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III
ОглавлениеSie aßen im Freien, unter Bäumen, und Saxon bemerkte, dass es Billy war, der für sie alle bezahlte. Sie kannten viele der jungen Leute an den anderen Tischen, und Grüße und Scherze flogen hin und her. Bert nahm sich viele und zuweilen etwas plumpe Freiheiten gegen Mary heraus, legte seine Hand auf die ihre, ergriff sie und hielt sie fest, und einmal riss er ihr mit Gewalt ihre zwei Ringe ab und weigerte sich lange, sie zurückzugeben. Zuweilen, wenn er den Arm um sie legte, machte Mary sich sofort wieder frei, zuweilen aber ließ sie es sich auch gefallen, indem sie sorgsam, doch so, dass sie niemand damit täuschte, tat, als bemerkte sie es nicht.
Und Saxon, die nicht viel sagte, sondern Billy Roberts zum Gegenstand eines eingehenden Studiums machte, dachte, dass er derlei sicher ganz anders machen würde, wenn er sich überhaupt darauf einließe. Jedenfalls würde er nie ein Mädchen antasten, wie Bert und viele andere es taten. Sie maß die breiten Schultern Billys.
»Warum nennt man Sie eigentlich den Großen Bill?« fragte sie. »Sie sind doch gar nicht so schrecklich groß.«
»Nein«, gab er zu. »Ich messe nicht mehr als fünf Fuß und dreiviertel Zoll. Es ist wohl mein Gewicht, denke ich.«
»Sein Kampfgewicht ist hundertundachtzig«, warf Bert ein.
»Ach, lasse doch«, sagte Billy schnell, und ein Schatten von Unwillen verdunkelte seine Augen. »Ich bin nicht Boxer. Ich bin im letzten halben Jahr nicht mehr aufgetreten. Ich habe damit aufgehört. Es lohnt sich nicht.«
»Du hast doch an dem Abend, als du den Frisco-Boxer schlugst, zweihundert verdient«, rief Bert mit Stolz.
»Laß doch, lasse doch, sage ich. Aber hören Sie, Saxon, Sie sind selbst auch nicht groß, aber Sie sind prachtvoll gewachsen, genauso, wie man sein muss, das können Sie jedem sagen, der Sie fragt. Sie sind voll und schlank zugleich. Ich möchte darauf wetten, dass ich Ihr Gewicht erraten kann.«
»Die meisten raten zu hoch«, warnte sie ihn, aber im Stillen dachte sie darüber nach, warum sie sich gleichzeitig freute und ärgerte, weil er nicht mehr boxte.
»Ich nicht«, sagte er. »Ich rate jedes Gewicht.« Er betrachtete sie kritisch, und es war klar, dass seine Unparteilichkeit einen kleinen Kampf mit der warmen Bewunderung zu bestehen hatte, die sein Blick verriet. »Warten Sie einen Augenblick.«
Er beugte sich zu ihr und befühlte ihre Arme und Muskeln. Seine Finger pressten sich um ihren Arm mit einem Druck, der fest und ehrlich war, und Saxon fühlte einen kleinen Schauder dabei. Es lag eine Art Zauber über diesem großen Jungen von Mann. Wenn Bert oder ein anderer Mann ihren Arm so angefühlt hätte, würde sie das nur gereizt haben. Aber dieser Mann! Ist dies der Mann? fragte sie sich wieder, während er sein Urteil abgab.
»Ihre Kleider können nicht mehr als sechs Pfund wiegen, und sechs von – nun – sagen wir 111 – 105 wiegen Sie nackt.«
Aber die letzten Worte veranlassten laute Einsprüche Marys.
»Nun hören Sie aber, Billy Roberts, von so etwas spricht man doch nicht.«
Er sah sie verständnislos und mit steigendem Erstaunen an.
»Von was?« sagte er schließlich.
»Da hast du es wieder. Du solltest dich schämen. Sieh nur, du hast Saxon ganz verlegen gemacht.«
»Das ist nicht wahr«, protestierte Saxon indigniert.
»Und wenn es so weitergeht, Mary, machst du mich schließlich noch ganz verlegen«, brummte Billy. »Ich weiß wohl noch, was richtig ist und was nicht. Es kommt nicht darauf an, was man sagt, sondern was man denkt, und ich denke ganz richtig, und das weiß Saxon gut. Und sie und ich denken nicht an das, woran du jetzt denkst.«
»Oh! Oh!« rief Mary. »Du wirst immer schlimmer. An so etwas denke ich nie.«
»Pscht, Mary! Sachte!« bremste Bert sie. »Du verläufst dich. Solche Schnitzer macht Billy nie.«
»Man braucht nicht so roh zu sein«, fuhr sie fort.
»Na, na, Mary, sei so gut und hör jetzt auf mit dem Unsinn«, fertigte Billy sie ab, indem er sich wieder zu Saxon wandte. »Wie habe ich geraten?«
»Hundertzehn«, antwortete sie und warf einen vorsichtigen Blick auf Mary. »Hundertzehn mit Kleidern.«
Billy brach in ein herzhaftes Lachen aus, in das Bert einstimmte.
»Und mir ist es gleichgültig«, protestierte Mary. »Ihr seid beide ekelhaft und du auch, Saxon. Das hätte ich nie von dir gedacht.«
»Nun hör mal zu, Kindchen«, begann Bert beruhigend und legte leise den Arm um sie.
Aber in der künstlichen Erregung, in die Mary sich hineingeredet hatte, stieß sie seinen Arm zornig zurück. Dann wurde sie ängstlich, die Gefühle ihres Anbeters verletzt zu haben, und begann ihn daher auf alle mögliche Weise zu necken, wodurch sie auch selbst wieder in gute Laune kam. Er durfte wieder seinen Arm um sie legen, und, die Köpfe aneinander gelehnt, sprachen sie flüsternd miteinander.
Billy begann diskret eine Unterhaltung mit Saxon.
