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VII
ОглавлениеDie Musik spielte gerade die letzten Töne eines Walzers, als Billy und Saxon vor der großen Eingangstür des Tanzlokals standen. Ihre Hand ruhte leicht auf seinem Arm, und sie wollten sich gerade ein paar Stühle suchen, als Charley Long, der offenbar auch gerade gekommen war, sich zu ihnen hindurchdrängte.
»Ach so, du bist es? Und du willst hier Krach machen, wie?« sagte er, und sein Gesicht war böse und rot.
»Wer? Ich?« fragte Billy ruhig. »Du irrst dich, ich mache nie Krach.«
»Ich zerschlage dir den Kopf, wenn du dich nicht verziehst und zwar ein bisschen schnell.«
»Das möchte ich sehr ungern«, sagte Billy zaudernd. »Komm, Saxon, die Nachbarschaft ist nicht gesund für uns.«
Er machte Miene, sich mit ihr zu entfernen, aber Long stellte sich ihnen in den Weg.
»Du bist doch ein bisschen zu nass hinter den Ohren, Freundchen«, knurrte er. »Du musst ein bisschen gesalzen werden, verstanden?«
Billy kratzte sich mit einem Ausdruck übertriebenen Erstaunens den Kopf.
»Nein, ich glaube, ich verstehe dich nicht«, sagte er. »Was hast du übrigens gesagt?«
Aber der große Schmied wandte sich verächtlich von ihm ab zu Saxon.
»Komm, Mädel. Zeig mir deine Tanzkarte.«
»Willst du mit ihm tanzen?« fragte Billy.
Sie schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid, Genosse. Aber dann ist nichts zu machen«, sagte Billy und schickte sich wieder zum Gehen an.
Zum dritten Mal stellte sich der Schmied ihnen in den Weg.
»Weg mit dir«, sagte Billy. »Weg mit dir, sage ich.«
Long stand sprungbereit da. Er hatte die Fäuste geballt, der eine Arm war zum Stoß zurückgezogen und Schultern und Brustkasten vorgeschoben. Aber Billys unerschütterliche Ruhe und sein kalter Blick, in dem Wolken kamen und gingen, ließen ihn sich bedenken. Billy hatte sich nicht von der Stelle gerührt und sah vollkommen ruhig aus. Es war, als beachtete er den drohenden Angriff gar nicht. Das war etwas Neues und Unbekanntes in Longs Praxis.
»Du weißt vielleicht nicht, wer ich bin?« knurrte er.
»Doch«, warf Billy leicht hin. »Du bist ein Rekordkrachmacher.« Long machte ein ganz vergnügtes Gesicht. »Du solltest den Diamantengürtel der ›Police Gazette‹ fürs Umwerfen von Kinderwagen haben. Ich bin sicher, dass du mit jedem anbändelst.«
»Laß ihn in Ruhe, Charley«, sagte einer der jungen Leute, die sich um sie geschart hatten. »Das ist Bill Roberts, der Boxer. Du kennst ihn. Der Große Bill.«
»Mir ist es einerlei, und wenn es Jim Jeffries selbst wäre. Er soll hier keinen Krach mit mir machen.«
Nichtsdestoweniger konnten alle, auch Saxon, merken, dass seine Wut sich bedeutend abgekühlt hatte. Billys Name schien eine beruhigende Wirkung auf brüllende Männchen auszuüben.
»Kennst du ihn?« fragte Billy sie.
Sie nickte nur, obwohl sie gern tausend Anklagen gegen diesen Mann hinausgeschrien hätte, der sie so hartnäckig verfolgte. Billy wandte sich jetzt zu dem Schmied.
»Hör, Genosse, du willst dich doch nicht mit mir schlagen. Warum auch? Das Mädel hat wohl selbst auch noch ein Wörtchen dabei mitzureden.«
»Nein. Das geht nur uns beide an!«
Billy schüttelte besonnen den Kopf. »Nein, das stimmt nicht. Ich denke, dass sie auch ein Wörtchen dabei mitzureden hat.«
»Schön, dann sag' es«, knurrte Long, zu Saxon gewandt. »Mit wem willst du dich zusammentun? Mit mir oder ihm? Entscheide es.«
Statt zu antworten, legte Saxon ihre freie Hand auf die, die auf Billys Arm ruhte.
