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II

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Sie bezahlten jede ihre Eintrittskarte am Eingang zum Weasel-Park, und beide waren sich ganz klar darüber, wieviel Stück Feinwäsche der halbe Dollar, den es kostete, darstellte. Es war noch früh am Tage, so dass die Leute erst spärlich kamen, aber die Maurer rückten schon mit ihren Familien an, mit mächtigen Frühstückskörben und einer ganzen Schar kleiner Kinder beladen – eine gesunde, unkultivierte Rasse von Arbeitern, gut gelohnt und kräftig ernährt. Auch Großväter und Großmütter sah man unter ihnen, leicht kenntlich in der Menge trotz ihrer guten amerikanischen Kleidung. Sie waren auch lange nicht so gut genährt, und es war leicht zu sehen, dass das nicht vom Alter allein kam, sondern von schweren Zeiten und vieljähriger, mühseliger Arbeit im alten Irland, wo sie das Licht der Welt erblickt hatten. Zufriedenheit und Stolz standen in ihren Gesichtern zu lesen, wie sie neben ihrer kräftigen Nachkommenschaft dahinhumpelten, die mit kräftigerer Kost ernährt war.

Es waren nicht diese Menschen, zu denen Mary und Saxon gehörten. Sie kannten sie nicht und hatten keine Freunde unter ihnen. Ihnen war gleichgültig, wer Feste feierte, Irländer, Deutsche, Slawonen; Maurer, Brauer, Schlächter – für sie kam alles auf eins hinaus. Sie, die Mädchen, gehörten zu dem tanzenden Publikum, das der Kasse einen gewissen Prozentsatz zuführte, mit dem man bei allen Festen rechnete.

Sie schlenderten zwischen den Buden umher, wo es aus Anlass des Tages geröstete Affennüsse und gemahlene Maiskörner gab, und gingen dann, um den Tanzboden in Augenschein zu nehmen. Saxon klammerte sich an einen eingebildeten Kavalier und versuchte ein paar Walzerschritte. Mary klatschte in die Hände.

»Gott!« rief sie. »Du bist direkt großartig. Und die Strümpfe sind fein!«

Saxon lächelte zufrieden und streckte den Fuß vor – sie trug kleine Samtschuhe mit hohen Kubaner Absätzen – hob ein wenig das enge schwarze Kleid und zeigte eine reizende Fessel und eine feingerundete Wade, deren weiße Haut durch die allerdünnsten und durchsichtigsten schwarzen Seidenstrümpfe zu fünfzig Cent das Paar leuchtete. Sie war schlank, nicht groß, hatte aber ausgeprägt weiblich runde Formen. Auf ihrer weißen Bluse trug sie ein plissiertes Jabot aus billiger Spitze, über der Bluse ein fesches kleines Jackett und dazu imitierte Wildlederhandschuhe. Echt waren hingegen die Locken, die, ganz unbekannt mit der Brennschere, unter dem koketten kleinen schwarzen Samthut hervorguckten, der ihre Augen beschattete. Die dunklen Augen Marys funkelten vor Freude. Mit einem raschen kleinen Anlauf schlang sie die Arme um die Freundin, presste sie an sich und küsste sie. Dann ließ sie sie wieder los, über ihre eigene Torheit errötend.

»Du siehst glänzend aus«, rief sie, wie um sich zu entschuldigen. »Wenn ich ein Mann wäre, könnte ich die Hände nicht von dir lassen. Ich würde dich fressen, ganz bestimmt.«

Hand in Hand verließen sie den Tanzboden und schlenderten durch den Sonnenschein. Vor lauter Vergnügen schwangen sie die Hände und revanchierten sich reichlich für die vernichtende Qual der Woche. Sie lehnten sich über das Geländer des Bärenzwingers, schauderten beim Anblick des gewaltigen einsamen Gastes und lachten zehn Minuten lang vor dem Affenkäfig. Dann gingen sie über die Rasenfläche und guckten unterwegs in die kleine Arena hinab, die auf dem Grunde eines natürlichen Amphitheaters lag, wo die Kampfspiele des Nachmittags stattfinden sollten. Dann machten sie Entdeckungsreisen zwischen den Labyrinthen und Pfaden des Parkes, wo sie beständig auf neue Überraschungen in Form von schattigen Winkeln mit ländlichen grüngestrichenen Tischen und Bänken stießen, von denen viele schon von Familien besetzt waren. Als sie an einen von Bäumen umgebenen Rasenhang kamen, breiteten sie eine Zeitung unter sich aus und setzten sich in das niedrige Gras, das die kalifornische Sonne schon gedörrt und gebräunt hatte. Nach sechstägiger unaufhörlicher Arbeit tat es gut, hier zu sitzen und nichts zu tun, und außerdem mussten sie sich doch über die Freuden des Tanzes unterhalten, die ihrer warteten.

