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Erstes Buch I

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Hörst du, Saxon? Komm mit! Was schadet es, wenn es Maurer sind. Ich werde ein paar feine Herren treffen, die ich kenne, und du auch. Die Al Vista-Musik soll spielen, und du weißt, sie spielt himmlisch. Und du tanzt ja so gern –«

Zehn Schritte von ihnen entfernt stand eine dicke ältere Frau, die das junge Mädchen in ihrer Unterhaltung störte. Die Frau wandte ihnen den Rücken – einen schlottrigen, runden und missgestalteten Rücken – der plötzlich in Krämpfen zuckte.

»Mein Gott!« schrie sie. »Oh, mein Gott!«

Ihre Augen, die den Ausdruck eines gefangenen Tieres hatten, schweiften wild durch den großen, weißgestrichenen Raum, der zum Ersticken erhitzt und mit nassen Dämpfen von dem feuchten Zeug gesättigt war, das unter den vielen Plätteisen zischte. Die zunächst stehenden Mädchen und Frauen warfen ihr einen schnellen Blick zu, und dann schwangen sie wieder ihre Eisen, aber mit erhöhter Schnelligkeit, hatten sie doch mehrere Dutzend Bewegungen ungleichmäßig oder nicht ganz so ausgeführt, wie sie sollten. Der Schrei der älteren Frau hatte die Angst vor dem Geldverlust erweckt, die sich nervös durch die Reihen der akkordarbeitenden Plätterinnen fortpflanzte.

Sie nahm sich zusammen, ergriff ihr Eisen und ließ es aufs Geratewohl auf das feingekräuselte Kleidungsstück auf dem Brett unter ihren Händen fallen.

»Ich glaubte, sie bekäme es schon wieder – du nicht?« sagte das junge Mädchen.

»Es ist eine Schande, eine Frau in ihrem Alter – und in dem Zustand«, antwortete Saxon, während sie mit einer warmen Tollschere eine Spitzenmanschette kräuselte. Ihre Bewegungen waren leicht, sicher und schnell, und obwohl ihr Gesicht blass vor Müdigkeit und Wärme war, arbeitete sie doch mit unverminderter Schnelligkeit.

»Und dabei hat sie sieben, und zwei in der Anstalt«, stimmte das Mädchen neben ihr, vor Mitgefühl schnüffelnd, ein. Aber du solltest morgen mit in den Weasel-Park kommen, Saxon, die Maurer sind immer guter Laune – es gibt Tauziehen, Sacklaufen – echt irischen Jiggin – und – alles Mögliche. Und der Tanzboden ist prachtvoll ...«

Aber die ältere Frau unterbrach wieder ihre Unterhaltung. Sie ließ das Eisen auf die Hemdbrust fallen, packte das Brett, tastete einen Augenblick darauf herum, sank dann ins Knie und fiel wie ein halbleerer Sack zu Boden, während ihre langgezogenen Schreie den stickigen, von dem scharfen Geruch versengten Zeuges erfüllten Raum durchschnitten. Die Frauen an dem nächsten Tisch stürzten zuerst auf das heiße Eisen, um das Zeug zu retten, und dann zu der Frau, während die Inspektorin mit langen kriegerischen Schritten durch den Gang geeilt kam. Die entfernter Stehenden plätteten weiter, kamen jedoch aus dem Takt und verloren dadurch viele Bewegungen.

»Da kann ein Hund krepieren«, murmelte das junge Mädchen und schleuderte das Eisen heftig und entschlossen auf seinen Platz. »Das Leben einer Arbeiterin ist anders, als man erzählt. Ich bin bald fertig damit – jawohl.«

»Mary!« Saxons Stimme drückte einen tiefen Vorwurf aus, und um ihr noch mehr Nachdruck zu verleihen, musste sie ihr Eisen einen Augenblick loslassen, was sie ein Dutzend Bewegungen kostete.