»Ja, dann ist die Sache wohl erledigt«, meinte Billy.
Long starrte zuerst Saxon, dann ihren Beschützer an.
»Ich hätte schon Lust, die Sache gelegentlich mit dir auszutragen«, knurrte er zwischen den Zähnen.
Sie wandten sich zum Gehen, und Saxon war stolz. Sie hatte nicht das Schicksal Lily Sandersons erlitten. Dieser herrliche Mann, der dabei ein Junge war, hatte, ohne auch nur mit Schlägen zu drohen, den großen Schmied mit seiner Besonnenheit und Unerschütterlichkeit besiegt.
»Er hat sich mir überall aufgedrängt«, flüsterte sie Billy zu. »Er hat sich vorgenommen, mich mürbe zu machen, und hat allen, die mir nur in die Nähe kamen, die Köpfe zerschlagen. Ich möchte ihn nie wiedersehen.«
Billy blieb sofort stehen. Long, der sich noch nicht recht entschließen konnte zu gehen, stand auch still.
»Sie sagt, dass sie nichts mehr mit dir zu tun haben will. Und was sie sagt, das gilt. Wenn ich je höre, dass du sie auch nur mit einem Mucks genierst, dann kannst du was erleben. Verstanden?«
Long warf ihm einen wütenden Blick zu, sagte aber nichts.
»Verstanden?« wiederholte Billy gebieterisch.
Der Schmied ließ ein bestätigendes Knurren hören.
»Schön. Dann vergiss es auch nicht. Und jetzt mach, dass du wegkommst, sonst trete ich dich auf die Füße.«
Long trottete unter unartikulierten Drohungen ab, und Saxon ging wie in einem Traum weiter. Charley Long hatte klein beigegeben. Er hatte Angst vor diesem blauäugigen, glatthäutigen Jungen. Der hatte sie von ihm befreit – hatte getan, was kein anderer Mann für sie versucht hatte. Und sie gefiel Billy besser als Lily Sanderson.
Zweimal machte Saxon einen Versuch, Billy die Einzelheiten ihrer Bekanntschaft mit Long zu erzählen, aber beide Male unterbrach er sie.
»Ich pfeife darauf«, sagte Billy das zweite Mal. »Du bist ja hier, nicht wahr?« Aber sie beharrte bei ihrer Absicht, und als sie endlich erregt und erbittert über ihre eigene Geschichte schloss, streichelte er ihr tröstend die Hand.
»Laß es gut sein, Saxon«, sagte er. »Er ist ein richtiger Strolch. Ich habe ihn gleich, als ich ihn sah, richtig eingeschätzt. Aber er wird dich nicht mehr belästigen. Ich kenne die Sorte. Die bellt nur. Aber sich schlagen! Er könnte sich nicht einmal mit einem Milchwagen schlagen.«
»Aber wie machst du es nur?« fragte sie, und ihr Atem ging schneller. »Warum fürchten dich alle Männer? Das ist direkt wunderbar.«
Er lächelte mit leichter Verlegenheit und kam auf etwas anderes zu sprechen.
»Weißt du«, sagte er, »deine Zähne gefallen mir so gut. Sie sind so weiß und gleichmäßig und nicht groß. Aber du hast auch nicht solche winzigen Kinderzähne. Sie sind – sie sind ganz wie sie sein sollen, und sie passen großartig zu dir. Sie sind zum Fressen.«
Gegen Mitternacht brachen Billy und Saxon auf und verabschiedeten sich von Bert und Mary, den beiden Unermüdlichen, die nie genug tanzen konnten. Billy hatte vorgeschlagen, so früh zu gehen, und es drängte ihn, ihr den Grund zu erklären.
