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XV

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»Mein Gott, Bert! Du bist ja betrunken!« rief Mary vorwurfsvoll.

Zu viert saßen sie am Tisch in einem Zimmer bei Barnum. Das Hochzeitsmahl, das an sich recht einfach war, Saxon aber verschwenderisch erschien, war soeben beendet. Bert stand mit einem Glas kalifornischen Rotweins – von der Art, wie das Etablissement ihn für fünfzig Cent die Flasche liefert – in der erhobenen Hand da und versuchte, eine Rede zu halten. Sein Gesicht war rot, und seine schwarzen Augen glühten wie im Fieber.

»Du hast getrunken, ehe du herkamst«, fuhr Mary fort. »Das kann ich mit einem halben Auge sehen.«

»Geh zum Augenarzt, mein Schatz«, antwortete er. »Bertram weiß, was er tut. Und hier ist er nun aufgestanden, um einem alten Kameraden die Pfote zu drücken. – Bill, alter Junge, ich grüße dich. Du bist jetzt ein verheirateter Mann, Bill, und das wirst du wohl bleiben. Fertig mit den Kameraden, kein Urlaubsschein mehr. Du bist in den Hafen eingelaufen, du musst jetzt für dich selber aufpassen, ja, und dir eine Lebensversicherung kaufen und dich gegen Unfall versichern und Aktionär eines Bauvereins und einer gegenseitigen Darlehens- und Beerdigungskasse werden –«

»Jetzt hör aber auf, Bert«, unterbrach Mary ihn. »Von Beerdigung redet man nicht bei einer Hochzeit. Du solltest dich schämen.«

»Hallo, Mary, immer sachte! Ich sagte, was ich sagte, weil ich es meinte. Ich meine nicht dasselbe wie Mary. Was ich meine – jetzt will ich euch sagen, was ich meine. Ich sagte Beerdigungskasse, nicht wahr? Nun, das tat ich nicht, um die Freude an dieser festlichen Zusammenkunft zu verderben. Das sei weit von mir –. Soll ich euch sagen, warum? Weil du, Bill, so eine verteufelt hübsche Frau gekriegt hast, ja, Bill, so eine verteufelt hübsche Frau gekriegt hast, ja, eben darum! Alle Kameraden sind wild nach ihr, und wenn sie anfangen, ihr nachzulaufen, was tust du dann? Du kriegst was zu tun. Und brauchst du keine Beerdigungskasse, wenn sie in die Erde kommen? Doch. Kurz, es war ein Kompliment, das ich deinem guten Geschmack machen wollte, als Mary mich überfiel.«

Seine schimmernden Augen ruhten einen Augenblick mit gutmütigem Triumph auf Mary.

»Wer sagt, dass ich betrunken bin? Ich? Keine Spur! Ich sehe alles in einem klaren weißen Licht. Und da sehe ich Bill, meinen alten Freund Bill, und ich sehe nicht zwei Bills, ich sehe nur den einen. Billy gehörte nie zu denen, die zwei Gesichter haben. Billy, alter Junge, wenn ich dich als frischgebackenen Ehemann da sitzen sehe, dann tut es mir leid – –« Er schwieg plötzlich und wandte sich zu Mary. »Geh nur nicht gleich in die Luft, altes Mädel. Ich weiß, was ich sage. Bill, wenn ich dich hier sitzen sehe, dann kann ich nicht anders, ich muss trauern.« Er sah Mary herausfordernd an. »Über mich selber, wenn ich dich da sitzen sehe und weiß, welchem Glück du entgegen gehst. Hör, was ich sage. Du bist ein kluger Satan, Gott segne die Frauenzimmer! Du hast gut angefangen. Mach weiter so! Heirate, wer heiraten will, Gott mit ihm! Bill, ich grüße dich. Du bist der Mohikaner mit dem Skalp am Gürtel. Und du hast eine Frau gekriegt, die eine richtige Squaw ist. Minnehaha, ich grüße dich. Ich grüße euch beide, und die Kinderchen mit. Der Teufel hole sie!«

Er trank das Glas aus und sank auf seinem Stuhl zusammen, wo er sitzen blieb und dem jungen Paar zublinzelte, während die Tränen unbeachtet über seine Wangen rollten. Mary legte tröstend ihre Hand auf die seine, was ihm den Rest gab.

»Bei Gott«, schluchzte er. »Ich habe Grund genug zum Weinen. Ich verliere meinen besten Freund. Es wird nie wieder, wie es war – nie. Wenn ich an all den Spaß und all die frohen Stunden denke, die Billy und ich zusammen gehabt haben, dann könnte ich dich fast hassen, Saxon, wie du dasitzt und seine Hand hältst.«

»Schon gut, Bert«, lachte sie. »Sieh die an, deren Hand du hältst.«

»Ach, er hat nur einen Anfall«, sagte Mary mit einer Härte, der doch ihre freie Hand widersprach, die tröstend sein Haar streichelte. »Ermanne dich jetzt, Bert. Es ist alles in schönster Ordnung. Und jetzt ist Billy an der Reihe, dir auf deine feine Rede zu antworten.«

Bert trank ein Glas Wein und kam schnell wieder zu sich.

