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VI
ОглавлениеDie Arbeit in der Plättstube ging schnell vonstatten, aber die drei Tage bis Mittwochabend waren sehr lang. Saxon summte über dem Zeug, das rasch unter dem Eisen fortflog.
»Ich begreife nicht, wie du es machst«, sagte Mary bewundernd. »Wenn du so dabeibleibst, verdienst du diese Woche leicht dreizehn oder vierzehn.«
Saxon lachte, und in dem Dampf ihres Eisens sah sie goldene Buchstaben tanzen, die sich zu einem »Mittwoch« fügten.
»Wie gefällt dir Billy?« fragte Mary.
»Gut«, lautete die freimütige Antwort.
»Schön, aber dabei lasse es auch bleiben.«
»Das kommt wohl auf mich selber an«, antwortete Saxon heiter.
»Laß das lieber bleiben«, lautete die warnende Antwort. »Du hast nur Kummer davon. Er denkt nicht ans Heiraten. Das hat schon mehr als ein Mädchen erfahren. Sie werfen sich ihm ja direkt an den Hals.«
»Ich beabsichtige mich weder ihm noch einem anderen Manne an den Hals zu werfen.«
»Ich wollte es dir nur sagen«, schloss Mary. »Du wirst gut tun, es dir zu merken.«
Saxon war ernst geworden.
»Er ist wohl nicht – nicht so ...«, begann sie, sah aber im selben Augenblick die Bedeutung der Frage ein, die sie nicht formen konnte.
»Ach nein, gar nicht so – obwohl ich eigentlich nicht weiß, was ihn davon abhalten sollte. Er ist durch und durch anständig. Nur eben keiner von denen, die vor jedem Unterrock kapitulieren. Er tanzt und amüsiert sich, aber mehr nicht. Viele sind ganz verrückt nach ihm gewesen. Augenblicklich laufen ihm mindestens ein Dutzend verliebte Mädels nach. Und er macht sich nur lustig über sie. Du kennst doch Lily Sanderson. Du hast sie letzten Sommer beim Fest der Slawonen in Shellmound gesehen – das große, hübsche blonde Mädchen, das mit Butch Willows zusammen war.«
»Ja, ich erinnere mich«, sagte Saxon. »Was ist mit ihr?«
»Sie ging einige Zeit mit Butch Willows, und nur, weil sie gut tanzte, tanzte Billy ziemlich viel mit ihr. Butch hat vor nichts Angst. Er macht auf der Stelle ein großes Hallo, nagelt Billy draußen, wo Gott und alle Welt es hören können, fest und gibt ihm eine lange Erklärung, und Billy hört auf seine besonnene, schläfrige Art zu, und Butch wird immer wütender, und alle erwarten einen Krach.
Da sagt Billy zu Butch: ›Bist du fertig?‹ ›Ja!‹ sagt Butch. ›Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte, und was willst du jetzt tun?‹ Und da sagt Billy – ja, was meinst du, was er sagte, während Gott und alle Welt zuhörten und Butch wie der Blutdurst selber aussah? Weißt du, was er sagte? ›Ich will gar nichts, Butch‹. Genau so. Butch war so erstaunt, dass man ihn mit einer Feder hätte umwerfen können. ›Und du tanzt nicht mehr mit ihr?‹ fragt er. ›Nicht, wenn du sagst, dass ich es nicht darf, Butch‹, sagt Billy. Genau so.
Ein anderer hätte sich nur so zurückziehen sollen – kein Mensch hätte ihn dann noch angesehen. Aber Billy – der konnte es sich leisten. Er hat einen Ruf als Boxer, und als er Butch ganz ruhig reden ließ, wussten Gott und alle Welt, dass er sich weder fürchtete noch den Schwanz zwischen die Beine steckte. Er machte sich nicht das geringste aus Lily Sanderson, das war alles, und doch konnten Gott und alle Welt sehen, dass sie ganz verrückt nach ihm war.«
Diese Geschichte machte Saxon nicht geringen Kummer. Sie war weder mehr noch weniger eitel als Frauen im Allgemeinen, wenn es aber darauf ankam, einen Mann zu erobern, hatte sie nicht viel Selbstvertrauen. Billy hatte es Vergnügen gemacht, mit ihr zu tanzen, und sie fragte sich, ob das alles wäre. Falls Charley Long Streit mit ihm suchte, würde er sie dann laufen lassen, wie er Lily Sanderson hatte laufen lassen? Er dachte nicht ans Heiraten. Aber Saxon konnte vor der Tatsache nicht die Augen verschließen, dass er im hohen Maße erstrebenswert als Ehemann war. Kein Wunder, dass die Mädchen ihm nachliefen. Und er war ein Männerbezwinger wie ein Frauenbezwinger. Die Männer hatten ihn gern. Bert Wanhope schien ihn geradezu zu lieben. Sie erinnerte sich des Butchertowners aus dem Weasel-Park, der an ihren Tisch gekommen war, um sich zu entschuldigen, und des Irländers vom Tauziehen, der jeden Gedanken, sich mit Billy zu prügeln, in dem Augenblick aufgab, als er ihn erkannte.
