrt – hatte sie wieder ihren Knüppel hervorgeholt? Innerlich frohlockte Arend. Seine tapfere Königin.
Heinrich schrie nochmals, er wisse gar nicht, wie er jetzt noch in der Lage sein sollte, die Ehe zu vollziehen, zumal dies seine Berater von ihm erwarteten.
Lass es einfach bleiben, dachte Arend und hoffte, dass dies auch so geschehen würde. Doch dem war nicht so.
Das Königspaar tauschte mehrere leise Sätze. Es dauerte eine ganze Weile, dann waren das knarrende Bett und Heinrichs Stöhnen zu hören.
Arend starb innerlich. Seine Bertha. Sie war für ihn für immer verloren. Ihn umgab eine Wolke aus schwarzen Regentropfen, die um ihn hernieder fielen, bis er ertrank.
Nach einiger Zeit erklangen wieder Stimmen, anfangs gedämpft, doch gleich darauf brauste Heinrich auf, beschimpfte sie wüst und riss die Tür auf. Nur halb bekleidet stapfte er zu seinem Gemach und schlug wütend die Tür hinter sich zu. Es polterte, anscheinend zerschlug er Keramik. Bald danach erschien er in einen dunklen Kapuzenmantel gehüllt, befahl Kuno, ihm zu folgen, und rauschte die Treppen hinunter.
Arend konnte nicht begreifen, was vorgefallen war. Er hörte Bertha leise schluchzen und lehnte sich gegen die geschlossene Tür. „Seid Ihr unverletzt?“, erkundigte er sich.
Schweigen.
„Herrin?“
„Ja“, erklang es heiser.
Rasch nahm er wieder Haltung an, denn ihre drei Dienerinnen eilten die Stufen empor, erhielten Einlass ins Gemach.
Angestrengt lauschte Arend und versuchte, etwas in Erfahrung zu bringen. Die Frauen redeten in wechselndem Tonfall, mal aufgeregt, dann wieder tröstend oder ermutigend, doch verstehen konnte er kaum etwas. Nur, dass Bertha nach dem Beischlaf von Heinrich verlangt hatte, seine Kebsweiber vom Hof zu entfernen. Es war nicht verwunderlich, dass ihn das in Rage versetzt hatte. Für solch eine Forderung war es noch zu früh. Sie hätte damit noch warten sollen.
* * *
„Na, mein Freund, wie gefällt es dir hier am Hof als Wachhund der Königin? Als mir dies zugetragen wurde, konnte ich es kaum glauben. Deine Familie pocht ja immer darauf, wie alt und ehrwürdig euer Adel ist …“
Arend lag müde auf seinem Lager. Nach seiner Wache hatte er sich ruhelos herumgewälzt und war vor nicht allzu langer Zeit ermattet eingeschlafen. Und nun saß Egeno hier in seiner Hütte, biss genüsslich in einen der Äpfel, die in einer Schale auf dem kleinen Tisch lagen, und grinste breit zu seinem Freund herunter.
„Egeno …“, ließ sich Arend müde vernehmen und rieb sich die verklebten Augen, die sich noch weigerten, in die Welt zu blicken.
„Hast du schon heimlich geschafft, was mir nicht vergönnt war?“ Nochmals biss Egeno in den Apfel und kaute schmatzend.
Ruckartig setzte Arend sich auf. „Wenn du nur hier bist, um mich zu beleidigen oder zu reizen, kannst du gleich wieder verschwinden!“
„Oh, so mies gelaunt?“ Sein Freund erhob sich, lehnte sich gegen den wackeligen Tisch, und als dieser sein Gewicht nicht hielt und nach hinten rutschte, nahm er lieber am Fußende von Arends Lager Platz. „Nichts für ungut. Ich weiß, dass nichts deiner verfluchten Ehre etwas anhaben kann. Leider hat Heinrich mich nichts mehr versuchen lassen, weil Bertha nicht mehr auf mich hereinfallen würde. Ich hingegen bin mir da gar nicht so sicher, ob sie nicht doch …“
„Nein.“
„Nein?“
„Nein! Was machst du eigentlich hier?“ Arend griff nach seinen brennnesselgrünen Beinlingen, zog sie an und band sie mit Nesteln am Gürtel seiner Bruche fest. Dann streifte er sich ein dünnes weißes Leinenhemd über.
