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Kapitel 16

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Goslar, 22. Dezember 1070

Bertha saß am Tisch in ihrem Gemach und betrachtete lustlos den Apfel, den ihr Tilda aus dem Erdlager geholt hatte. Nur einmal hatte sie bisher abgebissen und ihn dann beiseitegelegt, weil Übelkeit in ihr aufgestiegen war. Sie war erneut schwanger. Im Oktober war Heinrich nach Goslar zurückgekehrt und hatte sie jede Nacht in sein Gemach rufen lassen. Er war so leidenschaftlich gewesen, hatte bei ihr all seine Sorgen vergessen können. Und als sie ihm vor wenigen Tagen eröffnet hatte, dass sie wieder ein Kind erwartete, hatte er sie überglücklich geküsst. Wenigstens darüber konnte er sich freuen, ansonsten war er vergrämt. So wie jetzt.

Heinrich kniete im Schein der Kerzen an Adelheids Bettchen und betrachtete das schlafende Kind, das zuvor von der Amme gestillt worden war.

„Ich habe alle Vorbereitungen für das Weihnachtsfest getroffen. Ich hoffe, es wird dir gefallen“, teilte Bertha ihm mit.

„Was?“ Er wurde aus seinen Gedanken gerissen. „Ja, gut.“

Sie ging zu ihm und fuhr ihm sanft mit ihren Fingern am Hals entlang. Er umarmte sie und lehnte den Kopf vertraulich an ihren Bauch.

„Was hast du jetzt vor? Otto sitzt immer noch auf der Burg Hasungen und wird von Magnus mit Nachschub versorgt. Vielleicht wird er sich auch direkt zum Billunger begeben. Wie willst du die Situation klären?“, erkundigte sie sich mit leiser Stimme.

„Vorerst nicht. Soll er dort verrotten …“, stieß er hervor. Er erhob sich vom Boden, setzte sich auf einen Stuhl und zog Bertha auf seinen Schoß. „Wie du weißt, habe ich Otto als Herzog abgesetzt und nun Welf IV., den Sohn von Markgraf Alberto Azzo von Este, in die Pfalz eingeladen. Als Welf von Ottos Untreue mir gegenüber gehört hat, hat er sofort sein Weib, Ottos Tochter Ethelinde, verstoßen. Diese Tat muss belohnt werden, nicht wahr? Zumal er sich großzügig mit Silber erkenntlich zeigen will. Ich werde ihn zum neuen Herzog von Bayern ernennen.“

„Und wenn er dieses nur aus Berechnung getan hat?“

„Jeder handelt mehr oder weniger aus Berechnung. Nun, einer muss Ottos Platz in Bayern einnehmen. Da es diesen verdammten Sachsen sicherlich treffen wird, dass ich denjenigen als Herzog einsetze, der ihm seine Tochter zurückgeschickt hat, tue ich dieses mit Freuden. Zudem wurde Welf mir von verschiedenen Fürsten empfohlen. Ich werde ihn selbst nach Bayern begleiten und ihn dort einführen, damit ihn die dortigen Fürsten gut aufnehmen.“

„Aber … Wenn du nicht hier bist, könnte sich Otto aus seiner Burg heraustrauen.“

„Ja, könnte er … und dies wird er hoffentlich auch tun. Dann könnten ihn meine Truppen angreifen.“

„Wenn sie es nicht schaffen, ihn zu schlagen, wird er vielleicht auf Goslar zueilen. Lässt du mir genug Bewacher und Truppen hier?“

„Gewiss. Arend bleibt auch. So wie mir Ortrun erzählt hat, ist sein Weib ebenfalls erneut schwanger.“

Bertha spürte einen heftigen Stich in ihrem Herzen. „Obwohl sein Weib noch immer stillt?“ Sie zog eine abfällige Grimasse. „Na ja, schließlich ist sie ja nur eine Bauernkuh mit gebärfreudigem Becken.“

„Warum verstimmt es dich?“

„Er ist ein Sachse an unserem Hof. Es gibt immer noch Momente, in denen ich ihm misstraue.“ Dies war eine Lüge! Sie fühlte sich sicher bei ihm und geliebt. Sie hasste es nur, dass er diesem Weib seine Umarmungen schenkte und nicht ihr.

„Ja, er ist ein gottverdammter Sachse, aber der beste Kämpfer, den ich bisher gesehen habe. Aus einer Laune heraus bin ich gegen ihn angetreten, da ich ja selbst Übung brauche. Ich hatte keine Chance! Seine Fähigkeiten sind beängstigend. Ich bin heilfroh, dass nicht alle Sachsen darüber verfügen. Man redet schlecht hinter seinem Rücken, dennoch wahren die Männer Abstand zu mir, wenn er in meiner Nähe ist. Sie fürchten ihn …“ Seine Augenbrauen zogen sich ein wenig zusammen. „Er steht wahrlich zu seinem Treueschwur. Ja, ich war neugierig, habe ihn einige Male auf die Probe gestellt und ihn allein vor meinem Zelt Wache stehen lassen. Natürlich haben andere Krieger ihn in dieser Zeit heimlich beobachtet, um eingreifen zu können. Er hätte die günstige Chance nutzen und versuchen können, mich zu töten, aber er ist nicht in mein Zelt gekommen. Arend hat eine unverbrüchliche Ehre, die so manch einen Heiligen erblassen lässt. Aber wir wollen nicht mehr vom Sachsen reden – von gar keinem elenden Sachsen mehr …“ Er erhob sich mit ihr und trug Bertha zu ihrem Bett. Ein vorsichtiger Blick glitt zu Adelheids Bettchen, hoffend, dass sie ruhig weiterschlief und nicht so heftig schrie wie in den vergangenen Tagen, denn einige Zähnchen brachen durch. Aber sie war so gnädig und ließ ihren Eltern eine ruhige Nacht.

* * *

Beim weihnachtlichen Festessen im prächtig geschmückten Wintersaal brachte Arend kaum einen Bissen herunter. Er musste mit ansehen, wie diesem schwarzhaarigen Schnösel Welf IV. die Fahnen übergeben wurden, mit denen er symbolisch Bayern in Empfang nahm. Er wirkte großspurig und arrogant und erzählte mit lebhaften Gesten.

Arend saß in einer schummrigen Ecke im Saal. Es war ein Platz, den er bevorzugte: unauffällig und ein wenig abseits des lauten Treibens.

Bertha befand sich mit ihrer Tante Imula, den Erzbischöfen, natürlich mit Welf IV. und anderen bayerischen Adligen an der königlichen Tafel. Sie lächelte ihren Gemahl fröhlich an, und er erwiderte es sogar. Ohnehin war er heute bestens gelaunt.

Arend zupfte ein Stück vom Brot ab und tunkte es in die Geflügelbrühe, in der Möhren, Lauch, Petersilie und Pastinaken schwammen.

Er sah auf, als er bemerkte, dass die schöne Ortrun auf ihn zukam. Sie zog einen Hocker heran und ließ sich an seinem kleinen Tisch nieder. Was wollte sie von ihm? Sie war das letzte verbliebene Kebsweib. Hedi hatte Heinrich mittlerweile dauerhaft aus seiner Nähe entfernen lassen. Vielleicht duldete Bertha Ortrun nur noch, damit sie manchmal Ruhe vor ihrem triebhaften Gatten hatte. Zudem war Bertha oft vollkommen übermüdet, da Adelheid bei Zahnweh die gesamte Pfalz zusammenbrüllte.

Mürrisch stippte Arend abermals Brot in die Suppe.

Ortrun legte beide Unterarme auf die Tischplatte und lehnte sich weit zu ihm vor. „So allein?“, hauchte sie und musterte ihn mit ihren unglaublich großen grauen Augen.

„Was willst du hier?“

„Nun …“ Sie warf einen vergrämten Blick auf Bertha. „Sie hat es fast geschafft, mich zu vertreiben. Wer hätte das früher gedacht?“ Sie berührte mit ihren Fingern sacht Arends Handrücken, zog diese aber wieder zurück und ballte die Hand zur Faust. „Weißt du, dass auch ich eine Sächsin bin?“

Seine Antwort bestand aus einem desinteressierten Zucken mit den Augenbrauen.

