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XVIII

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Trotz der sorgfältigen Besorgung des Haushalts merkte Saxon doch, sobald sie es in ein System gebracht hatte, dass sie freie Zeit genug hatte. Namentlich, wenn ihr Mann sein Essen mitnahm, so dass sie mittags nicht zu kochen brauchte, stand ihr ein großer Teil des Tages zur Verfügung. An die vieljährige Routine der Arbeit in der Fabrik und der Plätterei gewöhnt, konnte sie sich noch schwer mit diesem Müßiggang versöhnen, und es war ihr kaum erträglich, dazusitzen und nichts zu tun, zumal ihre Freundinnen aus der Mädchenzeit sie nicht besuchen konnten, da sie immer noch in der Fabrik oder in der Plätterei arbeiteten. Die Nachbarfrauen kannte sie nicht, mit Ausnahme einer wunderlichen alten Frau, die nebenan wohnte. Saxon und sie unterhielten sich hin und wieder über das Gitter hinweg, das die beiden Höfe trennte.

Eine Beschäftigung, mit der sie doch immerhin einige Zeit totschlug, erlaubte der viele Müßiggang ihr: sie konnte baden, sooft sie wollte. Als Kind und bei Sarah hatte sie sich mit einem Bad wöchentlich begnügen müssen. Als sie heranwuchs, hatte sie versucht, häufigere Bäder einzuführen. Aber der Versuch scheiterte. Sarah war erstarrt in dem Glauben an das wöchentliche Bad am Sonnabend, und was über diesen Reinigungsprozeß hinausging, betrachtete sie als Anstellerei und Verdächtigung ihrer eigenen persönlichen Reinlichkeit. Außerdem war es ein sinnloser Mißbrauch von Brennmaterial und vermehrte die Wäsche des Hauses unnötig mit Handtüchern. Hier aber, in Billys Haus, wo Herd, Wanne, Handtuch und Seife ihr gehörten, und niemand Einspruch erheben konnte, ergab Saxon sich täglich diesem Genuß. Die Wanne war allerdings nur ein einfacher Waschzuber, den sie in die Küche stellte und selbst mit Wasser füllte; aber es waren vierundzwanzig Jahre vergangen, ehe sie sich diesen Luxus erlauben konnte. Es war die wunderliche Frau von nebenan, die eines Tages in einer zufälligen Unterhaltung etwas erwähnte, das dieses Bad zum Höhepunkt des Wohlbefindens machte. Eine ganz einfache Sache – nur ein paar Tropfen Ammoniak ins Wasser, aber Saxon hatte nie etwas davon gehört.

Sie sollte mit der Zeit vieles von der wunderlichen Frau lernen. Die Bekanntschaft wurde eines Tages im Hof geschlossen, als Saxon einiges von ihrer feinsten Wäsche zum Trocknen aufhängte. Die Frau, die sich an das Verandageländer lehnte, fing ihren Blick auf und nickte, soweit Saxon sehen konnte, halb ihr, halb der Wäsche an der Leine zu.

»Sie sind jungverheiratet, nicht wahr?« fragte die Frau. »Ich bin Frau Higgins. Aber nennen Sie mich lieber beim Vornamen, Mercedes.«

»Und ich bin Frau Roberts«, antwortete Saxon. Es war ihr noch so ungewohnt zu sagen, dass sie errötete. »Mein Vorname ist Saxon.«

»Ein komischer Name für eine Yankeefrau«, bemerkte die andere.

»Ach, ich bin keine Yankeefrau«, erklärte Saxon. »Ich bin Kalifornierin.«

»Lala«, lachte Mercedes Higgins. »Ich vergaß, dass ich in Amerika bin. In andern Ländern nennt man alle Amerikaner Yankees. Aber nicht wahr, Sie sind jungverheiratet?«

Saxon nickte mit einem glücklichen Seufzer.

»Ach, Sie glückliches, süßes, schönes Geschöpfchen. Ich könnte Sie beinahe hassen – so beneide ich sie. Alle Männer werden sich mit Freuden um Ihren kleinen Finger wickeln lassen. Und dabei machen Sie nicht einmal Ihr Kapital zinstragend. Das tut niemand, ehe es zu spät ist.«

Saxon war verwirrt und verlegen, antwortete aber schnell:

»O doch, ich weiß wohl, wie glücklich ich bin. Ich habe den besten Mann von der Welt.«

Mercedes Higgins seufzte wieder und wechselte den Gegenstand. Nickend wies sie auf die Wäsche.

