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ОглавлениеPALMGARDEN · Michael Dyllong
Wer glaubt, Dortmunds kulinarisches Glaubensbekenntnis bestünde allein aus der Currywurst, hat noch nicht bei Michael Dyllong im »Palmgarden« gegessen. Die gibt es dort natürlich auch – aber damit fängt der Spaß erst an.
Nachdem der zwanzigjährige Stürmer Lars Ricken am 28. Mai 1997 im Champions-League-Finale gegen Juventus Turin mit einer sensationellen Bogenlampe das entscheidende 3:1 für Borussia Dortmund erzielt hatte, sagte jeder dem Hochbegabten eine glanzvolle Karriere voraus. Daraus wurde nichts, und Ricken sollte nicht der einzige Borusse bleiben, der seine Talente leichtfertig verschleuderte. Doch es geht auch anders: Nachdem der Dortmunder Michael Dyllong mit nicht einmal zwanzig Jahren in die Juniorennationalmannschaft der deutschen Köche berufen worden war, standen ihm alle Tore offen. Er hat sie nicht zugeschlagen, sondern hart an sich gearbeitet, in Windeseile einen Michelin-Stern erkocht, aus dem Restaurant »Palmgarden« das beste Lokal seiner Heimatstadt gemacht und damit bewiesen hat, dass Dortmunder Hochbegabte sehr wohl ans Ziel kommen können – sofern sie ihr Geld mit den Händen und nicht mit den Füßen verdienen.
Mangelnde Geradlinigkeit und Entschlusskraft kann man Michael Dyllong beim besten Willen nicht vorwerfen. Weil er leidenschaftlich gerne Jamie Oliver und Tim Mälzer im Fernsehen beim Kochen zuschaute, entschied er sich nach der Schule für ein Praktikum in der Gastronomie der Dortmunder Spielbank. Nach einem Tag stand sein Entschluss fest: Er wollte Koch werden. Seine Lehre absolvierte er gleich an Ort und Stelle, ging dann auf Wanderschaft durch deutsche Gourmetküchen, verbrachte eine Saison auf Mallorca, kehrte nach Hause zurück, um seinen Küchenmeister zu machen, und half zwischen den Prüfungen in der Dortmunder Spielbank aus. Damals überlegten deren Direktoren, wieder ein Feinschmeckerlokal zu eröffnen, nachdem Thomas Bühner dort mit seinem »La Table« erst zwei Sterne errungen hatte und dann nach Osnabrück abgewandert war. Dyllong brachte sich ins Gespräch, sollte Souschef werden, dachte gar nicht daran, sich mit der zweiten Geige abspeisen zu lassen, und konnte nach ausgiebigem Probekochen für die Herren Direktoren 2011 mit vierundzwanzig Jahren das »Palmgarden« übernehmen.
Wenn man bei Michael Dyllong essen geht, bekommt man allerdings erst einmal einen Schreck. Denn die Dortmunder Spielbank, idyllisch inmitten von Wäldern auf den Hohensyberg gelegen, ist eine Achtziger-Jahre-Monstruosität voller Messing-Glitter und Glas-Erker-Ästhetik. Der »Palmgarden« hat sich glücklicherweise davon völlig losgelöst und empfängt seine Gäste mit minimalistischer Eleganz aus Holz und Leder, dezentem Licht und stilisierten Palmen in gestanztem Blech. Und spätestens bei den Amuse-Gueules ist ohnehin alles Casino-Blinkblink vergessen. Denn Dyllong erweist ausgerechnet der Dortmunder Currywurst-Manie mit seiner Variante dieser proletarischen Leib-und-Magen-Speise ironisch die Ehre: Er kocht eine Rinderbrühe ein, bindet sie zu einem Gelee, würzt sie mit Paprika, Currypulver und Kartoffelstaub, serviert sein Würstchen als winzigen Happen und schafft es tatsächlich, dass man eine Currywurst zu essen glaubt – allerdings auf Haute-Cuisine-Niveau. Den nächsten Spaß, der alles andere als ein kulinarischer Gag ist, erlaubt er sich mit seinen Grubensteinen: In einer Schüssel liegen grauschwarze Steine, wie man sie früher aus den Kohlegruben holte, und dazwischen eine hocharomatische, täuschend echt nach Stein aussehende Praline aus Parmesan-Creme mit einem Mantel aus Kakaobutter.
Es wäre selbst für einen derart entschlossenen Menschen wie Michael Dyllong verwegen, mit solchen Verfeinerungen der Ruhrpottküche den ganzen Abend bestreiten zu wollen. Dazu ist sie dann doch zu rustikal, und deswegen gibt es gleich nach den Amuses einen Hamachi, der zwölf Stunden lang in Ingwer und Zitronengras mariniert wurde, ohne seine vornehme Finesse zu verlieren. Begleitet wird die Makrele von Tomaten als Marshmallow, Chutney und einem weißen, mit Miso, Soja und Sesam aromatisierten Schaum, von einem Hauch Masala für die Würze und Schärfe, geeisten Basilikumperlen aus dem Stickstoffbad und Burrata in allerlei Variationen – und schon mit diesem ersten Gang weiß man, welch Kochgeistes Kind Dyllong ist: ein Freigeist, der sich allen Etikettierungen entzieht und stattdessen so lustvoll wie souverän in der globalen Speisekammer bedient, der immensen Aufwand auf dem Teller betreibt und dabei bekannte Geschmackskombinationen auf verblüffende Weise konterkariert.
Fast immer führt diese Tollkühnheit zu fabelhaften Resultaten, etwa beim Surf and Turf à la Ruhrpott: Ein Rindertatar wird von einem Wachteleigelb geschmeidig gemacht, mit einer Austern-Emulsion in den Strandurlaub geschickt, mit einer Senfsauce gewürzt, deren Senf aus einem alteingesessenen Familienbetrieb gleich um die Ecke kommt, und um eine Sylter Royal-Auster mit Chimichurri, Ponzu, Limetten-Espuma und Austern-Chips ergänzt. Wieder ist es ein enormer technischer Aufwand und gewagtes Jonglieren mit Geschmäckern, bei dem keine einzige Komponente auf den Boden der Überflüssigkeit fällt.
Genauso überzeugend ist das Spiel mit Konsistenzen und Temperaturen bei der Roten Bete, die in das Gewand eines Sorbets und eines Eierstichs schlüpft, als Röllchen scharf und süß mariniert und dann ineinandergerollt wird. Der Clou aber, der dem Gericht eine großartig erdige Tiefe verleiht, ist ein heißer Rote-Bete-Jus in einem Sherry-Glas, das zuvor mit dem Rauch von abgeflämmtem Walnussholz aromatisiert wurde. Dass es Dyllong manchmal mit den Dribbling auf dem Teller übertreibt und sich ein wenig in Effekten verliert, sieht man ihm gerne nach. Der Steinbutt etwa kann sich kaum gegen die Aromenkonkurrenz von Sake-Beurre blanc, Ricotta-Molke und schwarzweiß gefärbten Chips aus seinen Karkassen behaupten. Und das Salzwiesenlamm mit Sellerie-Ravioli, Morcheln, Haselnuss und Trüffel-Jus wirkt in Dyllongs Reich der kulinarischen Phantasie fast ein bisschen brav und bieder.
Dass der Chef des Hauses glühender Borussia-Dortmund-Fan und früherer Dauerkartenbesitzer ist, versteht sich von selbst. Zeit fürs Stadion findet er jetzt aber kaum noch. Denn zum Glück hat er Besseres zu tun.
PALMGARDEN in der Dortmunder Spielbank
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