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Kapitel 10

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Lorsch, Mitte August 1069

„Ach, Tilda, ich habe es so satt, ständig in diesem Kloster zu sein“, seufzte Bertha und legte ein Bittschreiben zur Seite. Trotz ihrer Verbannung ins Kloster erhielt sie ständig Briefe, in denen sie gebeten wurde, in Bezug auf Güterübertragungen, Schenkungen oder andere Belange Einfluss auf den König zu nehmen und zu intervenieren.

Tilda ließ ihre Stickarbeit sinken und schaute sie niedergeschlagen an. „Ja, mein Kind, ich kann Euch verstehen. Ich würde auch gern mal wieder nach Goslar oder in eine andere schöne Pfalz ziehen … obwohl ich mir jeden Tag vor Augen zu halten versuche, was für ein Glück es doch sein kann, im Gästequartier eines so angesehenen Klosters wohnen zu dürfen. Mir wurde gesagt, dass sogar Karl der Große vor gut dreihundert Jahren bei der Einweihung des Neubaus anwesend war, und Tassilo, ein einflussreicher bayerischer Herzog, soll hier freiwillig seine letzten Lebensjahre als Mönch zugebracht haben. Und wir müssen Abt Udalrich wirklich für seine freundliche Aufnahme danken. Er lässt Euch ja auch stets Bücher aus dieser riesigen Bibliothek bringen, so kann es Euch gar nicht langweilig werden. Wir halten uns wirklich in einem sehr wichtigen Kloster, ja, einem Wirtschaftszentrum auf, es herrscht ein Kommen und Gehen. Pilger strömen herbei, um sich Schutz und Linderung ihrer Krankheiten vom heiligen Nazarius zu erbitten, dessen Gebeine hier seit zweihundert Jahren aufbewahrt werden. Er war ein römischer Soldat, der für seinen Glauben den Märtyrertod starb.“

„Ja, Tilda, ich weiß um die Bedeutung des Klosters. Und der Abt versucht sicherlich, mir den unfreiwilligen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Doch … ist dies ein Vorgeschmack? Werde ich den Rest meines Lebens in einem Kloster verbringen, wenn Heinrich die Scheidung durchsetzen kann?“ Sie sprang von ihrem Stuhl auf und ging zum Fenster. Nur schemenhaft konnte sie durch das bleiverglaste Fenster einzelne Gebäude erkennen und ein paar Bäume, die im Sonnenschein herrlich grün leuchteten. „Das würde ich nicht aushalten … Ich bin es gewohnt, von Pfalz zu Pfalz zu ziehen, vielen interessanten Menschen, Händlern, Gauklern, Gesandten, Fürsten zu begegnen ... Nein, ich kann nicht für immer an einem Ort verweilen, und schon gar nicht in einem Kloster, denn ich habe keine Veranlagung zur Askese. Schon jetzt habe ich das Gefühl, verrückt zu werden. In verzweifelten Momenten denke ich sogar an Flucht. Ich weiß, allein der Gedanke ist absurd, aber in meiner Fantasie, da durchstreife ich die Wälder, reise in ein anderes Land und bitte dort um Aufnahme … Ich möchte so gern hier raus, wenigstens für kurze Zeit.“ Bertha wischte sich heimlich eine Träne fort, die sich in ihr Auge geschlichen hatte. „Heinrich hat ja eine Ablenkung: Er hat sich auf einen Feldzug nach Thüringen begeben und wird von dort aus wohl auch noch in Sachsen einfallen. Die Feinde haben die Abtei Nienburg und die Burgen Beichlingen und Scheidungen besetzt. Anführer sind der Markgraf Dedi I. von der Lausitz und Graf Adalbert II. von Ballenstedt. Dedis Sohn unterstützt hingegen meinen Gemahl bei den Kämpfen. Heinrich braucht momentan keinen Gedanken an mich zu verschwenden … während ich hier festsitze und die Sorgen um meine Zukunft mich peinigen. Nun ja, wenn er die Scheidung durchsetzt, werde ich ja vielleicht auch erneut verheiratet.“

Es klopfte, doch niemand kam herein.

Bertha und Tilda wechselten fragende Blicke. Achselzuckend erhob sich die Dienerin und öffnete die Tür.

„Arend? Du hast erst in der Nacht wieder Wachdienst … Was willst du? Nein, das geht nicht! Bist du verrückt geworden?“, flüsterte Tilda in scharfem Ton.

