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4. Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus

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Das Jesusbild der „konsequenten Eschatologie“ und die hermeneutische Umsetzung dieses Jesusbildes bei Bultmann und seinen Schülern hat die Kategorien des „Himmlischen“ und einer positiv qualifizierten Gegenwart als religiöse theologisch negativ gewertet. Sie entsprechen nicht der eschatologischen Krisensituation. Damit wird aber auch eine offene religionsgeschichtliche Einarbeitung Jesu in seine Umwelt erschwert. Die von der liberalen religionsgeschichtlichen Betrachtung ausgehende „kultgeschichtliche“ Arbeit konnte zwar ein relativ gefülltes Bild vom religiösen Leben der Gemeinde geben. Es blieb dabei aber die Schwierigkeit, von der Kultreligion der Urchristenheit zu Verkündigung und Gestalt des irdischen Jesus vorzustoßen.

Diese Schwierigkeit hat verschiedene Ursachen. Zunächst ist nochmals die Wirksamkeit des ‚doppelten Ansatzes‘ zu nennen, eines Programms, das, aus der älteren liberalen Tradition kommend (Baur, Harnack), in der kultgeschichtlichen Betrachtung von Bousset, Wetter, Arvedson und im Einflussbereich Bultmanns nachwirkt: Mit dem Gemeindekult komme etwas Neues auf, so dass, beispielsweise, aus der eschatologischen Passahfeier Jesu religionsgeschichtlich das Mysterienmahl der hellenistischen Gemeinde wurde.1

Auch noch in neueren Arbeiten stößt man auf das mehr oder weniger deutlich empfundene Problem des Brückenschlags von der Kultfrömmigkeit zum irdischen Jesus: Aune2 geht zwar von der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu aus, um das Problem der präsentischen Eschatologie zu beleuchten, kommt aber nach seinem Exkurs über den Gemeindekult als Sitz im Leben für die präsentische Eschatologie in Qumran, im Johannesevangelium, bei Ignatius, in den Oden Salomos und bei Marcion nicht mehr ausdrücklich auf diese Ausgangsfrage zurück. Stehen also die präsentisch-eschatologischen Züge der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu schon unter Einfluss eines protokultischen Denkens bei Jesus selbst oder sind in den Evangelien Jesustradition und Kulttradition der Gemeinde so unauflöslich miteinander verquickt, dass eine isolierte Betrachtung Jesu methodisch unmöglich ist? Aunes Schweigen zu diesen Fragen weist zurück auf das latente Problem der kultgeschichtlichen Betrachtung.

Auf der anderen Seite könnte man von weiteren Arbeiten aus dem Einflussbereich der ‚Kultgeschichtler‘ Böchers Monographien nennen, welche die magische Komponente des urchristlichen Kults, vor allem des Taufritus, untersuchen, christologisch den antidämonischen Einsatz der Sakramente aber aus der ἐξουsία des Erhöhten herleiten und damit ebenso die eigentliche Jesus-Frage von der kultgeschichtlichen Betrachtung mehr oder weniger ausklammern.3

Ferner muss der bei den ‚Kultgeschichtlern‘ häufig anzutreffende Einfluss des älteren liberalen Jesusbildes genannt werden, wonach Jesus unabhängig von Fragen nach Eschatologie und Kultus im Wesentlichen sittliche Persönlichkeit ist. Dieser Einfluss macht sich auch dort noch bemerkbar, wo man sich um ein ‚einheitliches‘ Verständnis der neutestamentlichen Traditionsgeschichte bemüht und damit das Programm des ‚doppelten Ansatzes‘ ausdrücklich ablehnt. So sprach der späte J. Weiss, der die Christologie aus dem Messiasbewusstsein Jesu4 ableiten wollte, in der Qualifizierung dieses Verhältnisses von der Sittlichkeit Jesu5 und der sittlichen Abhängigkeit der Jünger, die religiöse Verehrung mit sich bringe.6

Deissmann benutzte ein etwas anderes Vokabular: Er sprach vom gewaltigen ‚Ichbewußtsein‘ Jesu, welches gemeinschaftsbildend gewirkt habe. Deissmann setzt dabei ebenso die Kategorie des sittlichen Individuums voraus, wie er religionsgeschichtlich Jesus an die alttestamentlichen Propheten bindet.7 Obgleich Deissmann ausdrücklich gegen die Theorie eines ‚doppelten Ansatzes‘ protestierte,8 stellte er dennoch einen anderen Bruch heraus, den zwischen Jesus und der palästinischen Gemeinde: „Sie haben den Propheten des Gottesreiches zum Objekt der apostolischen Frömmigkeit gemacht, indem sie das Siegel unter seine messianische Selbstoffenbarung setzen.“9 „Jesus selbst hatte keinen neuen Kult gestiftet; er hatte die neue Zeit verkündet.“10 Religionsgeschichtlich stehe Jesus auf dem Boden seiner jüdischen Mutterreligion, während der apostolische Jesuskult heidnische Elemente aufnehme.11

Auch Lohmeyer sprach in den 20-er Jahren im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Theorie einer ‚Kultmystik‘ des Urchristentums unter Verwendung des liberalen Prophetenbegriffs von Jesu Gebundenheit an den Vatergott; er sei gottgesandter Prophet,12 der vorwiegend ethisch denke.13

In seiner Berliner Probevorlesung von 192214 hat G. Bertram die Probleme der kultgeschichtlichen Methode bei einer Einbeziehung des irdischen Jesus in die einheitliche Linie dargestellt: Bertram spricht von einer immanenten kultischen Bedeutung der Worte und Handlungen Jesu: „Wie weit hat Jesus bewusst so gehandelt, solche Forderungen an seine Gemeinde gerichtet (Bertram spricht allgemein von den die Evangelien formgeschichtlich prägenden Elementen der Wort- und Tatüberlieferung), dass Handlung und Forderung nicht in sich selbst ihr Ziel, ihren Sinn hatten, dass sie vielmehr zur Darstellung einer hinter ihnen liegenden Idee oder religiösen Wahrheit dienen sollten, also eine immanente kultische Bedeutung hatten?“15 Auffällig ist hier, dass Bertram den besonderen kosmischen Zeitaspekt des Kultus nicht religionsgeschichtlich, sondern allgemein idealistisch fasst; ebenso ungeschichtlich ist die Verbindung des Glaubens der Urgemeinde an Jesus als Kultheros mit dem irdischen Jesus über den Eindruck, den Jesu „Persönlichkeit“ ausgestrahlt habe.16 In und an Jesu Persönlichkeit werde etwas Unbedingtes erlebt. Daraus entstehe letztlich Jesu Verehrung als Kultheros.17 „Jesus selbst sind die Formen dieser Religion fremd. Trotzdem ist er ihr Stifter geworden, weil er in sich die Kraft alttestamentlicher Sittlichkeit mit dem Willen zum stellvertretenden Leiden vereinte. Er hat den Gedanken von Jes 53 in die Tat umgesetzt und damit die Heilsweissagung des Alten Testaments erfüllt.“18

Obgleich Bertram sich ausdrücklich vom Historismus und der liberalen Ethisierung des Christentums absetzt, ja ein streng religionsgeschichtliches Verständnis des Urchristentums fordert, welches den A-Historismus des kultischen Denkens der Zeit des NT ernst zu nehmen habe und ihn nicht unter der Hand in ein unhistorisches, aus der Moderne bezogenes Denken verwandeln dürfe; obgleich sich daraus für Bertram überlegenswerte Perspektiven einer Deutung von Kreuz und Ostern ergeben,19 ja sein Kampf um einen einheitlichen Ansatz betont werden muss, so bleibt doch bei Bertram ein Jesusbild, das den bekämpften Kategorien des sittlichen Vorbilds, des persönlichen Eindrucks, des prophetischen Gottesbewusstseins und damit den ungeschichtlichen Kategorien des Liberalismus verpflichtet ist.