»Los, Bill«, rief er. »Jetzt bist du an der Reihe.«

»Ich bin kein großer Redner«, brummte Billy. »Was soll ich sagen, Saxon? Es hat keinen Sinn, zu erzählen, wie glücklich wir sind, denn das wissen sie.«

»Sag ihnen, dass wir gedenken, immer glücklich zu bleiben«, sagte sie. »Dank ihnen für alle guten Wünsche, und wir wollen immer zusammenhalten, wir vier, wie in alten Tagen. Und sag ihnen, dass sie Sonntag zum Mittagessen in die Pine Street 507 eingeladen sind – und Mary, wenn du Lust hast, schon Sonnabend zu kommen, so kannst du im Fremdenzimmer schlafen.«

Billy klatschte in die Hände. »Das hast du viel besser gesagt, als ich es je gekonnt hätte. Du hast es prachtvoll gesagt, und ich glaube nicht, dass noch viel hinzuzufügen wäre. Aber einerlei – ich will auch etwas sagen.«

Das Glas in der Hand, stand er auf. Seine klaren [blauen] Augen schienen tiefer als sonst unter den dunklen Brauen und im Schatten der dunklen Wimpern, die sein Haar und seine Haut noch heller aussehen ließen. Die runden Backen waren gerötet, nicht vom Wein, denn es war erst sein zweites Glas, sondern von Gesundheit und Freude. Saxon sah ihn an, und ihr Herz jubelte vor Stolz. Er war so gut gekleidet, so stark, so schön, so rein, der große Junge, der ihr Mann war. Und nicht weniger stolz war sie auf sich selber, auf ihren weiblichen Wert, der ihr einen so herrlichen Mann verschafft hatte.

»Schön, Bert und Mary, hier sitzt ihr also bei Saxons und meinem Hochzeitsschmaus. Wir werden uns all eure guten Wünsche ans Herz legen und euch dasselbe wünschen, und wenn wir das sagen, so meinen wir damit mehr, als ihr vielleicht glaubt. Saxon und ich glauben daran: wie du mir, so ich dir. Deshalb wünschen wir, dass der Tag bald kommen möge, da der Tisch wieder für vier gedeckt ist, und da wir Gäste bei euerm Hochzeitsschmaus sind. Und wenn ihr dann Sonntags zum Essen kommt, dann könnt ihr beide die Nacht über in dem Zimmer bleiben, das wir übrig haben. Ich glaube, es war klug von mir, es zu möblieren. Nicht wahr?«

»Das hätte ich nie von dir gedacht, Billy!« rief Mary. »Du bist genau so roh wie Bert. Aber einerlei.«

Ihre Augen waren plötzlich feucht geworden, und die Stimme versagte ihr. Sie lächelte ihm durch Tränen zu, dann wandte sie sich um und sah Bert an, der den Arm um sie legte und sie auf seinen Schoß zog.

Als sie das Restaurant verließen, gingen sie alle vier nach dem Broadway, wo sie an der Straßenbahn haltmachten. Bert und Billy waren verlegen und schweigsam, etwas merkwürdig Kaltes und Fremdes war zwischen sie getreten. Aber Mary umarmte Saxon zärtlich.

Der Schaffner klingelte, und die beiden Paare trennten sich in plötzlicher Verwirrung.

»O du Mohikaner!« rief Bert ihm nach, als der Wagen abfuhr. »O du Minnehaha!«

»Denk daran, was ich gesagt habe«, war das letzte, was Saxon von Mary hörte.

Der Wagen hielt an der Ecke der Pine Street, wo die Endstation war. Es war nur ein kurzes Stück bis zum Hause. Vor der Tür zog Billy den Schlüssel aus der Tasche.

»Komisch, nicht wahr?« sagte er, als er den Schlüssel im Schloss umdrehte. »Du und ich. Nur du und ich.«

Während er die Lampe im Wohnzimmer anzündete, nahm Saxon ihren Hut ab. Dann ging er ins Schlafzimmer und zündete die Lampe drinnen an, kam aber wieder zurück und blieb in der Tür stehen. Saxon, die sich unbegreiflich lange mit ihrer Hutnadel zu schaffen machte, sah ihn verstohlen an. Er breitete seine Arme aus.

»Komm«, sagte er.

Sie kam zu ihm, und er fühlte sie in seinen Armen beben.

***

Das Mondtal

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