Mit wenigen Schritten war die Königin bei der Tür und zog diese auf. Dort stand der Sachse, hatte sich ein großes Stoffbündel unter den Arm geklemmt und tat sehr heimlich. Das weckte Berthas Neugier. „Komm rein!“

„Bertha!“, ermahnte die Dienerin, trat nur unwillig zur Seite und ließ den Sachsen ein. „Du hast nichts gesehen!“, fauchte sie Folkmar an, der Wachdienst hatte.

Arend legte das Bündel auf das Bett. „Ihr hattet mir gegenüber vor einiger Zeit einen Wunsch geäußert. Ich solle Euch für ein paar Stunden aus dem Kloster bringen, weil Ihr endlich mal wieder den Odem der Freiheit spüren und Wälder durchstreifen wollt.“

Berthas Herz hüpfte vor Freude in ihrer Brust, und sie klatschte vor Begeisterung in die Hände. „Dafür ist die Kleidung? Oh ja, gern.“

„Herrin! Seid Ihr des Wahnsinns? Das ist zu gefährlich! Wenn Ihr entdeckt werdet! Und dann nur allein mit diesem Kerl? Sollte Heinrich davon erfahren, wird er Euch sofort Ehebruch unterstellen und die Scheidung durchsetzen!“ Tilda war anfangs erbleicht, doch nun färbte sich ihr Gesicht rot vor Zorn.

„Tilda, ich muss hier raus! Nur für ein paar Stunden! Ein einziges Mal! Ich ertrage es nicht länger, in diesem Kloster eingesperrt zu sein, zwischen diesem Gemach und der Kirche zum Gottesdienst hin und her zu wandeln, den Kräutergarten und die roten Kacheln der Fassade des Königshauses zu bestaunen!“ Als sie das störrische Gesicht ihrer Dienerin sah, stemmte sie die Arme in die Hüften. „Ich werde es tun, Tilda! Und ich erwarte von dir Treue und Verschwiegenheit! Schon immer bist du loyal zu mir gewesen! Hilf mir beim Umkleiden!“

Doch ihre Dienerin bewegte sich nicht, erdolchte stattdessen mit ihrem Blick den Sachsen. „Dass du so töricht bist, hätte ich nicht gedacht! Du setzt dein Leben aufs Spiel, nur weil die Königin wie ein Reh durch den Wald hüpfen will!“ Dann stieß sie erbost den Atem aus den Lungen. „Uns alle wird dies ins Unglück stürzen! Aber ich kenne meine Königin gut, sie wird sich nicht davon abbringen lassen. So …“ Sie ging ganz nahe an den Sachsen heran und schaute drohend zu ihm empor. „… schwöre mir, dass du sie nicht zum Ehebruch verleitest und weiterhin ihr Beschützer bist.“

„Ich schwöre!“, kam es ihm rasch über die Lippen.

Nochmals schüttelte Tilda vergrämt den Kopf, schickte ihn vor die Tür und half ihr zeternd beim Umziehen.

Bertha konnte sich gar nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal vor Freude so aufgeregt gewesen war. Sie fühlte sich geradezu beflügelt, und es kribbelte in ihrem Magen.

„Ihr seht jetzt aus wie ein Kerl!“, beurteilte Tilda, als sie die Königin betrachtete und ihr die Kapuze über den Kopf zog.

„So fühlt sich also Männerkleidung an!“ Bertha ließ den Blick an den ungewohnten Beinlingen hinabgleiten, zupfte an diesen herum und zog dann Tunika und Mantel zurecht.

„Bitte, meine Herrin, begeht nicht solch eine Torheit und setzt so viel auf Spiel!“, flehte die Dienerin. „Ihr seid immer so vernünftig gewesen.“

„Einmal, ein einziges Mal, möchte ich es nicht sein! Hab keine Angst, ich werde vorsichtig sein!“ Aufmunternd lächelte sie Tilda zu und trat vor die Tür.

Neugierig wurde sie von Folkmar beschaut. „Ich werde schweigen!“, versicherte dieser.

