Читать книгу Othersides: Zwei Welten - J. Kilior - Страница 29
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ОглавлениеEin Planwagen, gezogen von zwei anmutigen, schwarzen Pferden bahnte sich seinen Weg durch das weite, nebelbedeckte Land. Die ersten schwachen Sonnenstrahlen traten durch den dichten Schleier und ließen die Landschaft in einem diffusen Licht erscheinen.
Sie stand hinten und atmete die kühle Morgenluft ein, während bunte Felder, Wiesen und Wälder rasend schnell an ihr vorüberflogen.
Als der Wagen ein wenig langsamer wurde, begann die Landschaft, Gestalt anzunehmen. Eine seltsame Veränderung vollzog sich: Je länger sie die Kornfelder betrachtete, je sicherer wurde sie, dass es sich nicht um im Wind wehende Ähren, sondern um eine jubelnde Menschenmenge handelte!
Vorsichtig trat sie einen Schritt vor, lehnte sich aus dem Wagen und tatsächlich: Nun waren sogar einzelne Personen zu erkennen.
Sie sahen alle völlig unterschiedlich aus. Manche trugen bunt bestickte Kleider, andere hatten ganz helle Haut, wieder andere rotes Haar. Auch Leute wie sie waren mit dabei.
Sie reichte hinaus, winkte ihnen zu und war nicht einmal überrascht, dassals ihre Geste erwidert wurde. Als die Menge um sie herum dann zu jubeln begann, überkam sie ein Gefühl der völligen Überwältigung. All diese Menschen erwiderten ihr strahlendes Lächeln, sie tanzten und feierten. Fünf Völker umgaben sie. Fünf Völker und die Menschen reichten einander die Hand, sie umarmten sich und verschmolzen zu einem Mosaik aus bunten Farben.
Es war noch sehr früh am Morgen, als Erin aus diesem Traum erwachte. Der letzte Nachhall von Jubel und bunten Farben verklang, während sie die Augen aufschlug. Eine Einblendung leuchtete auf ihrer Fensterfront: »Paketdrohne erbittet Einlass.« Etwas verdutzt bestätigte sie und ließ das leuchtend weiße Objekt durch die kleine Luke hereinfliegen. Schon wieder eine Nachricht von Leo?
Die Drohne legte einen grünen, unbeschrifteten Umschlag auf ihrem Schreibtisch ab. Dann schwirrte sie wieder hinaus.
Neugierig öffnete Erin ihn. Ein kleiner, altmodischer Metallschlüssel fiel heraus. Wozu er diente? Sie hatte eine Vermutung. Nur – wieso? Beim erneuten Blick in den Umschlag fand sie eine handgeschriebene Notiz:
Wenn du gegen alle Widerstände weitergehst, wirst du mehr erfahren. F. S.
Erin legte sich wieder ins Bett, schließlich war es noch sehr früh. Doch schlafen konnte sie nicht mehr. In ihrem Zimmer war es seltsam hell und sie hörte das Meer rauschen. Eine Brise salziger Luft wehte zu ihr herüber. Stimmt, die Luke war noch offen. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Kannten Leo und Frau Sanchez sich? War das hier die erwähnte letzte Chance? Oder doch alles nur Zufall?
Wie man es auch drehte und wendete, es war eine Möglichkeit. Diesmal glaubte Erin, zu wissen, was sie tun musste. All die Jahre, in denen sie mit Leo gechattet hatte, all die Zweifel, die sie hegte. Ein Plan formte sich in ihrem Kopf. Ein Plan, der schon vor langer Zeit begonnen hatte, Gestalt anzunehmen. Jetzt war sie sich sicher, dass es Zeit war, zu handeln.
Hastig packte Erin alles, was ihr sinnvoll erschien, in ihren Rucksack. Dann holte sie noch etwas Proviant aus einem der Lebensmittelautomaten auf dem Flur. Unter Protest ihres Kleiderschrankes (»Momentan steht kein Regen an!«) ließ sie sich einen Mantel mit Kapuze hervorholen. Sie wusste nicht, wie lang sie unterwegs sein würde. Ein paar Stunden, oder doch ein paar Tage? Sie wollte ja nur nachschauen, was dort war, sich selbst überzeugen. Kurz überlegte sie, irgendwen zu informieren. Den Gedanken verwarf sie wieder. Man würde ihr mit Sicherheit einen Strick daraus drehen, wenn sie zurückkam. Stattdessen aktualisierte sie ihren MarChat-Status auf »ich brauche mal ein bisschen Zeit für mich«. Dann machte sie sich auf den Weg zum Aufzug.
Als sie die Eingangshalle durchquerte, um zur UVB-Station zu gehen, kam ihr alles seltsam leer und kühl vor. Nackte Betonwände ragten zu den Seiten auf, vor ihr eine hohe Glasfassade, die gerade nichts zeigte außer einem milchigen Weiß. Ihr übliches AR-Programm wurde um diese Zeit noch nicht abgespielt.