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IX

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»Ich verstehe nichts von Pferden«, sagte Saxon. »Ich habe nie auf einem Pferd gesessen, und bin ich einmal ausgefahren, dann immer nur mit einem Einspänner, der meistens lahmte oder dergleichen. Aber ich habe keine Angst vor Pferden. Ich liebe sie. Das ist mir angeboren, glaube ich.«

Billy warf ihr einen bewundernden Blick zu.

»Das ist es eben«, sagte er. »Das hab' ich gern an einem Mädel – Mut! Einige von den Mädchen, mit denen ich früher zu tun hatte – nun ja, du kannst mir auf mein Wort glauben, dass sie mich wirklich krank machten. Nein, das ist nichts für mich. Nervös, bebend, schreiend und zitternd. Wenn sie mitfuhren, taten sie es eher um meinetwillen als der Pferde wegen. Da lob' ich mir ein tüchtiges Mädel, das Pferde liebt. Du bist vom rechten Schlage, Saxon, das ist sicher. Siehst du, mit dir kann ich von der Leber weg reden. Alle andern machen mich krank. Ich werde stumm wie ein Fisch. Sie verstehen nichts und fürchten sich andauernd, aber du verstehst mich doch, nicht wahr?«

»Das ist einem sicher angeboren«, antwortete sie. »Vielleicht kommt meine Liebe zu Pferden daher, dass ich immer an meinen Vater und seinen Rotschimmel denke. Denk dir, Billy, manchmal träumt mir, dass ich wirklich ein Pferd hätte, das mir gehörte. Und oft, oft hat mir geträumt, ich ritte auf einem hohen Ross oder führe mit ihm.«

»Du darfst sie gern fahren, aber warte, bis sie sich ausgetobt haben. Im Anfang gehen sie zu sehr ins Geschirr. Fass hier gerade vor meinen Händen – ja, nur fest. Merkst du was? Natürlich! Und dabei merkst du lange nicht alles. Ich wage sie nicht loszulassen, denn du bist ja nur so ein kleines Ding.«

Ihre Augen strahlten, als sie fühlte, wie die schönen starken Tiere am Zügel zerrten. Und er sah sie an und strahlte um die Wette mit ihr.

»Ich will dir etwas sagen, Saxon. Ich habe manchen guten Kampf im Ring ausgefochten und mir das Fell verprügeln lassen von einem whiskytrinkenden, tabakstinkenden Publikum, das mich anekelte. Und die Burschen, die selbst nicht einen ordentlichen Schlag aufs Kinn oder in den Magen vertragen konnten, die brüllten Hurra und heulten nach Blut. Nach Blut, verstehst du. Aber offen gestanden, ich möchte lieber für einen Menschen allein kämpfen – für dich zum Beispiel – oder für sonst jemand, aus dem ich mir etwas mache. Darauf würde ich stolz sein. Aber der elende schwachköpfige Pöbel, mit dem Mut eines Kaninchens und der Haut eines räudigen Schakals! Nein! Kannst du es mir verdenken, dass ich den dreckigen Beruf aufgab? Bei Gott, ich möchte lieber vor einem Publikum von alten, lahmen Arbeitspferden kämpfen, die gerade noch gut genug sind, um Gulasch aus ihnen zu machen, als vor der faulen Bande, die in den Adern nichts als Wasser hat.«

»Ich – ich wusste nicht, dass der Boxerberuf so ist«, stotterte sie, während sie die Zügel losließ und sich auf den Sitz neben ihm sinken ließ.

»Es ist nicht der Kampf selbst, es ist das Publikum«, erklärte er schnell. »Selbstverständlich nimmt ein junger Bursche keinen Schaden dabei, wenn er boxt und wenn ihm das Fell verprügelt wird. Aber es sind die Brüllaffen um einen her, die mich anekeln. Alle Freundlichkeiten, die sie mir sagen, ihr Lob und so weiter, das beleidigt mich. Verstehst du das nicht? Es macht mich verlegen. Denk dir – whiskysaufende Banditen, die mit keiner kranken Katze anbinden würden und nicht wert sind, einem ehrlichen Mann den Rock zu halten – – denk dir den Anblick, wenn sie heulen und Hurra schreien – für mich – für mich! –«

»Haha! Was hältst du nun von ihm? Ist er nicht ein Teufel?«

Eine große Bulldogge, die sich still und ohne den Wagen zu beachten über die Straße geschlichen hatte, war so nahegekommen, dass Prince einen Versuch machte, sie zu packen, indem er trotz den straffen Zügeln den Kopf beugte und die Zähne fletschte.