„Ich tue alles, um bei Heinrich bleiben zu dürfen, rede ihm gegenüber sogar gut über Bertha, die mich aus tiefstem Herzen verabscheut … Na ja, verdenken kann ich es ihr nicht. Ich habe damals, als Heinrich sich von ihr scheiden lassen wollte, fürchterlich über sie gelästert. Sie weiß das und wird es mir niemals verzeihen. Sie wird dafür sorgen, dass Heinrich mich eines Tages verstößt. Wir beide, du und ich, sind nur Figuren in seinem Spiel der Macht. Heinrich hat eine sächsische Hure und einen sächsischen Wachhund. Das sind Stachel im Fleisch der Sachsen. Wenn wir ihm nicht mehr dienlich sein können, wird er uns vom Spielbrett nehmen, gnadenlos.“

Überrascht blickte er sie an. Diese verbitterten Worte hatte er nicht aus ihrem Munde erwartet, und er betrachtete sie mit leicht verengten Augen.

Ihr Lächeln war von Trübsal durchtränkt. „Ich kann keine Kinder bekommen, da mir als junges Mädchen Gewalt angetan wurde. Ich muss daher mit allen Mitteln versuchen, an diesem Hof zu bleiben, weil ich sonst nicht weiß, was aus mir werden soll. Aber du, Arend … Vergiss deine Ehre! Sieh zu, dass du dein schwangeres Weib und deinen Sohn schnappst und von diesem heimtückischen Ort verschwindest, der die Seele verschlingt.“

„Meine Ehre verbietet dies.“

„Deine Ehre … Damit verhöhnst du dein Volk. Heinrich behält dich nicht nur in seiner Nähe, weil du so ein vorzüglicher Kämpfer bist, sondern weil er damit die Sachsen ärgern kann. Und du, du bist ein Trottel, lässt dich von ihm benutzen.“

Er straffte die Schultern. Sie sagte gefährliche Worte, offenbar besaß sie genug Vertrauen zu ihm, dass er diese nicht weitertrug.

„Ich halte meinen Eid.“

„Ich sagte doch, dass du ein Trottel bist.“

„Ist man ein Trottel, wenn man zu seinem Wort steht?“

„In dieser Welt? Ja, was sonst!“

„Aber nicht vor Gott. Und ich muss mir auch selbst treu bleiben.“

„So bleibe dir selbst treu und gelte bei deiner Familie und deinem Volk als Verräter. Gestehe es dir ein, Mann, du bist nichts anderes als das: ein Verräter! Wie ich. Ich werde mein Spiel bis zum bitteren Ende fortführen, um mich vor der Rache meines Volkes zu schützen. Wirst du dieses auch tun?“ Ihre Augen offenbarten tiefe Traurigkeit.

„Tue, was dir beliebt. Aber nichts wird mich davon abbringen, zu meinem Eid zu stehen, es sei denn, Heinrich entlässt mich daraus.“

Sie lachte sarkastisch. „Das wird er niemals tun! Und ich sage dir: Du wirst deine Treue eines Tages bitter bereuen!“ Sie erhob sich und ging zurück an ihren Tisch.

Arend bedauerte diese Treue jetzt schon. Er besah sich das Königspaar. Heinrich redete zwar nicht viel, wirkte aber zufrieden und war gut gelaunt. Aber auch an anderen Tagen war er nicht mehr so missmutig. Bertha tat ihm gut. Und sie? Sie war die unangefochtene Königin. Arends Gemüt war schwer, denn er liebte sie, würde sie jedoch niemals besitzen dürfen. Wann würde es ihm gelingen, das Feuer seines Herzens mit seiner Vernunft zum Erlöschen zu bringen?

Auf einmal begegnete Bertha seinem Blick quer durch den Saal hindurch. Für diesen einen Augenblick schien es nur sie beide zu geben, und sein Herz tat einen Sprung. Ja, auch sie empfand viel für ihn, ihre Eifersucht bewies dies.

Dann wandte sie den Blick ab und redete mit ihrer Tante. Er fühlte sich einsam.

Narr!, beschimpfte er sich. Du hast ein Weib und ein Kind … Ja, ein Weib, das ich nicht liebe, und ein Kind, das vielleicht Heinrichs Bastard ist. Der Wein und das Essen schmeckten auf einmal sauer und fade. Arend verließ den Saal, trat ins Freie und ging in der Dunkelheit im Schnee umher. Am klaren Winterhimmel funkelten die Sterne, erhaben, verlockend, der Welt versprechend, dass es eine Erlösung gäbe. Arend stand dort, den Blick nach oben gerichtet, den Lärm in den Häusern und dem Saal ignorierend, sog tief die kalte Luft in seine Lungen und entließ sie als weiße Atemfahnen zu den Sternen. Er wollte ein ehrliches, gütiges Herz, doch es hatte sich bereits so viel Verbitterung darin eingeschlichen. Nochmals atmete er tief ein, und erst danach konnte er zu seinem kleinen Haus hinübergehen, in dem sein Weib auf ihn wartete.

* * *

„Führe ihn herein! Und warte draußen!“, wies Bertha Ada an und schaute ihr hinterher, als ihre Dienerin den Raum verließ. Nun war sie allein. Ihr Töchterchen Adelheid war gerade bei der Amme.

Das Kleid fiel locker von Berthas Schultern. Lange Zeit hatte sie keinen Appetit gehabt, aber allmählich kehrte dieser zurück und mit ihm auch ihre Kraft. Tilda hatte ihr bereits gesagt, dass jede Schwangerschaft anders verlief.

Bertha setzte sich auf einen Stuhl in das wohltuende Sonnenlicht, das durch das trübe, in Blei gefasste Glas drang. Die anderen beiden schmalen Fenster waren mit Läden verschlossen, mit Stroh zugestopft und mit Teppichen verhängt. Zwei Kohlebecken versuchten, Wärme zu schenken. Bertha ergriff das Tuch, das sie in letzter Zeit lustlos mit roten und goldenen Rauten bestickt hatte, und stach die Nadel hinein, tat so, als hätte sie eben noch daran gearbeitet.

Arend trat ein, groß, kraftvoll und dennoch unsicher. Er kam direkt zu ihr, kniete nieder und senkte sein Haupt. „Herrin, sagt, ist es wahr, dass sich Otto einer Entscheidungsschlacht stellen will?“, preschte er vor.

„Du hörst zu viel von den Gesprächen in unseren Gemächern, Sachse.“ Dann schnaufte sie erzürnt. „Wie konntest du nur!“

„Herrin?“ Verwirrt blickte er zu ihr auf mit seinen unverschämt blauen Augen, die so viel Treue versprachen.

„Du weißt, was ich meine! Ich dachte, deine Liebe gehört nur mir.“ Bisher hatte sie noch keinen Mut gefunden, mit ihm direkt über seine Ehe zu reden. Zu sehr war sie verärgert, verletzt und eifersüchtig gewesen.

„Ich liebe sie nicht. Ich … verstehe Euren Zorn nicht. Heinrich ist Euch doch nun sehr zugetan. Ihr hattet mir anvertraut, dass Ihr Euch seine Zuneigung wünscht. Daher müsstet Ihr glücklich sein.“

„Ja, momentan ist er mir zugeneigt, aber dies kann sich ändern. Man kann sich bei ihm nie sicher sein, was als Nächstes geschieht. Ich weiß, es darf nicht sein, aber ich empfinde etwas für dich. So oft denke ich an unseren kleinen Abstecher in den Wald, als du mir damals im Kloster Lorsch Männerkleidung besorgt hast. Für diese kurze Zeit war ich frei und unbeschwert. Nur von dir fühle ich mich wirklich beschützt und geliebt.“ Sie beugte sich vor, ergriff seine starke, raue Hand und küsste diese.

Liebe leuchtete in seinen Augen, jedoch war da noch etwas anderes, etwas, was sein Inneres wie ein Sturm ergriffen hatte. Und dieses veranlasste ihn, ihr seine Hand zu entziehen. „Will Otto einen Entscheidungskampf?“, platzte er heraus.