„Was ich hier mache? Nun, ich bin schon seit einiger Zeit am Hof … Du hast ganz schön viele Blessuren, mein Guter. Übst dich hier wohl fleißig im Kampf, um Frust loszuwerden. Wie gesagt, ich war schon lange vor Berthas Ankunft hier am Hof, habe mich aber anschließend in der Harzburg aufgehalten. Gestern Abend sind Heinrich und Kuno zu mir gekommen, und wir haben einen nächtlichen Ausflug unternommen.“ Egeno grinste schäbig, knabberte seinen Apfel ab und wollte das Gehäuse zurück in die Schale werfen. Doch er verfehlte sie, und es landete am Rande des Tisches und plumpste zu Boden.
„Einen Ausflug?“ Arend zog sich eine mit Walnuss gefärbte braune Wolltunika an und danach die Stiefel. Er wusste eigentlich gar nicht, ob er die Antwort hören wollte. Kannte er sie nicht bereits? Abscheu stieg in ihm auf.
„Na ja, eher eine Jagd.“ Egeno legte sich aufs Lager und verschränkte die Arme hinter den Kopf, reckte und streckte sich. „War ganz schön spannend.“ Ruckartig setzte sich Egeno auf und wischte seine Haare beiseite. Eine ordentliche Beule zeigte sich oberhalb der Schläfe. „Hier hat mich wohl ihr verdammter Bruder erwischt.“
„Heinrich hat gestern wirklich einen Streifzug unternommen und sich ein Mädchen geschnappt?“
Als Egeno ein zufriedenes, fast stolzes Lächeln zeigte, hätte ihm Arend dieses am liebsten aus dem Gesicht geschlagen. Heinrich hatte seinen brennenden Zorn nicht an Bertha auslassen können und an ihrer statt eine andere büßen lassen.
„Du hast mir einst das Leben gerettet, Egeno, aber allmählich denke ich, dass meine Dankbarkeit das Einzige ist, was mich mit dir verbindet. Wach auf! Erkenne, was du tust! Das ist deiner nicht würdig! Das ist niemandem würdig!“, schnaufte Arend und stand mit geballten Fäusten vor seinem Freund.
Egeno schien über sein Verhalten eher amüsiert zu sein und hob abwehrend die Hände. „Aber, aber, mein Guter. Mein Handeln ist sogar eines Königs würdig, nicht wahr?“
„Was ist mit dem Mädchen?“, verlangte Arend zu erfahren. Die Schärfe in seiner Stimme verbot Egeno weiteren Sarkasmus.
„Nun, ich denke, es geht ihr ganz gut. Heinrich hat sie mitgebracht. Er ist gerade in der Unterkunft seiner Kriegsknechte, und er will sie einem von ihnen zur Frau geben.“ Egeno erhob sich, angelte umständlich nach einem weiteren Apfel und biss hinein. „Macht hungrig, so eine Jagd.“
„Wie bitte? Der König hat sie mitgebracht? Soll ihr Leid gar nicht enden?“ In Arend flammten heiße Blitze auf. Ein Donnerhall durchfuhr seine Seele. Er umgürtete sich mit seiner Waffe und lief über den unebenen, mit Geröll, Löchern, Stroh und Pfützen übersäten Hof hin zu dem lang gezogenen Gebäude, in dem Heinrichs Streiter untergebracht waren. Als er eintrat, schlug ihm verbrauchte, miefige Luft entgegen. Zahlreiche Kriegsknechte, aber auch einige Berater hatten sich hier versammelt.
„Weg von der Tür!“, schimpfte einer, da Arend im Türrahmen stehend den Raum verdunkelte.