»Sie legen Wert auf schöne Dinge, sehe ich. Das ist sehr vernünftig für eine junge Frau. So etwas ist Köder für die Männer – eine große Waffe im Kampf zwischen den zwei Geschlechtern. Die Männer werden dadurch gewonnen und festgehalten –« Sie brach plötzlich ab und sagte fast herausfordernd: »Und Sie, Sie wollen Ihren Mann festhalten? Immer, immer – wenn Sie können?«

»Das will ich. Ich will alles tun, damit er mich liebt. Immer, immer.«

Saxon hielt inne, verwirrt und erstaunt, daß sie plötzlich mit einer Fremden so intim geworden war.

»Die Liebe der Männer ist etwas Komisches«, sagte Mercedes. »Und es ist der Fehler aller Frauen, daß sie glauben, die Männer zu kennen wie ein Buch. Und die meisten von ihnen sterben daher am gebrochenen Herzen, sterben, weil sie nichts von den Männern wissen und doch töricht genug sind zu glauben, sie kennten sie so gut. Oh, lala, die kleinen Dummköpfe. So sagen nun auch Sie kleine jungverheiratete Frau, Sie wollen alles tun, daß Ihr Mann Sie immer liebt – nicht wahr? Und so sagen sie alle und bilden sich ein, die Menschen und die Irrgänge der Liebe zu kennen. Es ist viel leichter, das große Los in der Lotterie zu gewinnen. Aber das weiß das kleine jungverheiratete Frauchen erst, wenn es zu spät ist. Aber Sie haben am richtigen Ende angefangen. Halten Sie sich nur weiter fein und schön. Wie Sie Ihren Mann gewonnen haben, so bleiben Sie, um ihn zu halten. Aber das ist nicht alles. Wir beide müssen einmal richtig miteinander reden, und dann werde ich Sie lehren, was wenige Frauen wissen wollen, was wenige Frauen zu wissen bekommen. – Saxon! – ein starker und schöner Name für eine Frau. Aber er paßt nicht zu Ihnen. O ja, ich habe Sie beobachtet. Französisch sind Sie, französisch. Darüber ist nicht zu streiten. Grüßen Sie Ihren Gatten und machen Sie ihm mein Kompliment für seinen guten Geschmack.«

Sie schwieg und blieb mit der Hand auf dem Türgriff stehen.

»Und besuchen Sie mich hin und wieder. Sie werden es nicht bereuen. Ich kann Sie vieles lehren. Kommen Sie nachmittags. Mein Mann ist Nachtwächter und schläft den ganzen Vormittag. Augenblicklich schläft er.«

Verwirrt und grübelnd ging Saxon hinein. Sie war so anders als andere Frauen, diese magere, dunkelhäutige Frau mit dem welken Gesicht, das aussah, als wäre es im Feuer gewesen, und den großen schwarzen Augen, die wie von einem nie erlöschenden inneren Brand funkelten und flammten. Alt mußte sie sein – Saxon schätzte sie auf zwischen fünfzig und siebzig. In ihrem Haar, das einmal ganz schwarz gewesen sein mußte, waren breite graue Streifen. Namentlich fiel Saxon ihre Sprache auf. Sie sprach Englisch, und ein besseres Englisch, als Saxon sonst zu hören gewohnt war, und doch war sie keine Amerikanerin. Aber sie sprach auch nicht mit Akzent; es war nur etwas Fremdes in ihrer Art zu sprechen, aber so unbestimmbar, daß Saxon nicht wußte, wo sie es hinbringen sollte.

»Oho«, sagte Billy, als Saxon ihm am Abend die Ereignisse des Tages berichtete. »So, das ist die Frau von Higgins. Er ist Nachtwächter. Und er hat nur einen Arm. Der alte Higgins und sie, das ist ein komisches Paar. Die Leute haben Angst vor ihr, oder doch jedenfalls manche. Die Italiener und manche von den alten Irländerinnen halten sie für eine Hexe. Sie wollen nichts mit ihr zu tun haben. Das hat mir Bert erzählt. Einer von meinen Kameraden im Stall – Henderson, weißt du – sagt, sie sei reif fürs Tollhaus.«

»Ach, ich weiß nicht«, antwortete Saxon, die sich getrieben fühlte, ihre neue Bekanntschaft zu verteidigen. »Sie ist vielleicht etwas komisch, aber sie sagt eigentlich dasselbe wie du. Sie sagt, meine Figur sei nicht amerikanisch, sondern französisch.«

»Dann ziehe ich den Hut vor ihr«, antwortete Billy. »Sie kann nicht so verrückt sein, wenn sie das sagt. Sie ist ein kluges altes Huhn, das kannst du ihr von mir bestellen.«

»Sie bat mich, dich zu grüßen und dir zu deinem guten Geschmack zu gratulieren«, lachte Saxon.