Bertha war verärgert, sie redete über ihre verletzlichen Gefühle zu ihm, und er wollte nur wissen, was mit dem Sachsen war.

„Löst mich von dem Eid. Lasst mich gehen!“, bat er entschieden mit gesenktem Haupt.

„Wie bitte?“ Sie ertrug den Gedanken nicht, ihn nicht mehr in ihrer Nähe zu haben, ihren getreuen Wächter. Er wollte für diesen Otto kämpfen und sich ins Unglück stürzen? Sie musste ihn vor dieser Torheit bewahren. Unbedingt! Wenn Heinrich ihn bei den feindlichen Truppen sähe und in seine Finger bekäme, würde er ihn grauenvoll hinrichten lassen.

„Nein, wie kannst du so etwas nur fordern! Ich entbinde dich nicht! Niemals! Unsere Schicksale sind miteinander verwoben.“

„Herrin.“ Verzweifelt blickt er auf. „Ich gelte bei meinen Leuten als Verräter.“

Sie beugte sich vor. „Wenn du gehst, dann giltst du hier am Hof als Verräter. Nein, ich spreche dich nicht von deinem Eid los! Du bleibst bei mir“, sagte sie mit sanfter Stimme und fuhr mit den Fingern seine Wange entlang. Er genoss diese Berührung, schloss für einen kurzen Moment die Augen. Bertha liebte ihn mehr als ihren unberechenbaren Gemahl. „So wie ich hörte, unterstützen dein Vater und auch deine Brüder Otto. Bleibe treu in meiner Nähe, und falls Otto eine Niederlage erleidet, werde ich mich bei Heinrich dafür einsetzen, dass deine Familie ungeschoren davonkommt.“

Ruckartig lehnte sich Arend ein wenig zurück und betrachtete sie, als würde er versuchen, ihre Gedanken zu erforschen.

Sie legte ihre Stickerei auf den Tisch. „Wie du weißt, war Heinrich mit den Vorbereitungen für den Aufbruch nach Bayern beschäftigt. Er wollte Welf IV. dort höchstpersönlich als Herzog einführen, damit die dortigen Adligen ihn rasch und widerspruchslos akzeptieren. Doch jetzt kann er ihn nicht begleiten, da Otto in der Tat eine Entscheidungsschlacht fordert. Der König wird später nach Bayern reisen, wenn die Situation es erlauben sollte. Otto verfügt über sehr viele Kämpfer und wäre auch in der Lage, noch weitere hinzuzugewinnen. Heinrich hingegen hat momentan keine breite Unterstützung bei den anderen Fürsten, aber er könnte sie noch überreden, kaufen, hinzugewinnen – wie auch immer. Der Ausgang des Kampfes wäre ungewiss, aber bestimmt verlustreich für beide Seiten. Graf Eberhard VI. von Nellenburg hat sich angeboten, zwischen ihnen einen Frieden zu vermitteln und Otto bis Ostern einen Waffenstillstand anzubieten. Dann soll Otto nach Köln kommen und sich unterwerfen. Wenn er dieses tut, wird ihm Verzeihung gewährt, und ihm werden all seine Güter gelassen.“

Ruckartig erhob sich Arend, und seine Augen wurden schmal. „Er wird sich niemals unterwerfen!“

Milde lächelte Bertha. „Ach, Arend, glaube mir, er wird. Ohne seine Güter ist er ein Nichts. Des Herzogtitels ist er bereits verlustig geworden. Er ist ein mächtiger Mann, mehr wird er nicht verlieren wollen.“

Für einen kurzen Atemzug lang leuchteten Arends Augen auf. Er hoffte wohl, dass Otto von Northeim trotz der Unterwerfung seinen Kampfeswillen behielt.

„Begib dich jetzt wieder an deinen Platz!“

Arend verneigte sich und trat auf den Gang. Sie konnte sehen, dass Ada ihm ein seltsames, fast wehmütiges Lächeln schenkte, ehe sie wieder hereinkam. Darauf konnte sich Bertha keinen Reim machen, aber es rief augenblicklich ihren Argwohn hervor. Sie würde ihre Dienerin, ihre Vertraute, genauer im Auge behalten. Hatte sie nicht von Anfang an für Arend geschwärmt?

* * *

Halberstadt, Pfingsten, 12. Juni 1071

Die Domkirche war überaus prächtig und beeindruckend. Durch die hoch oben befindlichen Fenster drang helles Sonnenlicht und ließ die bunten Farben, mit denen die flache Holzbalkendecke bemalt war, kraftvoll leuchten. Mächtige Pfeiler wechselten sich mit Säulen in der Kirche ab, mal eckig, mal rund, und deren gemeißelte Kapitelle zeigten florale Muster, aber auch Tiere und Furcht einflößende Fratzen. Zahlreiche Kerzen steckten auf vergoldeten Leuchtern, und die Flammen tanzten nervös. Das Altartuch war kunstvoll bestickt, und darauf thronte ein riesiges, edelsteinbesetztes Kreuz. Elf Jahre hatte es gedauert, die Kirche wieder aufzubauen, nachdem sie und Teile der Stadt einer Feuersbrunst zum Opfer gefallen waren.

Der ungefähr dreiundvierzigjährige Bischof Burchard II. von Halberstadt, Neffe von Erzbischof Anno von Köln, war stolz auf dieses erhabene Gebäude und am heutigen Tage besonders zufrieden, da ihm Heinrich eine Reliquie mitgebracht hatte. Dadurch gelang es ihm auch, seine Abneigung gegen den König zu überspielen.

Ja, Reliquien hatten Macht. Arend musste innerlich grinsen, als er daran dachte, dass er im Mai den König und die Königin zum Hoftag nach Lüttich begleitet hatte. Die Klöster von Stablo und Malmedy hatten gefordert, dass Erzbischof Anno von Köln, der sich die Abteien angeeignet hatte, diese wieder herausgeben sollte. Vor einigen Jahren hatten die Mönche bereits schon einmal die Knochen des heiligen Remaclus vor den König gebracht, und diesmal hatten sie den Reliquienschrein sogar bis nach Lüttich geschleppt. Doch Heinrich hatte sie nicht empfangen. Daraufhin hatten sich die Mönche Zutritt zum Garten der Pfalz verschafft und den Schrein auf dem Tisch des Königs abgestellt, der dort gerade gespeist hatte. Unter dem Gewicht des schweren Behältnisses war der Tisch zusammengebrochen, und alle edlen Speisen waren zu Boden gestürzt. Diese Unverfrorenheit und auch einige Wunder, die sich während seines Aufenthalts in der näheren Umgebung ereignet hatten, hatten Heinrich dazu bewogen, die Herausgabe von Anno zu verlangen, und der Erzbischof hatte zähneknirschend nachgegeben.

Warum nur brachte hier niemand Gebeine von Heiligen herein, um damit das Kommende zu beklagen und abzuwenden? Warum hatte Gott nicht verhindert, dass Heinrich im Februar Welf in Bayern als Herzog einführte? Dies war Otto von Northeims Titel gewesen!

Für Arend war es unerträglich, während des Gottesdienstes in der Nähe des Königs zu stehen. Er war mit einer schweren Goldkette behängt, die er vom Herrscher für seine treuen Dienste geschenkt bekommen hatte. Solche Geschenke lehnte man nicht ab, auch wenn ihm eigentlich lieber die Hand abgefault wäre, als diese danach auszustrecken. Bertha hatte ihn gelobt, wie hübsch er damit aussah, und ihn gebeten, sich heute damit zu schmücken.

Nun stand er hier und wünschte, dass sich der Boden unter ihm auftäte und die mächtigen Steinplatten ihn unter sich begrüben. Zeichnete ihn diese kostbare Gabe nicht als Denunzianten aus? Er fühlte sich, als ob er mit seiner Anwesenheit den Dom beschmutzte, konnte der feierlichen Messe kaum folgen.

Nach dem Gottesdienst waberte noch immer der schwere Duft des reichlich verwendeten Weihrauches durch den Dom. Da Otto Ostern nicht nach Köln gekommen war, war weiterverhandelt worden, und nun sollte die Unterwerfung von Otto, Magnus und deren Verbündeten hier stattfinden.