»Er ist auch ein Kämpfer, unser lieber Prince. Und er tut es nicht, damit so ein Brüllaffe ihm zuheult. Er tut es einfach, wenn ihm etwas in die Quere kommt. So muss es sein. Das ist Natur. Aber diese Sportidioten, bei Gott, Saxon –«

Während sie durch die Straßen mit dem lebhaften Sonntagmorgenverkehr fuhren, war seine Aufmerksamkeit beständig den Pferden zugewandt, und mit einem plötzlichen Ruck warf er sie seitwärts, um zwei kleinen Knaben auszuweichen, die mit einem kleinen Wagen über die Straße fuhren. Saxon sah ihn von der Seite an. Es war, als offenbarte sich ihr die Tiefe seiner Seele, als sähe sie ihre intensive Kraft sich entladen, sähe Funken seiner ruhenden Gewalttätigkeiten, Boten aus dunklen Gegenden, kalt und fern wie Sterne, Wildheit, reißend wie die eines Wolfes und rein wie die eines Hengstes, Zorn, unversöhnlich wie der des Todesengels, und Jugend, die Feuer und Leben war und sich weder vor Zeit noch Raum beugte. So saß sie entrückt und bezaubert da, während ihr weibliches Sehnen Abgründe überbrückte, bereit, ihn mit ihrem ganzen Wesen zu lieben. »Du Lieber, du Lieber!« murmelte jede geheime Fiber ihrer Seele.

»Bei Gott, Saxon«, nahm er den Faden wieder auf. »Es gab Augenblicke, da ich sie hasste, da ich Lust gehabt hätte, über das Seil zu springen – den ganzen Haufen zusammenzuschlagen, sie herauszuzerren und ihnen zu zeigen, was kämpfen heißt. Wie zum Beispiel an dem Abend mit Billy Murphy. Billy Murphy! – Ich weiß nicht, ob du ihn kennst. Mein Freund. Ein so aufrechter, prächtiger Bursche, wie er nur je im Ring gestanden hat. Billy Murphy und ich waren zusammen zur Schule gegangen. Wir wuchsen miteinander auf und waren immer gute Kameraden. Sein Kampf war mein Kampf. War ich in der Klemme, so stand er mir zur Seite. Wir wurden beide Boxer. Ein Match wurde zwischen uns arrangiert. Es war nicht das erste Mal. Zweimal hatten wir unentschieden gekämpft. Einmal siegte ich und einmal er. Es war unser fünfter Kampf. Zwei Männer, die Freunde waren, ja eben Freunde. Er ist drei Jahre älter als ich. Er hat eine Frau und zwei oder drei Kinder, die ich auch kenne. Und er ist mein Freund. Verstehst du?

Ich wiege zehn Pfund mehr als er, aber beim Schwergewicht hat das nichts zu sagen. In Zeit und Abstand ist er nicht so gut wie ich, und ich bin ausdauernder als er, aber er ist gewandter und schneller als ich. Ich kenne seine Schläge und er meine, und wir haben ehrlichen Respekt voreinander. Und wir standen gleich. Zweimal unentschieden und jeder einen Sieg. Aber nun der Kampf – du kannst es wohl ertragen, davon zu hören?«

»Ja, ja«, rief sie. »Ich möchte es gern hören. Du bist so prachtvoll.«

Er beantwortete das Kompliment mit einem offenen, festen Blick. Darüber hinaus aber verriet er nicht, dass es ihm Freude machte.

»Wir kämpfen sechs Runden – sieben Runden – acht Runden. Wir stehen gleich. Ich hatte mir das Tempo in seinen Angriffen gemerkt und ihn mit der Linken bearbeitet und seine Parade mit einem kleinen niedrigen Schlag durchstoßen, und er hatte mir einen Kinnhaken gegeben, dass es mir vor den Ohren sauste. Und das alles als zwei gute Freunde. Alles deutete auf einen unentschiedenen Kampf. Zwanzig Runden sind das höchste, weißt du.

