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Kapitel 9

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»Ich habe hier im Knast eine neue Freundin, Detective Ryder. Sie mag es, wenn ich eine Mundspülung benutze. Benutzen Sie eine Mundspülung, Detective? Meine Kleine kann gar nicht aufhören, mich zu küssen, wenn ich eine Mundspülung nehme. Bin dann richtig frisch, wissen Sie?«

Durch eine zwei Zentimeter dicke, verschmierte Plexiglasscheibe studierte ich das Gesicht von Leland Harwood, der in den Telefonhörer schwafelte. Das war mal ein richtiges Ortsgespräch, denn ich saß gerade einen Meter weiter am Besuchertelefon. Harwood hatte ein runzliges Gesicht und einen Kopf, der viel zu groß für seinen Körper war, gerade so als hätte seine Mutter zuerst den Kopf geboren und ein paar Jahre später den Körper herausgepresst. Was Harwood betraf, war das eine echte Kopfgeburt gewesen.

»Da ist nur ein Problem, Detective Ryder …«

Mein Blick wanderte zu Harwoods hässlichen, vernarbten Händen, die tätowiert waren. Auf den Fingern der einen Hand stand das klassische LOVE, auf den anderen HATE. Konnten sich diese Typen nicht mal etwas anderes einfallen lassen: DUMM/KOPF, HART/ZART oder VOLL/BLÖD?

»Die Mundspülung brennt, wenn ich mir das Arschloch damit einreibe.«

Harwood brach in Gelächter aus, ein stoßweises Wiehern wie in der Duschszene in Psycho. Dabei riss er den Mund weit auf, so dass ich seine bebende Zunge und die kaputten dunklen Backenzähne sehen konnte. Er tippte mit dem Telefonhörer ans Glas und hielt die Sprechmuschel dann wieder an den Mund.

»He, Dick-tective, lassen Sie die Tagträumereien. Ich erzähle Ihnen von meinem Liebesleben, da sollten Sie sich schon ein paar Notizen machen.«

»Mich interessiert nur, worüber Sie mit Taneesha Franklin gesprochen haben.«

»Mit wem?« Der Riesenkopf grinste wie eine Kürbislaterne.

»Eine Reporterin von WTSJ in Mobile. Vor einer Woche hat die Frau Sie besucht. Es wurde schriftlich vermerkt, dass Sie sich zwanzig Minuten mit ihr unterhalten haben.«

Harwood setzte zum Spaß einen Schmollmund auf. »Warum kommt die kleine Süße mich denn nicht mehr besuchen? Sie sind niedlich, Ryder, aber die Kleine war noch niedlicher. Ein bisschen pummelig, aber ich mag es beim Reiten gepolstert.« Wieder stimmte er dieses Psycho-Gelächter an.

»Sie ist tot, Leland.«

Er erstarrte. Der Klugscheißerblick verschwand aus seinen blassen Augen, die plötzlich ängstlich dreinschauten.

»Wie ist sie gestorben?« Nun trällerte er nicht mehr wie ein Komiker.

»Sieht nach Raubmord aus. Sie wurde ziemlich übel zusammengeschlagen, Leland. Und gefoltert.«

Harwood neigte sich zum Glas vor. »Wie gefoltert?«

»Man hat ihr drei Finger gebrochen, Leland. Das klingt schwer nach einem bezahlten Schläger, der Informationen aus ihr rausholen wollte. War das nicht auch Ihr Betätigungsfeld?«

»Ich hatte verschiedene Betätigungsfelder. Ein Mann muss ja sehen, wie er seine Brötchen ver…« Seine Lippen kräuselten sich. Zuerst hielt ich das für ein höhnisches Grinsen, doch dann verwandelte sich sein Gesicht in eine schmerzverzerrte Fratze. Er klopfte auf sein Brustbein, rülpste. Ich schwöre, ich konnte den Gestank durchs Glas riechen.

»Ich bin sauber, Ryder. Habe mich gut geführt. Den Unterricht besucht. In der Bibliothek gearbeitet. Ich bin ein guter Junge. Ich muss nur einmal vor den Bewährungsausschuss, schon bin ich raus.«

»Genau zwei Wochen lang. Ich kenne Ihre Sorte, Leland. Sie haben bloß Talent zum Verbrecher.«

Er grinste wie ein Mann, der vier Asse im Ärmel hatte.

