Читать книгу Othersides: Zwei Welten - J. Kilior - Страница 30
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ОглавлениеErste Strahlen des Morgenlichts fielen durch die Baumkronen, als Erin das Tor zum Grundstück der alten Villa aufschloss. Sie umrundete das Gebäude und ging direkt zu dem Pfad, der den Berg hinaufführte.
Den ersten Teil des Weges legte sie zügig zurück. Dann kam sie zu dem Abschnitt, in dem es felsiger wurde. Hier hielt sie kurz inne und atmete tief durch. Wenn ihre Vermutung stimmte, würde es jeden Moment wieder passieren. Erin setzte ganz vorsichtig einen Schritt vor den anderen.
Das Aufblitzen nahm sie diesmal kaum wahr, aber die Kopfschmerzen zwangen sie in die Knie. Sie klammerte sich an einem Felsen fest und versuchte, aufzustehen. Keine Chance. Trotzdem musste sie weiter! Auf allen vieren schleppte sie sich nach oben.
Wie lange würde es anhalten? Wie weit war es noch bis zur Mauer? Ihr Verstand schrie sie an, umzukehren. Oder einfach liegen zu bleiben. Sie kroch weiter.
Als der Wald sich lichtete, wurden die Schmerzen allmählich weniger und sie schaffte es wieder auf die Beine. Schwindel und Übelkeit schlugen diesmal gemeinsam zu. Sie konnte kaum sehen, wo der Pfad verlief. Dennoch strauchelte sie weiter über Geröll und Felsen. Immer weiter nach oben. Weitergehen, gegen alle Widerstände.
Erin zitterte am ganzen Körper, doch es war nicht nur die Übelkeit. Sie war furchtbar aufgeregt. Was sie wohl dort oben erwarten würde?
Eine ganze Weile ging es noch bergauf und nachdem sie über einen großen Felsen gestiegen war, kam sie endlich in Sicht: Die Mauer. Es war eine hässliche Mauer, etwa zwanzig Meter hoch und aus blankem Beton. Fleckig und von Grünspan befallen machte sie einen heruntergekommenen Eindruck. Einige Meter weiter links befand sich ein Rolltor, das jedoch fest verschlossen war. Das musste einer der Übergänge sein. Rechts erblickte sie, was besagter Wachturm sein musste: ein quadratischer Turm, nach oben hin konisch zulaufend, der die Mauer um einige Meter überragte. An seiner Spitze hatte er zu allen Seiten breite, niedrige Glasfenster. Sonst gab es nichts außer Beton und einer unauffälligen Metalltür in seiner Basis.
Erschrocken fuhr Erin zusammen, als sie eine Bewegung auf der Mauer wahrnahm. Ein Wachroboter? Nein. Sie schüttelte den Kopf, erinnerte sich an Frau Sanchez’ Worte und nahm ihre AR-Linsen heraus. Das Ding verschwand.
Tatsächlich: Wie angekündigt war die Tür nicht verschlossen, stand sogar einen Spaltbreit offen. Sie schob sie vorsichtig weiter auf und spähte hinein. Nichts als Dunkelheit. Kurz überlegte sie, ihre Linsen wieder einzusetzen, entschied sich aber dagegen. Es musste ohne gehen. Beim Eintreten schlug ihr ein modriger Geruch entgegen. Der Boden unter ihr war nicht fest, sondern weich und erdig. Auch einiges an Müll lag herum. Hier hatte wohl schon länger kein Putzroboter mehr aufgeräumt. Mit der Zeit gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit und sie konnte eine Stahlleiter erkennen, die an der Wand gegenüber befestigt war. Sie sah wackelig aus und führte so weit nach oben, dass das Ende nicht erkennbar war. Die Sprossen waren stark verrostet, teilweise hatten die quadratischen Profile schon Löcher. Aber einen besseren Weg gab es nicht. Übelkeit und Schwindel zum Trotz machte Erin sich an den Aufstieg.
