Читать книгу Königin im Schatten Gesamtausgabe - Iris Hennemann - Страница 17
Kapitel 8
ОглавлениеAls Quedlinburg in Sicht kam, schöpfte Bertha ein wenig Hoffnung. Dort würde Erzbischof Anno von Köln gemeinsam mit ihnen das Osterfest feiern, und sie würde ihn um eine Unterredung bitten. Vielleicht gelang es ihr sogar, ihn auf ihre Seite zu ziehen – schließlich hatte er einst die Ehe mit arrangiert.
Die Stadt befand sich im hügeligen Harzvorland am Lauf der fischreichen Bode, dem größten Fluss des Harzes. Vor über hundert Jahren – zu Zeiten des Sachsenkönigs Heinrichs I. – war dieser Ort außerordentlich bedeutend gewesen, da er diese Pfalz allen anderen im Reich vorgezogen hatte. So hatte er in der Krypta der Stiftskirche auch seine letzte Ruhestätte gefunden, und zweiunddreißig Jahre später hatte man sein Weib Mathilde neben ihm bestattet. Mathilde hatte seinerzeit auf dem Burgberg ein Damenstift gegründet, in dem viele edle Töchter erzogen worden waren, die später gut verheiratet werden konnten. Die jetzige Äbtissin des Stiftes St. Servatius war Adelheid, die Schwester des Königs. Sie war ihrer Halbschwester Beatrix in dieses Amt gefolgt, die vor sieben Jahren gestorben war.
Als der königliche Hof in die Stadt einzog, wurde er von jubelnden Menschen empfangen. Fahnen und bunte Tücher wehten fröhlich im Wind. Es war stets ein besonderes Erlebnis für die Bewohner, wenn sich ihnen der König zeigte. Die Kinder und Mädchen warfen ihm getrocknete Blumensträuße zu, und er nickte huldvoll.
Sie zogen zum Burgberg hinauf, wo die edlen Gäste mit ihren Dienern Quartier beziehen würden, während viele andere in der Stadt oder auch außerhalb eine Bleibe fänden, vielleicht sogar mit Zelten vorliebnehmen müssten. Manche würden westlich des Burgbergs im Kloster der Benediktinerinnen St. Mariae beherbergt werden.
Die einundzwanzigjährige Äbtissin Adelheid wartete vor dem Eingang des Stiftes. Sie ähnelte ihrem Bruder, war für eine Frau hochgewachsen und hatte die gleichen dunkelblauen Augen und ein schmales Gesicht wie er. Höflich, aber kühl begrüßte sie Heinrich, denn sie hatte, wie Bertha wusste, nicht das geringste Verständnis für dessen Lebenswandel. Er sprang vom Pferd und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, bedankte sich für den wohlwollenden Empfang, allerdings schwang keine Herzlichkeit in seinen Worten mit. Zwischenzeitlich war Bertha aus dem Reisewagen gestiegen und hatte sich zu ihnen gesellt. Etwas nagte an Heinrich, ganz deutlich konnte sie dies spüren.
Die Äbtissin wandte sich ihr zu und schenkte ihr ein herzliches Lächeln, das gleichwohl von Mitleid durchtränkt war. Sie bedauerte Bertha für die Ehe mit ihrem Bruder. Mit sanfter, leiser Stimme teilte sie der Königin mit, dass sie ihr ein besonders schönes Gemach zugeteilt hätte. Dankbar neigte Bertha ihr Haupt.
Wie sich herausstellte, befand sich dieser großzügige Raum in einem ruhigen Bereich und fern von Heinrichs Stätte. Das Sonnenlicht fiel in breiten Streifen durch das bleiverglaste Fenster herein und erzeugte eine gemütliche Atmosphäre. Ein Ort des Friedens.
Es war Bertha ganz recht, dass sie nicht in der Nähe des Königs war. Entspannen konnte sie sich dennoch nicht. Arend stand vor ihrer Tür. Sie wusste noch immer nicht, was sie von ihm halten sollte, und es verwirrte sie, dass sie anfing, sich von ihm beschützt zu fühlen. Ihr schwindendes Misstrauen ihm gegenüber beunruhigte sie, und dennoch konnte sie sich nicht dagegen wehren. Hoffentlich täuschte sie sich nicht, und in Wirklichkeit erstattete er dem König stets fleißig Bericht. Auch wenn es nichts zu berichten gäbe, war sie sicher.