So weist Bertram auf die notwendige religionsgeschichtliche Arbeit an einem dem Ansatz der einheitlichen kultgeschichtlichen Betrachtung entsprechenden Jesusbild. Bertram nennt auch Zielpunkte, auf die eine solche Betrachtung hinführen müsse: ausgeprägte Christologie bei Jesu selbst, seine Teilhabe an der himmlischen Welt, Einbeziehung der besonderen Zeiterfahrung kultischen Denkens; Bertram vermag diesen Schritt jedoch religionsgeschichtlich nicht zu gehen, sondern bleibt bei der Verwendung platonisierender Begriffe.

Etwas weiter führt K.L. Schmidts Beitrag ‚Eschatologie und Mystik‘20, der ebenso um einen einheitlichen Ansatz der kultgeschichtlichen Betrachtung ringt. Religionsgeschichtlich setzt er bei Jesus die Kategorie der Vision als Vorstufe der späteren Kultmystik ein. Die Vision himmlischer Ereignisse löse die eschatologische Spannung und sei Vorstufe der Kult-Mystik.21 Da Jesus zumindest nach einigen Texten der Evangelien Visionär sei, könne man sagen, dass seine Eschatologie eine visionäre Komponente hatte und somit offen war für die im Rahmen des urchristlichen Kultus sich einstellende Beziehung zur himmlischen Welt. Bei Schmidt wird erstmals religionsgeschichtlich die Kategorie der Vision mit dem Kultischen und seinen besonderen, auf das Himmlische bezogenen und die irdische Zeitlinie überholenden Ausdrucksformen verbunden. Noch deutlicher bezog K.L. Schmidt die Jesus-Tradition ein in die kultgeschichtliche Betrachtung der Evangelien in seinem Aufsatz von 1923 über die Stellung der Evangelien in der allgemeinen Literaturgeschichte.22

Schmidt bezeichnet die Evangelien als Kultlegenden; sie partizipierten an den für diese Gattung wesentlichen Kennzeichen: Die Geschichte des Kultheros sei hier zum Übergeschichtlichen hin verdichtet. Diese Verdichtung bemächtige sich aber nicht sekundär einer davorliegenden, schlichteren und ‚irdischeren‘ Überlieferungsstufe, ja vor dem Kultheros liege nirgends die an sich, historistisch, positivistisch greifbare irdische Person, sondern schon im Schülerkreis um den irdischen Lehrer herum werde dieser zur mystisch geschauten, legendarischen Gestalt.

Schmidt sieht die nächsten Analogien zum Jesusbild der Evangelien im sehr viel späteren jüdischen Chasidismus, wo sich die Chasidim um den Zaddiq scharen und in diesem Gemeindekreis die Geschichtlichkeit erfahren, die in der Überlieferung sich in der vom Heros berichtenden Kultlegende ausdrückt.

„Die chassidische Legende ist geradezu gesättigt mit kultischem und auch mythischem Gehalt. In ihm liegt ihre eigentümliche Kraft, wie auch beim Urchristentum die Frage nach seiner Kraft die wesentliche ist. Der Zaddik, der aus der Menge der Chassidim herausragt, ist der besondere Liebling des Himmels; durch ihn schenkt Gott der Welt seine Gnadengaben. Ihn zu lieben und zu hören ist die Pflicht jedes Chassid. Der Zaddik ist also der Mittler zwischen Gott und den Menschen.“23

Alles kommt an auf die Verbindung zwischen Zaddik und Gemeinde, wie sie sich kundtut im gemeinsamen Beten. Und wenn auch der Zaddik in einem abgesonderten Raum betet, kann er doch mit seiner Gemeinde verbunden sein. Solche Verbindung geht über die einzelnen Örtlichkeiten hinaus: Es schließt sich ein Ring. In einer jüdischen Schilderung24 heißt es: ‚An Sabbaten und Feiertagen nehmen die Chassidim die ‚heilige Mahlzeit‘ am Tische des Zaddik ein. Während des Essens herrscht Schweigen. Zuweilen ‚sagt‘ der Zaddik ‚Tora‘; d. h. er erklärt Bibelstellen, die dem Tage entsprechen. Der Zaddik kostet wenig von jedem Gange. Die ‚Scherajim‘ (Reste) werden unter die Gäste verteilt. Den Tisch des Zaddik nennen die Chassidim ‚Altar Gottes‘, das Mahl ‚Opfer Gottes‘. Indem der Zaddik von den Speisen genießt, ist er der Hohepriester, der Gott das Opfer darbringt. Nach dem Mahle versammeln sich die Chassidim und verweilen in Gesprächen über ihren Zaddik. Sie wägen jedes Wort, deuten jeden Wink, jeden Augenaufschlag, den sie bemerkten, und suchen den ganzen geheimnisvollen Inhalt ihrer Beobachtungen zu ergründen. Während dieser Aussprache sitzen alle dicht beieinander; einer spricht, die andern lauschen. Jeder Unterschied zwischen Groß und Klein, Arm und Reich ist ausgelöscht. Das gesprochene Wort ist dabei von Seiten des Zaddik gar nicht das Wesentliche; dieser achtet gar nicht auf die schöne, die absichtsvolle Menschenrede. Vielmehr wird im chassidischen Schrifttum immer wieder verlangt, man solle ‚von allen Gliedern des Zaddiks lernen.‘ Man achte auf den Eindruck, den der Zaddik auf seinen Kreis macht. Er ist eine kultische Persönlichkeit schon zu seinen Lebzeiten.25

Schmidt verwies dazu auf R. Otto, der vom „numionse(n) Eindruck Jesu auf seine Schüler“26 und davon sprach, Jesus sei entsprechend analogen Phänomenen der religiösen Gruppenbildung „… ein Heros bei Lebzeit …“27 gewesen. Schmidt fasst zusammen: „Wie der Zaddik seiner Gemeinde, seinen Jüngern, so ist auch Jesus zu seinen Lebzeiten, aber auch als der Erhöhte, der pneumatische, das πνεῦμα seiner Gemeinde, seinen Jüngern gegenwärtig gewesen.“28

Konsequenterweise spricht Schmidt von Jesus als dem Kultstifter des Urchristentums.29 Diese bestechende These, die die dem Kultus eigene Mittlerschaft zum Himmel auf den irdischen Jesus zurückführen will, hat in der Forschung kaum Anklang gefunden: Sie ist zu strukturalistisch und zu sehr allgemein religionsphänomenologisch gehalten – um den romantischen Beigeschmack nicht zu betonen – und arbeitet weder religions- noch traditionsgeschichtlich. Der Sprung von der formgeschichtlichen Gattungsbestimmung ‚Kultlegende‘ in das dafür vorausgesetzte Milieu der Tradenten bleibt ein Postulat, das durch die Analogisierung mit dem Chasidismus des 18. Jahrhunderts keine ausreichende Basis erhält.