Heinrich saß auf einem erhöhten Stuhl, trug einen Purpurmantel, und auf seinem Haupt funkelte die große, edelsteinbesetzte Reichskrone. Darunter trug er eine gepolsterte purpurne Kappe. In seiner Hand hielt er verkrampft das kostbare Zepter, fast wie einen Schlagstock. Im November würde er einundzwanzig Jahre alt werden, wirkte aber älter. Sein Gesicht war härter und reifer geworden, was ihm ohne jeden Zweifel gut stand und mehr Autorität verlieh. Bertha saß prächtig gekleidet an seiner Seite und warf ab und zu einen verstohlenen Blick auf Arend.

Die Kirche war angefüllt mit weltlichen und geistlichen Fürsten und vielen Edlen. Überall blinkte goldener Schmuck und leuchteten Juwelen. Man zeigte, was man besaß. Es herrschte eine seltsam lauernde Stimmung, angereichert mit Schadenfreude und geifernder Sensationslust.

Es gab kaum einen Ort, an dem Arend jetzt weniger gern gewesen wäre als hier. Er wollte weder Ottos noch Magnus’ Demütigung beiwohnen.

Im Dom hatte man eine breite Gasse frei gelassen, die von Wachen flankiert war. Dann wurde die große zweiflügelige Kirchentür geöffnet, und zahlreiche sächsische Adlige, begleitet von fränkischen Kriegsknechten, traten ein. Den Sachsen voran schritt selbstbewusst, geradezu forsch, Otto. An seiner Seite ging Magnus Billung. Dieser überragte all die anderen, sein weißblondes Haar leuchtete im Kerzenschein, und seine Brust war vor Stolz geschwellt. Er wirkte keinesfalls, als wollte er sich Heinrich unterwerfen, sondern ihn eigenhändig vom Thron befördern, um selbst darauf Platz zu nehmen. Magnus’ Blick wanderte zu seinem Vater, Herzog Ordulf, der zwischen den königstreuen Fürsten stand. Ordulf hatte nie gebilligt, was sein heißblütiger Sohn trieb. Deshalb erwiderte er nicht das trotzige, fast mokante Lächeln Magnus’, sondern wandte den Blick ab. Vielleicht auch, weil ihn ein schlechtes Gewissen plagte. Magnus’ Mutter Wulfhild von Norwegen war im Mai gestorben, und schon bald darauf war Ordulf die Ehe mit Gertrud von Haldensleben eingegangen – einer immens reichen und bedeutenden Frau. Getrauert hatte er wahrlich nicht lange … Vielleicht hielt er das Schicksal des unbeugsamen Magnus’ für besiegelt und wollte unbedingt noch einen Erben zeugen.

Und dort – Arend musste schlucken – waren sein Vater Eilbrecht und Giselher, sein ältester Bruder. Die enttäuschten Blicke, mit denen sie Arend bedachten, trafen sein Herz wie Geschosse eines Katapults.

Als Otto und Magnus Arend in der Nähe des Königs stehen sahen, bekundeten sie mit ihren Blicken flammende Verachtung für ihn. Dabei hatten sie ihn damals zu Heinrich geschickt! Sie hatten ihn gekannt und gewusst, dass er ihre Sache niemals verraten würde, und dennoch hielten sie ihn für einen Überläufer. Schäbig fühlte er sich und schaute betreten auf den Boden.

Der König hielt eine kurze Rede, in der er ihnen Untreue und zahlreiche Verbrechen vorwarf. Seine Sätze waren geschliffen und bezeugten, dass er als Kind in Rhetorik geschult worden war. Wenn er wollte, so wie jetzt, demonstrierte er dies vorzüglich und formvollendet.

Anschließend forderte er, dass die Sachsen sich beugen sollten, um sich zu unterwerfen. Zähneknirschend gehorchten sie, mussten es tun, um seine Verzeihung zu erhalten und den Schaden zu begrenzen.

Der junge Heinrich wirkte achtungsgebietend und erhaben, und es gefiel ihm, wie die Sachsen vor ihm auf dem kalten Steinboden mit gesenkten Häuptern knieten. „Ich habe euch für euer Kommen zugesagt, dass euer Leben nicht angetastet wird – und so soll es sein. Doch die edlen Fürsten und ich können es weder ungestraft noch ungesühnt lassen, dass ihr euch gegen das Reich und gegen meine Majestät verschworen habt! Krieg, Tod und Zerstörung habt ihr über das Reich gebracht, arg in Thüringen mit Feuer und Schwert gewütet. Otto von Northeim, deinen Herzogstitel habe ich dir bereits aberkannt, doch aufgrund deiner besonderen Untreue entziehe ich dir auch all die anderen, von mir oder meinem Vater verliehenen Reichsgüter! Jedoch lasse ich Gnade walten und erlaube, dass du deine Eigengüter fast ungeschmälert behalten darfst.“ Dann wandte er sich an Magnus: „Dir kann ich bedauerlicherweise nichts fortnehmen, weil dein Vater Herzog von Sachsen ist und ich mit ihm nach wie vor gutes Einvernehmen anstrebe.“ Nun schaute er in die Runde der rebellischen Sachsen. „Jedem von euch, der im Besitz eines Reichslehens ist, wird dieses entzogen!“

Durch die Reihen der Sachsen wallte ein mürrisches Raunen, jedoch nur leise, denn das war natürlich nicht unerwartet.

„Es sollte euch jedoch bewusst sein, dass diese Strafe für solch ein schweres Majestätsverbrechen nicht hoch genug ist. Daher werdet ihr, ihr sächsischen Fürsten, in Haft genommen und bei mir getreuen Adligen in Gefangenschaft gegeben. Dort habt ihr Gelegenheit, über euer schändliches Verhalten nachzudenken. Seid voller Reue und bittet Gott um Vergebung für euren Verrat! Ist euer Benehmen tadellos, werdet ihr bald eure Freiheit wiedererlangen und zu euren Familien zurückkehren können“, verkündete Heinrich mit funkelnden Augen und erhob das Kinn. Ja, er genoss es, seine Macht auszuspielen.

Empörung brandete bei den Sachsen auf. Sie sprangen auf und protestierten laut.

„Ich lasse mich nicht einsperren wie ein Tier! Ich bin Magnus Billung!“, schrie der stolze Herzogssohn aus.

Es wurde still, man wartete auf Heinrichs Reaktion. Dieser lächelte kalt. „Du hast dich gegen deinen König erhoben! Du hättest dir vorher über die Konsequenzen im Klaren sein müssen. So viel Verstand traue ich dir durchaus zu. Dein armes Weib Sophia, die Tochter des ungarischen Königs Bela, die du in diesem Jahr geheiratet hast, wird auf dich für einige Zeit verzichten müssen und des Nachts recht einsam sein. Dieses hast du ganz allein deinem Fehlverhalten zuzuschreiben.“

Vor Zorn schlug Magnus brüllend einen seiner Bewacher nieder, der ihn grob am Arm gepackt hatte. Andere Franken stürmten auf ihn zu, rissen ihn brutal zu Boden, verpassten ihm deftige Schläge und zerrten ihn wieder auf die Füße. In Magnus’ Augen zuckten wilde Blitze, und er fletschte die weißen Zähne.

Otto schwieg, aber der glühende Blick, mit dem er seinen König bedachte, versprach Rache.

Heinrich ließ das an sich abperlen und sprach ein weiteres Urteil: „Als Erzbischof Adalbert von Bremen und Hamburg gestürzt wurde, haben sich die Billunger große Güter seiner Kirche angeeignet. Diese erhält Adalbert nun ungeschmälert zurück.“

Der untersetzte Erzbischof, der wieder in der Nähe des Königs weilte, nickte diesem dankbar zu.

Herzog Ordulf hingegen senkte das Haupt und schwieg. Arend schaute ihn strafend an. Hätte er nicht für seinen Sohn Partei ergreifen müssen? Schließlich war er sein eigen Fleisch und Blut und kämpfte für die Sachsen.