»Das habe ich von den Boxern gelernt«, sagte er. »Auf mich zu achten. Man kann nicht den ganzen Tag arbeiten und die ganze Nacht arbeiten und dabei in Form bleiben. Das ist dasselbe, wie wenn man trinkt. Nicht, dass ich ein Engel bin. Ich bin so betrunken gewesen wie nur einer, und ich liebe Bier – massenhaft. Aber ich trinke nicht so viel, wie ich gern möchte. Ich habe es versucht, aber es lohnt sich nicht. Nimm zum Beispiel den großen Strolch, der heute mit uns anbändelte. Er ist ein Hund durch und durch, aber er hat Bierblut. Darüber war ich mir klar, sobald er uns anrempelte.«
»Aber er ist so groß«, protestierte Saxon. »Ach, seine Hände sind sicher doppelt so groß wie deine.«
»Das hat nichts zu sagen. Es kommt lediglich darauf an, was hinter den Fäusten steckt. Er würde wie ein wütender Stier drauflosgehen. Vielleicht könnte ich ihn nicht gleich zu Boden schlagen. Aber ich brauchte ihn mir nur vom Leibe zu halten, ihn zu ermüden und abzuwarten. Auf einmal würde er explodieren – in Stücke gehen, verstehst du. Und dann hätte ich ihn, wo ich wollte, und das weiß er selber gut. Das ist das Geheimnis.«
»Du bist der einzige Boxer, den ich je gekannt habe«, sagte Saxon nach einer Pause.
»Ich bin es nicht mehr«, wandte er schnell ein. »Es lohnt sich nicht. Man trainiert, bis man so fein wie Seide ist – bis man die reine Seide ist, in Haut und allem, und man glaubt, hundert Jahre leben zu können. Und dann geht man eines schönen Tages mit irgendeinem zähen Kerl in den Ring, der ebenso gut ist wie man selber – zwanzig Runden – und in diesen zwanzig Runden setzt man all seine Seide zu und wirft ein Jahr seines Lebens weg. Ja, manchmal setzt man fünf Jahre seines Lebens oder die Hälfte zu, oder verbraucht alles auf einmal. Ich habe meine Augen gebraucht, ich habe Burschen, so stark wie Stiere, sterben sehen, ehe ein Jahr um war, an Schwindsucht oder Nierenkrankheit oder dergleichen. Welche Freude hat man davon? Geld kann nicht ersetzen, was man verliert. Sieh, das ist der Grund, dass ich das Boxen aufgab und mich entschloss, Kutscher zu bleiben. Ich habe meine Seide und gedenke, sie zu behalten, das ist alles.«
»Es muss ein stolzes Gefühl sein, zu wissen, dass man den anderen Männern überlegen ist«, sagte sie sanft und war selbst stolz auf seine Kraft und Tüchtigkeit.
»Das ist es«, gab er freimütig zu. »Ich freue mich, dass ich damit anfing, ebenso wie ich mich jetzt freue, dass ich's wieder aufgab. Ja, ja, ich habe allerlei dabei gelernt – die Augen offen und den Kopf klar zu halten. Das Boxen lehrte mich, Dampf zu sparen und nichts zu tun, was ich hinterher bereute.«
»Ach, du bist der netteste und friedlichste Mann, den ich je gekannt habe«, warf sie ein.
»Glaub das nicht. Pass nur auf, und du wirst sehen, gelegentlich überwältigt mich das Böse, dass ich nicht weiß, was ich tue. Ach, wenn ich erst losgelassen bin, bin ich schlimmer als der schlimmste Teufel.«
Dieses stillschweigende Versprechen, ihre Bekanntschaft fortzusetzen, ließ Saxons ganze Gestalt von Freude erschauern.
»Sag«, meinte er, als sie in die Nähe ihrer Wohnung kamen. »Was machst du Sonntag?«
»Nichts. Ich habe mir noch nichts vorgenommen.«
»Schön, was meinst du dazu, mit mir eine Wagenfahrt in die Berge zu machen?«
Sie antwortete nicht gleich, denn einen Augenblick lang hatte sie eine Vision, wie einen Alpdruck, sie sah ihre letzte Ausfahrt, ihren Schrecken, ihren Sprung aus dem Wagen und den meilenweiten Heimweg, in der Dunkelheit stolpernd in ihren dünnsohligen Schuhen, die die Steine fast bei jedem Schritt durchschnitten. Aber dann ging es wie eine Freudenwoge durch ihre Seele bei dem Gedanken, dass dieser Mann neben ihr nicht so war.