Dennoch enthält Schmidts Arbeit Hinweise, wie religions- und traditionsgeschichtlich weitergearbeitet werden könnte: Die kultischen Denkformen mit ihren mythischen, über die innerweltliche Geschichte hinausweisenden himmlischen Komponenten sind ja offenbar noch im späten Chasidismus in Analogie zum kultischen Ritual des Jerusalemer Tempels verstanden worden. Dies führt zur Frage nach einer möglichen traditionsgeschichtlichen Rückbindung der chasidischen Kultrezeption an die frühjüdische Zeit. Die Qumran-Texte haben grundsätzlich auf das Recht dieser Fragestellung hingewiesen: Die Ideologie des Kultes ist schon in vor-neutestamentlicher Zeit umgesetzt worden in eine nicht mehr am Tempel hängende, pneumatische Gemeindelehre.

Damit entsteht die den Ansatz von Schmidt traditionsgeschichtlich tragende Frage, ob Jesu Eschatologie und seine Beziehung zum Himmel in eine Tradition der Rezeption und Umsetzung des schöpfungsordnenden Anspruchs des Jerusalemer Kultes gehören.

In Fortsetzung seiner Untersuchung zum traditionsgeschichtlichen Zusammenhang neutestamentlicher und frühkirchlicher Kultmotive mit der Tempelideologie des Judentums hat J. Jeremias in seinem Beitrag ‚Jesus als Weltvollender‘, 1930, diese kultgeschichtlichen Zusammenhänge auf die Frage nach den theologischen Leitmotiven Jesu zugespitzt.30 Jeremias kontrastiert, ganz im Sinne der ‚Kultgeschichtler‘, den abendländischen Rationalismus und seinen auf Entwicklung bedachten Geschichtsbegriff mit dem zyklischen des Alten Orients und der Bibel: Geschichte beruhe auf dem Wissen um eine Schöpfungsordnung und den zyklischen Versuchen, durch kultische Vermittlung zu ihr zurückzukommen.31 Jesu Auftreten stehe so unter dem Anspruch, die eschatologische Rückkehr zum Urstand der reinen, himmlisch-irdisch verbundenen, einen Schöpfung einzuleiten.32

Jeremias orientiert sich zunächst am Rahmengerüst des triplex munus, wobei er eine Steigerung mit Kulmination im königlichen Amt sieht.33 Auffällig und interessant ist freilich, dass Jeremias den Anspruch Jesu auf Weltvollendung stark als quasi hochpriesterliches Wirken zeichnet. Er nehme die vielfältigen, kultisch tradierten Kosmos-Symbole auf; er beziehe sein Auftreten auf das Bild vom Mantel des Hohenpriesters mitsamt seiner kosmischen Symbolik,34 er sei Baumeister des himmlisch-eschatologischen Heiligtums;35 er beziehe auf sich die Kultmotive, die kosmische Ernährung und Versorgung anzeigen;36 er dränge, stärker als dies je der Tempel konnte, Sünde, Tod und Teufel zurück;37 ja sein Vollmachtsanspruch münde in seinem jenseits allen Davidismus liegenden Menschensohn-Amt. Als dieser sei er Herr der himmlischen, eschatologischen Kultordnung.38

Der Anspruch auf Weltvollendung, die Jesus einleitet, äußert sich nach Jeremias also in einer Übernahme orientalischer und jüdischer Kultsymbolik. Der königliche, auf die ganze Schöpfung zielende Herrschaftsanspruch Jesu ziehe deshalb eine hochpriesterliche Vollmacht auf sich, weil er die kultisch verwaltete und erschlossene Schöpfungsordnung, am Tempel Jerusalems vorbei, in den eschatologischen Urzustand der gereinigten Einheit von Himmel und Erde bringen wolle.

Jeremias verzichtet auf ein Auszeichnen kultgeschichtlicher Zusammenhänge, sondern verbleibt stärker auf der motivgeschichtlichen Ebene. Zusammenhänge bestehen vor allem mit dem unten zu referierenden Buch Lohmeyers über ‚Kultus und Evangelium‘. Die bei Jeremias und Lohmeyer – durch eine Betonung der gemeinsamen, Jesus und Urgemeinde, Bibel und Alten Orient verbindenden Motive – mögliche Betrachtung auch der Jesus-Tradition im einheitlich – kultgeschichtlichen Sinne hat in der weiteren Forschungsgeschichte dennoch immer wieder dem mit der Kultgeschichte in ihrer hellenistischen Anfangsphase verbundenen Ausweichen auf einen doppelten Ansatz Platz machen müssen. Von diesem Trend sind auch spätere Arbeiten geprägt, die die Kultfrömmigkeit der Qumran-Gemeinde in Hinsicht auf das Neue Testament untersuchen.

Beckers forschungsgeschichtlich bedeutsame Arbeit zur Soteriologie der Qumrantexte39 nennt als religionsgeschichtlich mit dem NT und der Jesus-Tradition vergleichbare Struktur das hebräische Sphärendenken, in dem sich Gottesherrschaft und Satansherrschaft gegenüberstünden und aus dem heraus es dem qumranitischen Kultdenken möglich sei, zu einer Qualifizierung der Gegenwart unter dem himmlischen und eschatologischen Aspekt der Gottesherrschaft zu kommen. Diese religionsgeschichtlich in den Grundzügen wohl unumstrittenen Strukturen versucht Becker auch beim irdischen Jesus als wirksam zu erweisen. Er nimmt also, wenn man so will, den Impetus der ‚einheitlichen Linie‘ der Kultgeschichtler auf, kultisch getragenes religiöses Weltempfinden bei Jesus wiederzufinden. Es ist ja überhaupt deutlich, dass mit der Entdeckung der Qumrantexte die Position der ‚einheitlichen‘ kultgeschichtlichen Betrachtung gestärkt wurde, da auch hier sich priesterlich-prophetisches Reform-Charisma einzelner Lehrer mit einem neuen Kultverständnis der Gemeinde verband.

Wie sieht nun aber das Jesusbild aus, das Becker auf dieser Grundlage entwirft? „War Michael in M das entscheidende Haupt, das für Gott den Kampf ausfocht, so ist es bei den Synoptikern keine Gestalt aus der damaligen Vorstellung der Himmelswelt, sondern ein konkreter Mensch. Genauer gesagt: Jesus selbst weiß sich als der an Stelle Gottes Kämpfende.“40 Jesus habe einen einmaligen Auftrag, eine einzigartige Vollmacht, sein Tun und Reden seien einmalig; seine christologische Vollmacht sei in ihrer Einmaligkeit irgendwie latent vorhanden, noch nicht in das religionsgeschichtlich Vergleichbare hinein expliziert.41 „Jesus versteht sich als Gottes eschatologisches Wort und als sein entscheidendes letztes Handeln für die Menschen.“42 Letztlich ist es ein „unausweisbare(r) Vollmachtsanspruch“ und eine „unmittelbare Autorität“43; in all dem geschieht das „Sichereignen der Gottesherrschaft hier auf Erden …“44