»Wissen Sie, Sie haben aber einen komischen Namen. Ich habe ihn noch nie gehört. Aber er klingt gut. Er gefällt mir.«
»Meine Mutter gab ihn mir. Sie hatte eine gute Erziehung genossen und kannte alle möglichen Fremdwörter. Sie las immer Bücher, fast bis zu ihrem Tode. Und sie schrieb eine Menge. Ich habe einige von ihren Gedichten, die vor langer Zeit in einer San-Joséer Zeitung gestanden haben. Die Sachsen waren ein Volksstamm – sie erzählte mir eine Menge von ihnen, als ich klein war. Sie waren wild wie die Indianer, aber weiß. Und sie hatten blaue Augen und gelbes Haar und waren gewaltige Krieger.«
Während sie sprach, hörte Billy ganz feierlich zu, und seine Augen hafteten unabgewandt auf ihr.
»Nie von ihnen gehört«, gestand er. »Lebten sie vielleicht irgendwo hier in der Nähe?«
Sie lachte.
»Nein. Sie lebten in England. Sie waren die ersten Engländer, und Sie wissen wohl, dass die Amerikaner von den Engländern abstammen. Wir sind Sachsen, Sie und ich, und Mary und Bert und alle Amerikaner, die richtige Amerikaner sind, wissen Sie, nicht Italiener, Japaner und dergleichen.«
»Meine Familie lebt schon lange in Amerika«, sagte Billy sinnend, »die Familie meiner Mutter. Sie ließen sich vor hundert Jahren in Maine nieder.«
»Mein Vater war auch aus Maine«, fiel sie ihm mit einem kleinen Freudenschrei ins Wort. »Und meine Mutter ist in Ohio oder da herum geboren. Was war Ihr Vater?«
»Weiß nicht.« Billy zuckte die Achseln. »Er wusste es selber nicht. Und kein anderer wusste es. Aber deshalb war er doch Amerikaner; Amerikaner durch und durch, darauf können Sie sich verlassen.«
»Roberts ist ein alter amerikanischer Name«, versicherte Saxon. »Es gibt gerade jetzt einen großen englischen General, der Roberts heißt. Das habe ich in der Zeitung gelesen.«
»Ja, aber mein Vater hieß nicht Roberts. Er hat seinen Namen nie gekannt. Roberts hieß ein Goldgräber, der ihn adoptierte. Sehen Sie, es verhielt sich so. Damals, als sie sich mit den Modoc-Indianern herumschlugen, waren eine Menge Goldgräber und Kolonisten dabei. Roberts war der Anführer eines solchen Korps, und einmal machten sie nach einem Kampf viele Gefangene, Indianerfrauen, Kinder und Säuglinge. Und eines dieser Kinder war mein Vater. Sie schätzten ihn auf fünf Jahre. Er sprach nur indianisch.«
Saxon schlug die Hände zusammen, und ihre Augen strahlten: »Er war bei einem Indianerüberfall gefangen worden!«
»So erklärten sie es«, nickte Billy. »Sie hatten von einem Wagenzug von Oregonkolonisten gehört, die vier Jahre zuvor von Modoc-Indianern erschlagen worden waren. Roberts adoptierte ihn, und deshalb weiß ich seinen richtigen Namen nicht. Aber Sie können sich darauf verlassen, dass er doch mit dabei war, als es über die Prärie ging.«
»Mein Vater auch«, sagte Saxon stolz.
»Und meine Mutter auch«, fügte Billy mit einem Anstrich von Stolz in der Stimme hinzu. »Sie ging sogar recht jung über die Prärie, denn sie wurde unterwegs in einem Wagen am Platte geboren.«
»Ja, und meine Mutter!« sagte Saxon. »Die war acht Jahre alt und ging den größten Teil des Weges zu Fuß, denn die Ochsen begannen zu fallen.«
Billy streckte die Hand aus.
»Her damit, Kindchen!« sagte er. »Es ist ganz, als wären wir alte Freunde, denn unsere Familien sind vom gleichen Schlage.«
Mit schimmernden Augen reichte Saxon ihm die Hand, und er drückte sie ernst.
Sie sahen sich freudestrahlend an; sie hatten einen neuen Anknüpfungspunkt gefunden.
»Nun, aber sie sind ja alle tot und begraben«, bemerkte Bert düster. »Es macht keinen Unterschied, ob man in einer Schlacht stirbt oder im Armenhaus. Die Hauptsache ist, dass sie tot sind. Mir wäre es vollkommen gleichgültig, wenn mein Vater gehängt worden wäre. In tausend Jahren hat das alles nichts mehr zu sagen.
Es war unterdessen voller geworden, und das muntere Klirren von Tellern und Schüsseln hatte natürlich zugenommen. Hie und da hörte man Bruchstücke von Liedern. Das derbe Lachen der Männer mischte sich mit dem grellen Kreischen der Mädchen, als die beiden Geschlechter ihre ewigen Scharmützel begannen. Viele der Männer standen schon deutlich unter der Wirkung der Getränke. An einem Tisch in der Nähe begannen einige Mädchen Billy zuzurufen, und Saxon, die schon ein sehr lebhaftes Gefühl von ihrem Besitzrecht hatte, konstatierte eifersüchtig, dass er eine in hohem Maße gesuchte Persönlichkeit war.
Mary machte ihrem Ärger Luft. »Sind sie nicht ekelhaft? So frech. Ich weiß gut, wer sie sind. Kein Mädchen, das was auf sich hält, will mit ihnen zu tun haben. Hört nur, was sie sagen!«
»Guten Tag, Billy«, rief eine von ihnen, ein fesches Mädchen mit braunen Augen. »Ich hoffe doch, du hast mich nicht vergessen.«
»Guten Tag, Kindchen«, antwortete er höflich.
Saxon schmeichelte sich, dass er ärgerlich aussah, und fasste einen schrecklichen Abscheu gegen die Braunäugige.
»Tanzen?« rief sie wieder.