Am Nachmittag besuchte die Äbtissin ihre Schwägerin. Sie setzten sich an den Tisch in Berthas Zimmer und plauderten vergnügt über die unbeschwerten Tage ihrer Kindheit, als sie noch zusammen gespielt hatten.
Plötzlich hallten laute Schritte durch den Gang vor der Tür. Daraufhin ertönte zornig: „Du lässt mich jetzt sofort rein, Sachse!“
Heinrich!
Adelheid zuckte zusammen und wurde kreidebleich. „Armes Kind!“, meinte sie mitleidig zu Bertha.
Und schon platzte der junge König herein und schloss energisch die Tür hinter sich.
In schlimmer Erwartung erhob sich Bertha. Was würde er ihr vorwerfen oder gar antun?
Doch sein glutzorniger Blick richtete sich auf seine Schwester. Mit wenigen Schritten war er bei ihr, zerrte sie aus dem Stuhl und schleuderte sie gegen die Wand. „Du Miststück!“, rief er aus.
„Herrin?“, rief Arend auf dem Flur.
„Bleib draußen!“, befahl Bertha ihm energisch. Es ging ihn nichts an, was sich hier abspielte.
Heinrich schlug seiner Schwester mit der flachen Hand ins Gesicht, und Blut quoll aus ihrer Lippe hervor. Anschließend riss er ihr den Nonnenschleier vom Kopf und warf diesen zu Boden. Weinend verdeckte sie mit den Händen ihre kurz geschnittenen Haare.
Bertha eilte auf ihn zu. „Heinrich, was tust du?“
Der König drückte Adelheid mit ausgestrecktem Arm gegen die Wand, während er sich halb zu Bertha umwandte und ihr mit drohendem Zeigefinger anwies, sich fernzuhalten. „Das ist eine Sache zwischen mir und meiner Schwester!“, zischte er wütend.
Nochmals schlug er Adelheid ins Gesicht. „Du verdammtes, verlogenes Biest!“ Nun rutschte seine Hand zu ihrer Kehle und drückte zu. „Wenn ich noch einmal, ein einziges Mal zu hören bekomme, dass du in freundschaftlicher, geheimbündlerischer Gesinnung mit meinen politischen Gegnern Verbindung aufnimmst, schwöre ich dir, dass ich dich von meinen Männern vergewaltigen lasse, während ich selbst dich festhalte! Hast du verstanden?“ Er löste den Griff.
Adelheids Gesicht war ganz rot geworden. Hustend und röchelnd rang sie nach Luft.
„Ich fragte: Hast du verstanden?“, wiederholte Heinrich und fletschte die Zähne.
Eingeschüchtert nickte sie.
„Ich höre nichts!“
„Ja, ich habe verstanden …“, quälte sich Adelheid heiser heraus, wagte es aber nicht, ihm in die Augen zu schauen.
Heinrich trat ein wenig zurück. „Gut, sehr gut! Dann ist das jetzt ja wohl zwischen uns geklärt, Schwester!“ Er warf Bertha einen verächtlichen Blick zu und rauschte aus dem Gemach.
Adelheid weinte bitterlich, schlang die Arme fest um sich und rutschte an der Wand herab.
Die Königin hastete zu ihr und umarmte sie, spürte Adelheids Hände in ihrem Ärmel und deren Gesicht an ihrer Schulter. Schließlich wurde ihr Weinen schwächer, und sie seufzte mehrere Male schwer, bevor sie sich erhob und Blut und Tränen aus dem Gesicht wischte. Beklommen gab Bertha ihr den Schleier und half ihr dabei, diesen wieder anzulegen.
„Stimmt es, was Heinrich dir vorgeworfen hat?“, fragte sie leise.
Zögerlich nickte die Äbtissin.
„Aber er ist dein Bruder!“ Bertha reichte ihr ein Tuch.