Dort standen Heinrich und Kuno, in ihrer Mitte ein eingeschüchtertes junges Mädchen. Sie trug ein verschmutztes, zerrissenes Unterhemd, ihr Haar verdeckte ihr Gesicht und wallte in hellbraunen Fluten bis zu den Hüften. Sie zitterte erbärmlich, und leise Tränen fielen vor ihr auf den Boden aus gestampftem Lehm.
Die Männer machten derbe Scherze, betrachteten sie fast geifernd und verlangten, sie nackt zu sehen. In Arend schrie etwas auf. Keiner dieser Kerle sollte sie berühren, sie zum Weib nehmen und unter Schlägen zur Arbeit und zum Beischlaf zwingen. Niemand. Sie war ein Mensch, verdammt noch mal! Ein Mädchen, vom König geschändet und ihrer Familie entrissen.
„Nun, will sie einer von euch zum Weib? Wenn nicht, muss sie wohl zur Hure verkommen“, rief Kuno dreckig lachend aus.
„Ja, zur Hure. Gib sie uns allen!“, schrie einer der Wachen aus.
Die Beine des Mädchens wollten sie nicht mehr tragen, und sie sackte ein wenig zusammen, doch Kuno zog sie mit starkem Arm wieder empor.
„Ich werde sie heiraten!“, hörte sich Arend ausrufen.
Stille.
Heinrich und selbst Kuno sahen überrascht auf.
„Du?“ Verblüfft trat Heinrich an ihn heran, so nahe, dass Arend ihm am liebsten die Hände um den Hals gelegt und ihn gewürgt hätte, um ihn für seine Untaten büßen zu lassen.
„Ja, ich.“
Heinrichs Blick glitt stumm und voller Unverständnis über Arends Gesicht. Er konnte sein Handeln tatsächlich nicht nachvollziehen. „Du bist von rühmlichem Adel. Dieses Mädchen hier ist nur eine gewöhnliche Bauerntochter. Ich gehe mal davon aus, dass dein Vater andere Pläne mit dir hat. Würdest du mit der da Kinder zeugen, wären diese keine Adligen. Der niedere Rang zählt. Deine Kinder würden dich dafür hassen.“ Noch immer spiegelte sein Gesicht Verständnislosigkeit. Er trat zurück und betrachtete ihn zweifelnd mit zusammengezogenen Brauen. „Das war ein Scherz, nicht wahr?“
Hinter Arend trat Egeno ins Haus. „Darüber würde er nie scherzen! Er ist unverbesserlich.“ Mahnend legte er seine Hand auf Arends Schulter. „Bedenke, was du hier tust! Der König hat recht. Sie ist nur ein Bauernmädchen. Deine Kinder wären ein Nichts. Dein Vater … deine Familie … Gib acht auf die Ehre deiner Familie.“
Arends Kopf schnellte zu ihm herum. „Mein Vater hat noch mehr Söhne. Ich wurde trotz meines Adels zum Türwächter degradiert, da schmerzt es mich nicht mehr, dieses Mädchen zu ehelichen.“
Ganz nahe kam Egeno an ihn heran und flüsterte ihm zu: „Der König hat sie besessen. Du willst doch nicht seine abgelegte Beute zum Weib nehmen? Und was ist, wenn es ihr insgeheim gefallen hat und sie nun einen kleinen Heinrich im Bauch hat? Willst du dieses Kind großziehen?“
Arend schüttelte ihn ab. Er wollte dieses Mädchen retten. Wenigstens einen Menschen in dieser brutalen Welt.
Heinrich stemmte die Hände in die Hüften, neigte den Kopf ein wenig und betrachtete ihn eingehend. Seinem Unverständnis folgte etwas anderes … etwas, das ihm nicht gefiel. Etwas, das ihn nachdenklich machte, etwas, das es ihm nicht mehr gestattete, Arend in die Augen zu blicken. Er wies Kuno mit einer Kopfbewegung an, das Mädchen zu ihm zu bringen.
Kuno verstand die Feinheiten, den stillen Kampf um die Würde nicht, zerrte das Mädchen mit sich und schleuderte sie Arend in die Arme. „Hier hast du das Miststück! Da gesellt sich Mist zu Mist!“
„Kuno!“, wies Heinrich ihn scharf zurecht, und der Wächter begriff gar nichts mehr.
