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Gegen Mittag näherten sie sich einer weiteren Stadt.

Ilya schmiedete schon detaillierte Pläne. »Callitea ist ein bisschen größer als Vambori und Gawendra. Um diese Zeit wird der Markt in vollem Gange sein. Aber das ist gar nicht so schlecht für uns, denn Phineas’ Schmausstube liegt in einer Seitenstraße. Dort wird gerade nicht viel los sein und du kannst dich gefahrlos sehen lassen.«

»Seid ihr euch da sicher?« Erin wollte nicht gleich schon wieder von einem Trupp wild gewordener Bauern festgehalten werden.

»Sei ohne Sorge«, sagte Ilya. Seine Art zu reden wirkte befremdlich auf sie; sein ernster Blick jedoch war vertrauenserweckend.

Die Hauptstraße von Callitea war tatsächlich sehr belebt. Menschen unterhielten sich lauthals und auf dem Marktplatz stiegen Erin fremdartige, aber durchaus appetitliche Düfte in die Nase. Sie hätte gerne einen Blick auf das bunte Treiben geworfen, doch sie durfte ihr Glück nicht zu sehr strapazieren.

Sie verließen den Platz und bogen kurz darauf nach links in eine schmale Gasse ein. Diese fuhren sie einige Häuserblocks entlang, dann blieben sie stehen. Die beiden Agambeaner stiegen vom Wagen.

»Du kannst rauskommen, Erin«, sagte Ilya.

Mühsam warf sie die auf ihr liegenden Mehlsäcke zur Seite und kletterte von der Ladefläche. Sie sah sich um. Die Gasse war eng und umrahmt von recht schäbig wirkenden Holzhäusern.

Abgesehen von ihr und den beiden war sie völlig verlassen.

»Tja«, begann Ilya. Erin hatte plötzlich Angst, in die nächste Falle getappt zu sein. »Du wirst da, wo du herkommst, sicher anderes gewohnt sein, aber ich für meinen Teil finde Phineas’ sehr ansprechend.«

Sie atmete erleichtert aus. Allerdings fragte sie sich noch immer, wo diese »Schmausstube« sein sollte, schließlich gab es hier nichts als schäbige Rückwände und hin und wieder mal ein vergittertes Fenster. Da fiel ihr die schmale Treppe auf, die zu einer Kellertür hinabführte. An ihr hing ein schiefes Schild, auf dem »Bei Phineas« zu lesen war.

Balduin und Ilkyardin gingen hinab und sie folgte ihnen nach kurzem Zögern. Ilya hielt ihr die Tür auf. Dann wies er sie an, im Eingangsbereich zu warten, während er in den Gastraum spähte. Er bedeutete ihr schließlich, dass sie eintreten konnte.

Die kleine Schmausstube wirkte düster, bedingt durch eine niedrige Decke und dunkle, steinerne Wände. Sie war mit wahllos verteilten Tischen und Bänken ausgestattet. Neben einem Kachelofen saß eine kleine, alte Frau ganz in ein Buch vertieft. Zwei ältere Männer saßen an einem anderen Tisch und aßen etwas, das nach Eintopf aussah.

Auf der ihnen gegenüberliegenden Seite befand sich ein leicht ramponierter Tresen aus dunklem Eichenholz. Dahinter stand der Wirt und polierte ein Glas. Er war Mitte dreißig, hatte blonde, lockige Haare und trug eine dreckige Schürze.

Bei ihrer Ankunft blickte er zunächst etwas genervt auf, dann schien er sie zu erkennen und sein Gesichtsausdruck veränderte sich.

»Ilya, Balduin!«, rief er. »Wie schön, euch zu sehen!« Er stellte das Glas weg und eilte auf sie zu. »Und wer ist das? Doch nicht etwa Besuch von jenseits der Mauer?« In seiner Stimme schwang eine kindliche Begeisterung mit, die in dem dunklen Lokal völlig fehl am Platz wirkte.

Phineas wendete sich Erin zu: »Willkommen in meiner bescheidenen Schmausstube! Ich bin Phineas Filibuster.« Er streckte ihr seine Hand entgegen. Sie schüttelte sie und stellte sich vor.

