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ATELIER · Jan Hartwig

Baumeister Jan spielt nicht mehr mit Lego

Jan Hartwig vom »Atelier« in München ist Deutschlands jüngster Drei-Sterne-Koch. Ihn dazu zu küren, war eine weise Entscheidung des Guide Michelin und ist der Höhepunkt einer Karriere voller Zwangsläufigkeiten.

Es musste einfach so kommen: Jan Hartwig, der fast sein gesamtes Berufsleben in den Küchen von Drei-Sterne-Köchen verbracht hat, ist selbst einer geworden. Im November 2017 kürte der Guide Michelin den Chef des »Ateliers« im Bayerischen Hof in München zum damals elften deutschen Koch mit der Maximalauszeichnung und bescherte damit der Stadt endlich wieder ein Restaurant in der Königsklasse der Gourmetlokale – fast ein Vierteljahrhundert nachdem sie das letzte ihrer Drei-Sterne-Häuser und damit ihren Rang als Deutschlands Feinschmeckerkapitale verloren hatte. Der Jubel war groß, die Freude noch größer, und für Jan Hartwig schloss sich auf schicksalhafte Weise der Kreis seiner Lebens- und Familiengeschichte.

Koch wollte der Sohn eines Kochs schon als kleiner Junge werden, aber nicht irgendeiner, sondern einer der Besten, weil ihm seine Eltern, die einen gutbürgerlichen Waldgasthof in der Nähe von Braunschweig betreiben, früh die Freuden der Feinschmeckerei vorlebten. Bis heute erzählt Hartwig mit leuchtenden Augen, wie sein Vater eines Tages alles Ersparte zusammenkratzte, mit seinem Kleinwagen nach München fuhr, im legendären Drei-Sterne-Restaurant »Tantris« aß, sich den ganzen Abend lang nur eine Flasche Wasser leisten konnte und noch in derselben Nacht zurückkehrte. Heute steht sein Sohn in Münchens neuem »Tantris« am Herd, und der Weg dorthin war erstaunlich kurz: Nach der Lehre im besten Braunschweiger Haus und einem Intermezzo bei einer Dinner-Show der gehobenen Kategorie lernte Hartwig von Christian Jürgens und Klaus Erfort das Kochhandwerk auf höchstem Niveau, um dann für sieben Jahre zu Sven Elverfeld nach Wolfsburg zu gehen, fünfeinhalb davon als Souschef. 2014 übernahm er das »Atelier«, verteidigte mühelos dessen Stern, gewann 2015 einen zweiten dazu und erklomm schon mit fünfunddreißig Jahren den kulinarischen Olymp.

Am Ziel sieht sich Hartwig aber noch lange nicht, weil er nichts mehr verabscheut als Stillstand und nichts mehr mag als den Wandel, die permanente Weiterentwicklung, die detailversessene Verbesserung. Er sei ein Handwerker, sagt Hartwig, und mache nichts anderes, als die Dinge ständig auf die Spitze zu treiben. Deswegen lässt sich seine Küche kaum kategorisieren. Sie unterwirft sich keiner Mode, pfeift auf alle Dogmen und verliert sich trotzdem nicht in Beliebigkeit, weil Hartwigs Virtuosität sämtliche Fragen nach Etiketten sofort verstummen lässt.


Er beginnt ganz leise, mit einem Aromen-Pianissimo, das sofort höchste Aufmerksamkeit verlangt und erzeugt, weil bei der Profiterole mit Kräutercreme und gebeizter Makrele, dem Frühlingsröllchen mit Topinambur-Füllung und Anchovis, dem Passionsfruchtbaiser mit Räucherfischmousse und Felchenkaviar selbst die disparatesten Geschmäcker so fein austariert, so harmonisch arrangiert sind, dass man sich nicht die winzigste Nuance entgehen lassen will. Dann wird es minimal lauter: mit einem Kalbsherz, das Cornichons und Champagnervelouté an sich selbst legt und dank der eleganten Säure – einer der wenigen Konstanten in Hartwigs Küche – so herzhaft frisch schmeckt, als poche es noch; und mit einem confierten Pulpo, der von winzigen, die Weichheit des Meerestieres vorsichtig kontrastierenden Macadamia-Stückchen, einem wundersam gezähmten, all seiner rabiaten Säure beraubten Kimchi und einem weißen, wie eine feine Gischt über den Teller schwappenden Tomatenbutterschaum begleitet wird.

Als Junge habe er leidenschaftlich gerne Lego gespielt, sagt Hartwig, und heute betrachte er die Welt der Kulinarik als unerschöpfliche Spielkiste voller Bausteine, die er nach Lust und Laune zusammensetze. Baumeister Hartwig entpuppt sich dabei allerdings als feinmotorischer Aromenarchitekt von Gottes oder wessen auch immer Gnaden. Auf eine australische Gelbschwanzmakrele drapiert er eine pergamentfeine Kohlrabischeibe, die sich zärtlich wie eine Liebende an den Fisch schmiegt, dekoriert dieses Tête-à-tête mit Fliegenfischkaviar und Fenchelgrün, Kresse und Chrysanthemenblüten, Zitronenzesten und dem notorischen Geschmackstotschläger Dill, der bei Hartwig sensationell erfolgreich resozialisiert wird. Einen Carabinero lässt er gegen Kürbis, Karotte und kandierte Kombu-Alge antreten, gießt dann noch eine hochkonzentrierte Bisque aus der indischen Gewürzmischung Vadouvan an und schafft es trotzdem, dass alle Zutaten so harmonisch zusammenspielen wie ein Streichquintett. Und sein glasiertes Kalbsbries belegt er mit gebrannten Wirsingblättern, so dass es wie die raffinierte Schwester einer Wirsingroulade aussieht, vielleicht als versteckte Verbeugung vor der Küche seines Vaters.

Bei der Miéral-Taube wird aus dem Piano dann ein aromensattes Forte. Sie wird nach alter Väter Sitte auf der Karkasse mit einem Thymianzweig und einer zerdrückten Knoblauchzehe geröstet und nicht neumodisch sous-vide latschig gegart, auf ein Bett aus geschmorter Taubenkeule, Taubenleberbonbons, Bratreis und Perlzwiebeln gelegt, mit Fenchelpollen bestreut und mit einem dreimal angesetzten Taubenfond nappiert – ein Gericht wie eine Hommage an die klassische Haute Cuisine, das aber trotz seines Traditionalismus nichts Altväterliches hat, weil Hartwigs Handschrift auch hier unverkennbar ist: die Versöhnung von Kraft und Finesse, der Verzicht auf jede Effekthascherei, die Verneigung vor der Qualität des Produktes, die Perfektionierung jedes einzelnen Details. Wieder einmal treibt es Jan Hartwig auf die Spitze und könnte mit seiner Taube einen eigenen Klassiker geschaffen haben, wäre bei ihm nicht alles im permanenten Wandel.

Das Finale überlässt er dem großartigen Patissier Christian Hümbs, der sich mit seinem karamellisierten, von Piemonteser Haselnüssen, Vanille-Essig und Johannisbeerstrauch als Sud und Gel begleiteten Blätterteig seinem Freund Jan Hartwig als ebenbürtig erweist. Und uns entlässt der Meister mit der herrlichen Gewissheit, dass es mit dem dritten Stern einfach so kommen musste.

ATELIER im Hotel Bayerischer Hof

Promenadeplatz 2 · 80333 München · 089 21 20 743

www.bayerischerhof.de


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