Aufgebracht erhob Otto die Stimme, seine Wangen waren dunkelrot angelaufen. „Das alles hier ist eine Farce! So wie ich erfahren habe, wurde Egeno I. von Adalbert von Schauenburg und Giso von Lahngau angestiftet, diese ungeheuerliche, absurde Unterstellung eines Attentats in Northeim gegen mich vorzubringen!“ Sein Blick wanderte zum dunkelblonden Adalbert und dicklichen Graf Giso.

Die beiden empörten sich und beschimpften Otto heftig, mussten von anderen Fürsten sogar davon abgehalten werden, auf diesen loszugehen.

„Das werdet ihr mir eines Tages büßen! Das verspreche ich euch!“, brüllte Otto ihnen zu. Der Tumult schwoll an wie eine Welle, die auf eine gefährliche Brandung zurollte.

Heinrich reagierte schnell, ehe die Situation außer Kontrolle geriet, und auf sein Zeichen hin strömten zahlreiche Bewaffnete in den Dom, um die protestierenden, aufbegehrenden Sachsen hinauszubegleiten.

Arend tastete nach seinem Schwert, das er als Bewacher von Bertha selbst hier in der Kirche trug. Er umfasste den Griff so heftig, dass die Knöchel weiß hervortraten. Wenn sie seine Familie anrührten, würde er vom Podest springen und den Franken die Hände abhauen.

Nun wollten die Kriegsknechte Magnus ergreifen, doch er prügelte einige der Feinde nieder. Während weitere Wächter versuchten, ihn zu bändigen, verteilte er heftige Tritte und Schläge, entwendete einem Franken dessen Speer und verletzte einen weiteren damit schwer. Die Wächter stürzten auf ihn zu. Schließlich gelang es ihnen, Magnus zu entwaffnen, und sie knüppelten ihn nieder.

Bertha ließ sich ihre Gefühle nicht anmerken, obwohl sie sehr starr wirkte und ihre Wangen vor Aufregung dunkelrot leuchteten. Heinrich hingegen beobachtete das Geschehen mit kalter Neugier. Und Ordulf? Der Anblick seines bewusstlosen Sohnes, der nun wie ein Stück Vieh an den Armen hinausgeschleift wurde, ließ ihn nicht unberührt, und sein Gesicht verriet seinen inneren Kampf. Dennoch wandte er sich nun demonstrativ von Magnus ab, von seinem eigenen Sohn! Arend wäre am liebsten zu ihm gestürmt und hätte ihn wild beschimpft.

Als Nächstes ergriffen die fränkischen Wachen Otto, doch er riss sich los und bedeutete ihnen, dass dies nicht nötig sei und er folgen würde. Er warf noch einen letzten rachsüchtigen Blick auf die beiden verräterischen Adligen Giso und Adalbert und ging dann mit festem Schritt hinaus.

Nun standen von den angeklagten Sachsen nur noch Arends Vater Eilbrecht und sein Bruder Giselher vor dem König. „Ihr seid frei und dürft eure Güter ungeschmälert behalten“, teilte Heinrich ihnen tonlos mit und wies mit einer flüchtigen Kopfbewegung auf Arend. „Er erweist mir gute Dienste.“

Eilbrecht versteifte sich. Der Ärger hatte sich in sein Gesicht gegraben, und seine hellblauen Augen waren zu schmalen Schlitzen verzogen. „Ich verlange, ebenso bestraft zu werden wie die anderen sächsischen Adligen! Ich will keine Bevorzugung aufgrund der Dienste dieses Frettchens dort.“

Im Dom herrschte lauernde Stille. Arend schloss für einen Moment die Augen, wünschte sich entrückt, unsichtbar oder wenigstens kleiner zu sein, sodass er sich hinter irgendjemandem verstecken konnte. Diese Worte aus dem Munde Eilbrechts waren wie Axthiebe. Als er dem Blick seines Vaters begegnete, war dieser frostig und undurchdringlich wie der tiefe Winterschnee auf dem Brocken im Harz. Sein Bruder verzog kurz und mitleidlos die Mundwinkel – er schien Genugtuung zu empfinden.

„Ich habe euch nichts weiter zu sagen! Nun zieht euch auf eure Burg zurück und bleibt mir treu!“ Heinrich machte eine abfällige Handbewegung, als würde er lästige Fliegen vom Käse fortscheuchen.

Arend verspürte den Wunsch, den König vom Thron zu reißen und auf ihn einzuprügeln. Er hatte Arend offiziell gelobt und somit zum Feind der Sachsen gemacht! Niemals wieder würde er bei ihnen Aufnahme finden … Höchstens, wenn er ihnen des Königs Haupt überbrachte.

Eilbrecht sandte seinem drittgeborenen Sohn einen letzten, Unheil wünschenden Blick zu, wandte sich auf den Fersen um und marschierte hinaus.

Giselher hingegen sah seinen Bruder an, als würde er ihm das letzte Mal in seinem Leben begegnen oder als würde Arend bald in einem Grab verscharrt werden.

Als auch Giselher den Dom verlassen hatte, durchbrach der König die Stille: „Heute Abend seid Ihr, meine treuen Fürsten, zu einem Fest eingeladen.“

Am Abend weigerte sich Arend, am Fest teilzunehmen, da er glaubte, sich nicht so unmittelbar nach der Inhaftnahme der sächsischen Adligen beherrschen zu können. Bei dem geringsten Spott über seine Familie hätte er die Fürsten tollwütig angefallen. Diese Gefahr sah auch Erzbischof Adalbert und empfahl Heinrich, Arend zusammen mit Bertha, die sich krank fühlte, nach Goslar vorauszuschicken.

So brachen sie gleich am nächsten Morgen zusammen mit ihrem Tross und einigen Kriegsknechten zur Pfalz auf. Arend wäre am liebsten im schnellen Galopp allem davongeritten. Er war so zornig, dass er versucht war, seine Ehre, sein Seelenheil in eine düstere Schlucht zu werfen und bittere Rache für die Schmach zu nehmen. Doch die Vernunft holte ihn schließlich ein.

In Goslar fand er Trost bei seinem Weib, dem er nur kurz berichtete, was geschehen war. Sie verstand nicht die politischen Ränke und Feinheiten, aber sie besaß eine einfache, pragmatische Sicht auf die Dinge – die Sicht einer Bäuerin, die gelernt hatte, ihren Stolz herunterzuschlucken, da sie gegen die hohen Herren ohnehin nichts ausrichten konnte. Sie meinte, dass er dieses hinnehmen und froh und dankbar sein sollte, da er Essen, ein Dach über dem Kopf und eine gesunde Familie hätte. Trotzdem, so einfach, so genügsam konnte er es nicht sehen. Er fühlte sich innerlich zerrissen und war von großer Unruhe getrieben.

Nach zwei Wochen – Heinrich war noch nicht zurückgekehrt – begab sich Arend hinauf zur Harzburg. Dazu hatte er keine Erlaubnis erhalten, sondern er hatte einfach sein Pferd gesattelt und war dorthin geritten. Er hatte Kenntnis erhalten, dass Magnus in dieser Burg inhaftiert war und täglich am frühen Nachmittag hinaus ins Freie geführt wurde, um seine Gesundheit zu erhalten. Heinrich wollte Magnus bestrafen, aber sicherlich nicht den Bruch mit Ordulf riskieren, wenn dessen Sohn in der Gefangenschaft verreckte oder erkrankte.

Die Harzburg lag auf einem hohen Berg, dem nördlich der kleine Burgberg vorgelagert war. Er fiel an allen Seiten steil ab, nur nicht im Osten. Dort war die Burg durch einen wehrhaften Zwinger, einen Graben und einen Wall gesichert.

Arend war den Wachen bekannt, und so ließen sie ihn durch die Westburg einreiten. Hier befanden sich riesige Ställe und zahlreiche Wirtschaftsgebäude. Er übergab sein Pferd einem Knecht und ging zum eckigen Turm, in dessen Verlies Magnus eingekerkert war. Arend bat darum, dass der Gefangene herausgeführt wurde, und wartete in der Nähe der Brücke, die sich über einen tiefen, in den Fels geschlagenen Graben spannte. Diese führt zur Ostburg, dem repräsentativen Teil der Burg, mit Palas und Stiftskirche. Es dauerte nicht lange, da wurde der Herzogssohn auf den Hof geführt. Man hatte ihm eiserne Ketten um Hände und Füße gelegt, die bei jedem Schritt klirrten.