Maranes waren das Klettern nicht gewohnt, Höhen kannten sie nur aus ihren sicheren Hochhäusern und so wäre das Ganze auch ohne Beeinträchtigung keine angenehme Situation gewesen. Wie gut, dass man unter sich nicht viel sehen konnte. Schlecht allerdings, dass der Zustand der Sprossen ebenso wenig erkennbar war. Das wurde Erin fast zum Verhängnis, als eine der Stangen unter ihrem Gewicht brach. Gerade so konnte sie sich mit den Armen festklammern und Halt auf einer anderen Stufe finden. Der Schreck saß allerdings tief und den Rest der Leiter überwand sie sehr vorsichtig und mit zitternden Knien. Am oberen Ende traf sie auf eine Metallluke.
Kräftig drückte sie dagegen. Die schwere Platte hob sich einen Zentimeter und krachte dann wieder hinunter. Gar nicht so einfach! Sie musste irgendwo besseren Halt bekommen, um sich abzu-drücken. Also stieg Erin, so weit es nur ging, hinauf und lehnte sich mit der Schulter gegen die Luke. Dann stieß sie sich nach oben hin ab. Stück für Stück hob sich der Deckel, bis sie ihn schließlich von sich stoßen konnte. Gleißendes Sonnenlicht blendete sie und auch nachdem sich ihre Augen daran gewöhnt hatten, konnte sie recht wenig sehen, denn die fallende Luke hatte eine Menge Staub aufgewirbelt. Sie wartete ab, bis sich der wilde Tanz der winzigen Körner etwas beruhigt hatte, dann schaute sie sich in dem Raum um. Viel gab es hier nicht zu sehen, lediglich ein sehr alt aussehendes Kontrollpult mit vielen großen, runden Knöpfen und einigen ziemlich kleinen Monitoren. Davor abgewetzte Stühle, deren Polster scheinbar von irgendwelchen Tieren zerfressen worden waren. Hier hatte schon lange niemand mehr gearbeitet.
Der Raum war zu allen vier Seiten mit Panoramafenstern versehen, das heißt, theoretisch konnte man von hier aus schon nach Agambea schauen. Praktisch waren die Scheiben mit so dickem Staub und Dreck überzogen, dass nicht viel mehr als ein Farbschema erkennbar war. Das war auf der maranischen Seite bläulich, während es auf der agambeanischen grün war. Ein tiefes, dunkles Grün, das vermuten ließ, dass sich ein Wald direkt hinter der Mauer befand. Erin fragte sich, ob in diesem Raum Grenzposten aus beiden Ländern gemeinsam gesessen hatten.
Wie vermutet befand sich eine weitere Luke im Boden, die hinunter in den agambeanischen Teil des Turmes führte. Erin verschnaufte kurz, bevor es weiterging.
Der Abstieg gestaltete sich schwieriger als der Aufstieg, denn sie konnte nicht erkennen, in welchem Zustand sich die Stufen unter ihr befanden, musste sich diesmal mit den Füßen statt mit den Händen vortasten. Als sie unten in völliger Dunkelheit ankam, war sie erschöpft vom krampfhaften Festhalten. Doch es wurde noch mal spannend: Wo war die Tür und war sie offen? Langsam und vorsichtig tastete sie umher. In diesem Teil des Turmes schien kein Müll herumzuliegen und auch war der Boden nicht erdig, sondern mit groben Steinen gepflastert. Die Tür, auf die sie schließlich stieß, war nicht aus Metall, sondern aus Holz. Auf ein erstes Schieben hin tat sich nichts. Irgendwo musste es eine Türklinke, einen Knauf oder etwas Ähnliches geben. Tatsächlich: Weiter unten als erwartet ertastete sie einen runden, metallenen Knopf, der sich mit etwas Mühe drehen ließ.
Erin trat hinaus ins Sonnenlicht und konnte es kaum fassen, sie war wirklich in Agambea!