Arend betrachtete sie mit einem Lächeln. „Die Kleidung steht Euch erstaunlich gut. Ihr müsst aber auf Eure Bewegungen achten, sie dürfen nicht weibisch sein. Geht mit entschlossenen Schritten. Haltet die Hüfte steif und schlenkert nicht mit den Armen. Keine Eurer Bewegungen darf weich sein.“

Bertha bebte innerlich, fühlte sich jetzt schon wie ein Vogel, der dem Käfig entkommen war. Mit Arend an ihrer Seite wähnte sie sich sicher und behütet. Sie beobachtete ihn, versuchte, ähnlich zu gehen wie er, und musste ungewohnt große, kräftige Schritte nehmen. Er kannte sich hier schon gut aus, hatte das Kloster weit besser erkundet als sie. Wahrscheinlich auch, weil er oft ein- und ausging, um seine Waffenübungen vor dem Kloster abzuhalten.

Er brachte sie zum Stall, in dem bereits gesattelte Pferde warteten, und führte sie dann zu einem Seitenausgang des Klosters, wo reger Betrieb herrschte. Hier brachten die Bauern der Umgebung ihre Waren und Abgaben und füllten unermüdlich die Speicher.

Nachdem beide die schützende Mauer des Klosters verlassen hatten, setzten sie sich auf die Pferde und ritten gemächlich davon. Bertha konnte gar nicht glauben, dass sie tatsächlich nicht entdeckt worden war.

Nach kurzer Zeit entfernten sie sich vom Weg, auf dem zahlreiche Fuhrwerke der Bauern rollten. Die junge Königin hielt den Kopf stets gesenkt, schielte nur vorsichtig an ihrer Kapuze vorbei. Zielstrebig hielt sie auf einen Waldrand zu und wandte sich nach einiger Zeit um, beschaute sich das Kloster. Es hatte erstaunliche Ausmaße, und hinter der Mauer ragte die weiß getünchte Klosterkirche mit ihren beiden eckigen Doppeltürmen empor, aber man konnte auch zahlreiche Dächer der Nebengebäude erkennen. Umgeben war das Kloster von zahlreichen Feldern, Weiden und Fischteichen.

Sie schaute zum Himmel, der tiefblau erstrahlte, nur ab und zu zeigte sich eine weiße bauschige Wolke. „Komm, weiter!“, meinte sie zu Arend, und er folgte ihr.

Immer weiter ritt sie voran, beschaute sich die goldenen Sonnenstrahlen, die zum leisen Rauschen des Windes auf den Blättern tanzten.

Nach einiger Zeit konnte sie durch die Bäume hindurch einen Blick auf die hölzerne Starkenburg werfen, die hoch auf einem Hügel zum Schutz des Klosters errichtet worden war. Sie wirkte nicht so imposant wie die neuartigen steinernen Höhenburgen im Harz, und dennoch sah sie selbst auf diese Entfernung recht wehrhaft aus.

Tief sog Bertha die Luft in ihre Lunge. „Ich fühle mich so frei! So frei wie nie zuvor in meinem Leben!“ Sie schenkte ihrem Begleiter ein glückliches Lächeln. „Komm, lass uns tiefer in den Wald hinein reiten.“

Das Unterholz verdichtete sich, Büsche, umgestürzte Bäume und junge Triebe behinderten den Weg. So banden sie die Pferde bald an einen Baum und gingen zu Fuß weiter. Bertha war beschwingt, zupfte aus Übermut lange Gräser und tanzte fröhlich umher, balancierte sogar auf einem mächtigen Stamm, den vielleicht ein Sturm entwurzelt und umgerissen hatte. Oh, es war so herrlich! Konnte das Leben nicht immer so sein?

„Schau nur: Was für ein schönes Plätzchen!“, rief sie auf einer Lichtung, die mit leuchtendem Moos und Gräsern bewachsen war. Sie ließ sich darauf nieder und klopfte neben sich. „Komm zu mir.“

Arend zögerte.

„Nur für ein Weilchen.“ Abermals riss sie einen Grashalm aus dem Boden und drehte diesen zwischen ihren Fingern.

Er setzte sich neben sie und starrte auf den Halm, der fröhlich hin und her tanzte.

„Du hast mir eine überaus große Freude bereitet. Ich wünschte, es könnte immer so sein. Wirklich, es ist so ein wundervolles Geschenk! Ja, es ist wertvoller für mich als Seide, Gold und Juwelen. Niemals werde ich diesen Augenblick vergessen … Ich danke dir dafür.“ Sie fühlte sich so überschwänglich, dass sie zu ihm herüberrutschte und ihm einen Kuss aufdrückte. Als sie sein erschrecktes Gesicht sah, schämte sie sich, aber nachdem er einmal schwer geschluckt hatte, näherte er sich ihr wieder und küsste sie anfangs verhalten, dann immer inniger. Schließlich legte er seine Arme um sie und zog sie fest an sich.

