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Josef und seine Brüder | Genesis 37–50 Josef

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Genesis 37

Dies ist die Geschichte von Josef,

dem Sohn Jakobs, den ihm Rahel gebar.

Jakob liebte Josef über alles,

mehr als alle anderen Söhne,

weil er der Sohn Rahels war

und ihm noch im Alter geboren war.

Sein Vater Jakob schenkte ihm

ein prächtiges Gewand,

einen bunten Ärmelrock,

der ihn vor allen Brüdern hervorhob.

Als aber die Brüder sahen,

dass ihr Vater ihn mehr liebte als sie,

begannen sie ihren Bruder zu hassen.37,3f

17 Jahre alt war Josef,

da schickte ihn sein Vater Jakob

zu den großen Brüdern aufs Feld,

damit er ihnen zur Hand ging.

Aber Josef erzählte dem Vater alles,

was seine Brüder dort anstellten.

Das ärgerte die Brüder sehr.

Und sie fanden für Josef

bald kein freundliches Wort mehr.37,2.4

Einmal hatte Josef einen Traum,

den erzählte er seinen Brüdern.

„Hört, was ich geträumt habe:

Ich sah im Traum ein Kornfeld vor mir.

Das Korn war geschnitten

und wir banden es

in Garben zusammen.

Jeder von uns band eine Garbe.

Aber meine Garbe war die größte.

Sie stand in der Mitte.

Alle eure Garben

verneigten sich vor meiner Garbe.“

„Unerhört!“, riefen die Brüder empört.

„Willst du denn über uns herrschen?

Glaubst du etwa,

du seist unser König?“

Und sie hassten Josef noch mehr.37,5ff

Nicht lange danach hatte Josef

noch einen Traum.

Auch den erzählte er dem Vater

und seinen Brüdern.

„Stellt euch vor“, sagte Josef,

„Sonne, Mond und elf Sterne

kamen vom Himmel herab

und verneigten sich vor mir.“

„Was für ein Traum!“,

schalt ihn sein Vater.

„Sollen wir denn kommen

und vor dir niederfallen,

dein Vater, deine Mutter

und deine elf Brüder?

Was bildest du dir ein?“

Aber im Stillen dachte Jakob:

Ich will mir den Traum merken.

Wer weiß, vielleicht hat Gott

wirklich Großes mit Josef vor?37,9ff

– – –

Eines Tages rief Jakob

seinen Sohn Josef und bat ihn:

„Geh und such deine Brüder.

Sie hüten die Schafe bei Sichem,

ein paar Tagereisen von hier.

Ich mach mir Sorgen um sie.

Frag sie, ob es ihnen gut geht.

Komm danach wieder zurück

und gib mir Bescheid.“37,12ff

Da zog Josef sein buntes Gewand an,

das kostbare Ärmelgewand,

und machte sich auf nach Sichem,

um seine Brüder zu suchen.

Die aber waren längst weiter gezogen.

Endlich fand sie Josef bei Dotan.37,17

Doch als Josef noch ferne war,

sahen ihn seine Brüder kommen.

„Seht her!“, riefen sie.

„Da kommt ja der Träumer!

Jetzt ist er in unserer Gewalt.

Kommt, wir schlagen ihn tot

und werfen ihn in eine Zisterne.

Wir sagen einfach:

Ein wildes Tier hat ihn gefressen.

Dann wollen wir sehen,

was seine Träume wert sind!“

„Nein, tötet ihn nicht!“,

warnte Ruben, der älteste Bruder.

„Werft ihn lieber lebendig

in diese leere Zisterne hier!

Aber vergreift euch nicht an ihm!“

Denn Ruben wollte Josef

dem Vater heil zurückbringen.37,18ff

Da fielen die Brüder über Josef her,

rissen ihm sein Gewand vom Leib,

sein prächtiges Ärmelgewand,

das er anhatte, packten ihn

und warfen ihn in die leere Zisterne.

Josef weinte und schrie.

Er flehte die Brüder an.42,21

Sie aber hörten nicht auf ihn.

Ungerührt setzten sie sich

auf die Erde und aßen ihr Brot.37,25a

Als sie aber aufschauten,

sahen sie eine Karawane kommen,

Händler mit Kamelen, voll beladen,

die auf dem Weg nach Ägypten waren.

Da sagte Juda zu seinen Brüdern:

„Was bringt es uns,

wenn wir Josef töten?

Kommt, wir verkaufen ihn lieber.

Dann klebt kein Blut

an unseren Händen.

