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Prolog Im Osten von Mobile County, Alabama,
Anfang des 3. Jahrtausends

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»Bist du sicher, dass er hier lang gelaufen ist? Ich kann nichts sehen.«

»Verflucht noch mal, sprich nicht so laut. Finger weg vom Blut. Und benutz die Taschenlampe nur, wenn’s unbedingt sein muss.«

Lucas hörte in der Ferne Stimmen und schlug die Augen auf. Die Welt drehte sich langsam, als wäre er in einem gallertartigen Strudel gefangen. Nach Halt suchend breitete Lucas die Arme aus und spürte Gras unter den Fingern. Obwohl es Nacht war, erkannte er die dunklen Schatten der nahen Bäume. Kometen rauschten durch die Stämme, erstrahlten und verblassten: Komet, kein Komet. Hier im Kometenland war die Luft frisch, roch nach Tau und nassem Laub. Ein ziemlich merkwürdiger Effekt, wie er fand. Und genauso merkwürdig war dieser einzelne Stern am Himmel, direkt über ihm, der blinkte, als würden sich die Kometen und der Stern miteinander unterhalten.

»Da ist ein Wagen! Hinter den Bäumen, unter den Zweigen. Er steckt hier irgendwo.«

»Wir müssen die Karre loswerden. Und zwar pronto. Ruf einen Abschleppdienst.«

Lucas schloss die Augen und atmete die kalte Luft tief ein. Der einzelne Stern blinkte. Wieder flammte ein Komet am Himmel auf. Nein, das sind keine Kometen, dämmerte es seinem langsam erwachenden Verstand, das ist der Schein von Taschenlampen im Nebel. Er lag in einem Feld am Waldrand und das feuchte Gras berührte seine Wangen. Wie war er auf diesem Acker gelandet? Und warum waren da Taschenlampen?

Sie suchten etwas.

Suchten ihn.

Was hatte er getan?

Schritte waren zu hören. Körper schoben Äste beiseite, traten auf Zweige. Die Lichtkegel der Taschenlampen fegten über Gras und Bäume. Als der Kegel über ihn glitt, wurde Lucas’ Welt in Weiß getaucht. Er zwang sich, vollkommen reglos auszuharren. Die Lichter wanderten weiter.

Doch in dem Augenblick, wo alles hell wurde, war ihm etwas Seltsames aufgefallen: Seine Hand war rot. Mit perverser Verzückung starrte er auf seine dunklen Finger und musste feststellen, dass nicht nur seine Hand, sondern auch sein blauer Schlafanzug voller Blut war.

Die Stimmen meldeten sich wieder. Lauter und aus geringerer Entfernung.

»Da bewegt sich was unter dem Sendemasten. Schätzungsweise links von dir. Siehst du das Blinklicht des Mastens über den Bäumen?«

»Sei vorsichtig. Er ist … ausgefuchst.«

Eine Serie von Bildern schwirrte Lucas durch den Kopf, frische Erinnerungen, die sich wie ein holperiger Film vor seinem geistigen Auge abspulten. Während er Rückschau hielt, krampfte sich ihm der Magen zusammen. Er hätte sich ausrechnen können, dass sie kommen würden. Er wusste zu viel.

»Sollte der Arzt nicht hier sein? Warum hast du ihn nicht verständigt?«

»Halt die Klappe. Ich arbeite mich zur Rückseite des Turms. Stell das Walkie-Talkie leiser und schalt die Taschenlampe aus. Ich geb dir Bescheid, wenn du dich in Bewegung setzen sollst.«

Für einen Augenblick herrschten Dunkelheit und Ruhe. Lucas wischte sich die blutigen Hände an der Pyjamahose ab und lockerte Finger, Arme und Beine. Jetzt konnte er sich rühren. Konnte fliehen. Als die Kometen wieder blinkten, richtete er sich auf, ging in die Hocke und schwankte leicht. Seine Welt wurde weiß. Schwerfällig und mit puddingweichen Knien erhob er sich. Er taumelte. Lauf, kreischte eine Stimme in seinem Kopf.

»Ich seh ihn, er ist aufgestanden.«

»Ich komm dir entgegen. Halt den Elektroschocker bereit.«

Lucas holte tief Luft, berechnete, aus welchen Richtungen sich seine Häscher näherten, überlegte, wie er an ihnen vorbeikam, und bündelte alle Energie, die er aufbringen konnte.

Gerade als er sich in Bewegung setzte, wurde ihm weiß vor Augen.

»Verdammt, er ist eben gegen eine Maststütze geknallt. Jetzt liegt er am Boden und rollt sich herum.«

»Los!«

Er hörte rasche Schritte. Spürte, wie sich Körper auf ihn warfen, ihn umdrehten und sein Gesicht fest ins nasse Gras drückten. Er roch Schweiß. Aftershave. Und den durchdringenden Gestank von Angst, die nicht seine war.

»Verpass ihm eine!«

»Er wehrt sich nicht.«

»Ich hab dir gesagt, du sollst –«

Es gab eine flackernde bläuliche Explosion, ehe die Kometen wieder auftauchten. Jeder von ihnen verwandelte sich in einen Schauer aus herumflirrenden, hüpfenden, tanzenden Sternen. Es war atemberaubend schön.

In der Ferne ertönten wieder Stimmen.

»Er ist ganz verschmiert. Grundgütiger, Crandell, das ist Blut.«

»Heb ihn auf und schaff ihn weg. Wir müssen von hier verschwinden.«

Und dann spürte er einen feuchten, heißen Mund an seinem Ohr, einen höchst zufriedenen Mund, der anscheinend gerade einen Leckerbissen vertilgt hatte.

»Was hast du angestellt, Lucas?«, flüsterte der zufriedene Mund. »Welche Scheußlichkeit hast du dir dieses Mal einfallen lassen?«

Den Wölfen zum Fraß

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