Vorsichtig betupfte Adelheid damit ihre Lippe und beschaute sich trotzig das Blut. „Ja, aber trotzdem muss ich seine Politik nicht unterstützen, sondern betreibe als Äbtissin meine eigene.“
„Er wird tun, was er dir angedroht hat! Lass es besser bleiben. Ich fürchte um dich. Bitte!“, flehte die Königin.
Abermals drückte Adelheid das Tuch gegen die Wunde und nickte. „Da er davon weiß, hat es ohnehin keinen Sinn mehr. Er wird mich genau beobachten lassen.“ Ihr Blick schnellte zu Bertha. „Du tust mir leid, mit solch einem Scheusal verheiratet zu sein! Entschuldige mich jetzt bitte, ich muss schauen, dass ich bis morgen wieder einigermaßen ansehnlich bin.“ Sie ordnete ihr Habit und huschte hinaus.
Mit zittrigen Beinen ließ sich Bertha auf einen Stuhl sinken und schloss die Augen. Wild hämmerte ihr Herz, und ihre Hände bebten. Für diesen Moment begrüßte sie es, dass Heinrich ihr, seinem Weib, kaum Interesse schenkte, und fragte sich, ob es nicht vielleicht sogar besser wäre, von ihm geschieden zu werden.
Das Osterfest wurde prunkvoll gefeiert, doch Bertha konnte es kaum genießen. Immerzu wiederholten sich die Bilder vor ihren Augen, wie Heinrich seine Schwester geschlagen hatte. Adelheids Gesicht war böse geschwollen. Wenn das Licht ungünstig fiel, konnte man sehen, dass sie die Male der Schläge mit einer Paste abgedeckt hatte. Aber auch sie hatte gelernt, sich nichts anmerken zu lassen, und trug eine fast perfekte, fröhliche Maske.
Heinrich hingegen warf ihr noch des Öfteren einen warnenden Blick zu. Dabei sah er doch so prächtig und strahlend aus mit Krone, Zepter und seinem kostbaren Schwert – wie ein mächtiger Herrscher, edel und gerecht …
Bertha hatte sich ebenfalls schön gewandet, und zahlreicher Schmuck und die schwere Krone glitzerten an ihr. Die Huldigungen und Komplimente, die ihr entgegengebracht wurden, nahm sie in dem Bewusstsein, dass dies alles wahrscheinlich bald ein Ende hätte, wehmütig entgegen. Vielleicht würde sie sogar nach der Scheidung in diesem Kloster ihr restliches Dasein fristen müssen. Es gab sicherlich schlimmere Orte, trotz allem wollte sie weiterhin am Königshof bleiben. Sie war die rechtmäßige Königin.
Jedenfalls gelang es Heinrich wieder vortrefflich, sie nicht zu beachten. Auch beim üppigen Festmahl richtete er nicht ein einziges Wort an sie.
Diese Missachtung ließ in ihr umso mehr den Willen erwachsen, um ihre Stellung zu kämpfen. So erbat sie sich nach dem Essen eine Unterredung mit Erzbischof Anno, und zu ihrer Freude willigte er ohne Umschweife ein. Es war ihr gleichgültig, ob Arend dies dem König verriet, Heinrich würde ohnehin vermuten, dass Bertha Anno um seine Unterstützung ersuchte.
Der Erzbischof saß am Tisch in ihrem Gemach und schaute sie prüfend an, während er mit seinem edelsteinbesetzten Goldkreuz spielte, das er um den Hals trug. Flackerndes Kerzenlicht lag lauernd auf ihm. Der Schwabe wusste sehr wohl, was sie von ihm wollte. Er war ein hagerer, zur strengen Askese neigender Mann, den die vorösterliche Fastenzeit noch mehr ausgemergelt hatte. Er entstammte einer Familie niederen Adels und war vorerst als Ritter ausgebildet und anschließend in der Domschule in Bamberg unterrichtet worden. Dort war man recht bald auf den ehrgeizigen Mann aufmerksam geworden, und es hatte nicht lange gedauert, da war er an den Hof von Kaiser Heinrich III. gelangt. Dank seiner Fähigkeiten war er vor fünfzehn Jahren Domprobst von St. Simon und St. Judas in Goslar geworden. Bereits zwei Jahre später war er als Erzbischof von Köln investiert worden.