Das Sonnenlicht lag leuchtend auf Magnus’ hellem Haar. Seine Kleidung war nicht verschmutzt, und auch sein Bart war ordentlich gestutzt. Er sah kräftig und keineswegs ausgezehrt aus. Die Mägde auf der Burg schmachteten ihn an, und er lächelte ihnen schäkernd zu, doch als er Arend auf sich zukommen sah, erstarrte sein Gesicht. Er spuckte ins Gras und wandte sich ab. „Verschwinde!“, blaffte er angewidert, als Arend neben ihm war. Magnus hatte ein geschwollenes Kinn. Er war bestimmt kein fügsamer Gefangener und reizte seine Bewacher sicherlich bis aufs Blut.

„Höre bitte, was ich zu sagen habe, dann werde ich gehen!“

„Ich will aber die Worte eines Verräters nicht hören!“

„Ich habe nichts und niemanden verraten.“

„Nun, das kann man auch durch Untätigkeit.“ Der Herzogssohn legte seinen Kopf in den Nacken und beschaute sich die Wolken, die hoch über ihm schwebten und frei ins Land hinauszogen.

„Ihr habt mich zu jener Zeit zum König gesandt, damit die Sache der Sachsen nicht zu früh auffliegt. Ihr kanntet mich und wusstet, was geschieht, aber dies war euch gleichgültig. Ich bin gegangen, weil ihr es von mir erwartet habt.“

Magnus sandte Arend aus den Augenwinkeln heraus einen abschätzigen Blick, doch dann biss sich dieser wieder an den Schönwetterwolken fest.

„Ich bin verdammt noch mal nur eine Wache und stehe mir nachts vor Berthas Tür die Beine in den Bauch. Ab und zu schiebe ich ihren Reisewagen aus dem Dreck oder helfe ihr, durch eine Menschenmenge zu gelangen. Ich bin kein Vertrauter des Königs, und niemand fragt mich um Rat. Heinrich würde ihn noch nicht einmal hören wollen. Ich bin auch bei keinerlei Regierungsgeschäften dabei. Doch er entbindet mich nicht von meinem Eid, weil er weiß, dass er damit meinen Vater und andere Sachsen ärgern und schmähen kann.“

Mittlerweile schaute Magnus ihn direkt an. „Du kannst dich nicht für immer hinter deinem Eid verstecken. Man kann nicht durch eine dicht gedrängte Menschenmenge gehen, ohne jemandem auf den Fuß zu treten. Früher oder später wirst du Farbe bekennen müssen. Heinrich mag uns Adligen einen deftigen Schlag verpasst haben, aber es ist nicht vorbei. Der König hatte irgendwie – und ich bin mir sicher, nicht von dir – von Ottos und meinen Plänen erfahren und die Intrige mit Egeno I. eingefädelt, aber unser Aufstand war ja damals noch gar nicht losgebrochen. Heinrich, dieser sture Bock, provoziert uns, lässt munter weiter an seinen Burgen bauen. Es wird zur blutigen Auseinandersetzung kommen, ganz sicher. Und dann, mein Freund, wirst du Stellung beziehen müssen! Du bist Sachse und auch stolz darauf.“ Er schüttelte sich die Haare aus der Stirn. „Ich bin eine treibende Kraft, und Heinrich weiß das. Dies beweist auch die Tatsache, dass er, so wie mir zugetragen wurde, die Sachsen recht bald wieder freilassen will. Otto und mich will er hingegen noch wesentlich länger gefangen halten. Also hol mich hier raus! Und wenn du dich dazu nicht imstande siehst, dann sorge gefälligst anderweitig dafür, dass ich befreit werde, damit ich den Kampf aufnehmen kann.“

„Ich allein kann dich nicht hier herausschaffen. Aber Heinrich kann euch nicht ewig gefangen halten und muss euch gehen lassen, sonst könnte es die anderen Adligen im Reich brüskieren. Du wirst sehen, bald bist du frei.“

„Nein, ganz gewiss nicht! Ich konnte es in seinen Augen sehen. Falls dich doch ein Sinneswandel überkommt oder das schlechte Gewissen in der Nacht an dir nagt, so besteche die Leute und kümmere dich darum, dass ich von hier verschwinden kann.“

Arend fühlte sich schäbig, hätte ihm am liebsten augenblicklich den Weg freigekämpft. Müde rieb er sich über die Stirn. „Weißt du schon die Neuigkeit über dein Weib?“

Magnus’ hellgraue Augen verengten sich. „Was ist mit ihr?“

Arend sah für einen Moment auf seine staubige Stiefelspitze, über die eine Ameise huschte. „Sophia erwartet ein Kind.“

„Ein Kind?“ Magnus fuhr sich mit seinen Händen durch das Haar und schüttelte ungläubig den Kopf. Seine Augen bekamen einen warmen, freudetrunkenen Glanz. „Ein Kind … Das ist wundervoll! Ich hoffe, ein Junge, ein starker Kämpfer.“ Seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Ein Kämpfer, der den verfluchten Franken vom Thron stoßen und die Königskrone selbst tragen wird!“ Fordernd und zugleich flehend sah er Arend an. „Handle! Du musst es tun!“

„Ich habe dir schon gesagt, dass ich es nicht kann. Schau dich doch bitte um! Die Harzburg ist ein Ungeheuer. Keiner Maus kann es gelingen, von hier zu entfleuchen.“

„Du bist ein helles Köpfchen. Dir wird schon etwas einfallen.“

„Deswegen bin ich nicht hier.“

„Verdammt, Arend! Warum bist du dann gekommen?

„Ich will Vergebung. Und ich will, dass du weißt, dass ich kein Verräter bin.“

Magnus’ rechte Augenbraue schnellte empor, und er schenkte ihm ein schales Lächeln. „Vergebung? Die kann ich dir nicht erteilen, denn ich bin mir sicher: Du tust vielleicht, was du deiner Ehre schuldest, aber sicherlich nicht das, was dir dein Herz befiehlt. Dass du mir nicht helfen willst, laste ich dir an. Ehre hin oder her, manchmal ist sie einfach Dummheit und führt zum Niedergang. Eines Tages werden wir uns auf dem Schlachtfeld begegnen, und dann wird auch Heinrich dich zwingen, dich für eine Seite zu entscheiden. Niemand wird unschuldig aus dieser Sache herausgehen, jeder wird früher oder später Blut an den Händen kleben haben. Mal schauen, wessen Blut es bei dir sein wird ... Und, Arend, sollte ich dich irgendwann auf Heinrichs Seite in seinem Heer entdecken, werde ich im Kampfgetümmel Ausschau nach dir halten und versuchen, dir dein verdammtes Herz aus der Brust zu reißen.“

Arend sah betreten zu Boden und bohrte seine Stiefelspitze in die Erde. Er hatte eigentlich immer für die Sachsen kämpfen wollen, doch nun gab es diesen Schwur … und Bertha. „Warte ab, man wird dich bestimmt bald freilassen“, tröstete er.

