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Israel

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Genesis 32f

Über zwanzig Jahre lebte Jakob

bei seinem Onkel in Haran.

Er war inzwischen

ein wohlhabender Mann.

Seine Kinder wuchsen heran.

Und auch die Zahl seiner Tiere

wurde mit jedem Jahr größer.

Aber mit jedem Jahr

wuchs auch sein Heimweh.

Seit seiner Flucht hatte Jakob

nichts mehr von seinen Eltern gehört.

Er wusste nicht einmal,

ob ihm Esau noch grollte.

Schon längst wäre Jakob gerne

in seine Heimat zurückgekehrt,

aber Laban hielt ihn immer noch

wie einen Knecht bei sich fest.

Eines Nachts aber

sprach Gott zu Jakob im Traum:

„Ich bin der Gott,

der dir in Bethel erschienen ist.

Nun mach dich auf!

Zieh wieder heim.

Ich will mit dir sein.“31,13

Da sammelte Jakob heimlich

seine Frauen und Kinder um sich,

auch seine Knechte und Mägde

und alle Tiere, die er erworben hatte,

und machte sich auf den Weg.31,17ff

Viele Wochen war er unterwegs.

Seine Herden kamen nur langsam voran.

Endlich zeigten sich in der Ferne

die Berge von Kanaan.

Aber je näher Jakob herankam

desto mehr fürchtete er sich

vor dem Zorn seines Bruders,

den er so übel betrogen hatte.

Da schickte Jakob Boten voraus

und trug ihnen auf:

„Geht zu Esau und richtet ihm aus:

Jakob, dein Bruder, kehrt heim.

Er will sich mit dir versöhnen.“

Aber die Boten kamen

nach wenigen Tagen wieder zurück.

Sie meldeten Jakob:

„Dein Bruder zieht dir

mit 400 Mann entgegen.“32,4ff

Als Jakob das hörte,

wurde ihm angst und bange.

In aller Eile teilte er

seine Herden in zwei Lager,

um wenigstens einen Teil

vor Esaus Männern zu retten.

Danach warf er sich auf die Erde,

betete und schrie zu Gott:

„Du Gott Abrahams

und Gott Isaaks, meines Vaters!

Hast du nicht gesagt:

Zieh wieder heim?

Hast du mir nicht versprochen:

Ich will mit dir sein?

Ach Herr,

du hast mir so viel Gutes erwiesen.

Ich weiß, ich bin es nicht wert.

Ich hatte nur diesen Wanderstab,

als ich dies Land verließ.

Doch nun sind aus mir

zwei große Lager geworden.

Ich bitte dich, Herr:

Rette mich vor meinem Bruder!

Ich habe große Angst.

Sicher will er mich töten,

mitsamt meiner Familie.“32,8ff

Danach stellte Jakob eilig

ein Geschenk für Esau zusammen:

200 Ziegen und 20 Böcke,

200 Schafe und 20 Widder,

30 Kamele mit ihren Füllen,

40 Kühe und 10 Stiere,

20 Eselinnen und 10 Esel.

Und er befahl seinen Knechten:

„Geht uns voraus

und bringt die Tiere zu Esau.

Und wenn er euch fragt:

Wer schickt euch?

Wem gehören die Tiere?,

dann antwortet ihm:

Es ist ein Geschenk deines Bruders.“

Denn Jakob dachte bei sich:

Vielleicht kann ich Esau

mit diesem Geschenk versöhnen.32,14ff

So zog Jakob Esau entgegen.

Nur noch der Grenzfluss Jabbok

trennte ihn von seinem Bruder.

Voll Angst und Sorge dachte er

an den kommenden Tag,

an dem er Esau begegnen würde.

Schon brach die Nacht herein.

Da führte Jakob

seine Frauen und Kinder

durch eine Furt zum anderen Ufer.

Er selbst aber blieb allein

am Jabbok zurück.32,23ff

Doch plötzlich –

Jakob zuckte zusammen –

stand eine dunkle Gestalt vor ihm.

Sie sprang ihn an,

stürzte sich auf ihn

und hielt ihn im Griff.

Jakob wehrte sich.

Er schlug um sich,

krallte sich fest.

Da schlug der andere zu.

Er traf seine Hüfte.

Jakob spürte einen stechenden Schmerz.32,25f

Schon dämmerte es.

Ein neuer Morgen brach an.

Da dämmerte auch Jakob,

wer mit ihm gerungen hatte:

War es ein Engel Gottes?

Oder war es etwa Gott selbst?

„Lass mich gehen!“, sprach dieser.

„Die Morgenröte bricht an.“

Aber Jakob hielt ihn fest.

„Nein, ich lasse dich nicht.

Segne mich erst!“32,27

Er aber fragte:

„Wie heißt du?“

„Jakob heiße ich.“

Da sprach er:

„Ab heute sollst du

einen neuen Namen bekommen.

ISRAEL, ‚Gotteskämpfer‘,

soll man dich nennen.

Denn du hast mit Gott

und mit Menschen gekämpft –

und hast den Kampf bestanden.“

„Aber wie heißt du?“,

fragte Jakob zurück.

„Warum fragst du mich danach?“,

sprach jener.

Und er segnete Jakob.32,28ff

Da nannte Jakob den Ort Pnuël,

das heißt Angesicht Gottes.

Denn so sprach er:

„Ich habe Gott von Angesicht gesehen.

Und doch blieb mein Leben bewahrt.“

Nun hatte er Mut,

seinem Bruder entgegenzugehen.32,31

In diesem Augenblick

ging Jakob die Sonne auf.