»Vielleicht«, antwortete er und wandte sich unvermittelt zu Saxon. »Hören Sie, wir alten Amerikaner sollten eigentlich zusammenhalten, finden Sie nicht auch? Es gibt nicht mehr viele von uns. Das Land ist so voll von allen möglichen Fremden.« Er setzte das Gespräch mit leiser, vertraulicher Stimme fort und beugte den Kopf dicht zu dem ihren, wie um den andern Mädchen zu verstehen zu geben, dass er besetzt war.
Am Tisch gegenüber hatte ein junger Mann Saxon erblickt. Er war wie ein richtiger Halbstarker gekleidet, und seine Gesellschaft, Männer wie Frauen, wirkte unfein. Sein Gesicht war dunkelrot, und seine Augen hatten einen wilden Ausdruck.
»Heh, du da!« rief er. »Du mit den Samtschuhen. Was meinst du zu uns beiden?«
Das Mädchen neben ihm schlang ihm den Arm um den Hals und versuchte, ihn zu beschwichtigen, aber obwohl sie ihn mit ihren Küssen halb erstickte, hörte sie ihn doch murmeln:
»Ich sage dir, sie ist großartig, und jetzt wirst du gleich sehen, wie ich hinübergehe und sie dem Hemdenmatz wegnehme.«
»Butchertown-Stromer«, schnaufte Mary.
Saxon begegnete dem starren Blick des Mädchens und las Hass und Bitterkeit darin, und tief in Billys Augen sah sie den Zorn schwelen. Seine Augen wurden mürrisch und gleichzeitig schöner als je, fand sie. Das Wetter zog auf. Licht und Schatten wechselten in ihrem blauen Grunde, und sie hatte das Gefühl, dass sie wie eine bodenlose Tiefe waren. Er sprach nicht mehr und machte auch keinen Versuch dazu.
»Nur keinen Skandal, Bill«, sagte Bert beruhigend. »Sie sind von der anderen Seite der Bucht und wissen nicht, wer du bist, das ist alles.«
Bert stand schnell auf und trat an den andern Tisch, flüsterte der Gesellschaft ein paar Worte zu und kam wieder. Alle Gesichter am Tisch wandten sich Billy zu. Der Beleidiger erhob sich unvermittelt, schob das Mädchen, das die Hand ausstreckte, um ihn zu halten, beiseite und kam zu ihnen herüber. Er war ein großer, starker Mann mit einem harten, boshaften Gesicht und zornigen Augen. Aber er war zugleich ein überwundener Mann.
»So, du bist also der Große Bill Roberts«, sagte er mit belegter Stimme und stützte sich rülpsend auf den Tisch. »Ich ziehe meinen Hut vor dir. Ich mache dir meine Entschuldigung. Ich bewundere deinen Geschmack, was Schürzen betrifft, und das ist ein Kompliment, kann ich wohl sagen. Aber ich wusste nicht, wer du bist. Hätte ich gewusst, dass du Bill Roberts bist, so hätte ich nicht einen Pips gesagt. Verstanden? Ich entschuldige mich bei dir. Hier ist meine Hand.«
»Es ist gut, lasse es vergessen sein, Kamerad«, antwortete Billy kurz, und mit finsterer Miene gab er dem anderen die Hand und puffte ihn mit einer bedächtigen, schweren Armbewegung zu seinem Tisch zurück. Saxon machte große Augen. Hier war ein Beschützer, eine Stütze, ein Mann, den die Butchertowner fürchteten, wenn sie nur seinen Namen hörten.
Nach dem Essen gab es zwei Tänze im Saal, und dann wies die Musik den Weg nach der Arena, wo die Kampfspiele stattfinden sollten. Die Tanzenden gingen mit, und überall verließen die essenden Gesellschaften ihre Tische und schlossen sich an. Fünftausend Zuschauer füllten die rasenbekleideten Hänge des Amphitheaters und drängten sich in die Arena. Hier wurden nun zu allererst die Männer zum Tauziehen aufgestellt. Gemeldet waren die Maurer von Oakland und die von San Francisco. Die ausgewählten Kämpfer stellten sich mit breiten, schweren Bewegungen am Tau auf. Sie traten Löcher mit den Absätzen in den weichen Boden und rieben sich die Hände mit Erde ein, wobei sie lachten und scherzhafte Bemerkungen mit der sie umgebenden Menge wechselten. Die Aufseher versuchten, diese Schar von Freunden und Verwandten zurückzudrängen. Das keltische Blut kochte, der keltische Parteigeist wollte den Kopf erheben. Die Luft hallte wider von Hurrageschrei und guten Ratschlägen, Warnungen und Drohungen. Viele verließen ihre eigene Partei und gingen zum Gegner hinüber, um aufzupassen, dass nicht gemogelt wurde. Es waren ebenso viele Frauen wie Männer unter diesen zudringlichen Helfern. Die vielen trampelnden und scharrenden Füße wirbelten den Staub auf, und Mary schnappte nach Luft, hustete und bat Bert, ihr fortzuhelfen. Aber es war, als sei bei der Aussicht auf Krawall der Teufel in ihm losgelassen, und er hatte keinen anderen Gedanken als den, sich vorzudrängen. Saxon klammerte sich an Billy, der ihr besonnen und methodisch mit Ellbogen und Schultern den Weg bahnte.
»Das ist kein Ort für Mädels«, brummte er und blickte sie mit gekünstelter Gleichgültigkeit an, während er mit dem Ellbogen einen großen Irländer in die Rippen stieß, der Platz machte.
»Sobald sie zu ziehen anfangen, geht es los. Die Leute haben zu viel getrunken, und Sie wissen wohl, wo gute Irländer sind, gibt es stets Krach.«
Saxon passte sehr schlecht zu diesen schwergliedrigen Männern und Frauen. Sie sah so klein und kindlich, fein und gebrechlich aus, wie ein Wesen von anderer Rasse. Aber der kräftige Körper Billys und seine harten Muskeln retteten sie. Immer wieder blickte er in die vielen Frauengesichter, die sie umgaben, um dann immer wieder ihr Gesicht eingehend zu erforschen, und sie war sich der von ihm angestellten Vergleiche keineswegs unbewusst.
