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Kapitel 7

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Den restlichen Tag verbrachten Harry und ich damit, das Industriegebiet zu durchkämmen, wo Taneesha Franklin ums Leben gekommen war. Normalerweise war diese Gegend das Jagdrevier von Huren, doch aufgrund des Regens gingen sie immer noch nicht vor die Tür. Wir fragten alle Leute, derer wir habhaft werden konnten, nach dem bärtigen Langhaarigen. Den meisten Mädels, Typen und fragwürdigen Gestalten, die ihre Waren an den Straßenecken verkauften, hatte der Mord eine Heidenangst eingejagt. Sie gaben sich Mühe und wollten behilflich sein, aber als wir gegen sechs Uhr heimfuhren, hatten wir rein gar nichts in Erfahrung gebracht.

Ich wohnte dreißig Meilen weiter südlich, auf Dauphin Island. Das ist eine teure Gegend, doch nach dem Tod meiner Mutter hatte ich genug Geld geerbt, um mir sofort ein Haus kaufen zu können. Eigentlich war das mein zweites Heim auf der Insel, denn aus dem ersten hatte Hurrikan Katrina Brennholz gemacht. Seitdem beklage ich mich nicht mehr, wenn die Raten für das Rundum-Sorglos-Paket der Versicherung fällig werden.

Als ich in meine kurze Straße bog, sah ich einen silbernen Audi auf meiner Auffahrt stehen, dessen Stoßstange mit Aufklebern von Raubvögeln und wilden Tieren überzogen war. Danielle Danburys Wagen. Ich parkte unter dem Haus, stieg die Treppe hoch und trat ein.

»Ich gehe aufs Deck hinaus«, rief Dani. »Komm doch auch.« Die Terrassentür fiel mit einem dumpfen Schlag ins Schloss. Ich stand im Wohnzimmer und hörte nur das leise Summen der Klimaanlage. Für gewöhnlich empfing Dani mich an der Tür.

Was war los?

Ich entledigte mich meiner Krawatte und meiner Jacke und warf beide Kleidungsstücke über einen Stuhl. Das Schulterhalfter und die Waffe verschwanden im Nachttisch.

Ich hörte, wie die Terrassentür aufging. »Wo bleibst du, Carson?«

»Ich zieh mich noch schnell um.«

»Beeil dich, Pogobo.«

Pogobo und die Abkürzung Pogie kamen von Po-lice Go-lden Bo-y. Diesen Spitznamen hatte Dani sich für Harry und mich ausgedacht, nachdem der Bürgermeister uns zu Polizisten des Jahres ernannt hatte. Die meiste Zeit waren wir gewöhnliche Detectives, doch hin und wieder wurde aus uns das Psycho- und Soziopathologische Ermittlungsteam. PSET oder piss-it, wie alle es nannten, war vor ein paar Jahren als reiner Werbegag ins Leben gerufen worden, ohne jemals richtig aktiv zu werden. Doch irgendwie und irgendwann kam das PSET zum Einsatz, erzielte Ergebnisse und brachte uns die Ernennung zu Polizisten des Jahres. Wie sich herausstellte – und wie Harry prophezeit hatte –, war diese Ehrung einen feuchten Dreck wert.

Ich zog ein Paar abgeschnittene Hosen, ein T-Shirt und Laufschuhe an, die jeden Moment auseinanderzufallen drohten. An der Küchenspüle klatschte ich mir ein wenig Wasser ins Gesicht und warf einen Blick zum Fenster hinaus. Dani lief neben dem Terrassentisch auf und ab. Auf der Tischplatte lag etwas unter einem Küchenhandtuch. Ich trocknete mein Gesicht mit dem Topflappen ab und ging nach draußen aufs Deck.

Der sich dem Ende zuneigende Tag war schön und frühlingshaft. Eine salzige, nach Seetang duftende Brise vom Strand verstärkte diesen Eindruck noch. Kreischende Möwen folgten einem Schwarm kleiner Fische in die sanften Wellen und tauchten unter. Mehrere Spaßboote und auch eine große weiße Yacht, die mir in letzter Zeit häufiger aufgefallen war, schipperten durch den Golf. Hoch oben am Himmel ging ein einmotoriges Flugzeug in Querlage. Von fern betrachtet wirkte es gerade mal so groß wie ein Drachen.

Dani stand in weißen Shorts und einem roten Trägertop neben dem Tisch mit dem Handtuch. Ihr aschblondes Haar reflektierte das Sonnenlicht und der strahlende Himmel färbte ihre grauen Augen blau. Ich warf einen Blick auf den Tisch und zog eine Augenbraue hoch.

