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SCHWARZWALDSTUBE · Torsten Michel

Ohne Pilzoma kein Feinschmeckerglück

Jede kulinarische Kulturnation braucht ein Restaurant wie die »Schwarzwaldstube« in Baiersbronn, das den Rang des Ewiggültigen besitzt. Dafür sorgt Torsten Michel mit souveräner Virtuosität und lässt sich auch vom Brand in der Traube Tonbach Anfang 2020 nicht abhalten.

Der Sinn des Feinschmeckerlebens liegt vor uns auf einem Teller von schlichter Schönheit bar jeder Irrungen und Wirrungen, befreit von aller Vanitas mundi, gereift zur Dreifaltigkeit des Wahren, Guten, Schönen, die aus nichts als drei Komponenten besteht: Drei Gillardeau-Austern sind das vor uns, Prachtexemplare voller praller Fleischigkeit, nur leicht pochiert, damit sie die Seele des Meeres nicht verlieren, aber auch empfindliche Gäste nicht mit den Aromen von schwerer See aus Jod und Salz verstören. Darauf thronen drei ebenso prachtvolle Nocken Impérial-Kaviar als Seelenverwandte der Austern und zugleich in ihrer konzentrierten Körnigkeit als deren Kontrapunkt. Und als drittes Element umspielt eine Austern-Nage den Teller, die – wie der Sinn des Lebens auch – im ersten Moment ganz einfach wirkt, sich dann aber als hochkomplexe Angelegenheit erweist: Ein Krustentierfond wird mit Lauch und Schalotten, Champagner-Essig und Austernbärten, Kombu-Algen und Nori-Algen, Dashi-Sud und Austernwasser verkocht und mit ein paar Tropfen Sahne vollendet, damit ein schöner Schaum entsteht, luftig wie die Gischt. Es ist ein Teller, der jedem Gourmet das Glück der Gewissheit schenkt, nicht umsonst auf dieser Welt zu sein – und der den Geist der »Schwarzwaldstube« so idealtypisch wie kaum ein zweiter repräsentiert.

Die »Schwarzwaldstube« im Baiersbronner Hotel Traube Tonbach ist einzigartig in Deutschland, so kühn dieses Apodiktum bei dreihundert Sternelokalen und Heerscharen phantastischer Köche auch klingen mag. Sie ist nicht nur das älteste deutsche Drei-Sterne-Haus, seit 1992 kontinuierlich mit der Höchstbewertung ausgezeichnet, sondern auch der einzige Überlebende aus der ersten Generation der absoluten Spitzenlokale und, neben dem »Sonnora« in Dreis, nur eines von zwei Restaurants in dieser Kategorie, das seinen Gründungskoch überdauert hat. Das allein macht die »Schwarzwaldstube« zur einzigen deutschen Gourmet-Adresse, die den Status des Unantastbaren, des Ewiggültigen für sich beanspruchen kann – auch deswegen, weil der Chef immer hinter das Haus zurücktritt, anstatt es als Bühne für seine Selbstdarstellung zu nutzen. So hat es Harald Wohlfahrt drei Jahrzehnte lang gehalten, und so macht es Torsten Michel, der zwölf Jahre lang als Wohlfahrts Nachfolger aufgebaut wurde, ihn 2017 mit einigem unschönen, aber längst unerheblichen Knirschen beerbte und seither genauso souverän die drei Sterne samt Maximalbewertungen in allen anderen Führern hält wie sein Vorgänger.

Kontinuität ist das Leitmotiv der »Schwarzwaldstube«, die französische Hochküche ihr Leitstern, experimenteller Avantgardismus sehr weit weg im hintersten Tonbachtal. Doch genauso wenig Platz hat Musealität in Michels Küche, der als Amuse-Bouches einen wolkenweichen Pulpo mit Safran-Mousse serviert, einen Hamachi mit Apfel-Curry-Creme und Shiso-Kresse und eine virtuose Variation der Gartengurke als Julienne, Creme, Bouillon und millimeterdünne Stifte mit einem Sorbet und Blüten vom Sauerklee und winzigen Jogurt-Würfeln. Das ist kein kanonischer Traditionalismus, das ist zeitgenössisches Kochen mit wachem Blick und reger Neugier auf die kulinarisch globalisierte Welt.