Mary warf ihr einen halberschrockenen Blick zu.

»So meinte ich es nicht, Saxon«, klagte sie. »Weiß Gott, nein. Den Weg würde ich nie gehen; aber sag' selbst, ob ein solcher Tag einen nicht nervös machen kann. Hör nur!«

Die Frau, welche Krämpfe bekommen hatte, lag auf dem Rücken und trommelte mit den Absätzen auf dem Fußboden, während sie immerfort monoton wie eine Sirene schrie. Zwei Frauen griffen sie unter dem Arm und schleiften sie über den Fußboden. Sie trommelte und schrie unaufhörlich. Die Tür öffnete sich, und es ertönte ein gewaltiges, gedämpftes Dröhnen großer Maschinen, und in diesem Dröhnen ertrank ihr Trommeln und Schreien, worauf die Tür sich wieder schloss. Der Geruch von verbranntem Zeug hing noch in der Luft als eine unheimliche Erinnerung an das Geschehene.

»Das ist zum Krankwerden«, sagte Mary.

Und dann verging eine lange Zeit, in der die Eisen sich hoben und senkten, ohne dass das Maximaltempo in der Stube auch nur einen Augenblick vermindert wurde. Die Inspektorin stolzierte unterdessen zwischen den Tischen auf und ab, und ihre Augen stießen Drohungen gegen alle beginnende Schlaffheit und Hysterie aus. Hin und wieder ließ eine Plätterin für einen Augenblick das Eisen los, gähnte oder seufzte und machte sich dann mit müdem Entschluss wieder an die Arbeit. Der lange Sommertag schwand, aber die Wärme nicht, und die Arbeit wurde unter dem harten Schein der elektrischen Lampen fortgesetzt. Gegen neun Uhr begann die erste Frau heimzugehen. Die berghohen Wäschehaufen waren zusammengeschrumpft. Nur wenige Reste lagen noch hie und da auf den Plättbrettern, wo die Plätterinnen noch arbeiteten.

Saxon wurde etwas früher fertig als Mary, und als sie hinausging, blieb sie einen Augenblick am Brett der andern stehen.

»Sonnabend abend und wieder eine Woche vorbei«, klagte Mary.

Das junge Gesicht war bleich und eingefallen, und unter den schwarzen Augen, die so müde blickten, lagen tiefe Schatten.

»Wieviel hast du denn verdient, Saxon?«

»Zwölfundeinenviertel« antwortete Saxon nicht ohne einen gewissen Stolz. »Und ich hätte noch mehr verdient, wenn die Stärkefabriken nicht die Stärke verfälschten.«

»Ja, das muss man sagen«, meinte Mary bewundernd. »Du kannst etwas schaffen – du frisst es gleichsam. Ich – ich habe nur zehn und einen halben verdient – für eine Woche Mühe. Wir sehen uns also um neun Uhr vierzig an der Bahn. Aber bestimmt. Wir können noch ein bisschen herumschlendern, ehe der Tanz anfängt. Am Nachmittag kommen ein paar Freunde von mir.«

Zwei Straßen von der Plätterei entfernt hatten sich ein paar Halbstarke unter einer Bogenlampe an einer Ecke aufgestellt. Saxon eilte an ihnen vorbei. Unwillkürlich wurde ihr Gesicht hart und straff. Sie erfasste zwar nicht den Wortlaut ihrer Bemerkungen, erriet ihn aber aus dem rohen Gelächter, das sie begleitete, und das Blut strömte ihr warm und zornig in die Wangen, während sie weiterging in der Abendluft, die schon kühl zu werden begann.

Zu beiden Seiten lagen Arbeiterwohnungen, Häuser aus verwittertem Holz, dessen alter Anstrich von jahrelangem Schmutz bedeckt war. Nur ihre Billigkeit und Hässlichkeit machten sie bemerkenswert.