Aber Josef sind wir trotzdem los.“37,25

Da zogen sie Josef aus der Grube

und verkauften ihn an die Händler.

Zwanzig Silbermünzen nahmen sie

als Preis für den Bruder,

ihren eigenen Bruder!37,28w

Ruben aber war nicht dabei,

als die Brüder Josef verkauften.

Als er gegen Abend zurückkam,

war die Zisterne leer.

Da zerriss Ruben sein Gewand.

Verzweifelt rief er: „Josef ist weg!

Was soll ich nur machen?“

Die Brüder überlegten nicht lange.

Sie schlachteten einen Ziegenbock,

nahmen Josefs Gewand,

das prächtige Ärmelgewand,

tauchten es in das Blut

und übergaben es einem Knecht.

Der brachte es dem Vater und sagte:

„Dies haben deine Söhne gefunden.

Sieh selbst,

ob es Josef gehört oder nicht.“37,29ff

Als aber Jakob das Gewand sah,

schrie er laut auf:

„Josef ist tot! Josef ist tot!

Ein wildes Tier hat ihn zerrissen.“

Und Jakob zerriss sein Gewand

von oben bis unten,

band einen Sack um die Hüften,

warf sich auf die Erde,

weinte und klagte.37,33f

Viele Tage und Nächte

lag er so da.

Vergeblich versuchten ihn

seine Söhne und Töchter zu trösten.

Doch Jakob ließ sich nicht trösten.

„Lasst mich!“, rief er.

„Wozu soll ich noch leben?

Alle Freude ist für immer dahin.

Ich will um Josef weinen,

bis ich vor Gram sterbe

und bei meinem Sohn bin.“37,35

So trauerte Jakob um Josef,

seinen geliebten Sohn.

Hilflos sahen seine Söhne zu,

wie sich ihr Vater grämte.

Doch niemand verriet dem Vater,

was wirklich geschehen war.

Mit der Josefserzählung beginnt ein neues Kapitel in der Vätergeschichte. Sie erzählt von der furchtbaren Tragödie, die sich in Jakobs Familie abzeichnet. Kaum scheint die Segensverheißung erfüllt, wird sie bereits wieder radikal infrage gestellt. Jakobs Kindersegen bringt der Familie keinen Segen, sondern Eifersucht und unversöhnlichen Hass, der am Ende die ganze Familie und ihre Zukunft zu zerstören droht. Gleich mit der ersten Erzählung stellt sich unausgesprochen die Frage: Wer ist schuld am Zerbruch dieser Familie? Die Antwort, die hier erzählend entfaltet wird, lautet kompromisslos: Keiner der beteiligten Menschen ist von Schuld ausgenommen – weder der Vater, denn seine Vorliebe für Josef schafft Eifersucht; noch Josef, denn sein Verhalten muss die Brüder reizen; noch die Brüder, denn sie sind bereit, ihren eigenen Bruder zu töten und vorsätzlich ihren Vater zu täuschen. Eine Verkettung von Schuld mit unabsehbaren Folgen zeichnet sich ab.

Die Unerhörtheit dieses Geschehens wird zusätzlich durch die Form der Erzählung verschärft: Dass die Brüder zu essen wagen, während ihr Bruder in Todesangst schwebt, dass sie ihn ungerührt für Geld verkaufen und bedenkenlos in die Sklaverei schicken, ruft Empörung hervor. Ebenso unterstreicht das immer wiederkehrende Motiv des zerrissenen Kleides den Riss, der durch diese Familie geht. Er setzt sich fort in der folgenden Geschichte von Judas Vergehen an Tamar, seiner Schwiegertochter und deren Sohn Perez (dt. „Riss“, 38,29). So tief zieht sich der Riss durch diese Familie, dass er alle, auch Tamar, eine unschuldige Frau, mit ins Unglück zieht, und dass selbst Juda, dessen Nachkommen später eine herausgehobene Stellung in der Geschichte Israels einnehmen werden, nicht frei ist von Schuld.

Gott wird in diesem Familiendrama (37f) nicht erwähnt. Nichts erinnert an Gottes Verheißung, die doch dieser Familie gilt. Dadurch wird in dieser Erzählung die Spannung zusätzlich verschärft. Allein in den Träumen Josefs deutet sich leise an, dass Gott dennoch im Verborgenen diese Geschichte lenkt und am Ende durch alle schuldhaften Verirrungen hindurch zu seinem Ziel führt.

Neukirchener Bibel - Das Alte Testament

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