Читать книгу Königin im Schatten Gesamtausgabe - Iris Hennemann - Страница 18
Kapitel 9
ОглавлениеIn der Nähe von Worms, Juni 1069
Graue finstere Wolken entließen kalte Tropfen, dick wie Tränen. Sie träufelten von den Blättern der Bäume, sammelten sich auf den Wegen und bildeten große Pfützen, in denen sich der trübe Himmel spiegelte.
Bertha hatte den Vorhang des Wagens beiseitegeschoben und betrachtete wehmütig den fallenden Regen. Auch ich werde bald fallen. Sie spürte Tränen hinter ihren Lidern, denn sie sah ihre Ehe und ihren Status als verloren an. Heinrich würde den hohen Herren für ihre Unterstützung bereits beträchtliche Geschenke zugesagt haben. Was dagegen hatte sie zu bieten? Sie konnte nur auf die Uneinigkeit im Reich hoffen und auf Heinrichs Unbeliebtheit. Er hatte einigen der Herren oftmals gewaltig auf die Füße getreten. Doch würden sie nicht vielleicht auf eine lohnendere Gelegenheit warten, um ihre Maske abzunehmen und sich gegen ihn zu stellen?
In Mainz, wo das Pfingstfest gefeiert worden war, hatte Bertha bereits einen Vorgeschmack auf die ihr fehlende Unterstützung bekommen: Erzbischof Siegfried hatte sich ihr permanent mit fadenscheinigen Ausflüchten entzogen. All die vielen heimlichen Briefe an ihn hatten nichts genützt. Der Gedanke an den Hoftag in Worms schwebte wie das Schwert des Damokles über ihrem Haupt.
Ein Trost war ihr Arends Verbundenheit. Wie ein unerschütterlicher Fels stand er vor ihrer Tür und begleitete stets wachsam ihren Wagen. Auch jetzt ritt er neben ihr her, da der etwas breitere Weg dies gestattete.
Er schenkte ihr ein verstohlenes Lächeln, und sie erwiderte es. Sie war stolz darauf, dass er bei den anderen Kriegern überaus gefürchtet war. Auch wenn er ein stiller Geselle war, verweigerte er sich selten einem Zweikampf und war stets siegreich. Wenn er die Waffen schwang, erwachte in ihm ein Zorn, ein Siegeswille, der ansonsten in ihm verborgen war. Manchmal wurde er so rasend und sogar brutal, dass er von den Umherstehenden abgehalten werden musste, die Übungskämpfe nicht bis zum Äußersten ausarten zu lassen. Die Kriegsknechte und Ritter – bis auf Kuno – zollten ihm Respekt, gingen ihm aber aus dem Weg, und dies mehrte auch Berthas Ruhm, da er ihr Leibwächter war.
Sein Blick sprach ihr gegenüber in geheimen Momenten mittlerweile offen von Liebe, und auch ihre Zuneigung zu ihm wuchs, sie wollte geliebt werden und nicht dieses unnütze Stück sein, das bald in einer Klosterzelle verrotten würde. Und manchmal, ja, manchmal in einsamen Nächten, wünschte sie sich sogar seine Umarmung … ein wenig Wärme in dieser kalten, rüden Welt.
„Ein schreckliches Wetter!“, schimpfte Tilda. Sie hatte sich vorgelehnt und schaute ebenfalls hinaus. Ihr Blick wanderte von den Wolken hin zu Arend, der sich gerade die Kapuze seines dunkelbraunen Reisemantels über den Kopf zog. Ihr war Arends Verliebtheit nicht entgangen und auch Berthas Sympathie für ihn nicht. Sie kannte ihren Schützling gut, hatte die Königin seit ihrer Geburt umhegt. Bisher hatte sie keine Silbe darüber verloren, doch ihre besorgten, mahnenden und vorwurfsvollen Blicke waren eindeutig.
Als der Wagen durch ein tiefes Schlagloch fuhr, wurde Bertha gegen Ada und Imma geworfen. Imma war ganz blass. Sie mochte das Fahren nicht, und ihr wurde rasch übel. So war sie nun noch magerer geworden, da sie sich mit dem Essen zurückhielt.