In der Ferne sah er Esau

mit seinen Männern kommen.

Schnell stellte er Frauen und Kinder

in Reih und Glied auf.

Er selbst aber ging ihnen voran.

Getroffen vom Schlag auf die Hüfte

zog er hinkend Esau entgegen.

Siebenmal verneigte er sich

vor seinem Bruder bis auf die Erde.

Doch Esau eilte auf ihn zu,

fiel ihm um den Hals,

küsste ihn und weinte vor Freude.

Da brach auch Jakob in Tränen aus.

Nun glaubte auch er:

Sein Bruder hatte ihm alles vergeben.

Gott hatte sie miteinander versöhnt.33,1ff

Als aber Esau die Frauen und Kinder sah,

fragte er Jakob verwundert:

„Wer sind diese?

Und was bedeuten die vielen Tiere,

die du mir entgegen geschickt hast?“

„Die Tiere sind mein Geschenk.“

Doch Esau entgegnete:

„Behalte deine Tiere für dich.

Ich habe selbst genug.“

„Aber nein!“, entgegnete Jakob.

„Ich bitte dich herzlich:

Nimm mein Geschenk an!

Denn wie das Angesicht Gottes,

so freundlich blickst du mich an.“33,5ff

Danach trennten sich beide in Frieden.

Esau kehrte ins Südland zurück,

Jakob aber zog von dort aus

weiter nach Bethel,

wo Gott ihm vor Jahren erschienen war.

Dort befahl er seinen Leuten:

„Holt eure Festkleider hervor.

Trennt euch von anderen Göttern,

die ihr noch heimlich verehrt.“

Darauf baute er in Bethel einen Altar,

wie er vor Jahren gelobt hatte.28,22

So dankte er seinem Gott,

der ihn sicher an diesen Ort

zurückgeführt hatte.33,1ff

An diesem Tag

erneuerte Gott sein Versprechen:

„Jakob heißt du.

Aber nicht mehr Jakob,

sondern Israel soll man dich nennen.

So soll das ganze Volk heißen,

das von dir abstammt.

Ich, der Allmächtige, bin euer Gott.

Darum vermehrt euch!

Werdet ein großes Volk!

Dieses Land will ich dir

und deinen Nachkommen geben.“35,10ff

Da ließ sich Jakob

im Land Kanaan nieder,

samt allen, die zu ihm gehörten.

Und Jakob suchte Frieden

mit allen Bewohnern des Landes.35,5

Diese Szene beschreibt die zweite Nachterfahrung in Jakobs Leben. In ihr offenbart sich Gott Jakob aufs Neue, aber ganz anders als zuvor in Bethel (28). Buchstäblich überwältigend ist diese Begegnung, in der ihm Gott in den Weg tritt, erschreckend fremd und zugleich tröstlich nah. Wie ein Feind überfällt er ihn, oder wie ein Dämon, der im Fluss auf die Reisenden lauert. Erst im Rückblick, im Licht des anbrechenden Tages, wird offenbar, wer mit Jakob gerungen hat. Gott will nicht, dass Jakob gedankenlos der Begegnung mit dem Bruder entgegenstolpert. Dazwischen steht die schwere Schuld Jakobs, die auch nach zwanzig Jahren nicht verjährt ist. Der nächtliche Kampf zeigt an: Allein Gott kann diese Schuld aufheben. Jakob erfährt dies im Ringen mit Gott schmerzlich und heilsam zugleich. Nicht als stolzer Sieger geht er aus dem Kampf hervor, sondern als einer, der von Gott empfindlich verletzt worden ist (Jakob hinkt an seiner Hüfte!). Aber dennoch lässt er Gott nicht los, sondern klammert sich an ihn: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ (32,27).

Das ist die Erfahrung des neuen Tages, die Jakob nach der Todeserfahrung der Nacht neu ins Leben zurückholt: Gott segnet den Verletzten. Aber dieser Segen unterscheidet sich von allem, was Jakob bisher als Gottes Segen empfangen hat: Weder seine Privilegien, die er seinem Bruder abgekauft hat, noch sein materieller Besitz, nicht einmal sein Kinderreichtum zeichnen ihn als Gesegneten aus, sondern allein Gottes Vergebung, die Jakob trotz seiner Schuld am Leben erhält und die ihn zum Segensträger für andere macht. Gott nimmt Jakob den alten Namen, der mit Schuld behaftet ist (Jakob – der Betrüger!) und gibt ihm den neuen Namen Israel, der ihn als Stammvater jenes Volkes ausweist, das Gott vor allen Völkern gesegnet hat.

So kann Jakob dem Bruder entgegengehen, nicht als einer, der mit Reichtum gesegnet ist und seinen Reichtum stolz vor sich herträgt, sondern als einer, der vom Kampf mit Gott gezeichnet ist. Dabei macht Jakob die wunderbare Erfahrung, dass Gott den Bruder ohne sein Zutun schon zur Versöhnung bereit gemacht hat.

Was für eine Geschichte! Mit ihr hat sich Israel zu allen Zeiten daran erinnert, worauf seine wahre Identität beruht. Es ist allein Gottes Gnade, die Jakob und seine Nachkommen trotz eigener Schuld zu Segensträgern für die Völkerwelt macht und Versöhnung schafft, wo, menschlich gesehen, keine Versöhnung mehr möglich scheint.

Neukirchener Bibel - Das Alte Testament

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