Mary schwatzte. »Bert Wanhope kommt ganz sicher. Er sagte, er wollte Billy Roberts mitbringen. Den Großen Bill nennen sie ihn. Er ist ein großer Junge, aber mächtig zäh. Er ist Berufsboxer, und alle Mädel laufen ihm nach. Ich habe Angst vor ihm. Ein gutes Mundwerk hat er nicht, er ist ungefähr wie der große Bär, den wir vorhin sahen, Brr–rf! Brr–rf! – ebenso. Übrigens ist er eigentlich kein richtiger Berufsboxer, sondern Kutscher und Gewerkschaftsmitglied. Fährt für Corberly und Morrison. Manchmal aber tritt er in Vereinen auf. Er ist hitzig, und ob er einen Mann zu Boden schlägt oder isst, kommt auf eines heraus. Ich glaube nicht, dass er dir gefallen wird, aber er tanzt großartig. Schwer, weißt du. Er gleitet und schreitet nur über den Boden. Du musst sehen, dass du mit ihm tanzt. Und er ist kein Knicker. Aber hitzig, – oha!«

Und die Unterhaltung ging ihren Gang. Es war jedoch meistens Mary, die sprach, und sie kam immer wieder auf Bert Wanhope zurück.

»Ihr beide scheint ja sehr befreundet zu sein«, meinte Saxon.

»Ja, ich würde ihn morgen heiraten, wenn es sein sollte«, fuhr es aus ihr heraus. Dann sah sie plötzlich ganz verloren aus und wurde blass, fast hart im Gesicht vor hilfloser Verzweiflung. »Er hat mich nur noch nicht gefragt. Er ist – –« Sie zögerte ein Weilchen, dann brach die Leidenschaft aus ihr heraus: »Nimm dich vor ihm in acht, Saxon, wenn er sich je an dich heranmacht. Er ist ein dreckiger Kerl. Aber einerlei, ich würde ihn lieber heut als morgen heiraten. Anders kriegt er mich nie.« Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, seufzte aber stattdessen tief. »Es ist eine komische Welt, in der wir leben, nicht wahr? Zum Totlachen. Und alle Sterne sind auch Welten. Ich möchte wissen, wo Gott sich verbirgt. Bert Wanhope sagt, es gebe gar keinen Gott. Aber er ist schrecklich – sagt die schrecklichsten Dinge. Ich glaube an Gott. Du nicht auch? Wo, glaubst du, ist Gott, Saxon?«

Saxon zuckte die Achseln und lachte.

Die Töne einer Tanzmelodie erklangen jetzt vom Tanzboden, und die beiden jungen Mädchen sprangen auf.

»Wir können gut ein paar Runden tanzen, ehe wir essen«, schlug Mary vor. »Dann ist Nachmittag, und dann kommen die Männer. Die meisten von ihnen sind Knicker, deshalb kommen sie so spät, denn dann brauchen sie den Mädels kein Essen zu spendieren. Aber Bert ist nobel, und Billy auch. Komm, mach schnell, Saxon.«

Nur wenige Paare waren auf dem Tanzboden, als sie kamen, und die zwei Mädchen tanzten den ersten Walzer miteinander.

»Da ist Bert«, flüsterte Saxon, als sie zum zweiten Mal herumkamen.

»Tu, als sähest du sie nicht«, flüsterte Mary zurück. »Laß uns nur weiter tanzen. Sie dürfen nicht glauben, dass wir ihnen nachlaufen.«

Aber Saxon merkte gut, dass Marys Wangen sich gerötet hatten, und dass sie hastiger atmete.

»Hast du den andern gesehen?« fragte Mary, während sie in einem langen Gleiten Saxon nach dem entgegengesetzten Ende der Estrade führte. »Das ist Billy Roberts. Bert sagte, dass er kommen würde. Er soll für dich das Essen ausgeben und Bert für mich. Es wird ein großartiger Tag, du wirst sehen. Gott, wenn doch die Musik anhalten möchte, bis wir ans andere Ende kommen.«

Und sie walzten weiter, auf der Jagd nach Kavalieren und Mittagessen – zwei frische junge Geschöpfe, die unzweifelhaft gut tanzten, und die froh überrascht waren, als die Musik sie in bedenklicher Nähe vom Ziel ihrer Wünsche ans Land spülte.