Da gab es ein Dutzend Schritte von ihnen Krach; laute Rufe und Lärm ertönten, während eine wogende Bewegung sich durch die Menge fortpflanzte. Ein dicker Mann, der im Gedränge seitwärts gepufft wurde, stieß hart gegen Saxon, so dass sie dicht an Billy gedrückt wurde, der die Schulter des Mannes packte und ihm einen Puff gab, der nicht so ruhig wie sonst war. Das Opfer grunzte unwillkürlich, wandte ihnen das Gesicht zu, ein unverkennbar irisches Gesicht mit rotverbrannter Haut und wütenden Augen.
»Was soll das heißen?« fauchte er.
»Kannst du nicht machen, dass du wegkommst?« lautete Billys Antwort, der er durch einen neuen kräftigen Puff Nachdruck verlieh.
Der Irländer grunzte wieder und machte einen zweiten Versuch, sich umzudrehen, aber die puffenden Körper zu beiden Seiten hielten ihn wie ein Schraubstock.
»Ich werde dir gleich deine Fratze zerquetschen«, verhieß er mit vor Wut halberstickter Stimme.
Aber im selben Augenblick wurde sein eigenes Gesicht einer völligen Veränderung unterzogen. Sein Mund fauchte nicht mehr, und ein gutmütiger Ausdruck trat in seine zornigen Augen.
»Jetzt sehe ich erst, wer du bist. Ich sah, wie du den furchtbaren Schweden schlugst, wenn du auch um deinen Sieg betrogen wurdest.«
»Nein, das tatest du nicht«, antwortete Billy heiter. »Du sahst an dem Abend, wie ich tüchtige Prügel kriegte. Die Entscheidung war ganz in Ordnung.«
Der Irländer strahlte direkt. Er hatte es mit einer Lüge versucht, um Gelegenheit zu einem Kompliment zu erhalten, und dass sie so prompt zurückgegeben wurde, trug nur dazu bei, seine Bewunderung für seinen Helden zu steigern.
»Nun ja, es war eine gehörige Tracht Prügel«, räumte er ein. »Aber du wehrtest dich wie eine ganze Herde von Wildkatzen. Sobald ich meine Hand frei bekomme, will ich dir die Faust drücken und dir helfen, die junge Dame zu bugsieren.«
Der Starter, der sich vergebens bemüht hatte, die Menge zurückzudrängen, gab den Versuch jetzt auf und feuerte seine Pistole ab, und das Tauziehen begann. Im selben Augenblick schien es, als wären alle Geister der Hölle losgelassen. Die Männer am Tau zogen und zerrten, bis ihre Gesichter blutrot vor Anstrengung waren und alle ihre Glieder krachten. Es war ein neues Tau, und wenn ihre Hände abglitten, sprangen Frauen und Töchter, beide Hände voller Erde, hinzu und rieben das Tau und die Hände ihrer Männer ein, damit sie besser zufassen konnten.
Eine dicke Frau in mittleren Jahren packte, außer sich vor Kampfeifer, das Tau und zog mit ihrem Mann, den sie mit lauten Rufen ermunterte. Ein Aufseher der Gegenpartei zog sie, aus vollem Halse schreiend, zurück, stürzte aber im selben Augenblick wie ein Stier zu Boden, an den Kopf getroffen von einem Schlag, den ein Parteigenosse der Frau ihm versetzte. Der wurde selbst sofort wieder zu Boden geschlagen, und muskulöse Frauen kämpften jetzt neben ihren Männern. Vergebens baten und protestierten der Richter und die Aufpasser, heulten und schwangen die Fäuste. Männer und Frauen sprangen durcheinander ans Tau und zogen mit. Es war nicht mehr Partei gegen Partei, sondern ganz Oakland gegen ganz San Francisco, die sich in einem allgemeinen Kampfe belustigten. Zwei bis drei Schichten von Fäusten häuften sich im Kampf übereinander, um das Tau zu fassen. Und Hände, die nicht fassen konnten, wurden zu Hämmern, die die Nasen der Aufseher bearbeiteten, wenn sie versuchten, die Ziehenden vom Tau wegzureißen.
Bert heulte vor Freude, während sich Mary, außer sich vor Schrecken, an ihn klammerte. Die Kämpfenden, die dem Tau zunächst standen, wurden umgeworfen und mit Füßen getreten. Der Staub wirbelte in großen Wolken auf, und von allen Seiten hörte man gellendes und ohnmächtiges Schreien und Heulen von rasenden Männern und Frauen, die sich nicht am Kampfe beteiligen konnten.
»Schreckliche Geschichte, schreckliche Geschichte«, murmelte Billy, und obwohl er alles, was geschah, sah, bahnte er doch kaltblütig und sicher mit Hilfe des wohlwollenden Irländers Saxon den Weg aus dem Handgemenge heraus.
Am Ende erfolgte die Katastrophe. Der verlierende Teil wurde mit all seinen freiwilligen Teilnehmern durch einen plötzlichen Ruck über den Strich gezerrt, im selben Augenblick überschwemmte die Menge die Arena, und alles verschwand unter einer Lawine kämpfender Gestalten.
Am äußersten, ruhigen Rande des Wirbels überließ Billy Saxon dem Schutz des Irländers und stürzte sich wieder ins Gedränge. Ein paar Minuten später kam er wieder mit dem verschwundenen Paar – Bert, von einem Schlag aufs Ohr blutend, aber strahlender Laune, Mary zerdrückt und aufgeregt.
»Das ist kein Sport«, wiederholte sie immer wieder. »Das ist ein Skandal, ein schmutziger Skandal.«
»Laß uns sehen, dass wir hier fortkommen«, sagte Billy. »Das ist nur der Anfang.«
»Nein, wart ein bisschen«, bat Bert. »Das ist seine acht Dollar wert. Es ist billig, einerlei, was es kostet. Ich habe lange nicht so viel blaue Augen und blutige Schnauzen gesehen.«
»Schön, dann geh wieder hin und amüsiere dich. Ich nehme die Mädchen mit auf die Anhöhe. Von dort können wir gut sehen. Aber ich gebe nicht viel für deine schönen Augen, wenn die Irländer dich zu fassen kriegen.«
Im Laufe verblüffend kurzer Zeit hatte der ganze Lärm sich gelegt. Auf der Richtertribüne neben der Arena brüllte der Ausrufer, dass jetzt die Wettläufe für Knaben begännen. Bert, der sehr enttäuscht war, kam auf die Anhöhe, wo Billy mit den beiden Mädchen stand und in die Arena hinuntersah.
