Читать книгу Othersides: Zwei Welten - J. Kilior - Страница 37
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ОглавлениеDass Ilya Erin weiter begleitete, war eine stillschweigende Vereinbarung. Nachdem sich die Gärten Yamodars gelinde gesagt als Reinfall herausgestellt hatten, hatte sie nicht das Gefühl, mit diesem fremden Land schon fertig zu sein. Sie wollte mehr davon sehen und, wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass sie hier allein aufgeschmissen war.
Ilya zog es vor, ohne Frühstück aufzubrechen. Offenbar wollte er die kleine Dachkammer so schnell wie möglich verlassen. Balduin hatte sich bereits sehr früh am Morgen von ihnen verabschiedet, er musste eine Lieferung mit dem Wagen abholen.
Erin hatte sich nach den Waschräumen erkundigt, dann aber beschlossen, doch kein Bad zu nehmen. Die sanitären Einrichtungen waren seltsam in diesem Land: Die Pension hatte nur eine Reihe von Plumpsklos, die an einem Flur im ersten Stock lagen und deren Inhalt direkt auf einen Haufen im Innenhof fiel. Eine ziemlich eklige Angelegenheit. Das Bad wiederum befand sich im Erdgeschoss. Es war ein großer Raum mit steinernem Boden und etwas in der Mitte, das wohl eine Badewanne sein sollte, aber eher wie ein aufgeschnittenes Weinfass aussah. Sie hatte so etwas noch nie gesehen. Wie sie später von Ilya erfuhr, handelte es sich um einen »Waschzuber«.
Noch seltsamer fand sie die Vorrichtung, mit deren Hilfe man warmes Wasser in den »Zuber« bekam. Es gab einen riesigen Hebel, mit dem man das Wasser aus einem Brunnen hoch in einen Kessel pumpen konnte. Unter dem Kessel befand sich ein Ofen, in dem man ein Feuer entfachen musste, um das Wasser zu erwärmen.
Als sie in dem Badezimmer gestanden hatte, war sie völlig überfordert gewesen.
Nun befanden sie sich auf dem Weg in Richtung Liguria, immer am Ufer des Flusses Kallidrin entlang. Sie waren schon eine ganze Weile gelaufen und Erin taten langsam die Füße weh. Das war sie wirklich nicht gewohnt!
»Wenn wir uns zwei Pferde kaufen würden, könnten wir erheblich schneller unterwegs sein«, sagte Ilya.
Erin schnaubte. »Wenn wir den UVB-Shuttle nehmen würden, dann wären wir wirklich erheblich schneller unterwegs.«
»UVB-Shuttle?«
»Oje«, seufzte sie, »gibt es hier zumindest Eisenbahnen?«
»Nein, was ist das?«
»Züge, Eisenbahnen, Dampfloks? Öffentliche Transportmittel, die viele Menschen auf einmal mitnehmen können?«
Ilya schaute sie nur an wie ein U-Boot (wie man in Laguna Mar sagt, wenn jemand ziemlich verdattert dreinschaut und geistig schon lange auf Tauchstation gegangen ist). »Kutschen vielleicht?«
»Mmm. Na ja, stell dir mal ganz viele geschlossene Kutschen hintereinander vor, aber ohne Räder und ohne Pferde. So etwa sieht das Ganze aus, nur dass es um einiges schneller unterwegs ist. Man kann damit an die tausend Kilometer in einer Stunde zurücklegen.«
»Kilometer? Was ist das?«
»Nein!«, stöhnte sie. Es war schlimmer, als sie gedacht hatte.
Sie sammelte sich wieder und erklärte: »Also, so weit wie zum Beispiel von Callitea bis zu dem kleinen Tannenwäldchen, durch das wir heute Morgen gelaufen sind, das wäre ein Kilometer. Was eine Stunde ist, weißt du aber, oder?«
»Ja, sicher«, bestätigte er. Sie fand das gar nicht mehr so selbstverständlich.