Aber Erzbischof zu sein hatte ihm nicht genügt. Er hatte mehr gewollt. Viel mehr. So war er der Rädelsführer bei der Entführung in Kaiserswerth gewesen. Er höchstpersönlich hatte den jungen Heinrich auf das prächtig ausgestattete Schiff gelockt und den Ruderern befohlen, es unverzüglich mitten auf den Strom zu lenken. Zu den Beteiligten hatten auch Otto von Northeim, Graf Ekbert I. von Braunschweig und Erzbischof Siegfried I. von Mainz gehört. Anno hatte allerdings am meisten davon profitiert. So war er für zwei Jahre der Erzkanzler gewesen und hatte die Geschäfte des Reiches geführt – leider nicht so maßgeblich, wie er es sich gewünscht hatte. Es hatte ein Gerangel mehrerer Erzbischöfe um Heinrich gegeben, und dabei war es dem geschickten Adalbert von Bremen und Hamburg gelungen, Heinrich in seinen Bann zu ziehen und die anderen weitestgehend abzudrängen. Viele der Bischöfe hatten während der Regentschaft ihre Bistümer vergrößert, und Anno hatte sich die miteinander verbundenen Klöster Malmedy und Stablo einverleibt.
Doch die Klöster hatte ihm keine Freude bereitet. Nie würde Bertha vergessen, wie die Mönche bei einem Hoftag in Aachen erschienen waren und die Gebeine des heiligen Remaclus mit sich geführt und gefordert hatten, dass Anno das Kloster wieder herausgeben sollte. Jedoch war Heinrich hart geblieben, und die Mönche hatten unverrichteter Dinge von dannen ziehen müssen. Auch beim Papst waren sie mit ihren Bitten auf taube Ohren gestoßen. Dennoch war sich Bertha nicht sicher, ob Heinrich dem stetigen hartnäckigen Drängen der Mönche nicht doch irgendwann nachgeben würde. Dies würde Anno sicherlich wenig erfreuen.
Der ehrgeizige Erzbischof hatte bisher schon viele Niederlagen einstecken müssen, vielleicht würde er die Scheidung Heinrichs von seiner Königin als eine weitere empfinden.
Bertha faltete die Hände über der Tischplatte und lehnte sich ein wenig vor. „Ihr wisst, warum ich Euch zu mir gebeten habe, nicht wahr?“
Er musterte sie mit seinen grünen Augen, die unter dichten Brauen in tiefen Höhlen lagen, flüchtig. Er trug eine schlichte Kasel, mochte es nicht, so prächtig ausstaffiert wie Adalbert zu sein, obwohl er dennoch Reichtümer anhäufte. „Durchaus.“
„Ich wurde auf Anraten von Euch persönlich, der Kaiserin Agnes und einiger Fürsten mit Heinrich verheiratet. Ich bitte Euch daher um Eure Unterstützung beim Hoftag in Worms.“
Der Erzbischof lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und spitzte die Lippen, bevor er sie fest zusammenpresste. Immerzu wechselte sein Mund den Ausdruck, doch freundlich war dieser nie. Sein dünner Zeigefinger fuhr die Maserung der Tischplatte entlang, dann schaute er Bertha mit einem fast desillusionierten Seufzer an. „Bei Heinrich werde ich nichts erreichen.“
Er war ein harter Mann, war bei Heinrichs Erziehung unerbittlich und kaltherzig gewesen und hatte dem jungen König keinerlei Zuneigung oder Wärme entgegengebracht. Auf sein Mitleid konnte sie nicht hoffen – sie musste seinen Ehrgeiz wecken. „Das weiß ich sehr wohl. Es ist in Adalberts Interesse, diese Ehe zu lösen, um Euch einen weiteren Stich zu versetzen. Bei Heinrich könnt Ihr vielleicht nichts erreichen, doch bei den Fürsten auf dem Hoftag in Worms könntet Ihr Euren Einfluss geltend machen und Zeugnis dafür ablegen, dass diese Ehe sehr wohl gottgefällig und dem Reich dienlich ist.“
Nur allzu leicht durchschaute er sie, und seine Brauen hoben sich gelangweilt. Dann blitzte es in seinen Augen geradezu spitzbübisch. „Nun, auf Erzbischof Siegfried von Mainz versucht Ihr ja selbst gerade Einfluss zu nehmen, nicht wahr?“
Er hatte davon erfahren? Ein heißer Blitz durchzuckte sie. Zwar versuchte sie, ihn mit unveränderter Miene anzuschauen, doch sie spürte, wie Röte in ihren Wangen aufstieg. Auch wenn Anno an Einfluss am Hofe verloren hatte, so verstand er es noch immer vorzüglich, sich zu informieren. „Was meint Ihr?“, fragte sie unschuldig.