Ein sehr verzogener junger Mann, das war der Gedanke, der Saxon hin und wieder durch den Kopf schoss. Aber jedes Mal verwarf sie ihn als etwas Niedriges. Billy war sanft auf seine eigene, aufreizende, besonnene Art. Bei all seiner Kraft trat er den Rechten anderer nicht zu nahe. Da war die Geschichte mit Lily Sanderson. Bert hätte aus reiner Lust am Ärgern und aus Freude am Krach nicht so gehandelt. Es hätte eine Prügelei und Hass gegeben, Butch wäre sein erbitterter Feind geworden, und Lily würde nichts dabei gewonnen haben. Aber Billy hatte sich richtig benommen, besonnen, ohne sich stören zu lassen, und mit der größten Rücksicht auf jeden, was ihn alles zusammen in Saxons Augen noch erstrebenswerter machte.
Sie kaufte sich ein Paar neue Seidenstrümpfe, deren Kauf sie von einer Woche zur anderen hinausgeschoben hatte, und Dienstagnacht blieb sie auf und nähte sich schläfrig und müde eine neue Bluse, während Sarah sie ausschalt, dass sie so viel Gas verschwendete.
Der Orindoreball am Mittwochabend war kein ungemischtes Vergnügen. Es war schändlich zu sehen, wie die Mädchen Billy umschwärmten, und zuweilen reizte Saxon die Rücksicht, die er ihnen erwies. Aber sie musste zugeben, dass er die anderen jungen Männer in ihren Gefühlen nicht verletzte, wie die Mädchen die ihren verletzten. Sie bettelten ihn geradezu an, mit ihnen zu tanzen, und von dieser ganz offensichtlichen Jagd auf ihn entging ihrer Aufmerksamkeit nicht viel. Sie beschloss, es nicht so wie die anderen zu machen und es in dieser Weise auf ihn anzulegen, sondern tanzte bald mit dem einen, bald mit dem andern und bemerkte mit heimlicher Freude, dass sie die richtige Taktik befolgte. Sie zeigte ihm mit voller Überlegung, dass es noch andere Männer gab, die ihr gefielen, während er ihr, ohne sich dabei etwas zu denken, seine Beliebtheit bei den Frauen zeigte.
Ihr Glück kam, als er kühl ihre Einwände überhörte und hartnäckig zwei Tänze mehr verlangte, als sie ihm versprochen hatte. Und sie wurde froh und zornig zugleich, als sie zufällig eine Unterhaltung zwischen zwei großen, starken Fabrikarbeiterinnen hörte. – »Wie die kleine Abgebrochene ihn mit Beschlag belegt!« sagte die eine. Und die andere: »Sie könnte eigentlich gern einem von ihrem eigenen Alter nachlaufen.« »Kinderräuberin!« lautete die letzte Bosheit, die Saxon das Blut in die Wangen trieb, während die beiden Mädchen sich entfernten, ohne zu wissen, dass sie ihnen zugehört hatte.
Billy begleitete sie nach Hause, küsste sie an der Pforte und nahm ihr das Versprechen ab, am Freitagabend mit ihm zum Tanz in der Germaniahalle zu gehen.
»Ich hatte eigentlich nicht daran gedacht, hinzugehen«, sagte er. »Aber wenn Sie wollen – Bert kommt auch.«
Am Plättbrett erzählte Mary ihr am nächsten Tage, dass sie und Bert in die Germaniahalle gingen.
»Kommst du auch?«
Saxon nickte.
»Und Billy Roberts?«
Wieder nickte sie. Mary sandte ihr mit erhobenem Plätteisen einen langen neugierigen Blick.
»Und wenn Charley Long Krach schlägt?«
Saxon zuckte die Achseln.
Schnell und schweigend plätteten sie eine Viertelstunde weiter.