„Hoffentlich sind wir bald da“, sagte sie mit einem sehnsuchtsvollen Unterton. Mit ihren dürren Händen stützte sie sich an Sitz und Seitenwand des Wagens ab. Nein, ein angenehmes Reisen war es nicht. Bertha hätte viel lieber auf einem Pferd gesessen als in diesem rumpelnden Kasten.
„Dann hat es ein Ende. Auch für euch“, bemerkte Bertha, meinte dabei aber nicht die Reise, sondern deren bisheriges Leben.
Aufmunternd lächelte Tilda ihr zu. „Habt Vertrauen, meine süße Königin.“
Bertha rang sich ein müdes Lächeln ab.
Auch ihre Tante Imula lächelte ihr zu. „Der Herr wird schon alles richten, mein Kind. Du wirst schon sehen!“
Nach einer lang gestreckten Kurve endete der Wald, und in der Ferne kam Worms in Sicht – die uralte Stadt, von der man sich erzählte, dass dort bereits Kelten, Römer und Germanen gesiedelt hatten. Selbst Karl der Große hatte oft im Winter dort verweilt. Bertha fühlte Ehrfurcht vor diesem alten Ort, der überaus günstig an wichtigen Land- und Wasserstraßen lag. Beim Anblick dieser Stadt am Rhein wäre sie am liebsten aus dem Wagen gesprungen und fortgelaufen, aber es hätte nichts geändert. Hier würde über ihr Schicksal entschieden werden.
Sogar außerhalb der Mauern befanden sich Zeltlager, denn Worms konnte die vielen Teilnehmer und Besucher des Hoftages nicht fassen. Auch zahlreiche Händler waren angereist, um von diesem Ereignis zu profitieren. So war Worms ein lärmender, vor Menschen überquellender, stinkender Koloss. Den Wirtshäusern, Handwerkern, Badehäusern und Garküchen würde der Hoftag hingegen viel Geld in die Kassen spülen.
Der Einzug in Worms ging recht schleppend voran. Heinrich war außergewöhnlich beliebt in dieser Stadt. Hier hatte er seine Schwertleite bekommen, hielt sich seitdem gern und des Öfteren in Worms auf und zeigte sich stets großzügig. Ihm schlugen ohrenbetäubender Jubel und Hochrufe entgegen. Bertha sank in sich zusammen, denn sie fühlte sich von diesem freudigen Jauchzen verspottet. Weit lehnte sie sich zurück, verschränkte schützend die Arme vor der Brust und konnte sich nicht überwinden, den Menschen zuzuwinken.
Sie bezogen Quartier in der Pfalz, und dort begrüßte sie Bischof Adalbert I., den die Wormser hassten, weil er dem König nicht wohlgesonnen war. Bertha bekam wieder ein Gemach abseits zugeteilt. Heinrich mied sie, zeigte sich nicht an ihrer Seite und ließ ihr sogar das Essen in ihrem Raum servieren. Angeblich hatte er ihre Abwesenheit spöttelnd damit entschuldigt, dass sie unter Kopfschmerzen litt. Sie haderte mit sich selbst, ob sie nicht einfach mit vorgetäuschtem Frohmut zum Mahl erscheinen sollte, aber dies wäre sicherlich nur weiterer Zunder für seine Scheidungspläne. So blieb sie in ihrem düsteren Gemach und schob mit dem Messer lustlos das fetttriefende Fleisch auf dem Holzteller umher. Ihre Tage waren gezählt. Nichtsdestotrotz schickte sie Tilda mit Nachrichten zu den Quartieren einiger Reichsfürsten. Bald würde sie erfahren, ob sie es in deren Augen wert war, für sie die Stimme zu erheben – und wenn sie es nur aus dem einen Grunde täten, um gegen Heinrich zu sein.