Es gab Knabenlaufen und Mädchenlaufen, Laufen für junge Frauen und alte Frauen, für dicke Männer und dicke Frauen, Sacklaufen und Dreibeinlaufen, und die Teilnehmer jagten um die kleine Arena herum, während die Helfer wie wahnsinnig schrien. Das Tauziehen war schon vergessen. Gute Laune herrschte überall.
Fünf junge Leute traten an den Startpfahl, beugten sich, dass die Fingerspitzen den Boden berührten, und warteten in dieser Stellung auf den Pistolenschuss des Starters. Drei von ihnen trugen Socken, die beiden andern Laufschuhe mit Stacheln.
»Lauf für junge Männer«, las Bert aus dem Programm vor. »Und nur ein Preis – fünfundzwanzig Dollar. Seht den Rothaarigen mit den Stacheln – den äußersten. Auf den hält San Francisco. Er ist Favorit, es ist eine Menge auf ihn gewettet.«
»Wer gewinnt, glaubst du?« wandte Mary sich zu Billy als dem Sportkundigsten.
»Was weiß ich?« antwortete er. »Ich habe keinen von ihnen je gesehen. Aber sie sehen eigentlich alle gut aus.«
Der Revolver wurde abgefeuert, und die fünf Läufer schossen davon. Drei blieben schon am Start zurück. Der Rothaarige übernahm die Führung, einen schwarzhaarigen jungen Mann dicht auf den Fersen. Es war klar, dass die Entscheidung zwischen diesen beiden fallen musste. Auf halbem Wege übernahm der Schwarzhaarige die Führung mit einem Spurt, den er offenbar entschlossen war, bis zum letzten Augenblick zu halten. Er gewann zehn Fuß, und der Rothaarige vermochte nicht einen Zoll einzuholen.
»Das ist ein tüchtiger Kerl«, erklärte Billy. »Und er gebraucht nicht einmal alle seine Kräfte, während Rotschopf bald erledigt ist.«
Unter wildem Hurrageschrei passierte der Schwarzhaarige das Ziel, immer noch mit zehn Fuß Vorsprung. Aber plötzlich begannen sie zu pfeifen und zu heulen. Bert war ganz außer sich vor Begeisterung.
»Na ja, na ja«, jubelte er. »Jetzt rast Frisko. Gleich gibt es hier Feuerwerk, passt nur auf. Seht, sie haben Protest eingelegt. Der Schiedsrichter weigert sich, ihm das Geld auszuzahlen. Und die ganze Bande versammelt sich um ihn. Oh! Oh! Oh! Seit meinem Beinbruch habe ich mich nicht mehr so gut amüsiert.«
»Warum wollen sie ihm das Geld nicht geben, Billy?« fragte Saxon. »Er hat doch gewonnen.«
»Die Friskopartei behauptet, dass er Professional sei«, erklärte Billy. »Darüber zanken sie sich. Aber das ist Unsinn. Sie laufen alle für Geld, sind also alle Professionals.«
Die Menge wogte, stritt und brüllte vor der Richtertribüne. Die Tribüne war ein wackliger zweistöckiger Bau, dessen oberer Stock nach vorn offen war, und hier konnte man die Richter ebenso leidenschaftlich diskutieren sehen, wie die Menge darunter.
»Jetzt geht's los!« brüllte Bert. »Ach, du Bandit!«
Mit Hilfe von einem Dutzend Kameraden kletterte der schwarzhaarige Läufer zu den Richtern hinauf.
»Der Preisverteiler ist auf seiner Seite«, sagte Billy. »Seht, er gibt ihm das Geld, und einige Richter sind für ihn, und andere protestieren. Und da haben wir die von der Gegenpartei – von der Rotschopfs.« Mit beruhigendem Lächeln wandte er sich zu Saxon. »Es ist gut, dass wir diesmal nicht dazwischen sind. In einem Augenblick gibt es eine schlimme Geschichte dort unten.«
»Die Richter versuchen, ihn dazu zu bringen, dass er das Geld wiedergibt«, erklärte Bert. »Und wenn er das nicht tut, nehmen die andern es ihm weg. Ach, jetzt versuchen sie, es zu nehmen.«
Hoch über seinem Kopf hielt der Gewinner die Papierrolle mit den fünfundzwanzig Silberdollar. Seine Kameraden hatten einen Kreis um ihn gebildet und stemmten denen, die sich des Geldes bemächtigen wollten, die Schultern entgegen. Schläge waren noch nicht gefallen, aber das Getümmel wuchs, so dass das gebrechliche Gebäude zitterte und schwankte. Aus der Menge tönten dem Gewinner lärmende Zurufe entgegen: »Gib es zurück, Köter!« »Halt fest, Tim!« »Du hast gewonnen, Timmy!« »Gib es zurück, du dreckiger Räuber!« Unnennbare Injurien wie freundschaftliche Ratschläge wurden ihm zugeheult.
Der Lärm wurde immer wilder. Tims Kameraden kämpften, um ihn oben zu halten, so dass seine Hand beständig über den vielen Händen, die nach ihr schnappten, erhoben blieb. Für einen Augenblick wurde sein Arm herabgerissen. Dann kam er wieder hoch, aber das Papier war zerrissen, und mit einer letzten verzweifelten Anstrengung schleuderte Tim das Geld wie eine silberne Woge über die Köpfe der Menge. Dann folgte eine lange Zeit, in der man sich stritt und zankte.