»Diesmal habe ich ausgesorgt. Ich werde keine Gelegenheitsjobs mehr machen. Ja, ich habe jetzt wirklich die Nase vorn.« Harwood brach ab und krümmte sich.

»Was ist denn?«, fragte ich.

Harwood rülpste wieder und trommelte mit der Faust auf seinen Bauch. »Verdauungsprobleme. Kommt davon, wenn man ein Jahr lang den Scheiß fressen muss, den sie einem in diesem Schuppen auftischen.«

»Den Tisch haben Sie reserviert, als Sie einen Mann umgelegt haben, Leland. Bon appétit.«

»Scheiß auf Sie.« Wieder krümmte er sich. »Mist, ich brauche einen ganzen Eimer Glaubersalz.«

Ein weiterer Insasse betrat auf der anderen Seite der Plexiglasscheibe den Besucherraum. Der Mann hatte stechende graue Augen und lockiges dunkles Haar, das dringend mal gewaschen werden musste. Dicke Narben liefen über seine Stirn, als hätte jemand eine Axt wie einen Pflug durchs Fleisch gezogen. Er hatte stählerne Muskeln, woraus ich schloss, dass er zu den Typen gehörte, die im Knast rund um die Uhr Gewichte stemmen. Wieso gewalttätigen Kriminellen im Gefängnis die Möglichkeit gegeben wird, aus ihren Körpern Waffen zu machen, ist mir nach wie vor schleierhaft. Viel eher sollte man ihnen Canasta beibringen.

Der Typ kam anmarschiert und ließ sich zwei Stühle von Harwood entfernt nieder. Schmale Abtrennungen zwischen den einzelnen Stühlen sorgten für ein Minimum an Privatsphäre. Harwood warf dem Kerl einen kurzen Blick zu, runzelte die Stirn und schaute schnell weg.

Die Tür auf der Besucherseite öffnete sich. Als ich den Kopf drehte, bemerkte ich einen breitschultrigen Weißen mit blonden Locken und tiefliegenden Augen über hohen Wangenknochen. Er trug einen Anzug aus brauner Seide und an seinem Handgelenk prangte eine Golduhr. Man hatte den Eindruck, eine unsichtbare Strömung würde ihn in den Raum schwemmen. Er hielt inne, drehte sich um und schätzte die Situation ab. Dann zog er eine Nische weiter, etwa drei Meter von mir entfernt, den Stuhl heraus. Sein Blick ging durch mich hindurch, ehe er ihn auf den Mann auf der anderen Seite der Plexiglasscheibe richtete. Er nahm den Hörer ab und begann flüsternd eine Unterhaltung. Ich hielt ihn für einen Anwalt.

Ich konzentrierte mich wieder auf Harwood, der auf den Boden spuckte und den Sabber mit dem Handrücken vom Mund wischte.

»Ich habe genug gequatscht, Ryder. Das mit der Süßen tut mir leid. Sie war nett. Ehrlich, wissen Sie. Aber naiv.«

»Naiv?«

»Die Welt ist schlecht, Detective. Und die kleine Zuckerschnute war zu sehr damit beschäftigt, Reporterin zu spielen, um zu begreifen, dass es dort draußen Menschen gibt, die …« Harwood hielt inne, schluckte schwer, gab ein schmatzendes Geräusch von sich.

»Sind Sie in Ordnung, Leland?«, fragte ich. »Sie sehen komisch aus.«

»Kriege vielleicht eine Grippe. Mir geht es nicht gut.«

»Was hat Taneesha nicht kapiert, Harwood?«

Harwood wischte mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Ich fühle mich auf einmal völlig beschissen.«

»Erzählen Sie mir von Taneesha, dann können Sie auf die Krankenstation.«

»Mist.«

»Was ist denn, Leland?«

»Ich habe mich eingepisst und es gar nicht mitgekriegt. Scheiße, was ist hier los?«

Er ließ den Hörer auf die Ablage fallen und schwankte, als er sich erhob. Der Urin hatte seine blaue Gefängnishose bis zu den Knien dunkel gefärbt. Sein Gesicht war kreidebleich, die Haare klebten an der Stirn. Er krümmte sich vor Schmerzen, ging in die Knie und warf den Stuhl um.

