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ОглавлениеBANDOL SUR MER · Andreas Saul
Einheitsmenü trifft Einheitspartei
Ein Bruderkuss zwischen Ostblock und Côte d’Azur? Das kann leicht schiefgehen, geht in Andreas Sauls Restaurant »Bandol sur mer« in Berlin-Mitte aber verblüffend gut.
Die Partei, die Partei, die hat nicht immer recht. Wenn es so wäre, säßen wir jetzt nicht in einer ehemaligen Dönerbude in der ehemaligen Hauptstadt der DDR und äßen sieben Gänge Klassenfeindkost. Dann stünde unser Koch gar nicht hier, sondern panschte in irgendeiner volkseigenen Speisegaststätte Soljanka zusammen. Und dann wäre sein Restaurant auch nicht mit dem Interieur des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands dekoriert, die in einer existenziellen Frage ganz besonderes Unrecht hatte: Der Kommunismus konnte dem Kapitalismus schon deswegen nicht überlegen sein, weil seine Küche so scheußlich und seine Gastronomie so menschenverachtend miserabel war. Dass die Wiedervereinigung also allein aus appetitlichen Gründen ein Segen für die Bewohner der früheren Sowjetischen Besatzungszone gewesen ist, könnte in der leidigen, unendlichen Ost-West-Debatte ruhig ein bisschen öfter erwähnt werden.
Andreas Saul ist ein Kind des wiedervereinigten Deutschlands. Er wurde 1980 geboren, wuchs im Prenzlauer Berg auf, wohnt noch immer dort, trägt kein blaues Pionierhemd, sondern beidseitig Ohrring und flächendeckend Totenkopf-Tattoos, war Souschef bei Marko Müller im Berliner Zwei-Sterne-Haus »Weinbar Rutz«, kocht seit 2010 im »Bandol sur mer« in Berlin-Mitte und ist seit vergangenem Jahr auch Inhaber des Lokals, das nach einer Kleinstadt an der Côte d’Azur benannt ist. Trotz der Devotionalien aus dem Zentralkomitee, trotz der klobigen Fernseher und Kühlschränke, ist es aber kein Ort des ostalgischen Revanchismus, sondern eine verwegene Mischung aus Ostblock und Provence mit allen Ingredienzien des französischen Bistros wie einer Schieferwand, auf der das Menü samt den passenden Weinen nachzulesen ist – noch mehr Mitte-Hipstertum geht beim besten Willen nicht.
Bei Andreas Saul gibt es ein Einheitsmenü, allerdings nicht als Kotau vor der SED, sondern aus logistischen, praktischen und kalkulatorischen Gründen. Es beginnt mit vier Küchengrüßen, bei denen sich Unkonventionalität und Selbstironie spielerisch die Waage halten. Ein Cornetto mit fermentierter Karotte, Sanddorn und Miso-Mayonnaise und ein Grissini mit Holunder und Kapern lassen keinen Zweifel daran, dass sich der Chef um den Traditionalismus der Haute Cuisine nicht schert. Viel lieber paraphrasiert und persifliert er Klassiker wie Vitello tonnato mit seiner puristischen Version aus Kalbsmaske und Sardellencreme oder Toast Hawaii, das bei ihm aus einem gerösteten Brioche, einem fetten Schulterstück vom Ibérico-Schwein, Cheddar-Käse-Creme und Sauerkirsche besteht und dem Original verblüffend, aber nicht gefährlich nahe kommt. Die Eigensinnigkeit setzt sich beim Flussbarsch aus der Müritz nahtlos fort, der nur gebeizt und abgeflämmt ist, mit blanchierten Erbsen, fermentiertem Spargel und grünen Erdbeeren kombiniert wird und leise Befürchtungen weckt, hier handle es sich um ein weiteres Berliner Hipster-Lokal mit Null-Kilometer-Doktrin und nordisch-minimalistischem Küchendogmatismus – bis der Fischfond angegossen wird, der von Dashi nur so strotzt und sehr angenehm nach großer, weiter Aromenwelt schmeckt.
Jetzt haben wir auch keine Angst mehr vor »Gretes Gartentomate«, obwohl die Grete aus Rostock stammt und »ein Freak ist, was sonst«, wie das Personal uns nonchalant kundtut. Ihre Tomate wird eingelegt, wiederum abgeflämmt, von einer Julienne von Sauerklee und Pfefferkraut begleitet und schmeckt herrlich nach nichts anderem als Tomate. Doch damit ist – anders als in vielen anderen, radikal regionalistischen Lokalen – der Spaß noch nicht vorbei. Denn Gretes Gemüse wird dank eines hochkonzentrierten Chips von der Jakobsmuschel und einer Sauce aus Ochsenknochenmark zu einer mecklenburgisch-märkischen Version des mediterranen Klassikers »Mar y montaña« nobilitiert – ergänzt um das schöne Schmankerl eines indisches Naan-Brots für Freak Grete.
Andreas Saul mag zwar aussehen wie ein Freak, am Herd aber ist er keiner, sondern ein hochseriöser Koch, der bei aller Unkonventionalität der französischen Küche immer wieder die Honneurs macht – nicht nur wegen des Namens seines Restaurants, sondern auch, weil sie ein unerschöpflicher Fundus ist. Den gebeizten und geflämmten Kabeljau bestreut er großzügig mit Flocken von getrockneter Hühnerhaut und flankiert ihn mit erzfranzösischen Escargots, Bronzefenchel, Petersilie als Creme und Pulver, einer sündhaft cremigen Kräuterbutter und verbranntem Apfel, der mit Apfelmus wieder geschmeidig gemacht wird. Das Kalbsbries wälzt er à la bonne grande-mère in Mehl, brät es in Nussbutter an, mischt aus Kalbs-Jus, Eiweiß, Mandeln, Cornichons, Dill, Petersilie und Schnittlauch seine eigene Variante einer Sauce Gribiche und schafft so einen Teller mit satten, lebensfrohen Aromen, der viel stärker nach Côte d’Azur als nach Berlin-Mitte schmeckt.
Wenn die Partei, die Partei immer recht hätte, bekämen wir jetzt einen Goldbroiler vorgesetzt. Zum Glück liegt aber eine Brust vom handgefütterten Huhn des Uelzener Freak-Züchters Lars Odefey auf dem Teller, der es aus gutem Grund zum Hoflieferanten der Hochgastronomie gebracht hat. Sie badet in einer herzhaft mit Butter montierten Poularden-Nage, die selbst dem Donnez-moi-du-beurre-Fetischisten Fernand Point ein Lächeln auf den mächtigen Schädel gezaubert hätte, und wird von einem Körbchen aus Zwiebelhaut begleitet, in dem Sellerie als Kugel und Püree und sauer eingelegter Rhabarber vom Vorjahr ruhen – ein Teller ohne Schnörkel und Schnickschnack, ohne Verrenkungen und Ablenkungen, der aber allein schon wegen der barocken Nage von jedem Verdacht der Hipster-Schmalhanskost freigesprochen werden kann. Zum Schluss gehen wir nicht an der Côte d’Azur baden, sondern in den deutschen Wald, um ihn aufzuessen: Als Dessert bekommen wir Heidelbeeren mit Fichtennadeleis, karamellisierter Molke und dehydrierten Steinpilzen, die dank Ahornsirup wie Schneewittchen zu neuem Leben erweckt werden. Das ist uns allemal ein Prosit auf die Partei wert: So gut, Genossen, schmeckt Unrecht!
BANDOL SUR MER
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