Schützend legte Arend seinen Arm um das Mädchen, das ihm gerade bis zur Brust reichte, und führte sie in seine Unterkunft. Dort hängte er ihr seinen wärmenden Mantel über und deutete ihr, sich auf eine Bank zu setzen.
Erst jetzt wurde sich Arend so richtig bewusst, was er da angestellt hatte. Dieses Mädchen dort würde sein Weib werden! Er hatte noch nicht einmal ihr Gesicht gesehen. Vielleicht war sie von Warzen verunstaltet, narbig oder hässlich wie die Nacht. Er schluckte hart. Unsicher blieb er am Eingang stehen. Sie hatte immer noch das Haupt gesenkt und die zitternden Hände im Schoß vergraben.
In einigem Abstand ging er vor ihr in die Knie. Sie war sicherlich traumatisiert. Was hatte er da nur getan? Tausende Worte stauten sich in ihm auf, doch er brachte kein einziges heraus.
Vorsichtig hob sie ihren Kopf, und Arend atmete erleichtert auf, als er das Gesicht der ungefähr Sechzehnjährigen sah. Es war nicht strahlend schön, aber sie hatte einen sinnlichen Mund und klare blaue Augen, fast so hell wie seine. Ihre kurze Nase war ein wenig zu breit, das Kinn rundlich, und sie hatte hohe Wangenknochen. In diesem Licht erschien ihr langes, wallendes Haar eher rötlich als braun. Keine Warzen, keine Narben, keine Fratze … Heinrich hätte sich solch ein Weib wohl auch niemals als Opfer ausgesucht.
Ihre Rundungen waren verlockend weiblich, und ihre rauen Hände mit den kurzen, abgebrochenen Nägeln wirkten stark, waren harte Arbeit gewohnt.
„Danke, Herr!“, brachte sie heraus. Ihre Stimme offenbarte ihre Verunsicherung. Sie wusste gar nicht, wen sie vor sich hatte und ob er überhaupt ein guter Mensch war.
Arend setzte sich auf den staubigen, strohbedeckten Boden. „Wie ist dein Name?“
„Sieghild. Und wer bist du?“
Ein kurzes Lächeln fleuchte über seine Lippen. „Ich bin Arend von Hadenstein, ein Sachse wie du. Vielleicht hast du schon einmal von meiner Familie gehört.“
„Ja, Herr, ein edles Geschlecht.“ Ganz vorsichtig musterte sie ihn. Anscheinend gefiel ihr, was sie sah, und sie schenkte ihm ein unsicheres Lächeln.
„Es tut mir leid, was dir widerfahren ist. Unser Leben nimmt oft einen anderen Lauf, als wir es uns ersehnen. Ich wurde zum gewöhnlichen Leibwächter beordert, also bin ich für dich kein Herr. Doch dir hat das Leben weitaus schlimmer mitgespielt. Du musstest eine grausame Erfahrung machen. Ich will ehrlich sein, ich werde dich nur zum Weib nehmen, um dich vor diesen Kerlen zu retten. Das wird meiner Familie ganz gewiss nicht gefallen. Von daher kannst du auf kein prächtiges Leben mit mir hoffen. Ich werde dich vielleicht nie in Seide kleiden können, vielleicht werden wir auch nie auf einer Burg wohnen … – Was ist?“
Verschämt kicherte sie. „Seide …“
Er hatte vergessen: Als Bauerntochter wäre sie ohnehin niemals in den Genuss dieses Stoffes gekommen. Sanft lächelte er.
Sie musterte ihn wehmütig. „Herr, du brauchst dieses nicht für mich tun. Du zerstörst dein Leben. Ich bin das nicht wert. Du wärest nicht glücklich mit mir. Ich beherrsche keine feinen Künste, kann so viele Dinge nicht, die die adligen Frauen können. Irgendwann würdest du mich hassen für das, was du getan hast. Überlasse mich meinem Schicksal, heirate eine Adlige und zeuge mit ihr adlige Kinder. Bringe nicht Unglück über dich und deine Nachfahren.“
„Du sprichst weise, überlegte Worte – und das in deiner jetzigen Lage. Das ist bewundernswert. Du gefällst mir, denn ich erkenne in dir eine außerordentliche Stärke. Nichts werde ich an meiner Entscheidung ändern.“ Er erhob sich und setzte sich zu ihr an den kleinen Tisch.