»Ich wünschte, sie würden aufhören, dass wir tanzen könnten«, klagte Mary. »Das macht keinen Spaß.«
Langsam und mühevoll war die Richtertribüne schließlich geräumt worden. Ein Ausrufer trat an den Rand der Tribüne und hob die Arme als Zeichen, dass er Schweigen wünsche. Das zornige Rufen legte sich.
»Die Richter haben beschlossen«, rief er, »dass dieser Tag der guten Kameradschaft und Brüderlichkeit gewidmet ist –«
»Hört! Hört!« Viele der Gemäßigten applaudierten.
»Und deshalb«, ertönte die Stimme des Ausrufers wieder, »haben die Richter beschlossen, einen neuen Preis von fünfundzwanzig Dollar auszusetzen und den Lauf noch einmal stattfinden zu lassen!«
»Und Tim?« grölten Dutzende von Stimmen. »Was wollt ihr mit Tim machen?« »Er ist betrogen worden!« »Die Richter betrügen!«
Wieder streckte der Ausrufer die Arme hoch, und der Lärm legte sich.
»Um Frieden und Verständnis wiederherzustellen, haben die Richter beschlossen, dass Timothy McManus an dem Lauf teilnehmen darf. Wenn er gewinnt, gehört das Geld ihm.«
»Ist das nicht blöd?« brummte Billy gekränkt. »Wenn Tim jetzt gut genug ist, so war er es auch das erste Mal. Und wenn er das erste Mal gut genug war, so gehörte das Geld ihm.«
»Diesmal wird Rotschopf aus lauter Anstrengung sich selber in die Luft sprengen«, triumphierte Bert.
»Ja, und Tim sich auch«, antwortete Billy. »Du kannst dich darauf verlassen, dass er wütend ist, und diesmal wird er sich ganz ausgeben.«
Eine Viertelstunde verging damit, die erregte Menge aus der Arena zu schaffen, und diesmal stellten sich nur noch Tim und Rotschopf am Startpfahl auf. Die andern drei hatten den Kampf aufgegeben.
Tim übernahm die Führung am Start mit einer Elle Vorsprung.
»Ja, gewiss ist er Professional, und zwar durch und durch«, meinte Billy. »Seht, was er leistet!«
Um die halbe Arena behielt er die Führung, indem er seinen Vorsprung bis zu einem Dutzend Schritt vergrößerte. Jetzt kam er, immer diesen Abstand haltend, mit voller Geschwindigkeit auf das Ziel los, als – gerade unterhalb des Hanges, wo Billy und seine Gesellschaft standen – etwas Unglaubliches und Undenkbares geschah. Dicht neben der Arena stand ein junger Mann mit einem dünnen Spazierstock in der Hand. Er gehörte offenbar nicht mit zu den Festteilnehmern, denn nichts an ihm deutete auf einen Arbeiter. Hinterher behauptete Bert, dass er eher nach einem Tanzlehrer ausgesehen hätte, während Billy ihn einen »Stutzer« nannte.
Aber dieser junge Mann wurde das Schicksal des Timothy McManus; denn als Tim an ihm vorbeikam, steckte ihm der junge Mann mit der offensichtlichsten Überlegung seinen Stock zwischen die Beine. Tim flog durch die Luft, machte einen Purzelbaum und fiel in einer Staubwolke auf das Gesicht.
Für einen Augenblick trat tiefes, atemloses Schweigen ein. Der junge Mann war selbst von dem Ungeheuerlichen seiner Tat gelähmt. Sowohl er wie die Zuschauer brauchten Zeit, um sich zu besinnen, was er eigentlich getan hatte. Die Zuschauer kamen zuerst zur Besinnung, und aus tausend Kehlen ertönte das wilde irische Geheul. Rotschopf gewann den Lauf, ohne dass ein einziger Hurraruf ertönte. Das Sturmzentrum hatte sich zu dem jungen Mann mit dem Stock verrückt. Als das Geheul kam, machte er kehrt und eilte den Hang hinauf.
»Auf ihn! Auf ihn!« jubelte Bert und schwang den Hut durch die Luft. »Dich habe ich gern. Wer hätte das geglaubt? Wer hätte das geglaubt? Was? Wer hätte das gedacht? Wie? Wer hätte das gedacht?« »Pah! Er will ausreißen!« rief Billy. »Aber warum hat er es getan? Er ist doch kein Maurer.«
Wie ein erschrockenes Kaninchen flog der junge Mann, von einem ohnmächtigen Gebrüll gefolgt, den Hang hinauf bis zu einem freien Fleck, wo er einen Augenblick später verschwunden war. Hunderte von blutdürstigen Rächern waren ihm auf den Fersen.
»Nur schade, dass er den Rest nicht mehr erlebt«, sagte Billy. »Denn jetzt geht es los.«
Bert war ganz außer sich. Er hüpfte und sprang und heulte immerfort:
»Seht sie! Seht sie! Seht sie nur!«
Die Oakland-Partei war tief gekränkt. Zum zweiten Mal war ihr Favorit aus dem Spiel gesetzt. Dies war natürlich ein neuer Trick der San-Franciscoer Partei. Und Oakland ballte die gewaltigen Fäuste und schwang sie blutdürstig San Francisco entgegen. Aber San Francisco, das sich seiner Unschuld bewusst war, legte nicht weniger Wert darauf, die Sache zu entscheiden. Fünftausend stürzten sich mit Eifer in den Kampf. Die Frauen gingen mit. Das ganze Amphitheater hallte wider vom Kampf. Fünf oder sechs Schutzleute, die die Verwaltung des Weasel-Parks aus Anlass des Tages gemietet hatten, bekamen von beiden Seiten, ohne Rücksicht auf die Partei, Prügel.
Es raschelte im Gebüsch hinter ihm, Bert sprang beiseite und machte zwei eng verschlungenen Gestalten Platz, die über den Hang rollten, während sie aus vollem Herzen aufeinander losschlugen, gefolgt von einer Frau, die Hiebe und Schläge auf einen von ihnen, der offenbar nicht zu ihrer Partei gehörte, herabregnen ließ.