Bertha wünschte sich, dass dies niemals endete. Ihr wurde ganz schwindelig, und Leidenschaft brandete in ihr auf, während seine Hände immer forscher über ihren Körper glitten. In diesem Augenblick wünschte sie sich, dass es nicht beim Kuss bliebe. Warum nur konnte er nicht der König sein?

Plötzlich ließ er sie los, lehnte sich zurück und sprang auf. Er stapfte zum nächsten Baum und schlug mit der Faust gegen den Stamm. „Verzeiht. Ich habe mich vergessen!“

Wehmütig berührte sie ihre Lippen, konnte noch immer die seinen spüren. Hatte sie vor einem Augenblick noch geschwebt wie ein Schmetterling, so fühlte sie sich nun zu Boden geworfen. Er hatte recht.

„Ja, es darf nicht sein! Wir sind, wer wir sind, und leider gibt es Wege, die wir nicht beschreiten dürfen.“

„Ich bringe Euch jetzt wieder ins Kloster.“ Er kam zu ihr, wirkte vergrämt und traurig und bot ihr seine Hand dar.

Bertha ergriff diese, und kraftvoll zog er sie hoch. In seinen Augen konnte sie sehen, wie sehr er es bedauerte, dass sie die Königin war … unerreichbar.

Gemächlich gingen sie zu den Pferden zurück und sagten kein Wort. Es war ein bedrücktes Schweigen, das viel zu viel von ihren Gefühlen offenbarte. So beschloss Bertha, ihm Fröhlichkeit vorzutäuschen, damit er den schönen Ausflug nicht bereute und sich vielleicht Vorwürfe machte, weil er ihr diese kurzzeitige Flucht ermöglicht hatte. Gespielt begeistert beschaute sie also Pflanzen, berührte die Stämme alter knorriger Bäume, riss einige Blätter ab und betrachtete die Schönheit und Feinheiten der Natur.

Zu rasch waren sie wieder bei den Pferden, zu rasch auf dem Weg zum Kloster, wo sie sich einer Gruppe Bauern anschlossen. Bertha wurde zunehmend betrübter. Schweigend erreichten sie das Kloster und brachten die Pferde in den Stall. Arend geleitete sie zum Gästequartier, und bevor sie in ihrem Gemach entschwand, drehte sie sich um und flüsterte ihm ein „Danke“ zu.

Folkmar wirkte mürrisch, ihm schien es gar nicht zu gefallen, was sein Freund riskiert hatte.

Kaum hatte Bertha ihr Gemach betreten und die Tür hinter sich geschlossen, sprang Tilda mit hochrotem Kopf vom Stuhl auf und eilte zu ihr. „Da seid Ihr endlich wieder! Zum Glück! Ich habe hier gesessen und Gott und alle Heiligen angefleht, dass Ihr nicht entdeckt werdet! Schnell, nun aber raus aus den Kleidern!“

Bertha versuchte, unbeeindruckt zu wirken, als Tilda ihr den Mantel abnahm und sie prüfend anschaute.

„Hat Euch jemand gesehen?“

„Niemand hat mich erkannt, keine Sorge.“

„Es ist doch nichts zwischen Euch und dem Sachsen vorgefallen, meine Herrin, oder?“ Die Dienerin musterte das Gesicht der Königin eindringlich, versuchte, die Wahrheit zu erkennen.

„Zum Dank gab ich ihm einen Kuss, weil ich eine so herrliche Zeit hatte … Endlich war ich mal nicht umgeben von einer Horde Kriegsknechte oder einer Dienerschaft. Nein, ich konnte der Stille des Waldes lauschen, dem Rauschen der Blätter im seichten Wind … Das ist wahrlich ein Geschenk Gottes.“

„Ein Kuss? Herrin, mit Verlaub, das hättet ihr nicht tun dürfen! Dies hätte er auch als Aufforderung verstehen können. Er ist doch nicht zudringlich geworden, oder? Hat er seinen Schwur nicht gehalten?“, wollte Tilda verärgert wissen, während sie der Königin die Tunika über den Kopf zog.

Bertha tat empört. „Ich bitte dich! Es war nur ein Kuss des Dankes. Was denkst du von mir? Er ist ein sächsischer Wachhund, mehr nicht!“

„Ja, mehr nicht, Ihr sagt es!“, pflichtete Tilda in scharfem Ton bei.

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