»Ein Zauberkunststück? Willst du einen Hasen verschwinden lassen?«

Sie riss das Küchenhandtuch weg. Mitten auf dem Tisch stand eine Flasche teurer Champagner in einer Salatschüssel mit Eiswürfeln und daneben zwei Sektgläser, die ich für $ 1.49 pro Stück bei Big Lots erstanden hatte.

Als Dani die Flasche entkorkte, schoss der Schaum heraus. Sie schenkte ein und reichte mir ein Glas.

»Wir trinken auf meine Beförderung. Ich bin aufgestiegen von der Reporterin zur …«, sie prostete mir mit erhobenem Glas zu, »… vollwertigen Nachrichtenmoderatorin.«

Ich starrte sie an, als würde sie eine Fremdsprache sprechen. »Was?«

»Sie machen mich zur Nachrichtenmoderatorin, Carson. Ich fange noch diese Woche an.«

»Das kommt ja ziemlich überraschend.«

Ich registrierte die Andeutung eines Stirnrunzelns. »Eigentlich nicht. Ich habe es schon seit ein paar Wochen vermutet, die Zeichen gelesen. Die Fühler ausgestreckt.«

»Warum hast du mir nichts davon erzählt?«

»Es ist Juni, Carson. Wann haben wir uns das letzte Mal ernsthaft unterhalten? Ende April?«

»Ich hatte zu tun.« Mir fiel auf, wie ich in die Defensive ging.

»Vor ein paar Wochen habe ich versucht, es dir zu erzählen. Aber einmal hast du mich mit einem ›Pst‹ zum Schweigen gebracht und etwas auf deinen Notizblock geschrieben. Und das andere Mal habe ich zu dir rübergesehen und du hast schon geschlafen.«

»Und warum hast du keinen dritten Versuch gestartet?«

Offenbar hatte sie meine Frage nicht gehört.

»Fürs Erste werde ich die anderen Moderatoren vertreten, wenn sie frei haben. Die Wochenenden übernehmen. Damit sich die Zuschauer an mich gewöhnen.«

»Sie sind doch schon an dich gewöhnt.«

»Die Leute kennen mich nur als die Frau, die das Mikro hält. Es ist wichtig, dass sie mich als nahbare Person kennenlernen. Als jemanden, mit dem sie Zeit verbringen möchten. Und dem sie ihr Vertrauen schenken. Es geht um die Beziehung zum Zuschauer, um etwas, das du jedem von ihnen gibst.«

Ihre Rede klang wie das Geschwafel, über das sie sich früher immer lustig gemacht hatte. Ich fragte mich, was ich verpasst und mit wem sie über Moderatoren-Zuschauer-Beziehungen und Nahbarkeit gesprochen hatte.

»Und worauf läuft das alles hinaus?«, fragte ich.

»Auf regelmäßige Arbeitszeiten, jedenfalls solange ich diesen Job mache.«

»Alles, was wir im Moment haben, sind die Wochenenden und manchmal sehen wir uns da auch nicht. Hast du gerade eben gesagt, dass du genau dann –«

»Nur am Anfang, während der Testphase. Bis ich mich eingewöhnt habe. Hinterher wird sich das ändern.«

»Wenn wir uns seltener sehen, ist das besser für uns?«

»Ich kann es nun mal nicht ändern, Carson. Das hier ist meine Chance, eine Spitzenposition zu ergattern. Und außerdem werde ich fast das Doppelte verdienen.« Sie wechselte das Thema. »Du hast dir doch schon einen Smoking für Samstagabend geliehen, oder?«

Ich klopfte mir an die Stirn. Channel 14 veranstaltete am Samstagabend seine jährliche Party, bei der es ziemlich förmlich zuging. Gut möglich, dass ich mir einbildete, nicht hingehen zu müssen, wenn ich keinen Smoking hatte. Vielleicht litt ich unter so etwas wie modischem Solipsismus.

»Besorg dir gleich morgen einen, Carson. Das ist die Party des Jahres. Alle großen Tiere von Clarity werden kommen. Ich muss Eindruck schinden und so auftreten, wie es einer Nachrichtenmoderatorin entspricht.«

Wir saßen auf dem Deck und ich hörte zu, wie Dani mir Dinge erzählte, die ich wahrscheinlich schon vor Wochen hätte erfahren sollen. Ihre berufliche Veränderung schien vernünftig und auf lange Sicht auch gut für uns zu sein: mehr Zeit füreinander und regelmäßige Arbeitszeiten. Doch im Hintergrund, hinter dem Rauschen der Wellen und dem ruhigen Blues, der aus den Terrassenlautsprechern drang, hörte ich eine leise, aber hartnäckige Dissonanz, als würden mein Kopf und mein Herz verschiedene Melodien spielen.

Den Wölfen zum Fraß

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