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XI

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Um ein Uhr bog Billy von der Landstraße ab und fuhr in eine Lichtung unter den Bäumen. »Hier essen wir«, verkündete er. »Ich dachte, es wäre besser, selbst das Frühstück zu machen, als in einem Wirtshaus an der Landstraße zu essen. Und jetzt will ich die Pferde abschirren. Wir haben massenhaft Zeit. Wir können den Frühstückskorb auspacken.«

Als Saxon den Korb ausgepackt hatte, war sie über seine Verschwendung entsetzt. Sie holte ein verblüffendes Arsenal von Butterbroten mit Schinken, Krabbensalat, hartgekochte Eier, Schweinsfüße in Gelee, reife Oliven, Essiggurken in Dill, Schweizerkäse, Salzmandeln, Apfelsinen, Ananas und mehrere Flaschen Bier hervor. Nicht allein die Menge verblüffte sie, sondern auch die Vielfältigkeit. Es machte auf sie den Eindruck, als hätte er kühn versucht, ein ganzes Delikatessengeschäft aufzukaufen.

»Es war doch nicht nötig, soviel zu kaufen«, sagte sie, als sie sich neben ihn gesetzt hatte. »Das ist ja genug für ein Dutzend Maurer.«

»Aber es ist gut, nicht wahr?« fragte er.

»Ja«, gab sie zu. »Nur zu viel.«

»Dann ist es also richtig«, entschied er. »Ich habe immer gern alles reichlich. Laß uns mit einem Schluck Bier den Staub aus dem Hals spülen, ehe wir uns ans Essen machen. Sei vorsichtig mit den Gläsern. Ich muss sie zurückgeben.«

Als sie mit dem Essen fertig waren, legte er sich auf den Rücken, rauchte eine Zigarette und fragte sie nach ihrer Vergangenheit aus. Sie hatte ihm gerade von ihrem Leben im Hause ihres Bruders erzählt, wo sie viereinhalb Dollar wöchentlich bezahlte. Mit fünfzehn Jahren hatte sie die Gemeindeschule verlassen und dann Arbeit in der Jutefabrik für vier Dollar wöchentlich gefunden, von denen sie Sarah drei bezahlte.

»Aber dieser Gastwirt?« fragte Billy. »Wie ging es zu, dass er dich zu sich nahm?«

Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß es eigentlich nicht – vielleicht, weil es der Familie schlecht ging. Sie schienen nicht weiterkommen zu können. Sie konnten sich gerade durchschlagen, aber mehr auch nicht. Cady – der Gastwirt – hatte in der Kompagnie meines Vaters gestanden, und er schwor auf Kapitän Kit, das war der Spitzname meines Vaters. Mein Vater hatte die Ärzte verhindert, ihm das Bein zu amputieren, und das vergaß er ihm nie. Er verdiente viel Geld mit seinem Hotel und seiner Wirtschaft, und später erfuhr ich, dass er geholfen hatte, die Ärzterechnungen für meine Mutter und ihre Beisetzung neben meinem Vater zu bezahlen. Ich hätte eigentlich bei Onkel Will leben sollen – das war der Wunsch meiner Mutter; aber es hatte Unruhen in den Venturabergen gegeben, wo er eine Viehranch hatte, und einige Männer waren getötet worden. Es war etwas mit der Markscheide, Viehhürden oder dergleichen, und wie es nun zuging, jedenfalls kam er ins Gefängnis und saß lange, und als er herauskam, hatten die Rechtsanwälte ihm seine Farm genommen. Er war damals schon alt und gebrochen, seine Frau wurde krank, und er bekam eine Stellung als Nachtwächter für vierzig Dollar den Monat. Er konnte also nichts für mich tun, und so nahm Cady mich zu sich.