Aber da hat er Pech. Wir rangen gerade miteinander. Es war das erste Mal, und er zielt kurz auf mein Kinn – mit der Linken – eine Schlafpille von der rechten Art, wenn er trifft. Ich duckte mich, aber nicht schnell genug. Und er trifft mich, bums, gerade an den Kopf. Ich will nicht leugnen, dass ich Sterne sah. Aber es tat nicht weh und hatte nichts zu bedeuten, denn es war hier oben, wo der Knochen dick ist. Und gerade dabei bekommt er selber eins ab; denn sein schlechter Daumen, den ich kannte, seit er ihn kriegte, als wir uns als kleine Jungen im Sand bei Watts Tract schlugen – den Daumen verstaucht er sich an meiner harten Birne. Ich hatte es mir gar nicht so gedacht! Ein dreckiger Taschenspielertrick, einen Mann sich die Hand am Kopf zerschlagen zu lassen, wenn es auch im Ring an sich ganz fair ist. Aber nicht unter Freunden – ich würde es nicht für eine Million Dollar mit Bill Murphy so gemacht haben. Es war Pech, weil ich so langsam bin, weil ich langsam geboren bin.

Ob es weh tut? Ich will dir etwas sagen, Saxon. Du weißt erst, was weh tut, wenn du dir einen solchen alten Schaden wieder aufgefrischt hast. Was kann Billy Murphy tun als aufgeben? Er ist fertig; er hat nur noch die eine Hand zum Kämpfen. Er weiß es, ich weiß es, der Richter weiß es, aber sonst keiner. Er schwingt weiter seinen armen linken Arm, als wäre alles in schönster Ordnung. Aber das ist es nicht. Es tut so weh, als stäche man ihn mit Messern. Er wagt nicht ein einziges Mal, mit seiner Linken richtig zuzustoßen. Aber weh tut es doch. Ob er nun stößt oder nicht, es tut weh. Und jeder kleine Schlag, den ich nicht einmal pariere, weil ich weiß, dass keine Wucht dahinter ist, jeder kleine Schlag mit dem Daumen geht ihm direkt ans Herz und schmerzt schlimmer als tausend Beulen und tausend Hiebe.

Er muss vorsichtig kämpfen, und ich forciere es auch nicht. Ich habe ganz den Kopf verloren. Ich weiß nicht, was tun. So lasse ich denn nach, und die Idioten beginnen zu brüllen. ›Warum schlägst du nicht?‹ heulen sie. ›Schiebung!‹ ›Schiebung!‹ ›Ihr solltet euch lieber küssen!‹ ›Ist er deine Liebste, Bill Roberts?‹ Und solchen Unsinn mehr.

›Kämpfe!‹ sagt der Richter leise und wütend zu mir. ›Kämpfe, oder ich disqualifiziere dich. Dich, Bill. Du bist es, den ich meine.‹ Das sagt er zu mir und berührt meine Schulter, so dass ein Irrtum unmöglich ist.

So etwas ist nicht schön. Es ist nicht recht. Um was, meinst du, kämpfen wir? Um hundert blanke Dollar. Denk dir! Und unsere Pflicht war, unser Äußerstes zu tun, um den andern Knockout zu schlagen, weil die Teufel auf uns gewettet haben. Es war mein letzter Kampf. Nie wieder, sage ich dir.

›Gib auf‹, sage ich zu Billy Murphy in einem Clinch. ›Um Gotteswillen, Bill, gib auf.‹ Und er flüstert zurück: ›Ich kann nicht Bill, das weißt du ja gut.‹

Der Richter reißt uns auseinander, und die Teufel heulen und brüllen.

›Zum Teufel, schlag zu, Bill Roberts, tu ihn ab‹, sagt der Richter zu mir, und ich ersuche ihn, sich zur Hölle zu scheren, und Bill und ich gehen wieder in Clinch, und keiner von uns schlägt, und Bill stößt sich wieder den Daumen, und ich sehe, wie sein Gesicht sich vor Schmerz verzerrt. Sport? Bill ist so mutig wie nur einer. Aber einem mutigen Mann ins Auge zu sehen, wenn er vor Schmerzen krank ist – ihn lieb zu haben und in seinen Augen zu sehen, dass er einen lieb hat, und ihm dann weiter Schmerzen bereiten – ist das Sport? Ich kann es nicht sehen. Aber das Publikum hat sein Geld auf uns gesetzt. Wir hatten nichts zu sagen. Wir hatten uns für hundert blanke Dollar verkauft, und wir hatten nur zu parieren.

Ich sage dir, Saxon, bei Gott, es war einer der Augenblicke, da ich Lust gehabt hätte, über das Seil zu springen, auf die Teufel loszuschlagen, die nach Blut brüllten, und ihnen zu zeigen, was Blut ist.