Magnus grinste schief und hielt ihm die eisernen Ketten entgegen. Er war fast so groß wie Arend, aber noch breitschultriger. „Wenn es nach Heinrich ginge, dürfte ich diese Eisen nie wieder ablegen und würde damit begraben werden. Er hält mit meiner Gefangenschaft meinen Vater im Zaum und verhindert zudem, dass ich nicht sogleich gegen ihn losschlage. Aber glaube mir, wenn ich jemals wieder meine Freiheit erlange, werde ich sofort ohne Umschweife gegen Heinrich hetzen. Mein Herz war zuvor mit Hass erfüllt, doch jetzt brennt es! Otto ist geduldiger, wird sich später in Freiheit gewiss erst einmal still verhalten, Heinrich Dankbarkeit vorheucheln und ihm dadurch signalisieren, dass er keine Gefahr mehr darstellt. Obwohl Heinrich genau wissen wird, dass dies nicht der Wirklichkeit entspricht. Ich hingegen kann nicht vorspielen, was nicht ist. Wenn ich hasse, dann hasse ich – mit jedem Atemzug, mit jedem Herzschlag! Darum, Arend, mein Freund, pass auf, dass ich dich niemals hasse!“ Sein Blick glitt an ihm vorbei zu vier kräftigen Wachen, die auf ihn zu gestapft kamen. „Sie werden mich jetzt wieder in mein prachtvolles Gemach führen. Also, Arend, denke in Ruhe darüber nach, wo du wirklich stehst und ob du nicht vielleicht doch eine Möglichkeit entdeckst, mich hier herauszuholen. Erst wenn du beweist, dass du auf unserer Seite stehst, werde ich dir vergeben. Du bist also umsonst gekommen.“ Er versteifte sich, als die Wachen ihn ergriffen und mit sich fortschleppten. Magnus machte es ihnen nicht leicht, stieß sie mit den Ellenbogen, einem gab er sogar einen so heftigen Kopfstoß, dass diesem das Blut aus der Nase schoss. Zwei Wachen traktierten ihn mit Fäusten, bis er zusammensackte. Kaum hatte er sich wieder aufgerappelt, schenkte er Arend ein trotziges, breites Lächeln. Nein, er würde sich niemals beugen!

Als Arend wieder die Pfalz erreichte, stutzte er, denn Heinrich war zwischenzeitlich zurückgekehrt, und es herrschte noch ziemlicher Trubel auf dem Gelände.

Ihm schwante Böses, denn er wurde sogleich zum König in einen kleinen Nebenraum geführt.

Heinrich stand am Fenster, die Arme vor der Brust verschränkt, und starrte hinaus. Als Arend eintrat und sich verbeugte, wandte sich der König nicht um, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und ließ die Handflächen mehrmals leise ineinander klatschen. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll“, ließ sich Heinrich vernehmen.

„Wovon sprecht Ihr, Majestät?“, erkundigte sich Arend vorsichtig.

„Ach, komm, Arend! Was soll die Frage? Was wolltest du bei Magnus? Ich hätte verbieten sollen, dass er mit Sachsen sprechen darf. Also, was habt ihr für Pläne geschmiedet?“

„Ich habe keine aufrührerischen Gespräche mit ihm geführt! Ich habe ihm lediglich zu erklären versucht, dass ich kein Verräter bin. Allerdings hat er bereits ein vernichtendes Urteil über mich gefällt.“

Der König warf ihm einen kurzen strengen Blick über die Schulter zu. „Verräter an wem oder was? Die Sachsen sind die Verräter!“, spie er aus und wandte sich langsam zu ihm um. „Ich wollte dich für deinen kleinen Ausflug bestrafen, doch Bertha meinte, dass damit zu rechnen gewesen sei. Da mein Weib schwanger ist und ich sie nicht unnötig aufregen will, lasse ich es dir noch einmal durchgehen. Aber ich verbiete dir, Magnus nochmals aufzusuchen! Hast du verstanden? Die Mannen auf der Harzburg haben nun die Order, dich nicht mehr zu ihm vorzulassen und unverzüglich Meldung zu machen, wenn du es erneut wagen solltest. Womöglich könntest du versucht sein, diesen verräterischen Sachsen zu befreien.“ Sein Mund verzog sich zu einem kalten Lächeln. „Aber du hast die mächtige Burg gesehen. Nicht einen einzigen Schritt würdet ihr hinausschaffen. Sie ist ein wunderbares Bollwerk, nicht wahr?“ Er musterte Arend auf seltsame Art, während er an seinem Bart herumzupfte. „Was machen deine Söhne? Wie ich hörte, hat dein Weib abermals einen Jungen zur Welt gebracht.“

„Ja, beide entwickeln sich prächtig.“

Heinrich starrte seltsam ins Leere, dann besann er sich und richtete seinen Blick wieder auf Arend. „Bleib mir treu, dann können deine Söhne vielleicht irgendwann Ehre erlangen. Bertha wird auch bald gebären. Ich hoffe, dass sie mir ebenfalls einen Sohn schenkt. Vielleicht könnten sie sich dann irgendwann gemeinsam in den Waffen üben.“ Ein Anflug eines freundlichen Lächelns zeigte sich auf seinen Lippen, doch im nächsten Augenblick war dieses wie fortgewischt. „Du kannst dich jetzt entfernen!“

Arend verneigte sich und verließ ein wenig irritiert den Raum. Es war nicht einfach für ihn, die Seelenwelt seines Königs zu begreifen, seine Stimmungen wechselten innerhalb mehrerer Atemzüge wie das Wetter im April.

Bald darauf machte sich der Hofstaat auf den Weg zum Hoftag nach Mainz. Aus Rücksicht auf Berthas Schwangerschaft wurde sie nicht in einem rumpelnden Wagen durchs Land gekarrt, sondern in einer Sänfte getragen. So konnte Arend, der zumeist neben ihr ritt, oft einen Blick auf sie erhaschen. Manchmal sah sie sehr bleich aus, es schien ihr nicht gut zu gehen. Arend war zornig auf den König. Warum mutete er seinem Weib diese Reise zu und hatte sie nicht in Goslar gelassen?

Als sie endlich die Pfalz in Mainz erreicht hatten, herrschte einige Tage später helle Aufregung, da bei Bertha die Wehen einsetzten. Die ganze Welt schien innezuhalten, und bald erschallte der befreiende Ausruf: Ein Sohn! Bertha hatte einen kleinen Heinrich zur Welt gebracht: rosig, blond, mit kräftiger Stimme. Heinrich war überglücklich und feierte mit seinen jungen Ministerialen, ließ Essen an die Menschen in Mainz verteilen, speiste Arme und war sogar fast versucht, Otto und Magnus zu begnadigen. Allerdings war sein stetes Misstrauen größer als seine Freude.

Überhaupt wirkte er wie ausgewechselt, begegnete den Menschen freundlich, gar mit galanter Höflichkeit und überhäufte Bertha mit Geschenken. Er war so unglaublich stolz und zeigte seinen Jungen herum.

Dann jedoch kränkelte das Kind, und man ließ es rasch taufen. In der darauffolgenden Nacht herrschte lautes Geschrei in der Pfalz. Arend, der seinen Wachdienst bereits beendet hatte, wurde von Erkmar aus dem Schlaf gerüttelt. Er meinte, etwas Schreckliches müsse geschehen sein.

Rasch kleidete Arend sich an, und als er auf den Hof hinaustrat, brannten überall Fackeln, und die Menschen hatten sich schweigend versammelt.

Bald darauf verbreitete sie die Neuigkeit wie ein rasendes Feuer: Der kleine Heinrich war gestorben.

Am liebsten wäre Arend zu Bertha gegangen und hätte sie tröstend in seine Arme geschlossen. Er hoffte, dass wenigstens der König dies tat.

An den folgenden Tagen herrschte eine bedrückende Stille in der Pfalz, jeder trauerte mit dem Königspaar. Außerdem waren die Menschen verunsichert, wussten nicht, wie sich Heinrichs Gefühle des Verlustes äußern würden. Man erwartete stürmische Wutausbrüche, aber er zeigte sich kaum, und wenn doch, dann war sein Gesicht eine blasse, versteinerte Maske. Bertha verließ ihr Gemach überhaupt nicht, wollte außer Tilda, Ada und Imma niemanden sehen und weinte am Tage und auch in der Nacht. Wie gern hätte Arend ihre Tür einfach aufgestoßen und die Königin umarmt. Allerdings war sie nie allein. Und so stand er nur auf dem Gang und fühlte mit ihr.

Der Hofstaat kehrte daraufhin nach Goslar zurück. Heinrich ließ seinen kleinen Sohn neben seinem Bruder Konrad, der als Dreijähriger gestorben war, in der prächtigen hölzernen Stiftskapelle in der Harzburg beisetzen, wohin der König schon viele kostbare Reliquien hatte bringen lassen, um den Ort zu ehren. Vielleicht erschien ihm der Burgberg dem Himmel näher als die Stiftskirche in Goslar.