Sie studierte ihn, alles an ihm, jede seiner Bewegungen. Immer wieder setzte sie zum Reden an, aber sie verkniff sich jedes Mal die Worte.
„Sprich“, ermutigte er sie sanft.
„Man sagt, dass man nicht schwanger werden kann, wenn man keine Freude beim Beischlaf hat. Doch, Herr, meine Mutter hat mir geschworen, dass es ihr mit meinem Vater niemals Vergnügen bereitet hat, und dennoch hat sie neun Kinder bekommen. Herr, es könnte sein, dass ich vom König schwanger bin. Wenn du mich wirklich heiraten willst, dann nimm mich sehr bald in Besitz, denn ich möchte nicht wissen, wer der Vater des Kindes ist.“
Er war erstaunt, dass sie schon wieder zu solch klaren Gedanken fähig war. Ja, es war durchaus möglich, dass er Heinrichs Kind großziehen würde. Eigentlich wollte Arend dies verdrängen, aber es gelang ihm nicht. Krampfhaft zog sich sein Magen zusammen.
„Bist du dir sicher? Brauchst du nicht noch Zeit, um das Geschehene zu bewältigen?“
„Nein, ich sagte dir, warum nicht.“
Fast verlegen räusperte er sich. „Gut. Aber du sollst erst mein Weib sein, damit du dich nicht fühlst wie eine Hure.“ Er beschaute sie sich. „Ich werde meinen Knecht losschicken, um dir angemessene Kleidung zu besorgen und einen Priester zu suchen. Noch heute wirst du mein Weib“, hörte er sich sprechen, erschlug die zweifelnden Stimmen, die in ihm laut wurden und ihn als grenzenlosen Narren bezeichneten, da er sein Leben vollends zerstörte und Hohn und Spott ernten würde. Doch es war entschieden. Er würde zu seinem Wort stehen.
* * *
„Was? Er hat geheiratet? Das kann nicht sein, das glaube ich nicht!“ Bertha taumelte rückwärts, ließ sich mit weichen Knien auf einem Stuhl nieder und suchte Halt an den gedrechselten Lehnen.
„Seid froh, Kindchen, dass ich diejenige bin, die Euch jetzt so sieht. Um Himmels willen, der Kerl bedeutet Euch so viel?“ Tilda schlug die Hände über den Kopf zusammen und blähte die Wangen.
Bertha errötete und setzte ein ungeschicktes Lächeln auf. „Es ist mir gleichgültig, ob dieser Dummkopf ein Bauernmädchen geheiratet hat! Schließlich ist er hier am Hofe ohnehin nicht mehr als mein Wachhund.“ Tränen brannten in ihren Augen, und sie war kaum in der Lage, diese vor Tilda zu verbergen.
Ihre ehemalige Amme eilte zu ihr, umarmte sie und drückte sie fest an sich. „Ich staune, dass es Euch gelungen ist, Eure tiefen Gefühle zu ihm vor mir zu verbergen. Ich hielt es lediglich für eine harmlose Schwärmerei. Aber sagt mir, er ist Euch doch nicht zudringlich geworden, oder?“
Kraftlos schüttelte Bertha den Kopf. Geträumt hatte sie davon, doch in der realen Welt durfte es nicht sein. Sie konnte die Tränen nicht zurückhalten, sie flossen einfach, und ihr Herz schmerzte entsetzlich.