›Um Gotteswillen, mach ein Ende, Bill‹, sagt Bill zu mir und sieht mir brüderlich in die Augen, als der Richter uns endlich auseinander gebracht hat.

Und die Wölfe und Teufel heulen: ›Schiebung! Schiebung! Schiebung!‹ Immerfort.

Schön, ich tat es. Es gab keine andere Möglichkeit. Ich tat es. Ich tat es. Ich musste es tun. Ich mache eine Finte, dass er mit der Linken auslangt, ducke mich ruhig, so dass er mir über die Schulter fährt, und dann hat er meine Rechte auf seinem Kinn. Und er kennt den Trick. Tausendmal hat er mich angeführt, indem er den Stoß mit der Schulter empfing. Diesmal aber tut er es nicht.

Absichtlich gibt er sich eine Blöße. Bums! Es trifft. Er ist sofort erledigt und fällt seitwärts um, das Gesicht zu Boden und bleibt ganz still liegen, den Kopf nach unten, so dass es aussieht, als hätte er sich den Hals gebrochen. Das tat ich für hundert Dollar und um eine ganze Pöbelbande zu amüsieren, die ich nicht mit der Feuerzange anrühren möchte. Und dann hob ich Bill in meine Arme, trug ihn in seine Ecke und half, ihn wieder zum Bewusstsein zu bringen. Schön, sie sind zufrieden. Sie bezahlten ihr Geld und kriegen das Blut, das sie haben wollen, und einen entschiedenen Kampf. Und auf der Matte liegt ein besserer Mann als jeder von ihnen – ein Mann, den ich liebe, liegt da wie tot mit zerschundenem Gesicht.«

Eine Weile sah er schweigend über die Pferde hinweg, mit einem harten und zornigen Gesichtsausdruck. Dann seufzte er, sah Saxon an und lächelte.

»Ich boxte nicht wieder. Und Billy Murphy lachte mich deshalb aus. Er blieb dabei – so als Nebengeschäft, weißt du, denn er hat eine gute Stellung. Aber hin und wieder einmal, wenn das Haus gestrichen und die Doktorrechnung bezahlt werden soll oder das älteste von den Kindern ein Fahrrad haben will, dann geht er für fünfzig oder hundert Dollar in einem Klub in den Ring. Ich möchte, du lerntest ihn einmal kennen. Ein ganzer Mann, versichere ich dir. Aber an dem Abend war mir scheußlich elend zumute.«

Sein Gesicht war wieder finster und zornig geworden, und Saxon ertappte sich dabei, dass sie unwillkürlich etwas tun wollte, was Frauen, die höher auf der sozialen Rangleiter stehen, zuweilen offen und bewusst tun. Mit einer impulsiven Bewegung streckte sie die Hand aus, legte sie auf die seine, die die Zügel hielt und ließ sie dort einen Augenblick mit einem schnellen, festen Druck ruhen. Ihr Lohn war ein Lächeln mit Lippen und Augen, und er wandte ihr das Gesicht zu.

»Komisch«, sagte er. »Ich habe nie mit einem andern über so etwas gesprochen. Ich pflege sonst meine Gedanken für mich zu behalten. Aber was auch der Grund sein mag, so habe ich jedenfalls das Gefühl, dass wir gute Freunde werden müssen – ja, ist das nicht komisch? Und deshalb erzähle ich dir meine Gedanken. Tanzen kann jeder.«

Der Weg ging aufwärts, am Rathaus und an den Wolkenkratzern der vierzehnten Straße vorbei, den Broadway entlang, in der Richtung der Berge. Am Kirchhof bogen sie rechts ab, fuhren über die Piedmont-Berge nach dem Blair-Park und tauchten in den grünen kühlen Jack-Heyes-Canyon. Saxon vermochte ihre Überraschung und Freude über die Schnelligkeit, mit der sie vorwärts kamen, nicht zu verbergen.

»Wie schön sie sind!« sagte sie. »Ich habe mir nie träumen lassen, dass ich je mit solchen Pferden fahren würde. Ich fürchte, gleich aufzuwachen und zu merken, dass es ein Traum ist. Weißt du, dass ich immer von Pferden träume! Ich weiß nicht, was ich tun würde, um einmal eines zu besitzen.«

»Das ist auch komisch«, antwortete Billy. »Aber ich liebe Pferde genau wie du. Mein Chef sagt, ich sei Pferdekenner. Und ich weiß, dass er selbst ein Esel ist. Er versteht nichts davon. Und dabei hat er doch zweihundert große, schwere Arbeitspferde außer den zwei leichten Kutschpferden, und ich habe nicht ein einziges. Ist das nicht zum Tollwerden?«

»Ja, das ist es«, lachte Saxon verständnisvoll. »Wenn es etwas gibt, das ich liebe, so sind es feine Blusen, und ich verbringe meine Tage damit, die schönsten Blusen von der Welt zu plätten. Das ist schwer, und es ist nicht, wie es sein sollte.«

Billy knirschte in einem neuen Wutanfall mit den Zähnen.