Cady war ein guter Mann, wenn er auch nur Gastwirt war. Seine Frau war groß und hübsch, und ich glaube, sie war nicht, wie sie sein sollte – das habe ich später gehört. Aber zu mir war sie gut. Als er starb, ging sie ganz vor die Hunde, und dann kam ich ins Waisenhaus. Da war es nicht gerade angenehm, und ich war drei Jahre lang dort. Dann aber hatte Tom sich verheiratet und feste Arbeit bekommen, und er nahm mich heraus, und seitdem habe ich stets für mein tägliches Brot arbeiten müssen.«

Sie sah traurig über die Felder hinaus, bis ihr Blick auf einem Gatter haften blieb, an dem flammender Mohn wuchs. Billy, der auf dem Rücken gelegen, zu ihr aufgesehen und seinen Blick mit Wohlbehagen auf dem feinen Oval des schmalen Mädchenantlitzes hatte ruhen lassen, streckte jetzt langsam die Hand aus und murmelte: »Armes Tierchen.«

Seine Hand schloss sich im innigen Mitgefühl um ihren rechten Unterarm, und als ihr Blick den seinen suchte, las sie sowohl Überraschung wie Freude darin.

»Nein«, sagte er, »wie kühl deine Haut ist. Fühl mich an, ich bin immer warm. Fühl meine Hand an.«

Die Hand war warm und feucht, und jetzt bemerkte sie auch winzige Schweißperlen auf seiner Stirn und seiner glattrasierten Oberlippe.

»Aber, Lieber, du bist ja ganz verschwitzt.«

Sie beugte sich über ihn und wischte ihm mit ihrem Taschentuch Stirn und Lippen und dann die Handflächen ab.

»Ich atme durch die Haut, glaube ich«, erklärte er. »Die klugen Leute auf dem Trainingsplatz und in den Turnsälen sagen, dass das gute Gesundheit bedeutet. Aber augenblicklich schwitze ich doch mehr als gewöhnlich. Komisch, nicht wahr?«

Um ihm den Schweiß von der Stirn zu wischen, hatte sie ihren Arm freimachen müssen; als sie aber fertig war, nahm er ihn wieder.

»Aber wie kühl doch deine Haut ist«, wiederholte er mit derselben Bewunderung als früher. »Und so weich wie Samt und so glatt wie Seide anzufühlen.«

Sanft und untersuchend ließ er seine Hand von ihrem Handgelenk bis zum Ellbogen und wieder zurück gleiten. Der lange Vormittag im Sonnenschein hatte sie müde und schläfrig gemacht; sie gab sich dem Wohlbehagen hin, das sie bei dieser Berührung fühlte, und ertappte sich dabei, wie sie sich halb träumend sagte, dass hier der Mann war, den sie lieben konnte, ihn, seine Hände und seinen ganzen Körper.

Sanft ließ er seine Hand ihren Arm hinaufgleiten, und während sie auf seine Lippen sah, dachte sie an das bange Beben, das sie bei ihrer ersten Begegnung gefühlt hatte.

»Sprich weiter«, fuhr er nach etwa fünf Minuten seligen Schweigens fort. »Ich sehe so gern deine Lippen, wenn du sprichst. Es ist merkwürdig, aber jede Bewegung, die du machst, ist wie ein kleiner Kuss.«

»Wenn ich etwas sage, so weiß ich nicht, ob es dir gefallen wird.«

»Nur los«, drang er in sie. »Du kannst nichts sagen, was mir nicht gefiele.«

»Nun ja, drüben an der Hecke steht Mohn, den ich gern pflücken möchte.«

»Ich lasse dich gleich los«, lachte er. »Aber ich will dir etwas sagen – du musst ›Wenn die Tage des Herbstes vorbei‹ singen und mich dabei den andern deiner kühlen Arme halten lassen, und dann fahren wir.«

Als sie das Lied gesungen hatte, befreite sie ihren Arm und erhob sich.