Auf der Tribüne standen die Richter und wehrten sich männlich gegen einen gewaltsamen Angriff, bis das ganze gebrechliche Gebäude plötzlich zusammenbrach und einstürzte.
»Was macht die Frau da?« fragte Saxon und zeigte auf eine ältere Frau, die auf dem Hange unter ihnen saß und sich gerade einen ihrer geräumigen Gummizugstiefel auszog.
»Sie will schwimmen«, kicherte Bert, als sie jetzt auch den Strumpf auszog.
Sie beobachteten, sprachlos vor Erstaunen, die Frau. Der Schuh wurde wieder an den bloßen Fuß gezogen. Dann nahm die Frau einen Stein von Faustgröße, stopfte ihn in den Strumpf, und, diese uralte furchtbare Waffe schwingend, humpelte sie in das Kampfgetümmel.
»Oh! – Oh! – Oh!« heulte Bert jedes Mal, wenn sie zuschlug. »Heh, altes Bluttier, pass auf! Jetzt setzt es was für dich! Oh! Oh! Ein Treffer! Habt ihr gesehen? Ein Hurra für die alte Dame! Seht, wie sie drauflosgeht. Pass auf, Alte! Ach!«
Seine Stimme erstarb in einem klagenden Ton, als die Frau mit dem Strumpf plötzlich von einer anderen Amazone hinten am Haar gepackt und mit schwindelnder Geschwindigkeit herumgewirbelt wurde.
Vergebens klammerte sich Mary an Bert, während sie ihn vorwurfsvoll schüttelte und laut protestierte.
»Kannst du denn nicht vernünftig sein? Es ist doch schrecklich! Es ist schrecklich, sage ich dir!«
Aber das machte nicht den geringsten Eindruck auf Bert.
»Los, Alte!« rief er ermunternd. »Du gewinnst! Ich halte auf dich. Jetzt hast du eine Chance! So! Teufel auch! Ein Treffer! Ein Treffer!«
»Das ist die tollste Geschichte, die ich je mitgemacht habe«, sagte Billy zu Saxon. »So was können nur Irländer zustande bringen. Aber warum hat er das nur getan? Das möchte ich wissen. Er war kein Maurer. Nicht einmal ein Arbeiter. Er war ein richtiger Stutzer, der keine Seele hier kannte. Aber wenn er die Absicht hatte, diese Geschichte anzustellen, dann hat er jedenfalls seinen Wunsch erfüllt. Seht nur, sie prügeln sich auf der ganzen Linie.«
Plötzlich lachte er so herzlich, dass ihm die Tränen in die Augen kamen.
»Was gibt es?« fragte Saxon, die sich nichts entgehen lassen wollte.
»Es ist der Stutzer«, erklärte Billy zwischen zwei Lachanfällen. »Warum tat er es nur. Das kann ich nicht in den Kopf kriegen. Warum tat er es?«
Wieder krachte es im Gebüsch, und zwei Frauen kamen auf die Szene geschossen, die eine flüchtend, die andere verfolgend. Ehe die kleine Gruppe Zeit hatte, sich zu bewegen, sah sie sich in den wilden Kampf verwickelt, der, wenn auch nicht über die ganze Welt, so doch über den ganzen sichtbaren Teil des Weasel-Parks tobte.
Die fliehende Frau versuchte, um eine Bank herumzukommen, stolperte aber, und die andere wollte schon auf sie losschlagen. In ihrer Not packte sie Mary am Arm, um das Gleichgewicht wiederzugewinnen, und schleuderte sie ihrer Verfolgerin gerade in die Arme. Diese, eine kräftige Frau in den besten Jahren, missverstand die Situation und packte Mary mit der einen Hand am Arm, während sie gleichzeitig die andere zum Schlage hob. Ehe sie Zeit dazu bekam, hatte Billy ihre beiden Handgelenke gefasst.
»He, he, altes Mädel, lassen Sie das!« sagte er beruhigend. »Sie irren sich. Sie hat nichts getan.«
Aber jetzt tat die Frau etwas Merkwürdiges. Ohne den geringsten Widerstand zu leisten und ohne Marys Hand loszulassen, stand sie aufrecht da und begann mit der ruhigsten Miene der Welt wild zu schreien. Es war ein abscheuliches Geschrei voller Angst und Schrecken. Aber in ihrem Gesicht war nicht die geringste Andeutung von Angst oder Schrecken zu lesen. Sie betrachtete Billy mit einem kalten, forschenden Blick, wie um zu sehen, welchen Eindruck es auf ihn machte. Ihr Geschrei war nur das Signal für ihre Partei, ihr zur Hilfe zu kommen.
»Ach, willst du loslassen, du Streithammel!« rief Bert, der sie vergebens an den Schultern packte und versuchte, sie von Mary loszureißen. Die Folge war nur, dass alle vier hin- und herschwankten, während die Frau ruhig weiterschrie. Das Geschrei erhielt einen Beiklang von Triumph, als ein neues Krachen im Gebüsch zu hören war.
Saxon sah, wie ein harter stählerner Schimmer in die besonnenen Augen Billys trat, und gleichzeitig sah sie ihn das Handgelenk der Frau fester packen. Die Frau ließ Mary los und wurde zurückgestoßen. Im selben Augenblick war der erste Mann zu ihrem Entsatz da. Er ließ sich keine Zeit zu fragen. Es genügte ihm, dass er die Frau vor Billy zurückweichen sah, während sie vor Schmerz schrie – ein Schmerz, der jedoch größtenteils Verstellung war.
»Es ist alles ein Missverständnis«, rief Billy schnell. »Entschuldigen Sie, Genosse.«
Der Irländer langte aus. Billy duckte sich und unterbrach seine Entschuldigung, und als die Faust des andern schwer wie ein Schmiedehammer über seinen Kopf hinwegflog, gab er ihm mit der Linken einen Schwinger auf das Kinn. Der dicke Irländer fiel seitwärts und blieb zappelnd am Rande des Hanges liegen. Er wollte gerade auf die Füße kommen, hatte aber das Gleichgewicht noch nicht wiedergewonnen, als Berts Faust ihn empfing, und diesmal flog er, alle Viere von sich gestreckt, den Hang hinunter, dessen kurzes trockenes Gras ganz glatt war.