»Ich liebe Pferde«, sagte sie. »Ich liebe sie fast mehr als Tanzen, aber ich verstehe nichts von ihnen. Mein Vater hatte einen großen Rotschimmel als Streitross. Er war Rittmeister, weißt du. Ich habe ihn nie gesehen, aber mir scheint immer, ich müsste ihn auf dem großen Pferde sehen, eine Schärpe um den Leib und einen Säbel an der Seite. Mein Bruder George hat den Säbel, aber Tom – das ist der Bruder, bei dem ich wohne – Tom sagt, dass er mir gehört, weil es nicht sein Vater war. Siehst du, sie sind nur meine Halbbrüder. Ich bin das einzige Kind aus der zweiten Ehe meiner Mutter. Es war ihre richtige Ehe – ihre Liebesehe, meine ich.«
Saxon hielt plötzlich inne, verlegen über ihre eigene Redseligkeit; und doch war es so verlockend, diesem jungen Mann von sich zu erzählen, denn all diese fernen Erinnerungen waren ja ein so großer Teil von ihr selber.
»Erzähl mir mehr davon«, ermunterte Billy sie. »Ich höre so gern von alten Tagen. Meine Familie hat auch alles mitgemacht, und ich habe beinahe das Gefühl, dass es eine bessere Welt war als die, in der wir jetzt leben. Alles war einfacher und natürlicher, ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken soll. Aber ich meine ungefähr so: Ich verstehe das Leben heute nicht, alle diese Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände und Streiks und die schweren Zeiten und die Jagd nach Arbeit. Alles das. So war es früher nicht. Da waren sie alle Bauern, schossen selbst ihr Wild, hatten genug zu essen und sorgten gut für die Alten. Aber jetzt ist es ein Durcheinander, das ich nicht verstehe. Vielleicht bin ich nur dumm, ja, was weiß ich? Aber das ist auch einerlei – lasse mich mehr von deiner Mutter hören.«
»Ja, siehst du, als sie noch ganz jung war, gewannen sie und Kapitän Brown sich lieb. Er war damals Soldat. Es war vor dem Krieg. Und er wurde gleich nach Osten in den Krieg kommandiert, während sie für ihre Schwester Laura sorgen musste. Und dann kam die Nachricht, dass er bei Shiloh gefallen war. Und sie heiratete einen Mann, der sie seit vielen, vielen Jahren liebte. Er war als Knabe in demselben Wagenzug wie sie über die Prärie gezogen. Sie hatte ihn gern, liebte ihn aber nicht. Und später erfuhr sie dann, dass mein Vater gar nicht gefallen war. Das machte sie sehr schwermütig, vernichtete aber nicht ihr Leben. Sie war eine gute Mutter und eine gute Gattin, aber sie war immer schwermütig, sanft und freundlich, und ich glaube, ihre Stimme war die schönste von der Welt.«
»Ja, sie muss prachtvoll gewesen sein«, gab Billy zu.
»Und mein Vater heiratete nie. Er liebte sie immer noch. Ich habe zu Hause ein herrliches Liebesgedicht, das er ihr gemacht hat. Es ist geradezu wundervoll, und es klingt wie Musik. Nun und dann, nach langer Zeit, starb ihr Mann, und da gingen sie und mein Vater ihre Liebesehe ein. Sie heiratete erst 1882, und da war sie nicht mehr jung.«
Sie erzählte ihm noch mehr, während sie an der Pforte standen, und nachher versuchte sie sich einzureden, dass der Gutenachtkuss ein ganz klein wenig länger gedauert hätte als sonst.
»Sagen wir also um neun?« fragte er über die Pforte hinweg. »Kümmere dich nicht um Frühstück und dergleichen. Dafür sorge ich schon. Sei nur um neun Uhr bereit.«