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RESTAURANT SCHWARZENSTEIN · Nils Henkel

Spitzenkochen ist wie Fahrradfahren

Nils Henkel feiert seit einiger Zeit mit seinem Restaurant auf Burg Schwarzenstein im Rheingau ein spektakuläres Comeback – kein Wunder bei seiner Karriere und erst recht nicht bei seiner Küche.

Natürlich wollte er sie wiederhaben, und zwar so viele wie möglich, auch wenn er mit der Seelenruhe des norddeutschen Küstenbewohners sagt, dass er sich nicht verrückt machen lasse und es Wichtigeres auf der Welt gebe, seine beiden kleinen Töchter zum Beispiel. Zweifelsohne musste er sie wiederbekommen, allein schon deswegen, um ein Zeichen zu setzen in diesen kleingeistigen Zeiten, in denen der Haute Cuisine mit populistischer Häme das Totenglöckchen geläutet und über die angebliche Überflüssigkeit von Michelin-Sternen oder Gault-Millau-Punkten schwadroniert wird. Selbstverständlich hat er sie wiederbekommen, und zwar gleich zwei, weil alles andere schreiendes Unrecht wäre und diesem Mann einfach ein Logenplatz im Olymp der deutschen Küchengötter gebührt.

Nils Henkel hat 2017 für das Comeback des Jahres in der deutschen Küchenkunstszene gesorgt. Zwei Jahre nach der erzwungenen Schließung von Schloss Lerbach in Bergisch-Gladbach wegen Streitigkeiten zwischen Pächter und Eigentümer hat der ehemalige Drei-Sterne-Koch im Rheingau eine neue Heimat gefunden. Dort steht er auf Burg Schwarzenstein am Herd, einem Kitschkind des deutschen Historismus, das Ende des neunzehnten Jahrhunderts als romantische Ruine mitten in die Weinberge gebettet wurde und uns für seine Vorspiegelung falscher mittelalterlicher Tatsachen mit einem phantastischen Blick auf Rhein, Rheingau und Rheinhessen entschädigt. Henkels Gourmetrestaurant mit übersichtlichen zwanzig Plätzen hält allerdings Abstand zu diesem Kulissenzauber, denn es ist in einem eigenen gläsernen Pavillon untergebracht und so minimalistisch-puristisch eingerichtet, wie es dem kühlen Kieler Temperament des Hausherrn entspricht.

Nils Henkel ist jetzt fünfzig und hat damit die glücklichste Phase im Leben eines Spitzenkochs erreicht: Er ist alt genug, um weder sich noch seine Gäste mit kulinarischer Feuerwerksmusik von seinem Können überzeugen zu müssen, aber auch jung genug, um es sich nicht auf dem Lorbeerkissen gemütlich zu machen. Und so ist er einerseits ganz der Alte, den man als Dieter Müllers Meisterschüler, Ko-Küchenchef und Nachfolger aus Lerbach kennt, und andererseits eine Art Neuausgabe seiner selbst: Noch immer geht er so klug und zärtlich wie kaum ein zweiter deutscher Küchenchef mit Gemüse um, noch immer ist seine Liebe zu Fisch und Meeresfrüchten so leidenschaftlich wie zu seinen Drei-Sterne-Zeiten. Doch zugleich ist seine Würzung intensiver geworden, sein Aromenspektrum breiter, sein kulinarischer Horizont weiter. Und zum Glück verlernt man in zwei Jahren das Spitzenkochen so wenig wie das Fahrradfahren.

Daran lässt Henkel von der ersten Sekunde an keinen Zweifel und zaubert wie aus einer Wundertüte an technischer Raffinesse und aromatischer Ausgewogenheit seine Amuse-Bouches auf den Tisch: ein Hummer-Wantan mit Calamansi und Ponzu, einen Tapioka-Chip mit mariniertem Rindfleisch und Koriander, einen Parmesan-Biskuit, gekrönt von einer Artischockensphäre, und einen Fregola-Salat, der sich selbst mit Muscheln, Passepierre-Algen und gepufftem Safranreis nobilitiert.