* * *
Arend wartete vor dem Wormser Dom in der Nähe des verschlossenen Tores, hinter dem der Hoftag abgehalten wurde. Er empfand Ehrfurcht vor diesem Bau, von dem man sich erzählte, dass hier einst ein römisches Forum gestanden hatte. Vor ungefähr vierhundert Jahren hatte die berühmte Königin Brunichilde, Witwe des Königs Sigibert von Austrasien, an diesem Ort eine bedeutende Kirche errichten lassen. Spuren davon gab es keine mehr, da vor ungefähr siebzig Jahren Bischof Burchard von Worms damit begonnen hatte, ein neues, großes Gotteshaus erbauen zu lassen. Arend hatte sich den Dom bereits mehrmals von innen angeschaut, war äußerst beeindruckt gewesen von der schönen Bemalung der Holzbalkendecke und den kostbaren Leuchtern und Messgefäßen. Auch mit Vergoldungen hatte man wahrlich nicht gespart. Für Heinrich war diese Basilika sicherlich sehr bedeutend, da einige seiner Verwandten ihre letzte Ruhestätte hier gefunden hatten.
Neben Arend drängelten sich zahlreiche Gefolgsleute, die keinen Einlass gefunden hatten. Arend mochte solch ein Gewühl nicht, in dem man ständig angerempelt wurde, den schlechten Atem der anderen oder deren beißenden Schweiß ertragen musste. In ihm erwachte eine latente Aggressivität, die sich bei jedem unachtsamen Ellenbogenhieb steigerte. Er war ohnehin schon nervös, denn heute sollte sich entscheiden, was mit Bertha geschehen würde. Heinrich hatte bereits Gericht gehalten und Reden an seine kirchlichen und weltlichen Fürsten gerichtet. Danach hatte er einen Boten zu Bertha geschickt und ihre Anwesenheit verlangt. Arend hatte ihr Mut zugesprochen und sie in die Kirche geführt, dabei ganz deutlich ihre Furcht gespürt. Bei ihrem Eintreten war das empörte, aufgebrachte Stimmengewirr schlagartig verstummt, und aller Augen hatten sich auf sie gerichtet. Der König hatte Arend hinausbefohlen, und nun stand er hier im Gedränge, lehnte an der Kirchenmauer, die Arme vor der Brust verschränkt, und wippte mit dem Fußballen nervös auf und ab. Er konnte die Spannung kaum ertragen. Die Männer um ihn herum tuschelten, manche Anmerkungen waren gehässig und äußerst herablassend.
Die Zeit kroch dahin, und der Sachse wurde immer ungeduldiger. Er wünschte Bertha, dass sie ihre Stellung nicht verlor und gegen Heinrich obsiegte, andererseits … wäre sie dann frei. Vielleicht sogar frei für ihn, wenngleich sein Adel nicht so bedeutend war wie der ihrige. Aber er würde sie glücklich machen können. Dies war es, was er für sich ersehnte.
Endlich wurde das prächtige Tor geöffnet, und Bertha trat mit versteinertem, starr nach vorn gerichtetem Blick heraus. Ihre Schritte waren forsch oder fluchtartig, so genau konnte Arend es nicht beurteilen. Er bahnte ihr einen Weg durch die Menge und geleitete sie in die Pfalz bis zu ihrem Gemach, vor dem er Stellung bezog. Hinter der Tür herrschte sogleich ein aufgeregtes Stimmgewirr. Die Dienerinnen bestürmten sie mit Fragen, klangen wie aufgeregte Hühner, die einen Fuchs entdeckt hatten. Dann erbat sich Bertha Ruhe und berichtete. Arend presste sich gegen die Wand, ganz nahe bei der Tür, versuchte, jedes Wort aufzuschnappen. Das Holz der Tür war glücklicherweise nicht so dick und der Spalt darunter recht groß. Und da ansonsten Ruhe im Gebäude herrschte, konnte er die Frauen gut verstehen.
„Erzählt bitte!“, bat Tilda ungeduldig.