Es war dunkel, aber sie ging nicht fehl, und das Schloss kreischte wie gewöhnlich vorwurfsvoll und kläglich unter ihren Händen, – wie sie diesen Gruß kannte! Sie trat in die Küche, wo eine einsam flatternde Gasflamme brannte. Es war eine kleine Küche, die nicht unordentlich zu nennen war, weil nichts darin war, was sie unordentlich machen konnte. Die gegipste Decke, die vom Dampf vieler Waschtage dunkel und hässlich war, wurde von Rissen, einer Erinnerung an das große Erdbeben im letzten Frühling, durchkreuzt. Der Fußboden war uneben und hatte tiefe Risse; vor dem Herd war er ganz abgetreten, und eine aus einer flachgehämmerten und doppelt gelegten Petroleumkanne verfertigte Platte glich den Schaden aus. Ein Ausguss, ein schmutziges, derbes Handtuch, ein paar Stühle und ein Tisch vervollständigten das Bild.

Ein Apfelgehäuse krachte unter ihrem Fuß, als sie den Stuhl an den Tisch zog. Auf einem abgenutzten Stück Wachstuch wartete das Abendessen. Sie nahm ein wenig von den kalten, fettgetränkten Bohnen, ließ sie aber stehen und schmierte sich ein Stück Brot.

Das baufällige Haus zitterte unter schweren schleppenden Schritten, und Sarah trat ein, eine frühgealterte Frau mit hängendem Busen und wirrem Haar, das fette Gesicht in mürrische, vergrämte Falten gelegt.

»Na, bist du da?« grunzte sie zur Begrüßung. »Ich habe das Essen nicht warmhalten können. Was für ein Tag! Ich bin vor Hitze fast krepiert.«

Sarah kam näher und stellte sich in ihrer ganzen mächtigen Fülle an den Tisch.

»Was ist mit den Bohnen?« begann sie herausfordernd.

»Nichts, sie sind nur ...« Saxon flüchtete vor dem aufziehenden Unwetter. »Ich habe nur keinen Hunger. Es ist heute so warm gewesen. Es war furchtbar in der Plätterei.«

Gleichgültig trank sie einen Schluck von dem kalten Tee, der so lange gezogen hatte, dass er wie Tinte schmeckte, und gleichgültig schluckte sie ihn und den Rest des Getränkes vor den Augen ihrer Schwägerin hinunter. Dann wischte sie sich den Mund mit ihrem Taschentuch und stand auf.

»Ich glaube, ich gehe zu Bett.«

»Merkwürdig, dass du nicht zum Tanzen gehst«, schnüffelte Sarah. »Ja, es ist wirklich komisch – jeden Abend kommst du todmüde nach Hause, aber jeden Abend kannst du ausgehen und bis in den hellen Morgen hineintanzen.«

Saxon wollte antworten, besann sich aber und presste die Lippen zusammen. Dann verlor sie plötzlich die Selbstbeherrschung und sagte heftig: »Du bist wohl auch einmal jung gewesen?«

Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern machte kehrt und ging in ihr Zimmer, das neben der Küche lag. Es war ein ganz kleiner Raum, und auch hier hatte das Erdbeben seine Spuren im Putz hinterlassen. Ein Bett, ein billiger Stuhl aus Kiefernholz und eine sehr alte Kommode bildeten das ganze Mobiliar. Die Kommode hatte Saxon ihr ganzes Leben gekannt. Ihr Anblick war mit ihren frühesten Erinnerungen verwebt. Sie wusste, dass sie mit ihren Vorfahren auf einem »Prärieschiff« über die Prärie gekommen war. Die Kommode bestand aus massivem Mahagoni, aber die eine Seite war gesprungen und verschrammt, als der Wagen im Rock Canyon abstürzte. Das runde Loch einer Büchsenkugel in der obersten Schublade berichtete von dem Kampfe mit den Indianern bei Little Meadow. Von diesen Ereignissen hatte ihre Mutter ihr erzählt, und sie hatte ihr auch erzählt, dass die Kommode ursprünglich mit ihrer Familie aus England gekommen war, und zwar zu einer Zeit, die vor der Geburt George Washingtons lag.