»Also, was bei euch ein Kilometer ist, wäre in unseren Maßeinheiten vielleicht … ein viertel Stundenmarsch.« Er dachte kurz nach, dann wäre er fast über seine eigenen Füße gestolpert. »Erstaunlich! Äußerst erstaunlich! Das sind ja mehr als zweihundertfünfzig Stundenmärsche. Nun, wirklich beeindruckend! Das muss ich unbedingt sehen. So etwas gibt es hier leider nicht, bei Weitem! Es soll mal ein System von Schienenfahrzeugen gegeben haben, die in Tunneln durch alle Länder fuhren, doch waren die lange nicht so schnell!« Er seufzte. »Wie dem auch sei, mit Pferden könnten wir zumindest drei bis vier Mal schneller unterwegs sein als zu Fuß. Ich könnte uns im nächsten Dorf welche besorgen. Das ist gar kein Problem.«
»Ich kann aber nicht reiten.«
»Du kannst nicht reiten?! Aber das kann doch jeder! Oder bist du so eine verwöhnte Prinzessin, die nur in Kutschen herumgefahren wird?«
»Nein«, lachte Erin. »Bei uns kann nicht jeder reiten. Vermutlich sogar niemand. Es gibt nicht einmal Pferde, außer vielleicht in den Forschungsfarmen draußen auf den Prod-Inseln.«
Pferde kannte Erin nur aus der Schule und aus einigen der VR-Spiele, die von der Vergangenheit handelten. Ein echtes hatte sie vor ihrer Reise hierher nie gesehen.
»Ach ja«, folgerte Ilya, »ihr reitet ja auf diesen komischen Zauberdingern ohne Räder.«
»Wir reiten nicht, wir fahren.« Mittlerweile war sie leicht genervt. »Außerdem sind das keine Zauberdinger.«
»Aber, wie ist das möglich, ohne Magie?«
»Nicht alles, was man nicht versteht, ist gleich Magie.« Sie verdrehte die Augen. »Unsere UVB-Shuttles werden mit Magnetkraft angetrieben und gebremst. Es mag so aussehen, als schwebten sie über die Schienen, doch mit Zauberei hat das nichts zu tun.«
»Magnetkraft? In Avanindra gibt es magnetisches Felsgestein, aber wie könnt ihr damit eure Kutschen antreiben?«
Erin seufzte. »Ach, vergiss es einfach.«
»Warum sollte ich das vergessen? Das ist so unglaublich! Mehr als zweihundertfünfzig Stundenmärsche! Das werde ich bestimmt nicht vergessen!«
Jetzt musste sie schmunzeln. Sie hatte ihn wohl ziemlich aus dem Konzept gebracht.
In der nächsten Stadt kaufte Ilya frisches Brot und Käse ein. Er war der Meinung, dass es das Beste wäre, sich außerhalb des Ortes ein hübsches Plätzchen zum Essen zu suchen.
Erin hatte bereits einen ihrer Energieriegel aus dem Automaten gegessen und Ilya ebenfalls einen angeboten. Der hatte jedoch dankend abgelehnt.
Für ihre Essenspause verließen sie die Hauptstraße, die von einem Ort zum anderen führte, und folgten einem schmalen Weg in den Wald hinein. Zwischen dichtem Gebüsch stieg dieser leicht an. Erin entdeckte einige Pflanzen, die es in Laguna Mar nicht gab. Besonders fasziniert war sie von einem Strauch, der aus Ästen in einem saftigen Dunkelgrün bestand. Er wirkte ein wenig, als bestünde er aus Plastik. Blätter hatte er nicht. Ilya bezeichnete ihn als »Ginster«.
Als der Wald sich immer mehr verdichtete, verließ Ilya den Weg. Er folgte einem kaum erkennbaren Pfad ins Unterholz bis zu einer kleinen Lichtung, in deren Mitte sich ein großer Felsen befand.
»Unser Rastplatz«, erklärte er und ging um den riesigen Stein herum.
Erin folgte ihm. Auf der anderen Seite waren Treppenstufen hineingehauen worden, die auf ein flaches Podest führten. Oben angekommen schauten sie sich um. In alle Richtungen waren nur Bäume zu sehen. Im Nordwesten stieg der Wald immer weiter an, bis zu einem Berggipfel, der seltsam flach wirkte. Das musste dieser Vulkanberg sein, den sie auf dem Bild in der Villa entdeckt hatten! Wenn man genau hinsah, waren hinter den Hügeln im Nordosten sogar die schneebedeckten Berge zu erkennen.