Tilda streichelte ihr über die Wangen. „Weint jetzt ruhig, meine Kleine, weint, aber nur dieses eine Mal und dann nie wieder! Eure Gefühle für Arend sind gefährlich. Ihr müsst sie in einen tiefen Brunnen werfen. Ihr seid die Königin und müsst Euch auf Eure künftigen Aufgaben besinnen.“
Bertha wischte sich die Tränen fort und seufzte schwer. Und dann brachen andere Empfindungen hervor: Wut und brennende Eifersucht. Sie hatte gedacht, dass er ihr Arend sein würde, der niemals heiratet und immer bei ihr bleiben würde. Und nun hatte er diesen Bauerntrampel geehelicht – weit unter seinem Stand. Was kümmerte ihn das Schicksal dieser Dirne? Ja, Bertha war ungerecht, sie wusste es selbst, doch nur so gelang es ihr, dies alles tatsächlich in den Brunnen zu werfen und zu hoffen, dass es daraus niemals mehr herauskroch.
Sie straffte die Schultern. Mehrmals atmete sie durch und erhob sich entschlossen. „Was interessiert mich dieser Sachse! Ich habe andere wichtigere Dinge, die ich klären muss. Ist mein Gemahl in seinem Gemach?“
„Jetzt? Ihr solltet noch warten.“
„Nein, jetzt!“
„Sprecht ihn aber nicht wieder auf die Kebsweiber an. Er ist noch nicht so weit, sich von ihnen zu lösen. Dies ist etwas, um das sich Adalbert kümmern sollte. Das müsst Ihr vorerst mit dem Erzbischof klären“, riet Tilda besorgt.
„Ich werde nicht von ihnen reden.“
„Gut. Vorhin war der König in seinem Gemach, ja.“
Bertha ordnete ihre Kleidung, öffnete entschlossen die Tür, beachtete Folkmar und auch den ergrauten Benno nicht, klopfte energisch an Heinrichs Tür und trat ein, ohne auf seine Antwort zu warten.
Heinrich saß allein dort, noch nicht einmal ein Diener war anwesend. Er hielt einen blitzenden Dolch in der Hand, und im Schein der zahlreichen Kerzen ritzte der König tiefe Kerben neben die Spielfelder in den Tisch.
„Raus hier!“, ließ er seltsam bedrückt verlauten.
„Heinrich, ich muss mit dir reden.“
„Nun, reden gehört nicht zu meinen Vorlieben. Geh!“
So hatte Bertha ihn noch nie gesehen. War er oft so, wenn er hier allein saß? Tat er vielleicht all die schlimmen Dinge, um sich abzulenken, da er es nicht ertragen konnte, so zu sein? Kannte sie ihn doch nicht so gut, wie sie immer geglaubt hatte? Er wirkte tieftraurig, fast verletzlich.
„Dann lass mich reden! Ohne Anklage.“
Er sah zu ihr auf, mit einem kurzen Aufflackern von Neugierde, aber unsicher, ob er es hören wollte. „Du kannst ja erst mal beginnen …“, meinte er mürrisch.
Sie zog einen prächtigen Stuhl näher an den Tisch heran und nahm darauf Platz. „Ich wollte dir nur sagen, dass ich nicht deine Feindin bin – das bin ich noch nie gewesen. Stets habe ich mir deine Achtung und Liebe ersehnt. Ich weiß, dass du Zeit benötigst, um deine Meinung über mich zu ändern. Ich möchte dir versichern, dass ich dich in deiner Politik unterstützen und dir nicht in den Rücken fallen werde. Du bist der König, der Herrscher dieses Reiches, und du solltest dies auch allen zeigen und jedermann deutlich spüren lassen. Dich haben so viele der Mächtigen von den Reichsgeschäften abgelenkt und sich dabei heimlich etwas vom Kuchen abgeschnitten, Stücke, die dir zustehen.“ Sie hielt inne, wartete auf eine heftige Zurechtweisung, jedoch erfolgte keine. Er ritzte zwar weitere Linien in den Tisch, tiefer und verkrampfter als zuvor, aber trotz seines geneigten Hauptes hörte er aufmerksam zu. Dies war mehr, als sie erwartet hatte. Mehrmals schluckte sie, da ihre Kehle sich anfühlte wie ein ausgetrocknetes Flussbett, dennoch fuhr sie mutig fort: „Wenn du deine Energie nicht mehr damit verschwendest, mich zu demütigen oder zu ignorieren, könntest du diese intensiver auf das Reich richten. Du weißt selbst, dass es so viele Gefahren gibt, innerhalb wie außerhalb. Zeige allen, dass du ein bedeutender König bist, den man nicht hintergehen kann, dem man nichts mehr von seinem Herrschaftsgebiet fortnimmt. Lasse das Reich erstarken, hole dir zurück, was gestohlen wurde. Werde ein mächtiger König, den die Nachwelt preisen wird!“