Es ist deutlich, dass Becker hier jeden religionsgeschichtlichen Vergleich abbricht: Ist das Kultdenken der Qumranleute auf himmlische Fürsprecher angewiesen, so steht im Neuen Testament an deren Stelle ein ‚konkreter Mensch‘; zu dieser ungeschichtlichen, modernen Kategorie des ‚konkreten Menschen‘, der offenbar außerhalb eines himmlische ‚Merkwürdigkeiten‘ implizierenden Weltbildes in schlichter Gottunmittelbarkeit steht, treten dogmatische, die zudem durch eine bestimmte Kerygmatheologie geprägt sind. Brachte bei Weiss und anderen Jesu Sittlichkeit die kultische Verehrung durch die Gemeinde zustande, so ist es hier das unausweisbare Wort Gottes, das seinen Träger zum Urheber des Zur-Herrschaft-Kommens Gottes macht. ‚Konkreter Mensch‘ und ‚unausweisbarer Vollmachtsanspruch‘ hängen am ebenso richtigen wie fatalen hermeneutischen Grundsatz, wonach gilt: ‚individuum est ineffabile‘. Zum Erweis des Rechtes dieses Satzes muss aber unseres Erachtens der religionsgeschichtliche Vergleich soweit wie möglich getrieben werden; diesen aber von vornherein abzubrechen, bleibt Folgerung aus einem unbewiesenen Postulat. Becker unterstellt sich einem höchst zeitbedingten dogmatischen Programm, das er gegen seine eigene religionsgeschichtliche Arbeit ausspielt.

Immerhin liefert Becker mit seiner Analyse des ‚Sphärendenkens‘, der Wirksamkeit damaliger ‚Vorstellungen‘ von der himmlischen Welt und der Möglichkeit, kultisch an ihr zu partizipieren, einen weiteren Hinweis auf das Selbstverständnis Jesu. Im Rahmen dieses Denkens wird Jesu christologisches Selbstverständnis beschreibbar: Es muss versucht werden, Jesu Verhältnis zur himmlischen Welt, seine Möglichkeit, in dieses Sphärendenken einzugreifen, traditions- und motivgeschichtlich zu bestimmen.

Auch H.-W. Kuhn45 kommt zu einer ähnlichen ‚Verbindung‘ von eschatologisch-räumlichem Denken in der Qumrangemeinde und in der Jesustradition. Das Sphärendenken, welches das eschatologische Heil in Qumran und in der Jesustradition aus seiner ausschließlichen Zukunftsbezogenheit löse, stelle grundsätzlich eine gemeinsame religionsgeschichtliche Voraussetzung dar, realisiere sich aber in Qumran aufgrund der Tempelsymbolik,46 bei Jesus jedoch in seinem Anspruch, „dass in seinem Wirken Gottes Herrsein aufgerichtet wird.“47 Im Gegensatz zum Tempeldenken der Qumrangemeinde habe Jesus „… die Gegenwart der Gottesherrschaft ‚nur in seiner Person und in seinem Wirken gesehen‘“.48 Erst die christliche Gemeinde nähere sich in ihrem präsentisch-eschatologischen Selbstverständnis der Tempelsymbolik. Sie sei von der Qumrangemeinde aber dadurch geschieden – „… etwas völlig anderes …“49 dass „sich schon letzte Geschichte im Christusgeschehen ereignet hat …“50 Auch bei Kuhn führen philosophische Voraussetzungen (‚Person Jesu‘) und die unvermittelte Rede vom ‚Christusgeschehen als eschatologisches Ereignis‘ dazu, dass letztlich die Urgemeinde und Jesus traditionsgeschichtlich isoliert dastehen.

Es kommen wohl in der Tat in den zuletzt genannten Arbeiten von Becker und Kuhn zwei unterschiedliche Ansätze zusammen, einmal die kultgeschichtliche Betrachtung mit ihrer Tendenz zur Christologisierung und Mythisierung der Jesustradition und andererseits die religionsgeschichtlich sich bindungslos gebende Kerygma-Theologie, die nun dazu eingesetzt wird, den von dieser kultgeschichtlichen Methode nicht gewagten Sprung zur Jesustradition zu vollziehen.

Ein weiterer Beitrag zur Frage nach dem historischen Jesus von einem Ansatz aus, der mit der Fragestellung der ‚Kultgeschichtler‘ Berührung hat, stammt von U.B. Müller.51 Das hebräischem Denken52 entstammende, sphärenhafte Weltbild, wonach Gottes- und Satansherrschaft nach dem Menschen greifen und die Gegenwart bestimmen wollen, sei bei Jesus zur Ansage des Hereinreichens der eschatologischen Heilssphäre Gottes in seine irdische Wirksamkeit verdichtet.53 Müller wendet sich gegen die sonst übliche Kategorie der Unmittelbarkeit und Unableitbarkeit der Vollmacht Jesu,54 widerspricht hier also u. a. Becker und Kuhn, deren Qumran-Analysen er sich ansonsten angeschlossen hat.55 Vielmehr sei vor diesem Hintergrund des sphärischen Weltbildes auch die Frage nach Jesu Vollmacht und ihrer Begründung grundsätzlich dem religionsgeschichtlichen Vergleich offen, der auf die Bedeutung der Kategorie ‚Vision‘ hindeutet.

Ähnlich K.L. Schmidt56 verweist Müller auf Lk 10,18, den Visionsbericht, welcher Jesus Kenntnis himmlischer Zusammenhänge zuweist. Die Vision enthält die Voraussetzungen für seine irdische Mission.57 Die Vision Lk 10,18 sei dabei noch ganz auf Gott bezogen, was für ihre Ursprünglichkeit spreche: „Gottes Kampf gegen den Satan im Himmel und die irdische Auseinandersetzung Jesu mit den Dämonen entsprechen einander.“58 Dabei sei Lk 10,18 von anderen apokalyptischen Visionen unterschieden, da diese ein zukünftiges Ereignis als himmlisch bereits eingetreten verkündigten59 und damit – so meint es wohl Müller – sich doch rein an der Zukunft und dem apokalyptischen Grundempfinden der heilsleeren Gegenwart festmachten.60 Für Lk 10,18 und die βασιλεία-Verkündigung Jesu liege eine gegenwärtig vorgegebene himmlische Veränderung offen, die sich himmlisch und irdisch schon jetzt realisiere.61