Bertha hustete sich kurz die Stimme frei. „Heinrich hat all seinen Fürsten verkündet, dass er sich von mir trennen will. Aber stellt euch vor, er hat tatsächlich zugegeben, dass er dieses nicht tun wolle, weil er mir Ehebruch vorwerfen könnte, sondern weil er das Zusammenleben mit mir nicht ertrüge. Er bezeichnete unsere Ehe als ‚unerträgliche Last’. Dieser ‚Missstand’ – so hat er es genannt – würde sein Denken und Handeln beeinträchtigen und seine Energie von den wichtigen und anstehenden Geschäften des Reiches ablenken. Könnt ihr euch vorstellen, wie ich mich gefühlt habe? Wie das schlechteste Weib auf Erden, hässlich, unscheinbar und gleichzeitig wie eine Xanthippe. Die Blicke der Fürsten waren durchaus fragend oder bohrend. Ja, warum ist sie denn nicht fähig, ihn glücklich zu machen? Ihn, der so viele Weiber in sein Bett holt – und dieses Weib dort meidet er … Es war furchtbar. Ich konnte meine Fassung bewahren, aber glaubt mir, am liebsten wäre ich tot umgefallen. Daraufhin hat Heinrich allen erzählt, dass ich noch unberührt und somit ohne Fehl und Tadel sei. Ich bin fast vor Scham gestorben, da er über unser nicht vorhandenes Liebesleben so öffentlich gesprochen hat. Andererseits hat mich Heinrich dadurch seltsamerweise in Ehren gehalten. Aber wahrscheinlich nur, um sogleich hinzuzufügen, dass ich somit eine neue Ehe eingehen könne. Da kam ich mir vor wie ein Stück Vieh, das er zu verschachern gedenkt …“
„Die Fürsten, was haben die Fürsten gesagt?“, unterbrach Ada aufgeregt.
„Die Fürsten …“, begann Bertha, doch dann herrschte für ein paar Herzschläge lang Stille. „Die Reaktionen der Fürsten waren anders, als Heinrich es sich erhoffte. Zuerst verschlug es vielen von ihnen den Atem, doch dann brach eine heftige Debatte aus. Die meisten empörten sich, meinten, seine Forderung sei eine Ungeheuerlichkeit, und noch kein König vor ihm hätte so etwas verlangt. Hiernach sollte ich sprechen. Selbstverständlich beharrte ich auf meiner Stellung und die Heiligkeit der Ehe. Ich versicherte, dass ich ein getreues Weib bin und mir Heinrichs Zuneigung wünsche.“ Sie lachte kurz. „Natürlich trug ich dieses sehr emotional vor und vergoss auch ein paar Tränen, verbiesterte Anklagen hätten mich nicht weitergebracht.“
„Wie wurde entschieden?“, wollte Ada wissen.
„Nun, die Fürsten weigerten sich, eine Entscheidung zu fällen. Stattdessen beauftragten sie Erzbischof Siegfried von Mainz, nach Rom zum Papst zu reisen und dessen Urteil zu erbitten. Im Herbst soll eine Synode in Frankfurt zusammentreten, um diesen Fall weiter zu verhandeln“, sagte Bertha.
„Es ist also noch nichts geklärt?“, warf Imma mit ihrer hohen Stimme ein.
„Nein“, bestätigte Bertha.
„Wie hat sich Heinrich verhalten?“, wollte Tilda wissen.
„Er beugte sich zerknirscht diesem Fürstenspruch.“, erklärte Bertha.
Arends Mundwinkel schnellten empor. Sie war noch die Königin! Und Papst Alexander II. stand nicht gerade in gutem Einvernehmen mit dem König, weil sie unterschiedliche Ansichten über ihre Machtstellungen besaßen.
Bertha klang im weiteren Gespräch einigermaßen gut gelaunt, doch dies änderte sich blitzartig, als ein Bote des Königs erschien und ihr mitteilte, dass sie Heinrich bis zur Synode in Frankfurt nicht mehr unter die Augen treten und sich bis dahin ins Kloster Lorsch zurückziehen sollte.