Auch nach der Beerdigung weinte Bertha und verbrachte die meiste Zeit in ihrem verdunkelten Raum im Bett. Außer ihren Dienerinnen und ihrem Töchterchen durfte niemand zu ihr.

Heinrich trauerte noch ein paar Tage still, aber dann schlug seine Stimmung plötzlich um. Er prügelte einen Diener fast tot, stürzte aus dem Königshaus, ritt zur Jagd und kehrte tagelang nicht zurück.

Wenn Bertha nun doch manchmal allein war, nutzte Arend die Gelegenheit und spendete ihr heimlich Trost. Anfangs war sie gar nicht zugänglich, sondern in einer seltsamen abweisenden Starre gefangen. Doch als sein Mitempfinden zu ihr vordrang, flossen die Tränen der Verzweiflung aus ihr heraus. Sie gab sich seinen tröstenden Berührungen hin und meinte, sie könne nicht verstehen, warum Gott sie so hart bestrafe. Gleich danach fauchte sie Arend an, er könne sie ja eigentlich gar nicht verstehen, da er zwei gesunde und vor allem lebende Söhne hätte. Doch er sah es ihr nach und hielt sie einfach nur fest.

Ada erwischte ihn einmal dabei, wie er die Königin liebkoste. Die rothaarige Dienerin errötete, und Eifersucht huschte über ihr Gesicht. Hastig verließ sie das Gemach wieder und wartete vor der Tür, bis Arend herauskam.

Er erklärte ihr, dass er die Königin nur getröstet hatte, dennoch trat sie ihm heftig gegen das Schienbein und eilte zu Bertha hinein.

Als der König wiederkehrte, wirkte sein Gesicht abermals verändert. Alle Weichheit war daraus gewichen. Heinrich wirkte kalt und starr wie ein gefrorener Wasserfall. Und so wie er sein Herz vor allem verschloss, so verschärfte er auch seine Politik. Er ließ Rudolf von Rheinfelden sein Misstrauen bekunden, indem er im Bistum Lausanne den königstreuen Burchard von Oltigen und im Bistum Basel Burchard von Fenis, den Kämmerer von Siegfried von Mainz, einsetzte. So konnte Rudolf im Süden nicht mehr unbeobachtet schalten und walten. Allerdings war es noch in der Schwebe, ob der vom König eingesetzte Bischof Karl sich in Konstanz halten konnte. Der Papst hatte keine Entscheidung herbeigeführt, sondern gemeint, dass dies auf einer Reichssynode entschieden werden sollte. Die nächste war für August diesen Jahres angesetzt.

Und auch in Italien war Heinrich nicht mehr so sehr auf ein Einvernehmen mit dem Papst bedacht. Letztes Jahr hatte Heinrich nach dem Rücktritt Erzbischofs Guido von Mailand den Kleriker Gotofredo da Castiglione mit Stab und Ring ins Amt gehoben. Gotofredo waren die Reformen des Papstes verhasst, und er war überaus königstreu. Dadurch war es in Mailand zu Unruhen gekommen, und die Pataria hatte gegen Gotofredo Widerstand geleistet, woraufhin Papst Alexander II. ihn sogar wegen Simonie exkommuniziert hatte. Und nun im August wollte die Pataria ihren Kandidaten, den Kleriker Atto, zur Wahl stellen. Somit wollten sie Heinrichs Recht zur Investitur missachten. Der König handelte ohne Umschweife und schickte sofort eine Gesandtschaft nach Mailand, um seine Position klarzumachen und doch noch die Wahl des exkommunizierten Gotofredos durchzusetzen. Es war abzuwarten, welchen Erfolg dies haben würde und wie der Papst darauf reagierte. Die Pataria mischte sich gern in Mailand ein. Diese religiöse Bewegung war vor ungefähr zwanzig Jahren gegründet worden, und deren Verfechter stammten zumeist aus dem einfachen Volk. So hatte sich die Pataria wohl auch angeblich nach einem Trödelmarkt in Mailand benannt. Sie verabscheuten das Verschachern der Kirchenämter an die Reichen und Adligen und prangerten das schändliche Leben der Geistlichen an.

Auch der Zehntstreit Siegfrieds von Mainz mit den Reichsabteien Hersfeld und Fulda war noch nicht beigelegt, zog sich elendig lange hin, da der König nicht mehr intervenierte. Zudem wurde Heinrichs Haltung gegenüber den Sachsen wieder härter, und es gab vermehrte Übergriffe auf das Volk.

An der Grenze zwischen den Polen und Ungarn gingen die gegenseitigen Überfälle weiter, und dies forderte Heinrichs Geduld heraus.

Allerdings nahm er es mit Genugtuung auf, dass Rudolf von Rheinfelden seine Ehe mit Berthas Schwester Adelheid weiterführen musste. Rudolf hatte ihr Ehebruch vorgeworfen, was dem Papst zur Untersuchung vorgelegt worden war. Dieser hatte nun seine Entscheidung zugunsten Adelheids getroffen.

Bertha gegenüber zeigte sich Heinrich unversöhnlich, als trüge sie die Schuld am Tod ihres Sohnes. Daher ließ er wieder sein Kebsweib Ortrun zu sich ins Gemach bringen und stürzte sich außer in die Politik auch in Übungskämpfe mit Kuno und Benno.

Und dann eines Tages stand der König auf dem Kampfplatz vor Arend und forderte ihn als Gegner. „Schone mich nicht!“, verlangte er.

„Nein, Majestät, werde ich nicht“, versicherte ihm Arend und kämpfte brutal gegen ihn, ließ sein stumpfes Schwert auf dessen Schild niederkrachen, traf auch seinen Helm und seinen Körper mehrmals äußerst hart. Obwohl der König mit Gambeson und Kettenhemd geschützt war, würde er starke Prellungen davontragen. Alle hielten den Atem an, als der König schließlich mit geplatzter Unterlippe erschöpft auf dem Boden lag und Arend mit dem Schwert in der Hand breitbeinig über ihm stand.

Der Leibwächter hatte ihn seinen Zorn spüren lassen, aber noch immer rauschte dieser in seinen Blutbahnen, verlangte danach, dem Sachsenfeind, der Bertha mit seinem Verhalten so oft beleidigte, den Garaus zu machen, indem er ihm die Kehle zertrümmerte.

Heinrich erkannte es, und in seinen Augen spiegelte sich innerhalb kürzester Zeit ein heftiges Wechselspiel der Gefühle. Es reichte von Ja, töte mich! bis zu Wenn du jetzt noch einmal zuschlägst, werde ich dir bei lebendigem Leib die Haut abziehen lassen!

Schwer atmend trat Arend zurück und ließ Schild und Schwert sinken. Der König erhob sich, zog sich den Kettenhandschuh aus und wischte sich mit dem Handrücken über die blutende Lippe. Dabei ließ er Arend nicht aus den Augen. Heinrichs Blick versprühte Funken, und sein Mund zuckte. „Gut gekämpft, Sachse“, stieß er hervor und stapfte davon, den Handrücken immer wieder gegen seine Lippe pressend.

Folkmar stürzte zu Arend. „Welche Harzhexe hat dich denn geritten? Was hast du dir dabei nur gedacht?“

Arend schnaufte vor Anspannung. Seine Hand hielt noch immer den Schwertgriff schlagbereit umfasst. „Er selbst hat verlangt, dass ich ihn nicht schone!“

„Mag sein, aber selbst wenn er es sagt, tut man dieses doch nicht!“

Ich schon, und Heinrich war sich dessen bewusst!“ Mit diesen Worten wandte sich Arend ab und ging zu seinem Haus. Wie gern hätte er dem König weitere Schläge verpasst!

Bald darauf zog Heinrich nach Meißen, wohin er auch Boleslaw II. von Polen und Vratislaw II. von Böhmen bestellt hatte, um sie endlich von den gegenseitigen Überfällen abzubringen. Arend fragte sich, ob der König eigentlich der richtige Mann für die Verhandlung war. Er trug so viel Zorn im Herzen.

Königin im Schatten Gesamtausgabe

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