»Wirklich? Dann grüß sie herzlich von mir wieder. Ich weiß sie zu schätzen. Sie weiß, was gut ist. Aber sie sollte auch dir zu deinem guten Geschmack gratulieren, den du bewiesen hast, als du mich heiratetest.«

Ein paar Tage später nickte Mercedes wieder halb Saxon und halb der feinen Wäsche zu, die Saxon gerade zum Trocknen aufhängte.

»Ich ärgere mich über Ihre Wäsche, Sie kleines Frauchen«, sagte sie als Einleitung zu ihrem Gespräch.

»Ich bin doch viele Jahre lang in einer Wäscherei gewesen«, antwortete Saxon schnell.

Mercedes lachte höhnisch.

»Dampfwäsche, ja, danke schön. Das ist ein Geschäft, und ein dummes. Nur gewöhnliche Sachen soll man in eine Dampfwäscherei schicken – das ist die Strafe dafür, daß sie gewöhnlich sind. Aber die guten Sachen, Zeug, so fein wie Spinngewebe – la la, mein Kind, das zu waschen ist eine Kunst. Das erfordert Verstand, Talent und eine Behutsamkeit, so fein wie die Dinge selbst. Ich werde Ihnen ein Rezept für selbstgemachte Seife geben. Sie macht das Zeug nicht hart, sondern weiß, weich und lebendig. Sie können es lange tragen, und feine weiße Wäsche ist etwas, das einen froh machen kann. Ja, feine Wäsche ist ein Raffinement, eine Kunst. Es ist, wie wenn ein Künstler mit Begeisterung und Liebe ein Bild malt oder ein Gedicht schreibt. Es ist ein Sakrament der Schönheit.

Ich will Sie die Kunst lehren, mein liebes Kind, eine Kunst, die ihr Yankees nicht kennt.« Sie nickte in der Richtung der Leine mit Saxons feiner Wäsche.

»Sie machen kleine Spitzen, sehe ich. Ich kenne alle Arten Spitzen – Malteser, Mechelner – ach, viele, viele Arten herrlicher Spitzen. Ich will Sie einige von den leichten Mustern lehren, so daß Sie sie selbst für sich und ihren hübschen Mann machen können, den Sie immer, immer lieben wollen.«

Bei ihrem ersten Besuch bei Mercedes Higgins bekam Saxon das Rezept für die selbstgemachte Seife, und sie verließ sie, den Kopf voll von minutiösen Regeln für die Kunst, feines Leinen zu waschen. Die wunderliche alte Frau erzählte ihr alles Neue und Sonderbare, was sie wußte, und es war, als brächte sie ihr Botschaft von einem weiteren Horizont und neuen, unbekannten Himmelsstrichen.

»Sie sind Spanierin?« fragte Saxon vorsichtig.

»Nein und ja. Mein Vater war Irländer, meine Mutter spanische Peruanerin, ihr gleiche ich in Farbe und Aussehen. In vielem andern gleiche ich meinem Vater, dem blauäugigen Kelten mit dem Gesang auf den Lippen und dem heißen Blut, das ihn ruhelos von Ort zu Ort trieb. Dasselbe heiße Blut hat mich ebenso weit und noch weiter getrieben, als er je kam.«

»Ach«, rief Saxon, »da sind Sie Südamerikanerin.«

Mercedes zuckte die Achseln.

»Irgendwo muß man ja geboren werden. Es war eine große Viehranch, die meiner Mutter gehörte. Ganz Oakland könnte auf einer von ihren Weiden Platz finden.«

Mercedes Higgins seufzte zufrieden und verlor sich in Erinnerungen. Saxon wollte gern mehr von dieser merkwürdigen Frau hören, deren Leben in vielem an das der spanischen Kalifornier in alten Tagen erinnern mußte.

»Sie haben eine gute Erziehung genossen«, wagte sie sich vor. »Sie sprechen ein so schönes Englisch.«

»Ach, Englisch, das kam später und nicht in der Schule. Aber, nun ja, ich genoß eine gute Erziehung in allem außer dem wichtigsten: Männer. Auch das kam später. Und wenig ließ meine Mutter – sie war eine große Dame, das, was man eine Viehkönigin nennt – wenig ließ meine Mutter sich träumen, daß ich bei der guten Erziehung, die sie mir gab, als Nachtwächtersfrau enden sollte.« Der komische Gedanke ließ sie in herzliches Lachen ausbrechen. »Nachtwächter, Arbeiter, Hunderte, ja Tausende arbeiteten für uns. Die Peonen, die im Grunde nichts waren als Sklaven. Und unsere Cowboys, die zweihundert Meilen von einem Ende bis zum andern reiten konnten, ohne unser Gebiet zu verlassen. Und zahlloses Gesinde in dem großen Hause. La la, im Hause meiner Mutter gab es viele Dienstboten.«

Mercedes Higgins vergaß allmählich alles andere über ihren Erinnerungen.