»Was treibt Euch hierher?«, fragte er. »Heimliche Verwandtenbesuche? Da hatten wir erst letzten Monat eine. Oder ist es einfach nur die Neugierde?«

»Neugier, würde ich sagen.«

»Schön, schön! Ich empfehle Euch unbedingt, meinen Jägertopf zu probieren. Frisch von heute! Setzt Euch doch, setzt Euch.« Er wies sie an, an einem großen Tisch in der Nähe des Kachelofens Platz zu nehmen. Ilya und Balduin setzten sich Erin gegenüber und schauten sie erwartungsvoll an.

»So«, begann Ilya, »wie wäre es, wenn du uns ein bisschen über deine Heimat erzählst, so lang wir auf unser Essen warten.«

»Mmm. Da wüsste ich gar nicht, wo ich anfangen sollte.« Sie hatte ja keine Ahnung, wie viel die beiden über den Süden wussten.

Nun brachte sich die ältere Dame ein, die zuvor neugierig gelauscht hatte. »Na, dann erzähl uns doch erst mal, wie du hier rübergekommen bist. In der Nähe von Vambori soll es ja einen Übergang geben. Stimmt es, dass der nicht einmal bewacht ist?«

Die Alte wirkte wissbegierig und gerissen. Erin zögerte.

»Das ist Anslava, sie gehört zu uns«, flüsterte Balduin ihr zu.

Daraufhin begann Erin zu erzählen. Was mit dem Chip in Verbindung stand, ließ sie aus, denn sie wusste nicht, wie sie es ihnen verständlich machen sollte.

»Es ist schon erstaunlich, dass man so einfach über die Grenze spazieren kann«, kommentierte Anslava, »und ebenfalls erstaunlich, dass trotzdem so wenige kommen.«

Erin zuckte mit den Schultern. »Ich finde es gar nicht so erstaunlich, bei den Dingen, die man sich bei uns über den Norden erzählt.«

»Aber du bist hier, oder?«

»Ja.«

»Dann können dich die Erzählung ja nicht allzu sehr abgeschreckt haben.«

»Nein, ich glaube diesen Unsinn einfach nicht.«

Anslava lachte. »Hier ist es ganz ähnlich. Manche glauben das, was über die Südländer erzählt wird, andere nicht. Wenn so ein lebender Beweis wie du über die Grenze marschiert kommt, ist das natürlich am förderlichsten für unsere Sache.«

Erin horchte auf. »Was ist denn eure Sache?«

»Unsere Sache – ist eine große Sache!«, warf Phineas, der gerade mit drei Tellern Eintopf zu ihnen herüberkam, ein. Er stellte sie auf den Tisch und legte noch drei Löffel dazu. »Und ich kann nur noch einmal betonen, wie erfreut ich darüber bin, dass du es hierhergeschafft hast. Eine wie du könnte uns sehr nützlich sein. Weißt du, wir versuchen schon seit Längerem, in den Südstaaten Fuß zu fassen. In Jawhara haben wir schon ein paar Anhänger, aber Laguna Mar ist einfach zu abgeschottet. Na ja, vielleicht nicht mehr lange?«

»Aber was genau tut ihr eigentlich?« Erin kam sich so vor, als hätte sie etwas Wichtiges verpasst.

»Ach, haben dir die beiden das noch nicht erzählt? Na, sei’s drum. Dir kann man doch vertrauen, oder?« Er wartete nicht auf ihre Antwort, sondern blickte zu Ilya, der kaum merklich nickte.

»Wir sind die KKE, das steht für Kampftruppe Kontinentale Einheit. Wir sind Untergrundkämpfer und wollen die Wiedervereinigung des Kontinents gegen den Willen der schwachsinnigen Regierung durchsetzen. Durch die Macht des Volkes, schließlich gibt es hier mittlerweile eine Menge Leute, die sich von den alten Vorurteilen losgemacht haben! Wir werden uns zusammenschließen, um die zu bekehren, die die Wahrheit nicht sehen wollen!«

»Oder so in der Art«, sagte Balduin und machte eine wegwerfende Handbewegung.

Erin musste schmunzeln. Untergrundkämpfer hätte sie sich irgendwie anders vorgestellt. Zumindest schien sie an einigermaßen vernünftige Leute geraten zu sein.

»Was macht ihr, wenn die, die die Wahrheit nicht sehen wollen, sich nicht bekehren lassen?«, fragte sie nach.