Die Sonne ging schon unter, als sie in einem großen Bogen nach Osten und Süden die Wasserscheide der Contra-Costa-Berge erreichten und den langen Hügel, der an Redwood Peak vorbei nach Fruitvale führte, hinabzufahren begannen. Unter ihnen glitt die flache Küste in die Bucht hinaus, wie ein Schachbrett in Felder und Städte eingeteilt – Elmhurst, San Leandro und Haywards. Der Rauch von Oakland verschleierte den westlichen Horizont wie ein dunkler Nebel, und auf der andern Seite der Bucht sahen sie San Francisco.

Die Dunkelheit senkte sich auf sie herab, und Billy war so merkwürdig schweigsam. In der letzten halben Stunde hatte er anscheinend ihre Existenz ganz vergessen, nur dass er einmal sie und sich zum Schutz gegen den kalten Abendwind fester in die Decke wickelte. Saxon saß eng neben ihm. Die Wärme ihrer Körper vermischte sich, und ein inniges Gefühl von Ruhe und Freude überkam sie.

»Hör mal, Saxon«, begann er plötzlich. »Es hat keinen Zweck, dass ich länger schweige. Ich hab es den ganzen Tag auf den Lippen gehabt – seit dem Frühstück. Was meinst du dazu, mich zu heiraten?«

Sie wusste – und es war Sicherheit und Freude in dem Gefühl –, dass es sein Ernst war. Instinktiv aber fühlte sie den Drang, ihn zurückzuhalten, ihn ein wenig zu quälen, sich kostbar und dadurch noch begehrenswerter zu machen, ehe sie nachgab. Außerdem waren ihr Feingefühl und ihr weiblicher Stolz ein wenig verletzt. Billys Draufgängertum war beinahe abstoßend. Aber doch sehnte sie sich wieder schrecklich nach ihm – wie sehr, wusste sie erst jetzt.

»Nun, so sag doch etwas, Saxon. Laß es mich wissen, gut oder böse. Aber lasse es mich wissen. Und noch eins. Denk daran, dass ich dich liebe. Bei Gott, ich liebe dich ganz wahnsinnig, Saxon. Natürlich, das muss ich ja, wenn ich dich frage, ob du mich heiraten willst; denn das habe ich noch nie ein Mädchen gefragt.«

Wieder trat Schweigen ein, und Saxon fühlte, wie ihre Gedanken um den warmen, zitternden Körper unter der Decke zu kreisen begannen. Als sie merkte, wo diese Gedanken sie hinführen wollten, wurde sie in der Dunkelheit glühend rot.

»Wie alt bist du, Billy?« fragte sie so unerwartet, dass er jetzt ebenso verblüfft war, wie sie bei seinen ersten Worten gewesen.

»Zweiundzwanzig«, antwortete er.

»Ich bin vierundzwanzig.«

»Als ob ich das nicht wüßte! Wenn ich weiß, wie alt du warst, als du das Waisenhaus verließest, und wie lange du in der Jutefabrik, in der Konservenfabrik, in der Kartonagenfabrik und in der Plätterei arbeitetest, glaubst du, ich könnte das nicht zusammenrechnen? Ich wusste dein Alter bis auf deinen Geburtstag genau.«

»Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich zwei Jahre älter bin.«

»Und wenn schon? Wenn das etwas zu bedeuten hätte, so würde ich dich nicht lieben, nicht wahr? Deine Mutter hatte recht. Liebe ist alles. Nur darauf kommt es an. Kannst du das nicht einsehen? Ich liebe dich, und ich muss dich haben. Das ist doch so natürlich, sollte ich meinen. Es gibt keine andere Möglichkeit, Saxon, ich muss dich haben, und Gott weiß, mein innigster Wunsch ist, dass auch du mich haben möchtest. Mag sein, dass meine Hände nicht so weich sind wie die des Buchhalters und die des Kommis, aber sie können für dich arbeiten und sich für dich schlagen wie der Teufel, und, Saxon, sie können dich lieben.«

Der instinktive Trieb, sich zu wehren, den sie bisher stets Männern gegenüber gefühlt hatte, schien diesmal verschwunden zu sein. Dies war kein Kampf. Es war, worauf sie gewartet, wovon sie geträumt hatte. Billy gegenüber war sie wehrlos. Sie konnte ihm nichts abschlagen. Und aus diesem großen Gefühl erwuchs ein anderes, das noch größer war – er war nicht so.

