Читать книгу Den Wölfen zum Fraß - Jack Kerley - Страница 18
Kapitel 12
ОглавлениеWährend ich mit den beiden Drinks in der Hand durch den Ballsaal schlenderte, wurde ein Scheinwerfer eingeschaltet, der die Bühne in weißes Licht tauchte. Gerade in dem Moment, wo der Hauptgeschäftsführer aufs Podium trat, erreichte ich unseren Tisch. Zwanzig Minuten lang schleuderte er mit Fachjargon um sich, sprach von Einschaltquoten, Einnahmen, optimaler Ausnutzung des Anlagevermögens und so weiter und so fort. Nach ihm sprachen noch drei andere Herren, die irgendeine Abteilung leiteten. Schließlich trat noch mal der Hauptgeschäftsführer ans Mikrofon, ließ weitere Kommentare vom Stapel und deutete auf den Bereich, den die Kincannons mit Beschlag belegt hatten.
»… Eckpfeiler unseres Senders und unserer Gemeinde, meine Damen und Herren, die Kincannons …«
Die Familienmitglieder lächelten und winkten. Buck Kincannon erhob sich von seinem Stuhl. Der Lichtkegel eines auf der Galerie montierten Scheinwerfers richtete sich auf ihn, was – wie ich vermutete – von vornherein so geplant gewesen war. Die Menge klatschte höflich, spendete Kincannon aber auch nicht mehr Beifall als allen anderen, die sich zuvor zu Wort gemeldet hatten. Nach ein paar Sekunden verebbte der Applaus.
»Eine Rede«, rief jemand laut.
An einem der vorderen Tische erhoben sich mehrere Männer, klatschten und baten darum, dass Kincannon das Wort ergriff. Die Gäste an den anderen Tischen schlossen sich ihnen an und schauten nach links und rechts wie Konzertgänger, die noch überlegten, ob die Musik wirklich so gut war, während alle anderen um sie herum von der Qualität überzeugt zu sein schienen. Der Applaus vom vorderen Tisch wurde immer lauter. Diese Typen erinnerten mich an Cheerleader in Smokings, oder – weniger höflich ausgedrückt – an Einpeitscher.
Dani stand auf und fing an zu klatschen. Kincannon stieg auf das Podium, begann mit einem Scherz und entschuldigte sich dafür, dass er »die Gäste von dem wahren Grund für ihr Kommen, nämlich umsonst zu essen zu und trinken, abhielt«, und leitete dann zu geschäftlichen Themen über. Meinem ungeübten Ohr nach erging er sich die Hälfte der Zeit in Geschäftsjargon und die andere Hälfte erzählte er Bockmist. Vielleicht bestand der Trick ja darin zu unterscheiden, was was war. Oder vielleicht war das auch überhaupt nicht von Belang.
Nach einer Weile sprach Kincannon endlich wieder verständliches Englisch.
»… nirgendwo tritt die Professionalität deutlicher zutage als in der Nachrichtenabteilung. Kein Nachrichtenteam hat im letzten Jahr mehr Preise in Alabama gewonnen als die Mannschaft von Channel 14 …«
An der Stelle spendete die Menge Beifall.
»Ein paar von diesen Kollegen haben heute Abend schon zu Ihnen gesprochen, doch es gibt da noch jemanden, der ein paar Worte sagen sollte. Ich spreche von einer extrem beharrlichen Enthüllungsjournalistin, die unsere Teams stets aufs Neue inspiriert …«
»Damit habe ich nicht gerechnet«, sagte Dani und strich sich übers Haar. »Wie sehe ich aus, Carson?«
»Ganz wie du, nur schicker.«
»… ist es mir eine große Freude, Ihnen den jetzigen Star und zukünftigen Superstar der Clarity Broadcasting Corporation vorzustellen, eine Frau, für die die Zukunft mehr bereithält, als sie ahnt …«
Dani grinste und schüttelte den Kopf.
»… möchte ich Ihnen DeeDee Danbury präsentieren.«
Wie der Papst, der den Petersplatz segnet, breitete Kincannon die Arme aus.
»Kommen Sie bitte hier herauf, DeeDee.«
Beifall ertönte, als Dani zum Podium lief. Buck Kincannon streckte ihr die Arme entgegen und sie ließ sich von ihm ans Herz drücken. Seine Hand strich über ihren nackten Rücken. Sie lächelten einander zu, tauschten ein paar Sätze aus, und dann trat Dani ans Mikrofon, während Kincannon zwar einen Schritt zurücktrat, doch weiterhin in ihrem Scheinwerferlicht badete.