»Es macht mich krank, wenn ich daran denke, dass du sie plättest. Es wäre eine verfluchte Welt, wenn Männer und Frauen nicht hin und wieder einmal darüber reden könnten.« Es klang wie eine halbe Entschuldigung, und doch war ein gewisser selbstsicherer Trotz darin zu hören. »Ich rede nicht mit andern Mädchen darüber. Die würden nur glauben, dass ich Hintergedanken dabei hätte. Ihre Angst, dass man immer Hintergedanken hat, kann einen krank machen. Aber du bist nicht so. Mit dir kann ich reden. Du bist wie Billy Murphy oder sonst irgendein Mann, mit dem man reden kann.«

Sie seufzte glückselig und sah ihn, ohne es zu wissen, mit Augen an, die vor Verliebtheit strahlten.

»Mir geht es ebenso«, sagte sie. »Mit den jungen Leuten, mit denen ich spazierenging, wagte ich nie, über so etwas zu reden aus lauter Angst, dass sie es mißbrauchen würden. Ja, eigentlich habe ich immer, wenn ich mit ihnen zusammen war, das Gefühl gehabt, dass wir uns narrten und anlogen und Komödie spielten, als wäre man auf einem Maskenball.« Sie schwieg, wie um sich zu bedenken, und fuhr dann mit seltsam leiser Stimme fort: »Ich bin nicht schlafend durch die Welt gegangen – ich habe gesehen und gehört. Ich habe meine Chancen gehabt, und ich bin des Plättens so müde gewesen, dass ich alles hätte tun können. Ich hätte die feinen Blusen haben können – und alles andere – und Pferd und Wagen dazu, wer weiß? Da war ein Bankkassierer – ein verheirateter Mann noch dazu, warum nicht? Er redete ganz offen mit mir. Mit mir wurde nicht gerechnet, verstehst du? Ich war kein junges Mädchen mit den Gefühlen eines jungen Mädchens. Ich war eine Null. Es war eine reine Geschäftssache. Er –«

Ihre Stimme senkte sich wie in Kummer, und in dem eingetretenen Schweigen konnte sie hören, wie Billy mit den Zähnen knirschte.

»Du brauchst mir nichts weiter zu erzählen«, rief er. »Ich kenne das. Es ist eine dreckige Welt, eine gemeine, lausige Welt. Ich verstehe sie nicht. Es gibt keine Gerechtigkeit in ihr. Die Frau wird wie ein Pferd gekauft und verkauft, mit dem Besten, das in ihr ist. Ich verstehe die Frauen nicht. Ich verstehe die Männer nicht. Meiner Ansicht nach muss ein Mann betrogen werden, wenn er so kauft. Wie zum Beispiel mein Chef und seine Pferde. Er hat auch Frauen. Er hätte dich mithaben können, nur weil er reich ist. Und du, Saxon, du bist für feine Blusen und dergleichen geschaffen. Aber bei Gott, ich würde es nicht ertragen, dass du den Preis dafür bezahltest. Das wäre ein Verbrechen –«

Er schwieg plötzlich und straffte die Zügel. Bei einer scharfen Biegung kam ihnen ein Automobil gerade entgegengesaust. Es bremste kreischend und hielt an, während die Gesichter der Insassen sich plötzlich beim Anblick der beiden jungen Menschen in dem leichten Fuhrwerk, das ihnen den Weg versperrte, belebten. Billy hob die Hand.

»Fahren Sie an den Wegrand«, sagte er zum Chauffeur.

»Nicht zu machen, Freundchen«, antwortete der Chauffeur und maß mit sachverständigem Blick den lockeren Rand des Weges und die Tiefe des Abgrunds. »Dann halten wir«, erklärte Billy freundlich. »Ich kenne die Regeln der Straße. Diese Tiere sind ein bisschen automobilscheu. Wenn Sie glauben, dass ich sie hier auf dem Hügel ängstlich gemacht haben will, dann irren Sie sich.«

Ein wirres Summen gekränkter protestierender Stimmen erklang aus dem Wagen.