„Das wisst Ihr genau.“ Seine Hand fuhr über seine eingefallenen Wangen hinab zum sehnigen Hals. „Es ist ein gewagtes Spiel, auf Siegfrieds Hilfe zu hoffen. Er ist selbst für mich nicht mehr leicht zu verstehen. Einst war er – ebenso wie ich – an der notwendigen, reichsrettenden Maßnahme bei Kaiserswerth beteiligt. Zwei Jahre später trat er eine Pilgerreise nach Jerusalem an, zusammen mit den Bischöfen von Utrecht, Regensburg und Bamberg. Siebentausend Pilger sollen es gewesen sein, doch in Palästina wurden sie überfallen, und fünftausend von ihnen wurden grausam abgeschlachtet. Siegfried ist nicht mehr als jener heimgekehrt, als der er aufgebrochen war. Ich habe das Gefühl, er hadert seitdem mit seinem Amt, würde es am liebsten niederlegen. Ich weiß nicht mehr, was in ihm vorgeht. Diesen Siegfried kenne ich nicht. Vielleicht unterstützt er Euch, vielleicht auch nicht. Von der Sache her ist er bestimmt auf Eurer Seite, um die heilige Ehe zu schützen.“ Annos Stirn legte sich in viele dünne Falten. „Jedoch … Er befindet sich gerade mit den Reichsabteien Hersfeld und Fulda im Streit um den Zehnten. Heinrich wird ihm sicherlich seine Hilfe bei den Verhandlungen anbieten. Es tut mir leid, meine Königin, aber Ihr werdet den Brief an ihn wohl umsonst geschrieben haben.“
Bertha neigte ihr Haupt etwas zu Seite, versuchte, in seiner undurchdringlichen Miene zu lesen. „Wie viel ist die Ehe wert, die vor Gott geschlossen wurde? Heinrich ist König von Gottes Gnaden und sollte moralisches Vorbild sein. Sollte es ihm tatsächlich so leicht zugebilligt werden, sich von mir, seinem Weib, grundlos trennen zu können? Ich frage Euch: Werdet Ihr, der Erzbischof von Köln, auf dem Hoftag für mich sprechen?“
Anno faltete die Hände, und seine Daumen rieben unruhig aneinander. Grübelnd nickte er. „Ich habe diese Ehe befürwortet. Andere Kräfte haben sie zu hintertreiben versucht und wollen dies nach wie vor. Ja, ich werde für Euch sprechen.“ Er zuckte die Achseln. „Aber mit welchem Erfolg, das kann niemand vorausahnen.“
Auch wenn er nicht aus Mitgefühl, sondern aus politischem Kalkül für sie Partei ergreifen würde, war sie erleichtert. Wenigstens eine gewichtige Stimme.
„Danke“, hauchte Bertha erleichtert.
Er schlug die Lider kurz nieder, verzog den Mund zur Andeutung eines Lächelns und verließ den Raum.
Bertha hoffte, dass ihre Briefe an weitere Fürsten Anno entgangen waren. Sie musste Tilda unbedingt sagen, dass sie vorsichtiger sein sollte.
* * *
Einige Tage nach dem Osterfest brachen sie in Richtung Mainz auf, um dort das Pfingstfest zu feiern. Anschließend sollte es nach Worms gehen.
Der Hofstaat war ein langer, lärmender, träge fließender Strom von Wagen, Zug- und Reittieren und Menschen. Er wälzte sich über Heereswege, quälte sich durch Furten und zog über Kammstraßen. Die Wege waren oft holprig, und so manches Mal brach ein Rad, oder ein Wagen fuhr sich fest. Der Hof war zudem eine vielköpfige Raupe, die bei ihren kurzen Aufenthalten in Klöstern, Pfalzen oder Königshöfen alles Essbare vertilgte, Schmutz, Unordnung und so manchen Bastard hinterließ.