Wenn wir Müller recht verstehen, versucht er zwischen einer apokalyptischen Kategorie der visionären Prolepse, welche in der Zukunft festgemacht ist, und einer solchen zu unterscheiden, die sich nur in Qumran62 und bei Jesus finde, nämlich der Kategorie der Entsprechung und Korrelation, welche im himmlischen Geschehen des Handelns Gottes gegen Satan festgemacht sei. Daraus ergebe sich ein Gefälle von der Vision, die himmlisches Geschehen enthülle, zur Botschaft des Visionärs, die sein irdisches Auftreten in Korrelation zum Geschauten bringe. Da religionsgeschichtlich nicht die apokalyptischen Visionen als Vergleich heranzuziehen seien – zumal diese kaum noch auf echtem Erleben beruhten63 –, blieben nur die klassischen biblischen Propheten, bei denen ebenso die prophetische Schau aufdecke, „was in der Sphäre Gottes als Willenswirklichkeit gesetzt ist und sich zum Durchbruch in die Welt rüstet.“64 „Es scheint eine Eigenart prophetischer Offenbarungsgewissheit zu sein, dass der Prophet gerade aufgrund seiner Vision zur entscheidenden Grundüberzeugung gelangen kann, dass nämlich Gott Endgültiges schon in der Gegenwart bewirken will, ja bewirkt hat.“65 Die Elemente Vision und Botschaft, ‚Schau des Wissens‘ und Engelsgemeinschaft der Gemeinde, allgemein eine Verbindung von Sehen und Verkündigen, lasse sich für das gesamte nachbiblische Judentum nachweisen;66 jedoch sieht Müller die hauptsächliche Entsprechung bei den alttestamentlichen Propheten.67 Der Vergleich der Eschatologie Jesu mit der des Täufers mache zudem deutlich, dass dieser das Ende zwar als nahe erwarte, da die Vorbereitungen dafür im Himmel abgeschlossen sind, während Jesus mit der Vision des Satanssturzes ein himmlisches Ereignis, welches eschatologische Bedeutung habe, als abgeschlossen schaue.68 Während der Täufer anscheinend noch dem apokalyptischen Empfinden der heilsleeren Gegenwart unterstehe, habe Jesus mit seiner neuen Eschatologie einen ihm eigenen Vorsprung.69

Wie schon erwähnt, habe die Vision Lk 10,18 bei allem ursprünglich nicht christologische Bedeutung, da der Schauende in den himmlischen Vorgang nicht hineingenommen werde. Die Vision sei eine Wissensmitteilung, die eine neue Botschaft ermögliche, jedoch nicht Berufungsvision.70 Die Vision sei im Gegensatz zu der der Apokalyptiker keine Legitimationsform, vielmehr bleibe Jesus wie die klassischen Propheten der auf Glauben hin Redende.71 Auch die ethische Botschaft Jesu bedeute eine gegen jede Tradition72 sich richtende Radikalität und hänge an der ihm geschenkten Erkenntnis von der Entmachtung der Satansherrschaft durch Gott. „Die Herrschaft des Satan bestand für Jesus nicht nur in der Macht über die von Dämonen besessenen Kranken, so dass die Durchsetzung der Herrschaft Gottes sich gerade in den Dämonenaustreibungen manifestierte (Lk 11,20). Seine Bedeutung zeigte sich auch in seiner Möglichkeit, zur Sünde zu verführen. Deshalb ist die Bitte Lk 11,4 notwendig. Doch ist die Macht des Satans eine inzwischen angegriffene Macht (Lk 10,18), so dass die Zuversicht des Jüngers berechtigt ist, im Kontakt mit dem Sünder und dem Unreinen der Sünde und Unreinheit als metaphysischer Größe nicht zu erliegen. Von daher wird das Gebot der Feindesliebe zur realen Möglichkeit.“73

Die nicht zuletzt in diesem Zitat aufleuchtende Perspektive eines einheitlichen Verständnisses von Jesu Botschaft und Handeln auf dem Fundament visionär vermittelten, himmlischen Wissens, der Versuch, Jesu ἐξουσία religionsgeschichtlich verständlicher zu machen, lassen es lohnend erscheinen, Müllers entscheidende Voraussetzungen zu beleuchten, um so seine Fragestellung weiter aufnehmen zu können.

Das in Anschluss an Becker und Kuhn bemühte ‚Sphärendenken‘74 umschreibt an sich kein spezifisch hebräisches Weltempfinden; dies hat die religionssoziologisch arbeitende Studie von Aune75 deutlich gemacht. Das Sphären-Denken entsteht überall dort, wo ein Menschenbild akzeptiert ist, nach dem der Mensch ein durch Außenbedrohung angegriffenes, von Mächten umkämpftes Wesen ist. Vornehmlich steht er zwischen den Sphären des ‚Reinen‘ und ‚Unreinen‘, des ‚Profanen‘ und des ‚Heiligen‘, des schädigenden Zaubers und des schützenden, apotropäischen Kultes. Damit scheint gegeben, dass das Sphärendenken immer schon in einem spezifischen, traditionsgeschichtlich besonderen Deuteverbund steht. Dieser ist im Judentum z. Zt. Jesu durch die kultische Weltdeutung des Tempels bestimmt: Mit Sünde, Tod und Teufel greifen nach dem Menschen negative, anti-kultische und auf Störung der ursprünglichen Schöpfungsordnung ausgerichtete Kräfte. Der Kult tritt ihnen durch Entsühnung und Symbolisierung der Schöpfungsordnung entgegen. Der Kultus hängt mit der himmlischen Schöpfungshälfte zusammen,76 so dass auch die Bekämpfung des Satans als kultischer Vorgang zugleich ein himmlischer ist. Der von Müller untersuchte Zusammenhang von himmlischem Satanssturz und irdischem Exorzismus wird also schwerlich durch den Rückgriff auf die prophetische Struktur von Vision und Botschaft hinreichend geklärt. Vielmehr ist bei der Beobachtung einzusetzen, dass der Inhalt der Botschaft Jesu – Gottesherrschaft als Befreiung von Sünde, Tod und Teufel – Thema des Kultus und seiner mehr oder weniger zum Bereich der πρᾶξις gehörenden Derivate ist.

Kultus weist aber nie auf eine nur theologische Form der Bindung des Satans, sofern zum Ritus ausführende Menschen gehören. Auch die sich vom Kultus lösende Form der ‚Bindung‘, die exorzistische ἐξουσία des Charismatikers, ist nicht als in rein theologischer Begründung ruhende zu denken. Wie zwischen göttlichem und menschlichem Handeln im Kultus eine unauflösliche Korrelation besteht, so ist das Handeln des charismatischen Exorzisten auf die Bereitschaft des Himmels zur ermöglichenden Mitwirkung angewiesen. Im Tun des Exorzisten wirkt der Finger Gottes, er ist so mit dem Geist verbunden, dass Lästerung seines Geistes Lästerung Gottes ist. Hier müssen also christologisch kräftigere Verbindungen eingesetzt werden als nur die von der Vision zur Botschaft. Der Exorzist ist nicht nur Wortträger, sondern λόγος und πρᾶξις sind aufeinander bezogen. Lk 10,18 ist kaum ein rein theologischer Spruch, da gerade die die Visionen Schauenden in eine unmittelbare Beziehung zum Geschauten gebracht werden. Das rationalistische Modell, dass das, was dem Propheten wichtig ist, seinen Ursprung bei Gott hat,77 stellt zwar seinerseits eine ungeschützte Eintragung dar, gibt aber dem Empfinden Ausdruck, dass Vision nicht bloß Mitteilung über fremdes Geschehen ist. Müllers Betonung des Entsprechungsgedankens muss also christologisch stärker aufgenommen werden.