»Aufseher«, rief ich dem Uniformierten in der Ecke des Besucherbereichs zu. »Der Mann hier ist krank.«

Ein torkelnder Harwood klammerte sich mit den tätowierten Fingern an der Ablage fest. Ich beobachtete, wie es ihn schauderte, als er den Brechreiz zu unterdrücken versuchte, sah, wie sich seine Wangen füllten und er den Mund öffnete.

Die Türen des Sicherheitsbereichs sprangen auf. Zwei Männer in Uniform eilten zu Harwood, der sich auf dem Boden wand und mit Händen und Füßen auf den grauen Betonboden einschlug. Sein Darm entleerte sich.

Plötzlich merkte ich, dass ich im Besucherbereich allein war. Der Mann neben mir hatte vor dem grauenvollen Spektakel die Flucht ergriffen. Der monströse Gefangene saß hingegen immer noch auf der anderen Seite und beobachtete, wie die beiden Wachen Harwood auf eine Bahre hievten. Schließlich beugte sich der Typ vor, um besser sehen zu können. In seinem Blick mischten sich Angst und Besorgnis.

Und plötzlich bemerkte ich, dass er für den Bruchteil einer Sekunde lächelte.


Wir verließen das Gefängnis. Harwood war auf die Krankenstation gebracht worden. Nach ein paar Meilen kletterte ich auf die Rückbank, legte mich hin und schob die Hände unter den Kopf. So fuhren Harry und ich des Öfteren herum. Er saß am Steuer, ich machte mich hinten lang. Als Kind schlich ich mich aus dem Haus und versteckte mich auf der Rückbank unseres Kombis, wenn mein Vater mal wieder von einem psychotischen Wutanfall heimgesucht wurde. Bis zum heutigen Tag fühlte ich mich auf einer Rückbank sicher. Da dies nicht die offiziell erlaubte Art der Fortbewegung war, beschränkten wir uns damit auf abgelegene Straßen und anonyme Autobahnen.

»Harwood ist wie ein Vulkan explodiert?«, fragte Harry mit einem Blick in den Rückspiegel. »Glaubst du, das hat was mit unserem Fall zu tun?«

Ich überlegte kurz. »Er ist ein selbstgefälliger Klugscheißer, ein Zocker«, sagte ich zu Harrys Hinterkopf. »Hat sich wahrscheinlich nicht viele Freunde gemacht. Könnte sein, dass ihm jemand etwas heimzahlen wollte.«

»Oder der miese Gitterfusel ist schuld«, antwortete Harry und spielte damit auf das alkoholische Gebräu an, das überall in den Gefängnissen hergestellt wurde. »Was hat er über Taneesha erzählt?«

»Er hat den Spaßvogel gemimt, aber als ich erwähnte, dass sie ermordet worden ist, war es, als hätte man ihm einen Eimer Eiswasser ins Gesicht geschüttet. Da wurde er ernst, meinte, sie wäre naiv gewesen und hätte nicht kapiert, wie die Welt funktioniert. Und dass er nach seiner Entlassung ein gemachter Mann sei. Jedenfalls hatte er nicht vor, wieder Gelegenheitsjobs anzunehmen.«

»Gemachter Mann? Soll das heißen, er hat finanziell ausgesorgt?«

»So habe ich es zumindest verstanden«, entgegnete ich.

»Und Harwood dachte also, Taneesha hätte keinen Schimmer, wie es dort draußen in der Welt läuft?«

»Wir haben doch Hunderte Typen wie Harwood kennengelernt, Harry. Und wie funktioniert die Welt ihrer Meinung nach?«

Harry dachte einen Moment lang nach. Schaute in den Rückspiegel.

»Wenn du genug Geld hast, kannst du machen, was du willst. Wann du es willst. Mit wem du willst.«

»Das kommt in etwa hin«, knurrte ich.

Den Wölfen zum Fraß

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