Bert versetzte der Frau einen Stoß, dass sie den verräterischen Hang hinunterrutschte. Drei Mann tauchten aus dem Gebüsch auf.
Bert war außer sich vor Kampfeifer; seine schwarzen Augen flammten wild, sein dunkles Gesicht war feuerrot von dem nur zu leicht entzündbaren Blut.
»Nur her, ihr Schlappschwänze!« heulte er den Zuletztgekommenen entgegen. »Nur her, ihr elenden Frösche. Lasst uns ein wenig von Gettysburg reden. Wir wollen euch zeigen, dass die Amerikaner noch nicht ausgestorben sind.«
»Halts Maul – wir können keinen Krach gebrauchen, wenn wir die Mädchen bei uns haben«, brummte Billy, der immer noch vor dem Tisch stand. Dann wandte er sich zu den drei Helfern, die etwas verdutzt dastanden, da sie nichts zu helfen fanden.
»Macht nur, dass ihr wegkommt! Wir wollen keinen Skandal. Ihr habt hier nichts zu suchen. Wir schlagen uns nicht – habt ihr mich verstanden?«
Sie bedachten sich immer noch, und wahrscheinlich wäre es Billy geglückt, einen weiteren Kampf zu vermeiden, wenn der Mann, der den Hang hinabgerutscht war, diesen kritischen Augenblick nicht benutzt hätte, um sich mit blutendem Gesicht und wie ein Betrunkener auf Händen und Füßen kriechend zu zeigen.
Zum zweiten Mal langte Bert nach ihm aus und ließ ihn den Hang hinuntersausen. Die drei andern sprangen mit wildem Geheul auf Billy los, der zuschlug, die Stellung wechselte, sich duckte, wieder schlug und noch einmal die Stellung wechselte, ehe er zum dritten Male schlug. Seine Schläge waren sicher und hart und wurden mit wissenschaftlicher Besonnenheit und voller Wucht ausgeteilt.
Saxon, die zusah, betrachtete seine Augen und erfuhr dadurch allerlei von ihm. Sie fürchtete sich, sah aber dennoch klar, und es fiel ihr auf, dass die ganze Tiefe von Licht und Schatten, die sie zuvor in seinen Augen bemerkt hatte, verschwunden war. Sein Blick war lauter Oberfläche, harte, klare, gleichsam erstarrte Oberfläche, und wäre völlig ausdruckslos gewesen, wenn nicht ein so tödlicher Ernst darin gelegen hätte. In Berts Augen flammte der Wahnsinn; die Augen der Irländer waren wild und ernst und dennoch nicht ganz ernst. Es war ein übermütiger Schimmer in ihnen, als machte die Schlägerei ihnen Spaß. In Billys Augen aber war kein Spaß. Es war, als stände er vor einer Arbeit, die getan werden sollte, und hätte sich vorgenommen, sie gründlich zu tun.
In seinem Gesicht lag dieselbe Ausdruckslosigkeit, und es war, als hätte es nichts mehr gemein mit dem Gesicht, das sie den ganzen Tag gesehen hatte. Das Jungenhafte darin war verschwunden. Dies Gesicht war beinahe unheimlich reif, ewig alt oder ewig jung. Zorn lag nicht darin, auch keine Grausamkeit. Es war gleichsam auf dieselbe harte und kalte Art erstarrt wie die Augen. In ihr tauchte etwas auf, das ihre wunderbare Mutter ihr von den alten Angelsachsen erzählt hatte. Er schien ihr einer dieser Angelsachsen, und blitzartig sah sie vor ihren inneren Augen ein langes dunkles Boot mit einem Steven wie ein Raubvogelschnabel und großen, halbnackten Männern mit Flügelhelmen auf dem Kopfe – und eines dieser Gesichter glich dem seinen. Dies machte sie sich nicht recht klar. Sie fühlte und sah es wie in einem Traum, ohne Gedanken und Überlegungen, und im selben Moment atmete sie tief auf, denn der Kampflärm hatte aufgehört. Er hatte nur wenige Sekunden gedauert, Bert tanzte am Rande des glatten Hanges und verhöhnte die Überwundenen, die kraftlos drunten lagen. Aber jetzt übernahm Billy das Kommando.
»Los, Mädels!« befahl er. »Komm zu dir, Bert. Lasst uns gehen. Wir können uns nicht mit einem ganzen Heer schlagen.«
Er leitete den Rückzug, Saxon am Arm, und Bert, der triumphierend lachte, bildete die Nachhut mit Mary, die sehr empört war und vor tauben Ohren protestierte.
»Jetzt ist es bald vorbei«, sagte Billy lachend zu Saxon. »Ich kenne sie. So eine Schlacht macht ihnen den größten Spaß. Und die heutige Prügelei hat dem Fest die Krone aufgesetzt. Was sagte ich? – Seht den Tisch dort.«
Eine Schar zerzauster Männer und Frauen, alle atemlos, drückten sich um den ganzen Tisch die Hände. »Kommt jetzt, lasst uns tanzen«, schlug Mary vor und zog sie nach dem Tanzboden.
Im ganzen Park drückten sich die kriegerischen Maurer die Hände, und die offenen Wirtschaften füllten sich allmählich mit durstigen Seelen. Saxon ging sehr dicht neben Billy. Sie war stolz auf ihn.
»Sie sind mutig«, sagte sie.
»Das ist, als nähme man einem Säugling seinen Schnuller«, sagte er abwehrend. »Sie prügeln sich nur. Von Boxen verstehen sie nichts. Das ist kein Kampf, wissen Sie.« Mit einem leicht verdutzten, jungenhaften Blinzeln in den Augen betrachtete er seine zerschlagenen Knöchel. »Und mit denen soll ich morgen fahren«, meinte er. »Das ist kein Vergnügen, sage ich Ihnen, wenn die anschwellen.«
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