Besonders fragwürdig ist die Unterscheidung zwischen apokalyptischer Vision, die von der heilsleeren Gegenwart ausgehe und der Vision Jesu, die auf Eschatologisches als in die Gegenwart Hineinragendes schon zurückblicke. Der Rückgriff auf Himmlisches bringt immer eine eigene zeitliche Qualität des Himmlischen mit der irdischen Geschichte zusammen. Schöpfung und Eschaton sind zunächst im Himmlischen beginnende Prozesse, solche, in denen das Abrücken der irdischen Geschichte vom himmlischen Gang gleichsam zurückgenommen ist. Zugang zum Himmlischen betont also Zugang zum Geheimnis von Schöpfung und Erlösung. Der Himmel ist aber nicht das Reich der Ideen, sondern auch der Himmel hat seine Geschichte, deren Prae darin besteht, dass hier Anfang und Ende überschaubar sind, weil der Himmel an den Bereich der Transzendenz angrenzt. Der Ausdruck der ‚Willenswirklichkeit‘ für das Prae der himmlischen Prozesse vor ihrer irdischen Realisierung ist zu subjektiv, da es um eine gegliederte Wirklichkeit geht, in der Himmel und Erde in ihrer kosmischen Entsprechung auch geschichtlich aufeinander bezogen sind. Auch Gott ist darin wohl nicht isoliertes Individuum, das einsam seinen Willen durchsetzt, sondern Haupt einer himmlischen Kultgemeinde, zu der die irdische Gemeinde hinzustoßen kann. Die Unterscheidung zwischen ‚Nahe-Bevorstehen‘ ‚Schon Da-Sein‘, ‚heilsleere Gegenwart‘ ‚Anbruch der Erlösung in der Gegenwart‘ dürfte kaum durchzuführen sein. Der Täufer kündet ja auch nicht nur den Zorn als vor der Tür stehend, die Vorbereitungen zum Gericht als himmlisch abgeschlossen an, sondern er hat, als Beerber des Kultbetriebs, den apotropäischen Kultakt der Taufe bereit, der Vergebung der Sünden und Reue bewirkt, also eine Heilsgabe in die Gegenwart stellt.

Zu fragen wäre allenfalls, ob es einen begründbaren Unterschied gibt zwischen der Vision des Exorzisten und der des ‚bloßen‘ Offenbarungsmittlers: Bei diesem läge das Schwergewicht in der legitimierenden Verbindung von Vision und Botschaft, während bei jenem das besondere exorzistische Wissen, oder gar die Gewinnung einer himmlischen Gestalt, mit dem Himmlischen zu tun hätte. Vermutlich ist auch diese Unterscheidung zu eng gefasst: Die ‚theoretische‘ Mystik des Judentums hat neben sich immer die ‚praktische‘ Theurgie gehabt. Jedenfalls ist Müllers alleiniger Rückgriff auf die klassischen Propheten einseitig.

Religionsgeschichtlich weist Müller darauf hin, dass Jesu Kontakt zur himmlischen Welt Grundlage zu sein scheint für seine präsentisch-eschatologische Verkündigung und sein antidämonisches Wirken.

Im Hinblick auf die bei Müller nur schwach angedeuteten christologischen Konsequenzen ist nochmals auf Lohmeyers Programmschrift „Kultus und Evangelium“ einzugehen. Wie die βασιλεία-Verkündigung Jesu ganz den kultischen Gedanken der Theokratie in seiner eschatologischen Vollendung sehe, so stehe Jesus als Kämpfer gegen Sünde, Tod und Teufel in der Aufgabe, die im Kultus betont der Priester, zumal der Hohepriester, wahrnehme.78 Christologisch liege die eschatologische Überbietung des kultischen Kampfes gegen Sünde, Tod und Teufel deshalb in Jesu ἐξουσία, weil in ihm der himmlische ‚Menschensohn‘ wirke.79 „Er ist darum der eschatologische Herr dieses Tempels, ist es als König und Hoherpriester zugleich, wie ihn schon die Vision des Daniel in solcher doppelten Würde zeigt.“80 Jesus als himmlischer Menschensohn ist daher nach Lohmeyer eine Art himmlischer Hoherpriester: Im Tun des Menschensohnes auf Erden liege die himmlische Sphäre eingebunden.81 Der Menschensohn als ‚Heiliger Gottes‘ und eschatologischer Hoherpriester sei Neustifter der eschatologischen Heiligkeit und der eschatologischen Gemeinde Gottes.82 Als solcher wirke er auch gegen die Dämonen, die mit Krankheit und Sünde behaften.83 „Er befreit nicht nur von Sünde und Unreinheit, sondern bannt seinem Anspruch nach Krankheit und Not, Bedrückung und Tod, die dem Charakter der Heiligkeit widerstreben, aus dem ihm anvertrauten Volke und Lande.“84 In Jesu Wirksamkeit verbinde sich so das irdische Tun des Exorzisten mit dem himmlischen des Menschensohns. Jesu Beziehung zum eschatologischen Menschensohn gebe seinem Wirken eine zweifache Bedeutung: eine geschichtlich-irdische und eine himmlisch-eschatologische.85 „Um aber den Kultus zu vernichten und zu überwinden, bedarf es eines anderen Standortes und einer anderen als der überkommenen Heiligkeit. Der Ort, auf dem der Vollender steht, der zugleich der Zerstörer ist, liegt außerhalb der Geschichte …“86 So sei die Menschensohn-Christologie der Ansatz der Jesustradition, Jesus mit dem Prozess der Himmel und Erde umfassenden eschatologischen Vollendung zu verbinden. Dabei ist bei Lohmeyer nicht ganz klar, wie und ob der irdische Jesus sich auf den himmlischen Menschensohn bezogen habe. Letztlich steht hinter dieser als Thesenreihe klaren Position auch beim späten Lohmeyer noch das liberale Jesusbild des von den Tora-Regeln zur sittlichen Freiheit entbundenen Handelns der Liebe.87

Beachtenswert und als Anknüpfungspunkt für unsere Arbeit grundlegend bleiben Lohmeyers aus seiner kultgeschichtlichen Betrachtung erwachsene Thesen zur Menschensohn-Christologie und zu Jesu priesterlich-messianischem Wirken. Er wirkt als exorzistischer Kämpfer gegen die dämonischen Kräfte von Sünde, Tod und Teufel. Nach der beginnenden Auswertung der Qumran-Funde hat G. Friedrich88 den Ansatz Lohmeyers aufgenommen. Allerdings beschränkt Friedrich sich auf eine Untersuchung der Wirksamkeit der Hochpriesterchristologie des Urchristentums bei den synoptischen Evangelisten, lässt also offen, ob seine Ergebnisse über die redaktionsgeschichtliche Frage hinaus einen Beitrag zur Darstellung des irdischen Jesus geben können. Dennoch weist Friedrich, die Ansätze Lohmeyers verstärkend, auf die entscheidenden Punkte, von denen her die kultgeschichtliche Betrachtung zu einem klareren Bild des irdischen Jesus vorstoßen kann: Grundlegend sind für Friedrich – im ausdrücklichen Anschluss an K.L. Schmidt89 – die Dämonengeschichten. Jesus sei Exorzist, in Aufnahme der klassischen Priesterfunktion, nämlich der Bekämpfung des dämonischen Einflusses auf den Menschen in Unreinheit, Krankheit und Sünde.90 Dabei gelte: „Jesus ist für ihn (scil. den Geist des Besessenen) nicht irgendein Zauberer, sondern der eschatologische Bezwinger der dämonischen Mächte, der über die bösen Geister Vollmacht hat.“91 Friedrich weist damit indirekt auf die Notwendigkeit, vom kultgeschichtlichen Ansatz her die antidämonische Macht der Priester im Gegenüber zu den von der Institution ‚Kult‘ unabhängigen Formen ‚Magie‘ oder ‚Zauber‘ zu bestimmen. Die alte Sohn-Gottes-Christologie bezieht sich nach Friedrich auf diesen priesterlich-messianischen, antidämonischen Kontext.92 Ebenfalls in den Bahnen der älteren kultgeschichtlichen Betrachtung steht Friedrichs Versuch, Jesu Taufe vom Taufverständnis des Urchristentum als Einführung in den Priesterstand zu verstehen.93 Jesu Taufe sei Weihe zum eschatologischen Hohenpriester; der Geistbesitz sei Salbungsgabe an den eschatologischen Hohenpriester, der so den Dämonen in der Versuchung wirksam widerstehen und das eschatologische Erlassjahr der Befreiung aller ‚Bessessenen‘ ausrufen könne.94 In Anknüpfung an Lohmeyer deutet Friedrich schließlich den Themenkomplex ‚Jesus und der Tempel‘ als Kampf des eschatologischen Hohenpriesters um den Gottesdienst der Endzeit. Christologisch stehe hier der Priestermessias gegen den Anspruch, davidische Tradition erfüllen zu müssen.95 Die Menschensohn-Christologie trennt Friedrich deutlicher als Lohmeyer vom Ansatz der Priestermessianität, obgleich in der Leidenslehre des Johannesevangeliums und des Hebräerbriefes diese Verbindung ausdrücklich gezogen zu sein scheint.