»Wir werden ihre verdammte Regierung stürzen und eine neue an ihre Stelle setzen, die nicht so verbohrt ist.«

»Das könnt ihr erreichen? Wie viele Anhänger habt ihr denn?«

»Momentan noch nicht viele, aber warte ab, in ein paar Jahren ...«

»Ja, dann werden uns neunzig Prozent der Kontinentsbevölkerung angehören!«, rief Balduin und zwinkerte ihr zu.

Ilya schüttelte nur den Kopf. »Träumt weiter. Derzeit können wir froh sein, wenn wir hier und da etwas gegen die Vorurteile tun können.«

»Das ist besser als nichts. Aber woher wisst ihr eigentlich, dass die nicht stimmen? Was sagt man hier über uns Maranes?«

Ilya schaute verstohlen auf seinen Teller. »Mmm, bitte nimm mir das nicht übel, ja? Es variiert zwischen machtgierig, arrogant und unter Wasser lebenden, schleimigen Monstern.«

»Oh wie nett«, witzelte Erin, »über euch sagt man bei uns so ziemlich dasselbe, ausgenommen der Sache mit dem Wasser. Dafür behauptet man schon mal, dass euch Pilze aus den Ohren wachsen.« Sie lachte und die anderen stimmten mit ein.

»Wobei ... beim alten Woodrow wäre ich mir da nicht so sicher«, bemerkte Balduin.

»Was?«, rief einer der älteren Männer von der anderen Seite des Raumes. »Sprecht ihr von mir?«

»Nein, Alter, iss weiter«, sagte Phineas, woraufhin sich der Herr mit dem weißen Bart wieder seinem Eintopf widmete.

Der Wirt schmunzelte. »Ich glaube, du würdest gut in unser kleines Trüppchen passen. Was willst du eigentlich hier in Agambea?«

»Na ja«, begann Erin, »erst mal bin ich natürlich hier, um mich selbst davon zu überzeugen, was so hinter der Mauer vor sich geht. Ich war es leid, immer wieder die Hasstiraden auf Nordreichler anhören zu müssen und enttäuscht, dass so viele Maranes alten Vorurteilen Glauben schenken, die sie selbst überhaupt nicht begründen können. Immer heißt es nur ›das hat schon meine Oma gesagt‹ oder ›das steht im Landesnetz‹. Mein persönlicher Favorit ist ja ›das ist halt so‹. Da fällt einem dann auch nichts mehr zu ein.«

Phineas nickte zustimmend. »Ja, bei uns ist es ähnlich. Obschon ich nicht weiß, was ein Landesnetz ist.«

»Oh!« Sie hatte schon fast vergessen, wie anders Agambea war. »Also ... darüber bekommen wir Informationen aus ganz Laguna Mar.«

»So etwas wie ein Wochenblatt?« Phineas schaute sie erwartungsvoll an.

»Vielleicht so in der Art.«

»Jaja, ich habe schon gehört, dass es in Laguna Mar sehr interessante Dinge gibt. Bei einer anderen Gelegenheit musst du mir mehr darüber erzählen. Ich hoffe doch, wir sehen dich am nächsten Neumondtag beim KKE-Generaltreffen?«

»Ähm ...«

»Ach, sicher bist du dabei!« Ilya lehnte sich begeistert über den Tisch und fasste sie am Ellenbogen. Eine unerwartete Geste, die ein seltsames Kribbeln hinterließ. »Jetzt, wo du einmal hier bist, solltest du dir das nicht entgehen lassen. Und die zwei Wochen bis dahin können wir nutzen, indem wir dir alles Sehenswerte in der Gegend zeigen.«

»Ich weiß nicht ...« Das ging ihr ein wenig schnell. »Ich wollte eigentlich nur nach Denebola.«

»Denebola!«, rief Ilya. »Das hätte ich fast vergessen! Wenn wir vor Sonnenuntergang da sein wollen, müssen wir uns beeilen!«

Phineas kramte aus einem Hinterzimmer einen weniger auffälligen Mantel mit Kapuze hervor, den Erin ab sofort zur Tarnung tragen sollte. Er war ein wenig groß, aber so bedeckten die Ärmel auch ihre Hände, was nicht verkehrt war, schließlich waren sie dunkler als die der Agambeanes. Stiefel und einen landestypischen Rucksack gab er ihr ebenfalls. Ihren maranischen ließ sie dafür da, was ihn zu freuen schien. Dann verabschiedeten sie sich und machten sich auf die Weiterreise.

Othersides: Zwei Welten

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