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Über das Glück, in den besten Restaurants Deutschlands zu essen

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Der liebe Gott würde heute Frankreich links liegen lassen und in Deutschland essen gehen. Ich glaube, das sagen zu können, ohne mich der Ketzerei verdächtig zu machen. Denn ich habe das große Glück, für meinen Beruf Woche für Woche die besten Restaurants unseres Landes testen zu dürfen. Seit Januar 2016 schreibe ich immer freitags im Feuilleton der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« die Kolumne »Geschmackssache« und porträtiere darin ein deutsches Spitzenlokal und seinen Koch oder seine Köchin – im Wechsel mit den besten Winzern Deutschlands, die einmal im Monat an der Reihe sind. Und ich kann sagen, dass mich diese wunderbare Arbeit sehr oft in ein kulinarisches Wunderland führt.

Seit dem Urknall des deutschen Küchenwunders, das in den Siebzigerjahren mit Eckart Witzigmann begann, ist Unglaubliches geschehen. Aus unserer gastronomischen Diaspora ist ein Schlaraffenland geworden, das inzwischen auch Heerscharen von Feinschmeckern aus aller Welt anzieht. Heute kann man zwischen Ostsee und Alpen in Hunderten ambitionierter Restaurants hervorragend essen und könnte fast ein ganzes Leben damit verbringen, alle deutschen Spitzenköche zu besuchen.

Das Schönste an dieser wahr gewordenen Märchengeschichte des guten Geschmacks ist die enorme Vielfalt, die bei uns auf den Tisch kommt. Manche Köche zelebrieren die große Oper der traditionellen Grande Cuisine mit all ihrem wunderbaren Pomp bis hin zum kleinwagengroßen Käsewagen. Andere Chefs sind wagemutige Avantgardisten, die sich vollkommen vom Vorbild der französischen Klassik gelöst und uns eine neue deutsche Küche geschenkt haben. Wieder andere Köche lassen sich von den kulinarischen Kulturen Japans, Koreas oder Chinas inspirieren und kommen so zu verblüffend appetitlichen Brückenschlägen. Es gibt radikale Regionalisten, die nur mit dem kochen, was sie in der unmittelbaren Umgebung ihres Lokals finden. Es gibt heimatliebende Nonkonformisten, die im elterlichen Wirtshaus gleichermaßen Hausmannskost und Hochküche servieren. Und es gibt sogar Köche, die ein gesamtes Menü mit Desserts bestreiten. Nur eines gibt es nicht mehr: irgendjemanden von Sinn und Verstand, der ernsthaft behaupten könnte, dass früher alles besser gewesen ist.

Aus unserer gastronomischen Diaspora

ist ein Schlaraffenland geworden,

das inzwischen Heerscharen von

Feinschmeckern aus aller Welt anzieht.

Dieses Buch ist auch ein Plädoyer und manchmal auch ein Pamphlet gegen die Gedankenlosigkeit und Geizgeilheit bei unserer Ernährung. Deutschland ist eines der reichsten Länder der Erde, doch beim Essen benehmen wir uns oft so, als nagten wir am Hungertuch. Nur zehn Prozent unseres frei verfügbaren Einkommens geben wir im Durchschnitt für Essen und Trinken aus – weit weniger als die meisten unserer europäischen Nachbarn – und behandeln dabei das eigene Auto häufig besser als den eigenen Körper: Die meisten Deutschen finden nichts dabei, zehnmal mehr für einen Liter Motoröl auszugeben als für einen Liter Salatöl, und sie kennen keine Skrupel, Hackfleisch zum Preis von Hundefutter beim Discounter zu kaufen – um sich danach darüber zu wundern, warum es mit ihrer Gesundheit nicht zum Besten steht.

Die Spitzengastronomie öffnet uns einen phantastischen Weg in eine ganz andere, in die richtige Richtung. Sie serviert uns nicht nur das großartigste, sondern auch das gesündeste Essen, das wir bekommen können: Hühner aus der Bresse, die dreimal länger als die armen Kreaturen aus den Zuchtbatterien leben und sich von den aromatischsten Kräutern der burgundischen Böden ernähren durften; Lachs aus Wildfang, der sein Dasein nicht in Antibiotika-verseuchten Bassins fristen musste, sondern Abertausende von Kilometern durch die Weltmeere schwimmen konnte; Gemüse aus den Gärten von Frischefanatikern, die niemals mit Herbiziden oder Pestiziden traktiert wurden und so sehr nach dem Ursprung, nach der Seele der Natur schmecken, wie es ihre eingeschweißten Plastikgeschwister von der Supermarkttheke niemals tun werden.

Dieses Buch ist auch ein Plädoyer

gegen die Gedankenlosigkeit und

Geizgeilheit bei unserer Ernährung.

Den Reichtum des kulinarischen Deutschlands in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit will dieses Buch abbilden. Um dabei nicht den Überblick zu verlieren, sind die Köche in sechs Kategorien unterteilt, die allerdings nur grobe Orientierungen sind – Schubladen, das weiß jeder Gourmet, sind etwas für Socken, nichts für Küchenstile. Das Buch beginnt mit den Großmeistern, den Göttern des deutschen Küchenolymps, deren Küchen Weltruf genießen und die sich mit der Crème de la Crème der besten Köche der Erde messen können. Dann folgen die jungen Wilden, die sich manchmal noch ihre Hörner abstoßen müssen, aber allesamt hochtalentierte Nachwuchshoffnungen sind. Die nächsten beiden Kapitel widmen sich den Traditionalisten, die keine Küchenrevolutionäre sein wollen, deswegen aber noch lange nicht museal kochen, und den Individualisten, die mit ihrem kompromisslosen Eigensinn ganz eigene Wege in der Welt des Kochens beschreiten. Schließlich sind die Heimatköche an der Reihe, die sich ganz der kulinarischen Wurzeln ihrer Region besinnen, und die Weltköche, die sich keine Grenzen setzen und mit vollen Händen in die große Aromenschatztruhe unseres Planeten greifen. Ein letztes Kapitel ist den Winzern vorbehalten.

Die »Geschmackssache« ist keine klassische Restaurantkritik, sondern das Porträt eines Lokals mit empfehlendem Charakter. Ich wähle die Häuser sorgfältig aus, und sollte doch einmal eine Enttäuschung darunter sein, breite ich den Mantel des Schweigens darüber. Und ich bin mir wohl bewusst, dass die Spitzenküche kein Vergnügen zum Schnäppchenpreis ist. Doch ich mache immer wieder die Erfahrung, dass man sein Geld kaum lust- und sinnvoller ausgeben kann als für ein Degustationsmenü. In den meisten Fällen ist es ein unvergessliches Erlebnis, von dem man noch lange zehren kann und das auch nicht teurer ist als zwei Tankfüllungen. Und das Gefühl, nach einem Abend in einem Feinschmeckerlokal vor die Tür zu treten und die ganze Welt vor lauter Glück umarmen zu wollen, dieses Gefühl bescheren uns nur unsere wunderbaren Köche.

Jetzt wünsche ich Ihnen viel Vergnügen und guten Appetit mit meinen »Geschmackssachen«.


Ihr Jakob Strobel y Serra

Geschmackssache

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