Dass die Gestalt des Hohenpriesters in Traditionen des frühen Judentums messianisch geprägt wurde, gibt für W. Grundmann – im Gegenüber zur klassischen These vom hellenistischen Ursprung – den traditionsgeschichtlichen Anknüpfungspunkt für die Sohn-Christologie der Synoptiker.96 Grundlage sind vor allem TLevi Kapp. 4 und 18, sowie TJuda Kap. 21. Der Hohepriester ist himmlischer Kultdiener und steht im Gegenüber zu Juda in der Würde des himmlischen Königtums; ihm ist geöffnet der Zugang zur himmlisch-eschatologischen Seinsweise der sündlosen Paradiesexistenz.97

Ganz deutlich weist Grundmann darauf hin, dass der Zugang zum himmlischen Königtum und die damit verbundene Sohnes-Christologie erst vor dem Hintergrund der Hochpriester-Lehre ihre Bedeutung gewinnt. Allerdings will Grundmann – mit Jeremias98 – den traditionsgeschichtlichen Zugang zu diesem Komplex in der παῖς-Lehre sehen.99 Die alte Vater-Sohn-Lehre Jesu reduziert Grundmann mit W. Manson auf einen Ausdruck Jesu „persönlichen, religiösen Bewusstseins“.100 Die Gottesknecht-Christologie gehe auf den Irdischen zurück. Da auch der Gottesknecht im Judentum als messianischer Hoherpriester verstanden werden konnte, bezeugten die Evangelien „… die Ineinssetzung von Gottessohn und Gottesknecht, und zwar auf der Grundlage des Nenners ‚messianischer Hoherpriester‘“.101

Diese etwas mathematisch errechnete traditionsgeschichtliche Entwicklung – Sohnbewusstsein, Weg als Gottesknecht und Menschensohn, Umsetzung der Gottesknecht-Lehre, unter Einwirkung der Tradition vom messianischen Hohenpriester als Sohn, zur Sohn-Lehre – würde plausibler, wenn der innere Zusammenhang deutlicher aufgewiesen werden könnte. Dies kann nur so geschehen, dass man die Implikationen der Sohn-Lehre bei Jesus ernstnimmt: Mit ihr ist ein Zugang zum Vater umschrieben, ein direktes Treten in seine heilige Nähe. Dies ist aber auch das Grundanliegen der Hochpriestertradition, die diesen als Intimus Gottes zeichnet. So ist zu fragen, ob die Sohn-Lehre nicht von Anfang die Zugangsberechtigung zur heiligen, himmlischen Nähe Gottes meint und an sich schon immer am Modell der Gottesbegegnung des Hohenpriesters orientiert ist.

In den Arbeiten von Lohmeyer und Friedrich klingt die Frage nach dem Verhältnis von Kultus und πρᾶξις an. Der Kultus ist die öffentliche Institution, welche die Welt verwaltet; dazu gehört auch der Hintergrundsbereich der Welt, biblisch gesprochen der himmlische Teil der Schöpfung. Seit Thompson102 und Mowinckel103 ist es zum Gemeingut der Forschung geworden, das Funktionieren des Kultus vor dem Hintergrund eines ‚magischen‘ Weltbildes zu sehen: Der Kultus regelt das Beziehungsfeld, in dem alles Sein miteinander verbunden ist, im Sinne einer ‚positiven‘ Ordnung. Kultus ist so Ausdruck und Garant einer guten kosmischen und sozialen Ordnung. Der kultisch-rituelle Vollzug bedeutet eine ontologisch wirksame Größe, die negative Schadenskräfte bannt und durch Reaktivierung der Schöpfungsordnung Heil mehrt.104 Auch die Entsühnung, als eine im Alten Orient grundlegende Funktion des Kultes, beruht auf der von der den Kult schützenden obersten Gottheit geschaffenen Möglichkeit, durch rituellen Vollzug Schadenskräfte, welche Unreinheit und Sünde auf Menschen bringen, zurückzuweisen.105

Religionsgeschichtlich scheint der Kult als öffentliche Ordnungsinstitution auf einen Schamanismus zurückzugehen, dessen Wirksamkeit man auch im Bereich des Vorderen Orient und in der biblischen Tradition meint nachweisen zu können.106 Andererseits wird Kultus offenbar ständig begleitet von mehr ‚privateren‘ Formen, die in den vom Kultus verwalteten Bereich eingreifen und sich dem Verdacht der ‚Magie‘ aussetzen.107 Die auch magisch, d. h. auch außerhalb des Kultus, verwendbare Macht des Kultus liegt in der in ihm gehüteten Tradition über das Geheimnis der Schöpfung, ‚was sie im Innersten zusammenhält‘. Vor allem der heilige Name der Gottheit, die Kenntnis dessen, wie sie die Schöpfung geordnet und Himmlisches und Irdisches aufeinander bezogen hat, bilden das Kultgeheimnis. Der Kultus partizipiert so an der gebietenden Schöpfungsmacht der den Kultus haltenden Gottheit.108

Wenn Jesus außerhalb des offiziellen jüdischen Kultus auf die Ebene des himmlischen Schöpfungshintergrundes vorstößt – dies tut er als Exorzist, Bekämpfer von Sünde, Tod und Teufel und in dem von Jeremias als Anspruch auf Weltvollendung umrissenen Zusammenhang –, kommt die diesen Anspruch haltende Christologie in das Kraftfeld der Auseinandersetzung von Kultus und Magie zu stehen. Wenn Jesus von den Dämonen der ‚Heilige Gottes‘ genannt wird, so führt dies vor die Frage, ob er eine Hochpriester-ähnliche Gestalt ist, die in einer eschatologischen und von Gott legitimierten Weise am irdischen Kult vorbei sich vom himmlischen Schöpfungshintergrund aus in die irdischen Dinge einmischt; oder ob er Magier ist, der das Kultgeheimnis unlegitimiert missbraucht.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich mit einer gewissen Notwendigkeit das von M. Smith angeschlagene Thema „Jesus the Magician“.109 Wie der kultgeschichtlichen Betrachtung in der Linie Deissmann/Bertram/K.L. Schmidt/Lohmeyer geht es Smith um einen einheitlichen Ansatz der neutestamentlichen Traditionsbildung, die in ihren wesentlichen Elementen auf den irdischen Jesus zurückgehe. Dazu gehören nach Smith die das Gemeindeleben in seiner ‚vertikalen‘ Ausrichtung bestimmenden Sakramente Taufe und Abendmahl samt ihrer Grundinterpretation. Ferner die Christologie, in der Jesu sich als himmlisches Wesen sehe. Hintergrund für diesen einheitlichen Ansatz ist Smith Rekurs auf das ‚magische‘ Weltbild, welches in Palästina und allgemein im hellenistischen Raum grundlegend sei und religiös ähnliche Ausdrucksformen suche, so dass für Smith Zauberpapyri und Zaubermystik des Judentums (Sefer Ha-Razim) aus motivgeschichtlichen Gründen nebeneinander stehen.