Saxon machte Miene, ihren Hut abzunehmen, stattdessen aber setzte sie sich auf das Bett. Sie weinte leise, damit niemand es hören sollte, aber die schlechtschließende Tür ging geräuschlos auf, und beim Klang der Stimme ihrer Schwägerin fuhr Saxon zusammen.

»Was ist jetzt wieder mit dir los? Wenn die Bohnen dir nicht schmeckten –«

»Nein, nein«, erklärte Saxon schnell. »Ich bin nur müde, das ist alles, und die Füße tun mir weh. Ich hatte keinen Hunger, Sarah. Ich bin nur so erschöpft.«

»Wenn du das ganze Haus zu besorgen hättest«, lautete die Antwort, »und kochen und backen und waschen solltest und so viel um die Ohren hättest wie ich – dann hättest du einen Grund, erschöpft zu sein. Du kannst lachen! Aber warte nur.« Sarah hielt einen Augenblick inne und grinste boshaft. »Warte nur, sage ich, denn eines schönen Tages bist du schon dumm genug, zu heiraten wie ich, und dann kommst du an die Reihe. Kinder kommen, Kinder und Kinder und Kinder – und keine Bälle mit Seidenstrümpfen und drei Paar Schuhen auf einmal. Du hast es wie der Dotter im Ei – an keinen zu denken als an dein eigenes teures Ich – und dabei all die Laffen, die um dich herumschwänzeln und dir von deinen schönen Augen erzählen. Huh! Eines schönen Tages hängst du dich an einen von ihnen, und dann wirst du vielleicht zur Abwechslung Gelegenheit haben, mit ein paar blauen Augen herumzulaufen.«

»Sag das nicht, Sarah«, protestierte Saxon. »Mein Bruder hat dich nie geschlagen, das weißt du gut.«

»Nein, was tut er überhaupt? Er hat nie Grütze im Kopf gehabt, aber er ist nun auch viel besser als das Pack, mit dem du herumläufst, wenn er auch nicht genug verdient, um ordentlich zu leben und seiner Frau drei Paar Schuhe zu kaufen. Vielleicht sind die Mädchen heutzutage klüger, was weiß ich? Aber das weiß ich jedenfalls, dass es einem jungen Mädchen mit drei Paar Schuhen, das nur an ihr Vergnügen denkt, einmal schlecht gehen wird, das kann ich dir erzählen. In meiner Jugend war es anders. Meine Mutter hätte mich schön beim Schlafittchen genommen, wenn ich es gemacht hätte wie du, und sie hatte recht, das ist so sicher, wie heute alles in der Welt verkehrt ist. Sieh deinen Bruder an – zu Sozialistenversammlungen rennen und all den Quatsch anhören, das kann er, und all die Extraausgaben für ihre Gewerkschaften, die den Kindern nur das Brot aus dem Munde nehmen, statt dafür zu sorgen, gut mit seinen Vorgesetzten zu stehen. Für das Geld, das er für all das ausgibt, könnte er mir leicht siebzehn Paar Schuhe jährlich geben, wenn ich dumm genug wäre, mir etwas daraus zu machen. Aber eines schönen Tages, ja, du wirst sehen, kommt er ins Loch, und was sollen wir dann tun? Wie soll ich fünf Mäuler füllen, wenn nichts da ist?«

Sie hielt inne, um Luft zu schöpfen, war aber offenbar bis zum Rande mit neuen Tiraden gefüllt.

»Ach, Sarah, könntest du nicht die Tür schließen?« bat Saxon.

Die Tür schlug mit einem Krach zu, und während Saxon sich wieder weinend aufs Bett setzte, hörte sie ihre Schwägerin in der Küche herumrumoren und laute Selbstgespräche führen.

Das Mondtal

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