Sie sagte nichts. Aber während ihr eine Flamme durch Leib und Seele schoss, legte sie ihre Hand auf seine Linke und versuchte, sie von den Zügeln fortzuziehen. Er verstand das nicht; als sie aber nicht losließ, legte er die Zügel in die rechte Hand und ließ ihr mit der andern ihren Willen. Sie beugte sich darüber und küsste die harte Haut in seiner Kutscherfaust.

Einen Augenblick saß er wie vom Himmel gefallen da. »Ist das wahr?« stammelte er.

Statt zu antworten, küsste sie zum zweiten Mal seine Hand und murmelte:

»Ich liebe deine Hände, Billy. In meinen Augen sind es die schönsten Hände der Welt, und ich brauchte viele Stunden, um dir alles zu sagen, was sie mir bedeuten.«

»Prrr!« sagte er zu den Pferden.

Er brachte sie zum Stehen, sprach ihnen beruhigend zu und befestigte die Zügel am Peitschenstiel. Dann wandte er sich zu ihr, umschlang sie mit den Armen und drückte seine Lippen auf die ihren.

»Ach, Billy, ich will dir eine gute Frau sein«, schluchzte sie, als er sie losließ.

Er küsste ihre nassen Augen und fand ihre Lippen wieder.

»Jetzt weißt du, woran ich dachte, und warum ich so schwitzte beim Lunch. Ich konnte es nicht länger aushalten, ich musste es dir sagen. Du weißt ja, dass du mir vom ersten Augenblick an gefielst.«

»Und ich glaube, ich habe dich auch vom ersten Tage an geliebt, Billy. Ich war den ganzen Tag so stolz auf dich, denn du warst so gut, rücksichtsvoll und so stark, und alle Männer hatten solchen Respekt vor dir, und die Mädchen waren in dich verliebt. Einen Mann, auf den ich nicht stolz wäre, könnte ich weder lieben noch heiraten. Und ich bin so stolz auf dich, ach, so stolz.«

»Nicht halb so stolz, wie ich es selber jetzt auf mich bin«, antwortete er, »und zwar, weil ich dich gewonnen habe. Das ist alles zu schön, um wahr zu sein, und in zwei Minuten wird vielleicht der Wecker rasseln und mich wecken. Nun, selbst wenn es so ist, so will ich doch jedenfalls so viel wie möglich von diesen beiden Minuten haben.«

Er schloss sie in seine Arme und presste sie so an sich, dass es fast schmerzte. Nach einer kleinen Weile, die für sie wie eine ewige Seligkeit war, ließ er sie los, und es war, als müsste er sich gewaltsam hierzu aufraffen.

»Und noch hat die Uhr nicht geweckt«, flüsterte er an ihrer Wange. »Und es ist dunkle Nacht, und dort vor uns liegt Fruitvale und stehen King und Prince mitten auf dem Wege. Ich kann dich nicht loslassen, und wir haben noch ein Stück zu fahren. Gift und Galle, aber wir müssen weiter.«

Er ließ sie ganz los, stopfte die Decke um sie fest und gab den ungeduldigen Pferden einen kleinen Schmitz mit der Peitsche.

Eine halbe Stunde später sagte er: »Prrr!«

»Jetzt weiß ich, dass ich wach bin, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich all das andere nicht geträumt habe, und ich muss meiner Sache sicher sein.«

Und wieder machte er die Zügel fest und schloss sie in seine Arme.

Das Mondtal

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