Mit den älteren ‚Kultgeschichtlern‘ verbindet Smith auch der antiliberale Impetus bei der Rekonstruktion einer Christologie schon des irdischen Jesus: „Moreover, the fundamental antithesis, that between ‚the Christ of faith‘ as a mythological figure and ‚the Jesus of history‘ as preacher free of mythological presuppositions, is anachronistic. Where in ancient Palestine would one find a man whose understanding of the world and of himself was not mythological?“110

Im Rahmen eines mythologischen Weltbildes, das wesentlich auf ein Reich himmlischer Zwischenwesen zugeordnet sei, trete Jesus als Wundertäter auf. Gegen die liberale Forschung gilt nach Smith, dass die Wunder, nicht die Lehre Jesu das Ursprüngliche sind. Die Lehre sei bei Jesus esoterische Belehrung des Magiers, während das gesamte halachische Material sekundär in die Jesustradition gekommen sei.111 Jesus sei von Haus unnomistisch; seine Wirksamkeit als Magier gipfele in der sakramental bewirkten Befreiung vom Gesetz. Die Taufe sei bei Jesus geheimer Ritus eines ekstatisch-visionären Eingangs in die himmlische βασιλεία, in der die Tora nicht gelte und von der der Aufsteigende somit befreit werde.112 Das Abendmahl bewirke magische Vereinigung der Teilnehmer mit dem Kultgott, mit dem der Magier sich identifiziere.113 Das Johannesevangelium enthalte wahrscheinlich in Sprüchen der Abschiedsreden über ‚Liebe‘ und ‚Einheit‘ esoterische Abendmahlsworte des Kultstifters.114 Die Vollmacht des Magiers bestehe in dem von ihm kontrollierten Umgang mit der Geisterwelt. Hierin, in der Spannung von Geistbesitz und Besessenheit, liege von Anfang an der Ausgangspunkt für Auseinandersetzungen, die sein Wirken als dämonische Besessenheit eines Magiers oder als theologisch legitime Begabung mit dem Gottesgeist deuten.115

Grundlage ist für Smith auf alle Fälle die magische Kategorie der Vergottung durch Gewinnung eines göttlichen Geistes als πάρεδρος, wie sie die Tauf- und Versuchungsgeschichte andeuten würden.116 Aus der frühen christlichen Tradition einer exorzistischen Benutzung des Jesusnamens werde deutlich: „Such use of the name of course depends on the supposition that the person named is a supernatural power. We have here another form of the notion of Jesus presupposed by the exorcism stories – the notion that he is, or is united with, a supernatural being, so that even his name is a power.“117

Als solches Wesen, das sich zu den κρείττονα γένη gehörig wisse, sei Jesus θεῖος, υἱὸς θεοῦ, θεός, hebr./aram. gehöre er zu den בני אלהים, sei im Sinne apokalyptischer Mythologie himmlischer בר נשא. Wie das geheime Taufsakrament nach Smith magisch eine halluzinatorische Himmelsreise erschließe, so sei Jesus selbst in seinem Geistbesitz/seiner Besessenheit zum magisch-ekstatischen Umgang mit der himmlischen Welt befähigt; diese historische Tatsache spreche noch aus den Überlieferungen des Joh.ev. (3,13), aus dem Hymnus Phil 2,5-11 und aus 2. Kor 12,2-5. „Jesus appears in the gospels as one who knows the world of spirits. This was the age old claim of the goetes, and shamans were also famous for their ascents into the heavens. It was also the claim of the Jewish magician who put together The Book of Secrets (SHR).“118 Die nachösterliche Verehrung des Auferstandenen und Erhöhten bedeute eine Fortsetzung des halluzinatorischen Umgangs der Jünger mit ihrem nun ganz in die Welt des πνεῦμα eingegangenen Meisters, also eine Fortsetzung der spirituellen Übungen, die sie der Irdische gelehrt habe.119

Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Smith ist hier nicht möglich.120 Smiths Arbeiten markieren u. a. den extremen Endpunkt einer einheitlich-kultgeschichtlichen Betrachtung der Jesus-Tradition und des Neuen Testaments. Die himmlische Dimension, die für das kultische Weltempfinden so charakteristisch ist, erschlösse sich nicht erst der Kultfrömmigkeit der Gemeinde, sondern schon der irdische Jesus verstände sich als himmlisches Wesen, insofern er sich und seinen Jüngern magisch-rituellen Zugang zum Himmel verschaffte. Der Kultgott, der als himmlisches Wesen das Sakrament stifte, sei der irdische Jesus.

Damit ist deutlich, dass Smith Jesus radikal hellenisiert, ja paganisiert: Das sakramentale Denken hellenistischer Magie hätte auch Jesus erreicht. Damit wird Jesus ganz von der jüdischen Tradition getrennt, mit Teilen von ihr – so mit der häufiger erwähnten Zauberschrift ‚Buch der Geheimnisse‘121 – insofern zu vergleichen, als sich auch hier das heidnisch-magische Denken zeige.

Damit ist die einheitlich-kultgeschichtliche Betrachtung von ihrem hellenistischen Ende her durchgeführt. Diese Lösung ist historisch sehr unwahrscheinlich. Denn das Thema ‚Reich Gottes‘ und der Kampf gegen ‚Sünde, Tod und Teufel‘ markieren Bindungen Jesu an die Kulttradition des Judentums. Der Himmel, zu dem die βασιλεία in enger Beziehung steht, ist nicht das heidnische Pantheon, sondern der Bereich der heiligen Nähe des Gottes Israels. Nicht Liberalismus, sondern eine eschatologische Befähigung, dem heiligen Willen Gottes ohne Tora genügen zu können, sind hier Zielpunkte. Man kann den Zugang zum Himmel, sofern man darin einen inneren Kern der Botschaft Jesu sehen will, nicht an der Apokalyptik vorbei religionsgeschichtlich bestimmen.

Die in der übrigen kultgeschichtlichen Forschung angedeutete Richtung, Jesu Vollmacht aus einer eschatologischen und ins Himmlische reichenden Vollendung des jüdischen Kultes, Jesus als himmlisch-eschatologischen Hohenpriester zu sehen, hat die historische Wahrscheinlichkeit auf ihrer Seite.

Jesus und die himmlische Welt

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