Nun hörte er doch damit auf, den herrlichen Tisch zu verschandeln, rückte den Stuhl ein wenig ab, legte das Bein über das andere und klopfte mit dem Dolch auf der abgenutzten Sohle seines Stiefels herum. Argwöhnisch musterte er sie. So intensiv hatte er sie seit der Kindheit nicht mehr betrachtet. Für einen Atemzug lang war sein Mund sogar wohlwollend verzogen. „Was schert es dich, was ich für ein König und wie angesehen ich bin?“
Ihre Hände waren eiskalt. Er schenkte ihr seine Aufmerksamkeit! Das verunsicherte sie. Jetzt nur keinen Fehler machen! „Nun, ich werde die Mutter deiner Kinder sein und – so Gott will – den nächsten König gebären. Es ist in meinem Interesse, welche Macht du unseren Kindern hinterlassen wirst. Zeige der Welt, dass du deinen jugendlichen, ungestümen Narreteien entwachsen bist und endlich das Zepter fest in die Hand nimmst. Dabei will ich dich unterstützen, so gut ich kann. Ich werde mich, wenn du es wünschst, zurückhalten und selbstständig keine Politik ohne dein Einverständnis betreiben. Dafür erwarte ich allerdings deine Achtung und deinen Respekt. Vielleicht kannst du mich ja sogar eines Tages lieben.“
Sicher glaubte er ihren Worten nicht, doch verlockend würden sie für ihn sein. „Du würdest mich unterstützen? Selbst wenn ich Entscheidungen träfe, die für dich leidlich wären?“
Sie zögerte. „Du bist der König. Aber ich würde mir erhoffen, dass du dir zumindest meine Bedenken anhörst und vielleicht auch ernsthaft darüber nachdenkst.“
Heinrich warf den Dolch auf den Tisch. Das Licht der Kerzen fing sich in der scharfen, blanken Klinge. „Nun, dich habe ich eh am Hals. Vielleicht stirbst du bei der Geburt eines unserer Kinder, dann wäre ich frei. Aber bis dahin … muss ich mich mit dir arrangieren. Du brauchst keine Angst zu haben, ich werde dich nicht aus dem Weg räumen lassen. Nein, ich werde jetzt sogar auf deine Ehre achten, damit du mir nicht eines Tages einen Bastard unterjubelst. – Der Gedanke, mich nun verstärkt auf die Angelegenheiten des Reiches zu konzentrieren, gefällt mir. Es stimmt, es wurde mir schon zu viel gestohlen. Das muss ich mir zurückholen und meine Macht ausweiten. Dabei werde ich aber Urteile fällen, die dir garantiert missfallen. Lass es uns versuchen …“ Er erhob sich und reichte ihr seine Hand.
Bertha war vollkommen überrascht und getraute sich nicht, sich zu bewegen.
Auf seinen Lippen zeigte sich ein versöhnliches Lächeln. „Ich muss vieles in meinem Leben ändern, das ist mir heute bewusst geworden. Darum lass uns die gestrige Nacht vergessen und neu beginnen, ohne Streit, ohne Schläge …“
Sie erzitterte. War dies tatsächlich ihr Heinrich?
Ihre Gedanken wanderten zu Arend, der heute in aller Stille getraut worden war. Doch dann erhob sie sich resolut und legte Heinrich ihre schlanke, kalte Hand in die seinige. Auch wenn es vielleicht nur eine Stimmung war, die sich nicht wiederholen würde, so wollte sie heute darin eintauchen. Bereitwillig ließ sie sich zu seinem Bett führen.