Die Reisenden kamen durch liebliche, aber auch wilde Landschaften. Manchmal klatschte ihnen eiskalter Regen ins Gesicht, der die Straßen innerhalb kürzester Zeit aufweichte und sie in matschige Pisten verwandelte. In anderen Regionen war der Weg wieder so trocken, dass Staub von den Pferdehufen aufgewirbelt wurde. Einige Straßen waren aber durchaus passabel. Sie kamen an Brachland vorbei, auf dem bald leuchtende bunte Blumen wachsen würden.
Neben dem Brachland befanden sich in Siedlungsnähe oft Felder mit Hirse, Hafer, Dinkel, Weizen und Gerste, doch bis zur mühsamen Ernte würde noch einige Zeit vergehen. Die Äcker waren in schmale Parzellen unterteilt, die von verschiedenen Leibeigenen bearbeitet wurden.
An manchen Stellen fehlte sichtbar Gras. Es war Reisenden erlaubt, für ihre Pferde Futter zu nehmen, soweit sich die Reiter am Wegesrand stehend vorbeugen und mit beiden Armen zugreifen konnten. Jedoch durften sie sich damit nicht bevorraten und auch nicht über ein Feld reiten, denn dies hätte Feldfrevel bedeutet.
Ein paar Bauern prüften auf einem Acker gerade die Getreidepflanzen und zeterten über das wuchernde Unkraut der angrenzenden Feldstücke, das zu ihnen herüberwuchs. Sie waren ärmlich gekleidet, trugen knielange Kittel und Holzschuhe, einige Männer waren barfüßig. Ihre Haare waren kurz geschnitten. Ein paar Bauern hatten Strohhüte auf, die hervorragend vor Sonne wie vor Regen schützten. Sie hielten mit ihrer Arbeit inne und verneigten sich tief vor ihrem König. Ein lauter Jubelschrei kam jedoch nicht über die Lippen, und die mitziehenden bewaffneten Krieger beäugten sie argwöhnisch.
Die meisten Bauern arbeiteten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, und Arend war froh, nicht deren hartes, entbehrungsreiches Leben führen zu müssen. Diese Menschen befanden sich in ständiger Angst: Angst vor Dürre, zu viel Regen, Hagel und Feuer, Angst vor Schädlingen oder marodierenden Räuberbanden. Ihre Herren, denen sie unterstellt waren, konnten sie nur bedingt beschützen, denn Naturgewalten gegenüber waren auch sie machtlos. Gleichwohl waren es nicht gerade selten ihre Herren, die mit ihren törichten, vollkommen nutzlosen Fehden das Elend über ihre Schutzbefohlenen brachten. Denn das Ziel der Gegner war es oft, die Güter und Bauern der anderen zu treffen. Und Fehden gab es reichlich, zumeist wegen geringster Anlässe.
„Dämliches Pack! Die glotzen wie schlachtreife Schafe!“, spie Kuno, der hinter dem König ritt, lauthals aus.
Arend schürzte die Lippen. „Er sollte ihnen Respekt zollen! Ohne deren mühevolle Arbeit wären die Tafeln der Adligen nicht gedeckt!“
Folkmar nickte. „Die meisten Adligen denken, dass die Bauern nicht mehr als Gewürm sind. Doch wenn Gott jeden in dieser Welt an seinen Platz stellt und es somit sein Wille ist, dass sie im Dreck wühlen und uns Adligen zu Diensten sein müssen, so liegt es an uns, sie anständig zu behandeln, nicht wahr? Wenn wir es nicht tun, wird uns dies der Allmächtige später vorhalten.“
Der scharfe Geruch von Rauch zog in ihre Nasen, kündete von siedelnden Menschen. Und tatsächlich tauchte hinter einer weit gestreckten baumreichen Wegbiegung ein Dorf auf. Einige Männer waren gerade dabei, ein Haus zu errichten. Sie schwitzten und keuchten, hielten mit ihrer Arbeit inne und verneigten sich ehrfürchtig vor der vorangetragenen Heiligen Lanze.