Paradigmatisch zeigt sich diese Haltung auch beim Wildlachs von den Färöer-Inseln, der selbst geräuchert und gebeizt und so sensationell gut ist, dass jedes arme Massenzuchttier dagegen wie ein Verbrechen gegen den guten Geschmack schmecken muss. Er wird als Tatar, Kaviar und Gelée serviert, mit Shiitake, Soya-Gel und Wasabi-Schaum kombiniert und zusätzlich mit getrockneten, fermentierten Lachsflocken in der Art von Bonito-Dashi aromatisiert. Nichts schmeckt hier nach euroasiatischer Fusion oder der Usurpation japanischer Aromen durch einen kolonialistischen Koch, sondern alles nach einer klassischen französischen Hochküche, die sich voller Selbstbewusstsein die fernöstlichen Geschmäcker zu eigen macht, ohne die eigene Seele zu verraten.

Torsten Michel ist kein weltreisender Unruhegeist, der zufällig im tiefsten Schwarzwald hängen geblieben ist, sondern ein Paradebeispiel der Bodenständigkeit und Beständigkeit. Er wuchs in Dresden auf, lernte dort das Kochen, arbeitete drei Jahre im Ein-Sterne-Restaurant »Caroussel« bei Stefan Hermann, wechselte dann zu Harald Wohlfahrt und hat in Baiersbronn längst eine zweite Heimat gefunden. Zum kulinarischen Lokalpatrioten wird er trotzdem nur, wenn die Qualität der heimischen Produkte ausnahmsweise den Ansprüchen eines der besten Restaurants Deutschlands, wenn nicht der Welt würdig ist – so wie bei den Schätzen seiner »Pilzoma, meines Glücksfalls«, wie Michel sagt. Ab und zu steht sie mit einem Körbchen voller Raritäten wie Blutreizker, Krauser Glocke oder Rötlichem Gallerttrichter in der Küche des Chefs, der sie für uns zusammen mit Pfifferlingen und Steinpilzen als Ringelpiez kreisrund um ein sanft gegartes Eigelb arrangiert. Es ruht auf einem Podest aus Pilzkompott unter einer Haube aus Pilzgelee, das das Ei wie eine zweite Haut umschließt, bestreut mit Pilzpulver, nappiert mit einer Sauce Riche auf Vin-Jaune-Basis, im Grunde ein ganz einfacher Teller, der technisch so makellos und so respektvoll gegenüber jedem einzelnen Aroma ist, dass er uns dasselbe Glücksgefühl wie Austern und Kaviar beschert, dieses Mal nur aus den Bergen statt dem Meer.

Um nichts anderes geht es Torsten Michel und Familie Finkbeiner, die in achter Generation die Traube Tonbach seit 1789 führt: um Freude und Spaß am Tisch, um die Lust am Essen, das kein Gedankenexperiment und keine intellektuelle Rätselaufgabe sein soll. Die Rotbarbe mit Bouillabaisse-Emulsion, das Limousin-Lamm mit Tomaten-Paprika-Salsa, der imperiale Christoffle-Käsewagen mit zwei Dutzend Kostbarkeiten von Maître Anthony, eine Zuckerwatte mit Yuzu, Apfel, Dill und Kardamom, die im Mund schmilzt wie eine Kindheitserinnerung – all diese Gerichte sind Garanten dafür, dass die »Schwarzwaldstube« bleiben wird, was die meisten anderen Restaurants niemals sein werden: eine Institution.

SCHWARZWALDSTUBE im Hotel Traube Tonbach

Tonbachstraße 237 · 72270 Baiersbronn · 07442 49 20

www.traube-tonbach.de


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