Sie räusperte sich, tat so, als würde sie einen Umschlag öffnen, pustete und griff hinein. Die Menge, die sich fragte, was sie da tat, verstummte.
Dani zog eine unsichtbare Karte aus dem nicht vorhandenen Umschlag und streckte den Arm aus, als könne sie so besser lesen.
»Und der Gewinner in der Kategorie Bester Arbeitgeber ist … Clarity Broadcasting Network!«
Die Anwesenden lachten, klatschten und pfiffen. Ich spendete auch Beifall und kämpfte gegen den Eindruck an, gerade miterlebt zu haben, wie sie dem Publikum und ihrem Arbeitgeber um den Bart ging. Plötzlich schämte ich mich, ohne genau zu wissen für wen, doch dann dämmerte mir, dass ich in Bezug auf das Fernsehgeschäft genauso naiv war, wie wenn ich mir einen Smoking auslieh. Das müssen sie so bei diesen Partys tun, dachte ich. Sich einschleimen und es den anderen gleichtun. Also, entspann dich.
Danis Rede dauerte zwei Minuten. Sie war humorvoll, geschliffen und voller Lob für Clarity Broadcasting und die Kincannon-Familie. Und wie die Anspielung auf die Oscar-Verleihung war sie eher Show als wirklich ernst gemeint.
Kincannon schnappte sich das Mikrofon und rief: »Jetzt mal Beifall für unsere wunderschöne DeeDee Danbury!« Mit einer Geste bedeutete er den Gästen zu klatschen. Wieder angestachelt von der Gruppe an dem vorderen Tisch sprang die Menge auf, als wäre Dani eine Eiskunstläuferin, die gerade einen fünffachen Was-weiß-ich hingelegt hatte.
Die Party endete gegen elf. Seit Dani von den Bossen gehuldigt worden war, scharten sich neue Freunde um sie. Ich wartete draußen, während sie mit Fremden plauderte und das Rampenlicht genoss. Um mir die Zeit zu vertreiben, schlenderte ich durch die warme Nacht. Als ich um eine Ecke bog, entdeckte ich Racine und Nelson, die gemeinsam mit ihren Gattinnen auf ihren Wagen warteten. Sie standen vor einem Dienstboteneingang, was mich zu der Theorie veranlasste, dass Menschen wie die Kincannons grundsätzlich nicht mit dem normalen Pöbel Schlange standen.
In dreißig Meter Entfernung lehnte ich mich an eine Straßenlaterne und beobachtete sie. Außer mir und den Kincannons war niemand in der Nähe. Die Familienmitglieder unterhielten sich nicht miteinander. Ihre Augen waren leer und ausdruckslos. Es schien fast so, als könnte – nachdem die Show vorbei war – jeder wieder sein wahres Gesicht zeigen und nach Hause fahren. Racine Kincannon, der offenbar noch nicht genug getrunken hatte, hielt in beiden Händen ein Glas.
Nelson sagte etwas, was ich nicht verstehen konnte. Racine wirbelte herum und schüttete seinem Bruder den Inhalt eines Glases ins Gesicht. Das andere ließ er fallen, packte seinen Bruder am Revers und verpasste ihm einen ordentlichen Schubs. Die Gattinnen wichen ein paar Schritte zurück und betrachteten gelangweilt den Sternenhimmel. Die beiden Männer gingen gerade in Kampfstellung, als eine schneidend scharfe Stimme erklang.
»Schluss damit, sofort!«
In Begleitung von Buck kam Maylene Kincannon wie ein Rodeobulle aus dem Gebäude gestürmt. Mit drohendem Zeigefinger und donnernder Stimme brüllte sie ihre Söhne an. Obwohl ich die Worte nicht verstehen konnte, spürte ich ihren Zorn. Ihre beiden streitenden Söhne schauten zu Boden. Die Gattinnen taten so, als wäre nichts passiert, und drehten sich nicht mal um.
Dann beugte Buck Kincannon sich zu seiner Mutter hinunter und sagte etwas, was ihr ganz offensichtlich nicht gefiel, denn sie schlug ihm so fest ins Gesicht, dass es sich wie ein Gewehrschuss anhörte. Keiner der anderen schien es zu bemerken oder gar Anteil an dem zu nehmen, was sich da abspielte.
Eine schwarze Limousine fuhr vor. Die Familie scharte sich zusammen, als der Chauffeur ausstieg, um den Wagenschlag zu öffnen. Das schwarze Biest rollte vom Bordstein weg. Ich sah, wie ein schwarzes undurchsichtiges Fenster heruntergekurbelt wurde und ein wutverzerrtes Männergesicht brüllte: »Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß, Arschloch.«
Dann fiel der Vorhang.