»Sie brauchen nicht gleich als Landstraßenräuber aufzutreten, weil Sie ein Bauernlümmel sind«, sagte der Chauffeur. »Wir wollen Ihren Pferden nichts tun. Weichen Sie aus, dass wir vorbeikommen. Wenn nicht – –«

»Weichen Sie selber aus«, ertönte Billys Antwort. »So können Sie nicht mit mir reden. Ich kenne Sie. Machen Sie, dass Sie wegkommen. Fahren Sie rückwärts den Hang hinauf und halten Sie sich bei der ersten Stelle, wo Platz genug zum Ausweichen ist, ganz rechts.«

Nach einer furchtsamen Beratung mit den andern Insassen des Automobils gehorchte der Chauffeur. Das Automobil fuhr rückwärts die Anhöhe hinauf und verschwand hinter der Wegbiegung.

»So ein Pack«, sagte Billy ärgerlich zu Saxon. »Wenn sie ein paar Liter Benzin haben und sich einen Wagen leisten können, glauben sie gleich, dass die Wege, die deine und meine Eltern gemacht haben, ihnen allein gehören.«

»Sollen wir hier die ganze Nacht warten?« ertönte die Stimme des Chauffeurs hinter der Wegbiegung. »Machen Sie, dass Sie weiterkommen. Die Passage ist frei.«

»Halten Sie den Mund«, antwortete Billy verächtlich. »Ich komme, wann ich komme, und wenn Sie nicht Platz genug machen, fahre ich glatt über Sie und Ihre Ladung Hühner hinweg.«

Er ließ den unruhigen Tieren ein ganz klein wenig die Zügel, und ohne dass er die Peitsche gebrauchen musste, zogen sie den leichten Wagen bergan und passierten ängstlich und scheu die lärmende Maschine.

»Wo waren wir stehen geblieben?« fragte Billy, als sie wieder freie Bahn hatten. »Ja, bei meinem Chef. Warum soll er zweihundert Pferde und Frauen und alles Mögliche haben und du und ich nichts?«

»Du hast deine Seide, Billy«, sagte sie sanft.

»Und du deine. Aber wir verkaufen sie an andere, wie man Stoffe an der Theke für so und so viel die Elle verkauft. Du weißt selbst am besten, was ein paar Jahre in der Plätterei für dich bedeuten. Und ich selber! Ich verkaufe meine Seide jeden Tag, wenn ich arbeite. Sieh den kleinen Finger hier.« Er nahm die Zügel in die eine Hand und hob die andere, die jetzt frei war, hoch, so dass sie sie sehen konnte. »Ich kann ihn nicht wie die andern ausstrecken, und das wird immer schlimmer. Das kommt vom Fahren. Hast du je die Hände eines alten Kutschers gesehen? Sie gleichen Krallen, so krumm und verkrüppelt sind sie.«

»In den Tagen, als unsere Väter über die Prärie gingen, sah das Leben anders aus«, antwortete sie. »Sie bekamen auch krumme Finger, aber was es an Pferden und dergleichen gab, gehörte ihnen.«

»Eben. Sie arbeiteten für sich. Sie machten sich die Finger für sich selber krumm. Aber ich mache mir die Finger für meinen Chef krumm. Kannst du dir denken, Saxon, dass seine Hände so weich sind wie die einer Frau, die nie etwas getan hat. Und doch gehören Pferde und Ställe ihm, obwohl er nie ein ehrliches Stück Arbeit verrichtet hat, während ich mich abschinde, um Essen und Kleider zu verdienen. Alles geht den falschen Weg. Und wer hat Schuld daran? Sieh, das möchte ich gern wissen. Die Zeiten sind anders geworden. Wer hat sie verändert?«

»Nicht Gott.«

»Nein, darauf kannst du deinen Kopf setzen, nicht er. Und das ist auch eine der Fragen, die ich stelle. Wer ist alles in allem Gott? Falls er die Dinge ordnet – und wenn er es nicht tut, wozu ist er dann da? – warum lässt er dann meinen Chef und Männer wie den Bankkassierer, von dem du sprachst, warum lässt er die dann Pferde besitzen und Frauen, anständige kleine Mädchen kaufen, die gern ihre eigenen Männer lieben und Kinder, deren sie sich nicht zu schämen brauchten, bekommen und auf ihre Art glücklich sein möchten?«

***

Das Mondtal

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