»Schnee!«, staunte Erin. »So etwas habe ich noch nie aus der Nähe gesehen!«
»Südreichler!«, lachte Ilya und schüttelte den Kopf.
Er breitete eine Decke auf dem von der Frühlingssonne erhitzten Stein aus und begann seinen Proviant auszupacken. Sie zog ihren Mantel aus und setzte sich zu ihm.
»Wie kommt es eigentlich, dass du Zeit hast, mich hier herumzuführen? Musst du nicht in der Schule sein, studieren oder arbeiten?«, fragte sie.
»Oh, die Schule habe ich geschmissen. Ist schon eine Weile her«, erzählte er fast beiläufig.
»Was?«, fragte sie.
»Jetzt tu nicht so entsetzt. Was machst du denn hier die ganze Zeit? Ich glaube nicht, dass du gerade Ferien hast. Oder doch?«
»Nein«, gab sie zu, »eigentlich nicht.« Sie fragte sich, ob schon jemandem aufgefallen war, dass sie nicht mehr da war.
Ilya schmunzelte. »Na siehst du, das habe ich mir doch gedacht. Du musst nicht meinen, dass ich faul bin, aber unser Dorflehrer, Herr Dabolins, ist komplett von Sinnen. Genauso wie ziemlich alle Lehrer in diesem Land ... und mindestens die Hälfte der Bevölkerung. Oder mehr, so genau weiß ich es nicht. Sie erzählen uns ständig, die Maraner seien hässliche Seeungeheuer, die unser Land erobern, uns versklaven oder verspeisen wollen. Du kennst das ja bereits. Soweit ich das sehe, bist du kein hässliches Seeungeheuer und ich glaube auch nicht, dass die restlichen Maraner da so anders sind als du. Obwohl du ganz bestimmt die Hübscheste von allen bist.«
Von dem Kompliment völlig überrascht senkte Erin den Blick und ihr fielen die langen Haare ins Gesicht, was praktischerweise dazu führte, dass er ihr Erröten nicht sah.
Indes wendete Ilya sich seinem Rucksack zu, holte einen großen Laib Brot und verschiedene Stücke in Papier abgepackten Käses hervor.
»Ich wusste nicht, welche Sorte du magst, deswegen habe ich gleich mehrere mitgenommen.« Er befreite die Stücke von ihrem Papier. Ihr fiel auf, dass es sich um drei Stücke gelben Käses handelte.
»Das sollen verschiedene Sorten sein?«, fragte sie. »Die haben ja alle dieselbe Farbe!«
»Natürlich!«, antwortete er verwirrt. »Käse hat doch immer mehr oder weniger dieselbe Farbe. Gelb eben.«
Langsam dämmerte es Erin. »Ihr kennzeichnet eure Käsesorten nicht mit Farbstoff, oder?«
»Farbstoff? Warum sollten wir das? Das wäre ja verrückt!«
»Bei uns gibt es genau sieben Käsesorten«, erklärte sie, »den Gelben, den Orangen, den Roten, den Blauen, den Grünen, den Lilanen und den Rosanen. Ich mag den Blauen am liebsten, weil er am cremigsten ist.«
»Käse mit Farbstoffen kennzeichnen!«, lachte er. »Wir erkennen unseren Käse an der Anzahl der Löcher, der Konsistenz und dem Geruch. Wir müssen ihn nicht färben. Außerdem gibt es in den Nordreichen an die tausend Käsesorten. Da bräuchten wir ganz schön viel Farbe! Nein, unser Käse behält seine natürliche Färbung und die variiert maximal zwischen weißgelb und orange. Den farbigen Schimmel mal nicht mitgezählt.«
»Igitt! Aber tausend Sorten?«, staunte Erin. »Ich glaube, da verpassen die Südstaaten einiges!«
Erin entschied sich, von allen Käsesorten zu kosten, schließlich musste sie so viele wie möglich von den tausend kennenlernen, damit sie etwas zu erzählen hatte, wenn sie nach Hause zurückkam. Am Ende schmeckte ihr aber doch der Käse am besten, der dem maranischen Blauen am ähnlichsten war. Das Einzige, was sie irritierte, war seine Farbe.
Auch das Brot, das es dazu gab, war beachtlich. Es schmeckte leicht säuerlich, aber wirklich lecker, ganz anders als das maranische weiße Brot, das eher süßlich war.