Kurz vor Mitternacht setzte der Fahrer uns vor Danis Haus ab. Die Nacht war diesig, der Mond schien und die Luft duftete nach Hornstrauch und Magnolien. Während ein Nachtvogel auf dem Dachvorsprung sein Lied trällerte, schlenderten wir Arm in Arm zur Veranda. Dani holte den Schlüssel aus der Tasche und schloss die Tür auf. Nachdem wir zwei Stunden lang die Ausdünstungen von anderen Menschen ertragen hatten, tat die kühle saubere Luft gut. Ich warf einen Blick auf ihr Telefon, wo das rote Lämpchen blinkte.
»Du hast eine Nachricht.«
Sie ging in die Küche und kontrollierte, ob die Hintertür verschlossen war. Eine typische Angewohnheit alleinlebender Frauen. »Wahrscheinlich Laurel Hollings, der mich wegen meiner Rede auf die Schippe nimmt. So was macht er gern, wenn er einen im Tee hat. Hör sie doch ab, während ich mich draußen umsehe.«
Die Küchentür ging auf und die Fliegengittertür fiel zu, als Dani hinaustrat, um die hintere Verandatür zu überprüfen. Ich warf mein Jackett auf einen Stuhl, lief zum Telefon hinüber und drückte auf den NACHRICHTEN-Knopf.
»Es war großartig, dich heute Abend zu sehen, meine liebe DeeDee. Das, was ich über eine strahlende Zukunft gesagt habe, war mein voller Ernst. Und, ach ja, dieses rote Kleid war fabelhaft. Ich melde mich bald wieder bei dir.«
Vor vier Stunden hätte ich diese Stimme nicht erkannt, doch nun wusste ich, wer das war.
Buck Kincannon.
Ich schloss die Augen, überlegte, was ich tun sollte, und spulte zurück. Eine Minute später tauchte Dani wieder auf. Ich stand vor dem Spiegel im Flur und fingerte an einem Westenknopf herum.
»Mist«, knurrte ich.
»Was denn?«
»Der Knopf ist locker. Hängt nur noch an einem Faden.«
Ihr Blick wanderte zum Telefon, wo das Lämpchen blinkte, als hätte sich niemand daran zu schaffen gemacht.
»Du hast die Nachricht nicht abgehört?«, fragte sie.
Ich beäugte den Knopf missmutig. »Wenn ich diesen verdammten Knopf abreiße, berechnen sie mir wahrscheinlich dreißig Dollar dafür. Liegt die Schere wie immer im Badezimmer?«
Sie nickte. Ich wanderte ins Gästebad und schloss die Tür hinter mir. Mit rasendem Herzen stand ich im Dunkeln, während sie die Nachricht abhörte. Ich spitzte die Ohren. Die Stimme von Buck Kincannon schallte ein zweites Mal durchs Haus.
Das ist nur ein geschäftlicher Anruf, redete ich mir ein. Buck Kincannon war der capo di tutti capo der Kincannon-Familie und von Clarity Broadcasting. Vermutlich meldete er sich bei allen, die für den Sender arbeiteten und heute Abend eine Rede gehalten hatten, um ihnen das Gefühl zu vermitteln, zum Team zu gehören. Das war rein geschäftlich.
Kurze Zeit später kehrte ich mit der Weste in der Hand zurück. Dani war in der Küche und räumte das Geschirr aus der Spülmaschine in die Regale.
»Kann das nicht bis morgen warten?«, fragte ich.
Sie zuckte mit den Achseln und setzte ein Lächeln auf. »Ich hatte nur das Gefühl, etwas tun zu müssen. Überschüssige Energie oder so was in der Art.«
»Und … war die Nachricht von deinem Witzbold aus dem Sender?«
Unsere Blicke trafen sich nicht; sie drehte sich um, verstaute einen Teller im Regal und sprach mit dem Brett. »War nichts Wichtiges. Ein Freund hat sich gemeldet und wollte plaudern.«
In dieser Nacht lagen wir gemeinsam in ihrem Bett, doch keiner machte Anstalten, mit dem anderen zu schlafen. Blitze erhellten den Nachthimmel und tauchten den Raum in Schatten, doch Regen fiel nicht. Kurz nach Morgengrauen stand ich auf, ohne sie zu wecken, hinterließ eine Nachricht, dass ich tagsüber viel zu tun hätte, und flüchtete nach draußen in die unerträgliche Hitze des noch jungen Tages.