»Nun ja«, sagte Mary schließlich, »wenn er es tut, kriegt er vielleicht, was er verdient. Das sollte mich freuen. Es kommt alles auf Billys Stimmung an – mit Bezug auf dich, meine ich.«
»Ich bin nicht Lily Sanderson«, antwortete Saxon zornig. »Ich würde Billy Roberts nie Gelegenheit geben, mich stehen zu lassen.«
»Doch, wenn Charley Long Krach schlägt. Und das sage ich dir, Saxon, der ist kein Gentleman. Wie er sich gegen Herrn Moody benommen hat! Es war grässlich, wie er ihn überfiel. Und Herr Moody ist ein so netter kleiner Mann, der keiner Fliege etwas zuleide tut. Nun ja, er wird schon merken, dass Billy kein Muttersöhnchen ist – längst nicht.«
Am selben Abend traf Saxon Charley Long, der vor dem Eingang der Wäscherei wartete. Als er vortrat, guten Abend sagte und sich anschickte, sie zu begleiten, spürte Saxon das alte ängstliche Herzklopfen, das er sie hinreichend kennengelehrt hatte. Die Farbe wich aus ihren Wangen, so ängstlich machte sein Anblick sie. Sie fürchtete den plumpen Körper dieses Mannes, seine schweren braunen Augen, die sie tyrannisierten und sich zugleich Vertraulichkeiten erlaubten; seine schweren Schmiedefäuste und die dicken schwarzen Finger mit der Behaarung auf dem ersten Glied. Er wirkte abstoßend auf sie, rein physisch sowohl wie auf all ihre besseren Gefühle. Es war nicht seine Kraft an sich, sondern deren Wesen und die Art, wie er sie missbrauchte, was ihr zuwider war. Sein Überfall auf den braven Herrn Moody hatte ihr lange qualvolle Stunden bereitet. Es schauderte sie noch, so oft sie daran dachte. Und doch hatte sie ohne zu schaudern zugesehen, wie Billy sich im Weasel-Park auf dieselbe primitive Manntierart schlug. Aber es war ein Unterschied gewesen. Das wusste sie, wenn sie es auch nicht zu entscheiden vermochte, worin dieser Unterschied bestand. Über das Tierische an Händen und Charakter dieses Mannes war sie sich jedoch klar.
»Du siehst so blass und mitgenommen aus, Mädel«, sagte er. »Warum schlägst du nicht zu? Einmal muss es ja doch sein. Du entkommst mir nicht, Kindchen.«
»Könnte ich nur«, antwortete sie.
Er lachte, ein rohes, lärmendes Lachen. »Da ist nichts zu machen, Saxon. Du bist wie geschaffen dazu, Frau Long zu werden, und es ist so sicher wie nur etwas, dass du es wirst.«
»Ich wünschte, ich wäre in allem so sicher wie du«, sagte sie mit einem missglückten Versuch, sarkastisch zu sein.
»Hör jetzt gut zu, was ich dir sage«, fuhr er fort. »Wenn ich mir etwas vornehme, so tue ich es, und wenn mir jemand in den Weg kommt, geht es ihm schlecht. Hast du mich verstanden? Du kannst dich ebenso gut gleich entschließen, die Arbeit in meinem Haus zu tun statt in der Plätterei. Es ist gar nicht darüber zu reden. Viel zu tun gibt es nicht. Ich verdiene ein schönes Geld, und du sollst nichts entbehren. Ich habe mich nur nach der Arbeit gewaschen und bin hergekommen, um es dir noch einmal zu sagen. Du wirst wohl so gut sein, es dir zu merken. Ich habe mir nicht einmal Zeit gelassen, etwas zu essen. Da kannst du sehen, wie gern ich dich habe.«
»Dann solltest du lieber gehen und essen«, riet Saxon ihm, obwohl sie wusste, wie aussichtslos jeder Versuch war, ihn loszuwerden.
Sie wurde sich plötzlich bewusst, dass sie sehr müde und sehr klein und schwach neben diesem Koloss von Mann war. Soll er mich immer tyrannisieren? fragte sie sich verzweifelt, und im selben Augenblick sah sie ihr zukünftiges Leben vor sich, und Gestalt und Gesicht des dicken Schmieds verfolgten sie überall.
»Nur guten Mutes, Kindchen, schlag zu!« fuhr er fort. »Es ist jetzt Sommer, gerade die rechte Zeit zum Heiraten.«
»Aber ich will dich nicht heiraten«, protestierte sie. »Das habe ich dir mehr als tausendmal gesagt.«
»Ach Unsinn! Selbstverständlich heiratest du mich. Das ist abgemacht. Freitagabend fahren wir zusammen nach Frisco. Es wird großes Hallo bei den Hufschmieden geben.«
»Aber ich geh nicht mit«, protestierte sie.
»Freilich wirst du«, antwortete er mit vollkommener Sicherheit. »Mit dem letzten Boot fahren wir heim, und du wirst dich schon amüsieren. Ich werde dich einigen guten Tänzern vorstellen. Ach, ich bin nicht kleinlich, und du tanzt ja gern.«
»Aber ich sage dir doch, dass ich nicht kann«, wiederholte sie.
Er warf ihr einen misstrauischen Blick zu unter den schwarzen dichten Brauen, die über der Nase zusammenwuchsen.