Bert und Mary nannten sich beim Vornamen, aber Saxon sagte »Herr Wanhope« zu Bert, obwohl er sie stets Saxon nannte. Sie kannten sich alle bis auf Saxon und Billy Roberts. Mary stellte sie mit nervöser und nachlässiger Eile vor.

»Herr Roberts – Fräulein Brown. Sie ist meine beste Freundin. Ihr Vorname ist Saxon. Ist das nicht ein wahnsinnig komischer Name?«

»Ich finde, dass er gut klingt«, antwortete Billy, nahm den Hut ab und streckte die Hand aus. »Guten Tag, Fräulein Brown.«

Als ihre Hände sich trafen und Saxon fühlte, dass er harte Haut an den Händen hatte wie alle Kutscher, erfasste sie mit einem einzigen schnellen Blick eine Menge anderer Dinge. Alles, was er bemerkte, waren ihre Augen, und er hatte eine schwache Vorstellung davon, dass sie blau waren. Erst später am Tage konstatierte er, dass sie grau waren. Sie hingegen sah gleich seine Augen, wie sie waren, tiefblau, groß und schön mit einem eigenen verdrossenen knabenhaften Blick. Sie fand, dass sie ehrlich aussahen, und sie gefielen ihr gut, wie ihr auch seine Hand sowie die Berührung dieser Hand gefiel. Ebenfalls hatte sie, wenn auch nur ganz flüchtig, Zeit gehabt, die kurze gerade Nase, die helle Gesichtsfarbe und die feste, kurze Oberlippe zu bemerken, ehe ihr schneller Blick mit Wohlgefallen auf dem gutgeformten Mund mit den reinen Linien und den roten lächelnden Lippen ruhte, die die beneidenswert weißen Zähne entblößten. Ein Junge, ein großer starker Junge von Mann, dachte sie, und während sie sich zulächelten und ihre Hände sich lösten, fand sie noch Zeit, sein Haar zu bemerken: kurzes, lockiges, sehr helles Haar, fast wie mattes Gold, so schien ihr, aber doch zu hell, um wirklich Gold zu gleichen.

Die Augen hatten dunkle Wimpern und waren verschleiert und voller Temperament – es war kein verwundert starrender Kinderblick –, und der aus glattem braunem Stoff bestehende Anzug war nach Maß angefertigt. Saxon schätzte sofort den ganzen Anzug ein und bewertete ihn im geheimen auf mindestens fünfzig Dollar. Auch von der Ungeschicklichkeit des skandinavischen Einwanderers war nichts an ihm zu bemerken. Im Gegenteil, er war einer der wenigen Glücklichen, deren Muskeln durch die schönheitsverlassene Kleidung der Zivilisation hindurch Schönheit ausstrahlen. Jede seiner Bewegungen war geschmeidig, besonnen und wohlberechnet. Aber das sah sie nicht und machte sie sich nicht klar. Was sie sah, war nur ein gut gekleideter Mann mit Schönheit in Haltung und Bewegung. Die beherrschte Ruhe, die über seinem ganzen Auftreten lag, dieses Spiel von Muskeln war etwas, das sie eher fühlte als sah, und ebenso fühlte sie, dass hier war, wonach sie sich gesehnt hatte: eine Befreiung und Ruhe, doppelt angenehm und willkommen für jemand, der sechs Tage lang von morgens bis abends Feinwäsche geplättet hatte. Wie die Berührung seiner Hand ihr angenehm gewesen war, so fühlte sie ein, wenn auch unklares Behagen bei allem an ihm, Körper und Seele.

Als er ihre Ballkarte nahm und mit ihr zu spaßen begann, wie junge Leute zu tun pflegen, stellte sie fest, wie plötzlich dieses Gefallen an ihm gekommen war. Noch nie hatte ein Mann einen solchen Eindruck auf sie gemacht. Sie konnte es nicht lassen, sich zu fragen: Ist dies der Mann?