Die Häuser des Dorfes waren strohgedeckt und in Holzständerbauweise errichtet, und die Flechtwände waren mit einem Lehm-Stroh-Gemisch verputzt. Winzige Fenster waren in die Wände eingelassen. Im Winter wurden diese mit Stroh zugestopft, oder es wurde ein Pergament oder aber eine Schweinsblase davorgespannt, damit wenigstens noch ein wenig Licht hineingelangte. Zu dieser Jahreszeit jedoch spielte sich der größte Teil des Lebens ohnehin im Freien ab. Die einzelnen Höfe waren mit Flechtzäunen umgeben, und die Bauern hielten sich Hühner, Ziegen, Gänse, Schafe, einige auch Kühe. Der Ordnung halber befanden sich die Misthaufen hinter den Hütten. Vor den Häusern gab es Kräuter-, Gemüse- und Blumenbeete, zumeist als Hochbeete angelegt, weil diese leichter zu pflegen waren und es Schädlinge schwerer hatten.
Neugierige Kinder rannten johlend zu den Reitern, bestaunten mit leuchtenden Augen die Rösser und Waffen. Sicherlich wünschten sie sich, selbst einmal Ritter zu werden, allerdings war dies aufgrund ihrer unfreien Geburt äußerst schwierig – es sei denn, sie zeichneten sich vor den Augen einer hochwohlgeborenen Persönlichkeit durch besondere Tapferkeit im Kampf aus. Aber wenn ein Herr sie nicht in ihre Dienste nahm oder ihnen kein Lehen gab, konnten sie sich die teure Ausrüstung niemals leisten. Schon allein ein Streitross kostete so viel wie zwanzig normale Pferde, und ein hervorragendes Schwert war noch viel teurer. Arend bedauerte sie, ihre Träume würden zerplatzen wie die Blasen auf kochendem Erbsenbrei.
Bei Wind und Wetter ging es jeden Tag voran, es wurden weder Adlige, Geistliche, Krieger, Handwerker noch Knechte geschont. Die Abstände zwischen den Königsgütern waren zumeist so gering, dass sie in Tagesetappen zu erreichen waren.
Die Abende waren erfüllt von mannigfachen Arbeiten, und Arend und sein Knecht verbrachten viel Zeit mit der Pflege der Ausrüstung. Wenn er das Kettenhemd trug, scheuerte sich zwar ein beträchtlicher Teil des sich ansetzenden Rostes weg, aber der Rest musste ständig entfernt werden. Und auch das Leder erwartete seine Portion Fett, um geschmeidig zu bleiben. Gerade der Regen machte nicht nur den Menschen, sondern auch der Ausrüstung schwer zu schaffen.
Arend war nun oft in Berthas Nähe. Sie ließ ihre Ablehnung ihm gegenüber immer mehr fallen, und ihr Blick wurde sanfter. Er glaubte sogar, eine gewisse Zuneigung zu ihm zu entdecken. Dies verstärkte sein Bedürfnis, sie zu beschützen.
Aber er hasste es nach wie vor, gegenüber von Kuno Wache zu stehen so wie jetzt. Dieses Mal herrschte eine ganz besondere Spannung zwischen ihnen. Ständig grinste Kuno ihn herausfordernd an.
„Na, ob deine Königin schon schläft? Wenn der König sich ihrer endlich entledigt, werde ich ihr zeigen, was so ein wahrer Kerl mit einem Weib alles anstellen kann. Ich werde sie so richtig zum Stöhnen und Schwitzen bringen.“ Schäbig grinste er.
Brennender Zorn überkam Arend. „Halt dein Schandmaul!“, zischte er.