»Warum kannst du nicht?«
»Ich habe eine Verabredung.«
»Mit wem?«
»Mit niemand, der dich etwas angeht, Charley Long. Ich habe eine Verabredung, das ist alles.«
»Ich werde dafür sorgen, dass es mich angeht. Denk an das Milchgesicht von Buchhalter! Ja, denk nur an ihn und an die Prügel, die er kriegte.«
»Ich möchte, dass du mich in Frieden lässt«, sagte sie gekränkt. »Kannst du dich denn nicht ein einziges Mal ordentlich benehmen?«
Der Schmied lachte boshaft.
»Wenn irgendein Flaps glaubt, sich zwischen dich und mich drängen zu können, so soll er etwas erleben. Charley Long wird es ihn lehren. Freitagabend – he? Wo?«
»Das sage ich nicht.«
»Wo?« wiederholte er. Sie schwieg und presste die Lippen zusammen, während der Zorn kleine rote Flecken auf ihre Wangen malte.
»Hm! – Als ob ich es mir nicht denken könnte. Germaniahalle. Schön, ich komme; verstehst du? Und nachher bringe ich dich nach Hause. Hast du jetzt verstanden? Und du tust am besten, dem Laffen zu raten, wegzubleiben, wenn du sein Gesicht nicht verschimpfiert sehen willst.«
Saxon fühlte sich versucht, ihm Namen und Ruf ihres neuen Beschützers ins Gesicht zu schreien. Dann aber kam die Furcht. Charley war ein starker Mann und Billy nur ein Knabe. So wirkte er jedenfalls auf sie. Sie erinnerte sich des ersten Eindrucks, den sie von seinen Händen erhalten hatte, und warf einen schnellen Blick auf die Hände des Mannes neben ihr. Sie erschienen ihr doppelt so groß wie die Billys, und die dichte Haarschicht machte auf sie den Eindruck ungeheurer Kraft. Nein, mit diesem dicken Tier konnte Billy den Kampf nicht aufnehmen. Er durfte nicht! Aber im selben Augenblick fühlte sie eine kleine boshafte Hoffnung, dass Billy kraft seiner geheimnisvollen und unglaublichen Geschicklichkeit als Boxer dennoch imstande sei, diesen Klotz zu züchtigen und sie von ihm zu befreien. Aber noch ein Blick, und der Zweifel meldete sich wieder, denn ihre Augen ruhten auf den breiten Schultern des Schmiedes. Die Jacke war voller Muskelfalten, und die Ärmel schwollen über dem massigen Oberarm.
»Wenn du wieder wagst, einen anzutasten, mit dem ich gehe –«, begann sie.
»Ja, dann ist es selbstverständlich am schlimmsten für ihn«, grinste Long. »Und das geschieht ihm recht. Jeder Mann, der sich zwischen einen Mann und sein Mädel drängt, verdient, dass es ihm schlecht geht.«
»Aber ich bin nicht dein Mädel und werde es nie, was du auch sagen magst.«
»Das ist recht, reg dich nur auf«, sagte er beifällig. »Dann hab ich dich gern. Ksskss. So eine Frau kann ein Mann brauchen, keine von den fetten Kühen hier. Die sind tot. Aber du bist lebendig. Und gerade so, wie du sein sollst.«
Sie blieb vor dem Hause stehen und legte die Hand auf die Klinke.
»Gute Nacht!« sagte sie. »Ich gehe hinein.«
»Komm wieder heraus und geh mit in den Idorapark«, schlug er ihr vor.
»Nein, ich fühle mich nicht ganz wohl und gehe gleich nach dem Abendessen zu Bett.«
»Aha«, knurrte er. »Um morgen Abend recht hübsch zu sein – was, Mädel?«
Mit einer ungeduldigen Bewegung öffnete sie die Pforte und trat ein.
»Ich habe es dir jetzt gesagt«, fuhr er fort. »Wenn du morgen Abend nicht mit mir gehst, dann wird es einem schlecht ergehen.«
»Ja, und hoffentlich dir«, rief sie rachsüchtig.
Er lachte und warf den Kopf zurück, spannte seinen mächtigen Brustkasten und hob die schweren Arme. Er erinnerte sie in diesem Augenblick an einen großen Affen, den sie einmal im Zirkus gesehen hatte, und sie fühlte einen tiefen Widerwillen.
»Ja, gute Nacht denn«, sagte er. »Wir sehen uns morgen Abend in der Germaniahalle.«
»Ich habe nicht gesagt, dass es die Germaniahalle ist.«
»Und du hast auch nicht gesagt, dass es nicht die Germaniahalle ist. Na, ich komme jedenfalls. Verlass dich darauf und bewahre mir hübsch viele Tänze auf. Das ist mein Recht. Sei nur recht wütend. Das steht dir gut.«
***