Er tanzte ausgezeichnet. Sie freute sich, wie eine gute Tänzerin sich freut, wenn sie einen guten Tänzer gefunden hat. Wie er mit seinen besonnenen Muskelbewegungen in die Rhythmen des Tanzes hineinglitt und eins damit wurde, das war geradezu bezaubernd. Kein Zweifel, kein Schwanken. Sie sah nach Bert, der mit Mary »schwofte« und immer wieder mit den anderen Tanzenden, deren Zahl allmählich gewachsen war, zusammenstieß. Schlank und hochgewachsen, war Bert auf seine Art nicht ohne Charme und galt als guter Tänzer. Wenn Saxon aber an das Tanzen mit ihm dachte, schien ihr das Vergnügen nicht ganz ungemischt. In seinem ganzen Wesen lag etwas Krampfhaftes. Er war zu schnell oder doch immer im Begriff, es zu werden. Es war, als wollte er stets aus dem Takt geraten. Das störte so, es war keine Ruhe bei ihm zu finden.

»Sie tanzen wie ein Traum«, sagte Billy Roberts. »Ich habe oft gehört, wie gut Sie tanzen.«

»Ich tanze so gern«, antwortete sie.

Aber aus der Art, wie sie es sagte, verstand er, dass sie am liebsten nicht reden wollte, und sie tanzten schweigend weiter, während sie sich froh und stolz über diese Rücksicht fühlte, die sie als Weib vollauf zu schätzen wusste. Rücksicht war eine seltene Ware in der Gesellschaftsschicht, der sie angehörte. Ist dies der Mann? Sie erinnerte sich Marys: »Ich würde ihn lieber heute als morgen heiraten« und ertappte sich bei dem Gedanken, ob sie Billy Roberts morgen heiraten würde, wenn er sie fragte.

Die Augen zu schließen und sich in diesen Armen fortzuträumen, die so wunderbar führten! Ein Boxer! Ein komischer kleiner Schauder durchfuhr sie bei dem Gedanken daran, was Sarah sagen würde, wenn sie sie in diesem Augenblick sähe. Im Übrigen war er ja gar nicht Boxer, sondern Kutscher.

Plötzlich ging die Musik in einen ganz anderen Takt über, die Schritte wurden länger, der Druck seines Armes wurde fester, er hob und trug sie, obwohl ihre kleinen Füße in den Samtschuhen nicht einen Augenblick den Fußboden verließen. Dann fielen sie, ebenso plötzlich, wieder in den kurzen Takt zurück. Sie merkte, wie er sie ein winziges Stück von sich abhielt, so dass er ihr ins Gesicht sehen konnte, und das war so lustig, dass sie sich anlachen mussten.

Schließlich wurde die Musik langsamer, und mit ihr verlangsamten sie ihren Tanz, ließen ihn in ein langes Gleiten verebben und hörten mit dem letzten ersterbenden Ton auf.

»Wir sind als Tänzer wie für einander geschaffen«, sagte er.

»Es war ein Traum«, antwortete sie.

Ihre Stimme war so leise, dass er sich zu ihr herabbeugen musste, um zu hören, was sie sagte, und dabei bemerkte er die Röte in ihren Wangen – eine Röte, die sich gleichsam ihren Augen mitgeteilt hatte, welche warm und verschleiert waren. Er nahm ihre Ballkarte und schrieb mit tiefem Ernst und riesigen Buchstaben seinen Namen quer darüber.

»Und jetzt ist sie somit zwecklos«, sagte er dreist. »Sie brauchen sie nicht mehr.«

Er zerriss sie und warf sie weg.

»Das nächste Mal kommen wir beide dran, Saxon«, sagte Bert, als er mit Mary zu ihnen trat. »Dann kannst du für den nächsten Tanz Mary nehmen, Bill.«

»Nicht zu machen, Bert«, lautete die Antwort. »Saxon und ich haben uns für den Rest des Tages zusammengetan.«

Mary betrachtete sie mit verstellt besorgter Miene, und Bert sagte gutmütig:

»Ich muss sagen, ihr seid schnell einig geworden. Aber einerlei – wenn ihr noch ein paar Runden getanzt habt, dann erlauben Mary und ich uns hiermit, euch zum Essen einzuladen.«

»Mir aus der Seele gesprochen«, stimmte Mary ein.

»Na, lasst es gut sein«, lachte Billy und wandte den Kopf, dass er Saxon in die Augen sehen konnte. »Hören Sie nicht auf sie – sie ärgern sich nur, weil sie miteinander tanzen müssen. Bert tanzt schrecklich, und Mary ist auch nicht viel wert. So, jetzt geht es wieder los. Nach zwei Tänzen sehen wir uns wieder.«

Das Mondtal

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