Kuno zog fast erfreut über die ungewohnte Replik die Augenbrauen empor. „Was hast du dämlicher Sachse da gesagt?“
„Du sollst deine dämliche Klappe halten!“
„Oh, du magst meine derben Sprüche über Bertha wohl nicht. Lass mich sehen, was fällt mir noch ein: Sie ist nach meinem Geschmack zu groß, zu mager und ein wenig zu flachbrüstig. Aber ich werde sicher noch Gelegenheit bekommen, ihr die Kleider vom Leib zu reißen, um selbst nachzuschauen.“
„Zum letzten Mal: Halt dein Maul!“
Kuno stellte ein widerliches, geiferndes Grinsen zur Schau. „Würdest wohl gern selbst mal einen bei ihr wegstecken …“
Zorn vernebelte Arends Sinne. Er lehnte mit einer schnellen Bewegung sein Schwert gegen die Wand und sprang auf Kuno zu, prügelte heftig auf ihn ein. Der Franke schmetterte ihm seine Faust in die Nierengegend, ein weiterer Schlag verfehlte Arends Gesicht nur knapp. Dieser holte aus und brach dem Franken mit Wucht das Nasenbein.
Wütend stürmte Heinrich auf den Gang, eine Decke um sich geschlungen. „Aufhören! Verdammt noch mal, was ist hier los?“, brüllte er.
Arend zog sich schnaufend von Kuno zurück, der sich beide Hände vor das Gesicht hielt, weil das Blut munter hervorsprudelte.
Heinrich betrachtete sie beide mit kalter Neugier. „Du hast dich von dem Sachsen schlagen lassen?“ Er stieß einen abfälligen Ton hervor. „Du stehst vor meiner Tür, und ich erwarte, dass du dich jeglichem Angreifer gegenüber behaupten kannst! Das war eine schwache Vorstellung. Ich verlange, dass du dich mehr im Kampf übst, damit du ihm gewachsen bist! Enttäuschend … Geh und schicke Benno zu mir! Danach kannst du dich zum Wundheiler begeben.“ Der König bedachte Kuno mit einem letzten strafenden Blick und zog sich in sein Gemach zurück.
Arend, der seine vom Schlag lädierte Hand vorsichtig massierte, war verblüfft. Er konnte kaum glauben, weder bestraft noch gescholten worden zu sein.
Kunos Flüche erstickten im Blut. Der König hatte ihn vor seinem Feind gedemütigt! In seinen Augen flammte das Versprechen bitterer Rache auf, dann wandte er sich ab und eilte davon.
In den nächsten Tagen war Heinrich oft gereizt und gleichzeitig betrübt. Dann meinte Arend, den Grund dafür zu kennen: Sein üppiges Kebsweib Trude war verschwunden. Bertha hatte sich lästerlich vernehmen lassen, dass die Konkubine wohl – trotz der vielen Kräutertränke, die sie in sich hineingekippt hatte, und des Einführens von getränkten Schwämmen und anderen Dingen in ihren Schambereich, um sich vor einer Schwangerschaft zu schützen – ein Kind erwartete. Sicherlich war sie in eines der zahlreichen Reichsklöster gebracht worden, wo ihr der Säugling gleich nach der Entbindung fortgenommen werden würde. Das Kind würde in grenzenloser Ahnungslosigkeit aufwachsen. Ein Fluch … oder ein Segen, je nachdem, wie man es betrachtete. Vielleicht würde es eine weitere verlorene Seele in dieser gnadenlosen Welt sein.
Doch Heinrich verblüffte Arend noch auf eine andere Weise: Überall, wo sie übernachteten, kümmerte er sich um das Wohl der Kranken, Armen, Witwen und Waisen. Bisweilen schickte er sogar seinen eigenen Heiler zu ihnen. Oft betete er in Kirchen, zeigte sich fromm und mitunter sogar aufopfernd. Und dies schien er nicht vorzuspielen, nein, es loderte aus seinem Inneren heraus. Auch scheute er sich nicht, unterwegs anzuhalten und sich die Klagen der Armen anzuhören. Er drückte ihnen Brot und ab und zu auch ein wenig Silber in die Hände. Einem vollkommen verdreckten Bettler gab er sogar aus seiner eigenen Feldflasche zu trinken. Arend konnte diesen Menschen immer weniger begreifen. Der König hatte so viele überraschende Facetten, und es war manchmal schwer für Arend, das Bild des Tyrannen aufrechtzuerhalten. Dann wiederum schlug der König Diener wegen der geringsten Anlässe, und wenn er Gericht hielt, waren seine Strafen zumeist hart. Einen Dieb, der einen alten Klepper des königlichen Trosses gestohlen hatte, ließ er unmittelbar nach dessen Ergreifung an der nächsten Eiche aufhängen.