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ОглавлениеLAFLEUR · Andreas Krolik
Herr Haydn steht heute am Herd
Bescheiden ist nur der Koch, sonst ist alles große Oper: Andreas Krolik zelebriert im Frankfurter Restaurant »Lafleur« das Hohelied der Harmonie.
Der liebe Gott oder das Schicksal oder wer auch immer wo auch immer für die Talentverteilung zuständig ist, hat schreiendes Unrecht begangen. Warum hat ausgerechnet unser Koch eine solche Überdosis abgekommen, mehr als genug, um uns einen Odenwälder Rehrücken aufzutischen, so zart und weich wie ein Wolkenbett, so eigensinnig und doch konsensfähig begleitet von Kürbissanddornpüree, Steinpilztapenade, Périgord-Trüffeln und Rote-Bete-Talern – ein Gericht, das nur wenigen Spitzenköchen so grandios ausbalanciert gelingt und uns arme Hobbyköche in die schönste Verzweiflung stürzt? Andreas Krolik weiß es selbst nicht. Und das scheint ihn zum Glück auch nicht sonderlich zu bekümmern.
Im Jahr 1974 wurde er in Sachsen-Anhalt geboren, genoss eine glückliche Kindheit inmitten von Schweinen, Hühnern, Enten und Gänsen, lernte also das Schlemmen in der real existierenden Mangelwirtschaft kennen, aber nicht die Feinschmeckerei, denn dergleichen Dekadenz war im dialektischen Materialismus nicht vorgesehen. Dann ging er als glückliches Wiedervereinigungskind bei bodenständigen Schwarzwaldköchen in die Lehre, hatte, bis auf eine kurze Episode in Frankfurt, weder Kontakt mit der Haute Cuisine noch berühmte Lehrmeister und schon gar keinen vorgezeichneten Schicksalsweg in den Küchenolymp, dafür aber einen himmlischen Gönner mit Talentfüllhorn. Und als er schließlich selbst Küchenchef wurde, regneten die Michelin-Sterne nur so auf ihn herab wie die Sterntaler auf das arme, gute Märchenmädchen – erst in Baden-Baden, dann im Frankfurter »Tigerpalast« und nun, nur ein paar Kilometer weiter, im »Lafleur«.
Es residiert im Gesellschaftshaus des Palmengartens, eines Weihetempels des wilhelminischen Prunks. Doch es hat nichts von großdeutscher Grandezza, sondern hält sich etwas abseits in einem Anbau, den Martin Elsaesser in der alterslos schwebenden Eleganz des Bauhauses errichtet hat, mit kühn zur Ellipse geschwungenen Fensterfronten, so dass man sich wie in einer gläsernen Loge mit Blick auf die Bäume des Palmengartens fühlt, dezent umgeben von brombeerfarbenem Mobiliar und der Gewissheit, im schönsten Restaurant Frankfurts zu sitzen. Seiner Wahlheimat erweist Krolik als wohlerzogener Emigrant gleich zu Beginn die Ehre: Als Amuse-Bouche serviert er ein Pizzakissen mit Handkäs-Creme und ein Chicorée-Süppchen mit Paprika-Apfelweinschaum, allerdings so radikal verfeinert, dass sich hier selbst der größte Ebbelwei-Verächter mit dem polternden hessischen Nationalgetränk versöhnt.
Dann ist es aber auch schon genug des kulinarischen Lokalpatriotismus, denn Andreas Krolik ist zwar ein Fanatiker, aber kein Doktrinär. Ihn interessiert nicht die Herkunft, sondern allein die Qualität des Produktes. Wenn es im Odenwald gerade gutes Reh gibt, kauft er es dort, wenn nicht, eben woanders. Auf Saiblinge aus deutschen Mittelgebirgen verzichtet er prinzipiell, weil ihre isländischen Cousins in viel klareren, kälteren Flüssen schwimmen und deswegen viel besser schmecken. Für uns gibt es jetzt einen solchen feinen Fisch, mariniert und als Tatar, begleitet von der alchimistischen Wundertat eines Eises aus rosafarbenen Tannenzapfenkartoffeln, austariert mit Orangen-Meerrettich-Pünktchen und großzügig vollendet mit Impérial-Kaviar – wieder ein Gericht von der Harmoniesucht eines Haydn am Herd.
Das mag kein radikaler Avantgardismus sein, ebenso wenig wie der gebratene Carabinero mit Macadamia-Schaum, Spitzkohl, Zitronenconfit, Wermutsauce und einer Karotte, die sich mit den Aromen eines ganzen orientalischen Gewürzbasars vollgesogen hat. Doch Krolik will als Koch ja auch kein kochender Robespierre sein, sondern ein kluger, behutsamer Verfeinerer der klassischen Haute Cuisine. Und trotzdem ist er verwegen genug, ein veganes Degustationsmenü anzubieten, das aber nicht im Büßergewand des freudlosen Fleischverzichts daherkommt, sondern das Gemüse glamourös zum Hauptdarsteller erhebt. So begräbt er sein Dinkel-Sellerie-Risotto unter einem Berg von sündhaft teuren weißen Alba-Trüffeln, damit auch ja niemand auf den Gedanken kommt, hier müsse man sich mit Kaninchenfutter begnügen.
Wenn Krolik dann zum Schluss seine Lokalrunde macht, ist alles Unrecht des lieben Gottes oder des Schicksals oder wessen auch immer längst vergessen. Und schlagartig wird einem klar, was hinter dem Harmoniestreben seiner Gerichte steht: der Koch selbst, der alles andere als ein breitschultriger Kraftprotz, sondern ein bis zur Schüchternheit bescheidener, dabei grundsympathischer und mit einem beneidenswerten inneren Gleichgewicht gesegneter Mensch ist. Erlebt man Andreas Krolik in seiner Küche, wird dieses Bild noch klarer: Bis zum letzten Teller steht dieser Radikalperfektionist hochkonzentriert am Pass, richtet jedes Gericht mit so viel Sorgfalt an, als wäre es das einzige des Abends, gibt dabei mit ausgesuchter Höflichkeit seinen Helfern Anweisungen, sagt im Laufe eines Tages bestimmt hundertmal »bitte« und hat zwischendurch auch noch Zeit, uns sein Rehrezept zu verraten: das Filet parieren, mit einer Mischung aus fünf Pfeffern, Piment, Koriandersamen und Wacholder würzen, fest in Frischhaltefolie als Bonbon einwickeln, acht bis zehn Minuten lang bei siebzig Grad pochieren – die Zeit ist eminent wichtig, weil Rehfleisch kaum Bindegewebe besitzt und bei zu langer Garung mürbe wie Paté wird -, schließlich kurz in einer sehr heißen Pfanne anbraten und in gerösteten Rapssamen wälzen. Dann wollen wir mal sehen, wie das Ganze bei einem Hundertstel des Krolikschen Talentes schmeckt.
LAFLEUR
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