Henkel beherrscht mehr denn je die ganze Klaviatur des Kochens. Bei seinem Carabinero aus marokkanisch-spanischen Gewässern, einem meerjungfrauzarten Wesen von phantastischer Produktqualität, bevorzugt er die Kammermusik, begleitet ihn dezent mit Avocado, Basilikum und Variationen von der Tomate, um ihm dann mit einem Frühlingsröllchen voller Jalapeño-Schaum eine feurige Kadenz zu spendieren. Beim Petersfisch, der ohne Firlefanz auf der Haut gebraten wird, ist hingegen die große Gustav-Mahler-Besetzung mit allen Bässen und Bläsern gefragt: mit Sepia, Räucheraal, einer tintenschwarz gefärbten Gemüsecreme und einem Paella-Sud, der so wollüstig nach Safran duftet, dass wir sofort an das persische Sprichwort von den kostbaren Krokusfäden als Glücksspender denken müssen. Hier spielt das ganz große Aromenorchester, meisterhaft dirigiert, harmonisch instrumentalisiert, kunstvoll differenziert, ein Teller ohne Missklang und spitze Töne, so wie das gesamte Menü, bei dem sich Henkel keine Schwäche erlaubt, keinen Moment der Uninspiriertheit, keine Routine des Selbstzitats.

Stattdessen interpretiert er das Modegericht Ceviche auf verblüffende Weise, indem er den obligatorischen Koriander nicht einfach als Blatt, sondern als Schwamm und Samen verwendet, während er der Schwertmuschel als würzigen Kontrast Nordseekrabben und das marokkanische Nationalgericht Couscous zur Seite stellt – eine feine Ironie, denn seine Krabben werden nicht, wie allseits üblich, zum Pulen nach Marokko gekarrt, sondern im Rheingau handgeschält.

Eine Küche unaufgeregt zu nennen ist auf diesem Niveau nicht immer ein Kompliment. Bei Nils Henkel ist es anders, denn seine Reife und Ruhe verwandeln sich auf dem Teller in leichthändige Balance der Geschmäcker und souveränen Verzicht auf alle Schnörkel. Die Miéral-Taubenbrust braucht nicht mehr als eine confierte Zwiebel, eine schwarze Knoblauchcreme, einen Cassis-Jus und ein hochintensives Sandwich aus Taubeninnereien mit Eiweißperlen, um zur vollen Geltung zu kommen und uns en passant ins Schlaraffenland zu schicken. Das Kalbskotelett aus dem Schwarzwald begnügt sich mit Kürbis als Chutney, Pickles und Püree, mit zwei, drei Kräuterseitlingen, einem Markklößchen und der Aromenbombe eines Lungen-Hachés, und trotzdem sorgt es dafür, dass wir uns wie bei einer Götterspeisung im Küchenolymp fühlen.

Auch beim Finale des Menüs zeigt uns Nils Henkel, dass alte Schule nicht altes Eisen bedeuten muss. Obwohl er ein rettungsloser Gemüsefanatiker ist, verzichtet er auf das modisch-epidemische Grünzeug im Dessert und serviert uns stattdessen ganz klassisch geeiste und eingelegte Zwetschge mit Haselnuss, Muscovado-Eis und einem Schokoladenfondant – ein wunderbarer Abschluss, der uns beim Abschied, beim letzten Blick auf Burg Schwarzenstein, die letzte Gewissheit gibt: Dieses Gemäuer wollte immer sein, was es nicht ist. Bei Nils Henkel ist es umgekehrt.

RESTAURANT SCHWARZENSTEIN NILS HENKEL

Rosengasse 32 · 65366 Geisenheim · 06722 99 500

www.burg-schwarzenstein.de


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