»Aber unsere Dienstboten waren faul und schmutzig. Chinesen sind glänzende Dienstboten; Japaner auch, wenn man das Glück hat, die richtigen zu finden, aber sie sind nicht so gut wie Chinesen. Japanische Dienstmädchen sind hübsch und heiter, aber man weiß nie, ob sie nicht am nächsten Tage weglaufen. Die Hindus sind nicht stark, aber gehorsam. Sie betrachten Sahibs und Memsahibs als Götter. Ich war eine Memsahib – was Frau bedeutet. Einmal hatte ich einen russischen Koch, der immer in die Suppe spuckte, denn das bedeutet Glück. Es war sehr komisch. Wir ließen es uns gefallen, denn es war Landesbrauch.«

»Sie müssen viel gereist sein, wenn sie so viele sonderbare Dienstboten hatten«, sagte Saxon, die gern mehr gehört hätte.

Die alte Frau lachte.

»Die sonderbarsten von allen waren aber doch die schwarzen Sklaven in der Südsee, kleine, wollköpfige Kannibalen, die sich Knochen durch die Nase steckten. Wenn sie etwas vergaßen oder wenn sie stahlen, wurden sie an eine Kokospalme gebunden und mit einer Peitsche aus Nilpferdhaut gepeitscht. Sie schrien nie. Das war ihr Stolz. Da war der kleine Vibi, er war erst zwölf Jahre alt – er war mein Diener – und als sein Rücken ganz zerfleischt war und ich über ihn weinte, lachte er nur und sagte: ›Warten klein bißchen, dann mich nehmen Kopf, gehören groß fella weiß Master.‹ – Es war Bruce Anstey, ein Engländer, der ihn peitschte. Aber der kleine Vibi bekam seinen Kopf doch nicht. Er lief fort, und da schnitten die Buschleute ihm den Kopf ab und fraßen ihn mit Haut und Haaren.«

Saxon schauderte, und ihr Gesicht war ernst. Mercedes Higgins aber fuhr heiter fort:

»Ach, es war eine lustige, wahnsinnige, wilde, tolle Zeit! Glauben Sie mir, mein Mädelchen, im Laufe von drei Jahren tranken diese englischen Pflanzer Ozeane von Champagner und schottischem Whisky und setzten dreißigtausend Pfund bei dem Abenteuer zu. Nicht Dollar, nein Pfund, das heißt hundertfünfzigtausend Dollar. Sie waren Fürsten, solange es dauerte. Es war prachtvoll, großartig. Und wahnsinnig war es. Ich mußte die Hälfte meines Schmuckes in Neuseeland verkaufen, ehe ich wieder von vorn anfangen konnte. Bruce Anstey schoß sich eine Kugel durch den Kopf. Roger heuerte für acht Pfund monatlich als Steuermann auf einem Handelsschiff mit schwarzer Besatzung an. Und Jack Gilbraith – das war der merkwürdigste von allen. Er war aus reicher, vornehmer Familie, und er ging heim nach England und stellte auf ihren großen Gütern alles auf den Kopf, bis sie ihm Geld für eine Gummiplantage in Ostindien oder auf Sumatra – oder war es Neu-Guinea – gaben.«

Als Saxon wieder in ihrer Küche stand und das Abendessen für Billy bereitete, fragte sie sich, welches Verlangen und welche Begierde wohl die alte dunkelhäutige Frau von der großen peruanischen Farm durch die ganze Welt bis nach West-Oakland und zu Barry Higgins geführt haben mochte, der sicher nicht der Mann war, seinen Anteil von hundertfünfzigtausend Dollar zu verschwenden, und der sich noch weniger je Hoffnung auf einen solchen Reichtum machen konnte. Und merkwürdig war auch, daß Mercedes immer nur von andern Männern sprach, aber nie von ihm.

Vieles andere hatte sie erzählt, aber bruchstückweise, ohne nähere Erklärungen. Es schien kein Land, keine Stadt in der alten und neuen Welt zu geben, wo sie nicht gewesen war. Selbst in Klondike war sie vor zehn Jahren gewesen. Mercedes Higgins schien immer mit Männern zusammen gewesen zu sein, für die Geld wie Wasser war.

Das Mondtal

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