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I) Die Kultordnung des Himmels und die eschatologische Verklärung des Zion nach 1Hen

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Die Verklärungstradition begegnet im vermutlich ältesten Teil1 des 1Hen, dem angelologischen Buch (Kapp. 6-36), in zwei parallelen Entwürfen: 24f. beginnt mit Henochs Schau des inmitten prächtiger, überirdischer Berge stehenden göttlichen Thronberges (24,3).2 Bei ihm sind wohlriechende Bäume und unter ihnen ein besonderer (24,3f.).3 Henoch erfährt, dass Gott auf diesem Thronberg sitzen wird, wenn er herabkommt, die Erde mit Gutem heimzusuchen (25,3). Das Gut dieser göttlichen Katabasis besteht in der Übergabe des Lebensbaumes an die Auserwählten (25,3-5). Der Lebensbaum wird an den Zion verpflanzt werden.4 „Dann werden sie sich überaus freuen und in das Heiligtum eingehen (Knibb: „will be glad in the holy place“), indem sein Duft ihre Gebeine erfüllt. Sie werden ein längeres (eth.: langes) Leben auf Erden führen als das, welches deine Väter geführt haben …“ (25,6). Die apokalyptische Vision und die Deutung des Engels enthüllen einen Heilszustand, wie er traditionell von der Zionstheologie beschrieben wird und den vor allem Tritojesaja als eschatologische Wirklichkeit ankündigte: Der Zion ist der Ort, an dem Gott thronen wird und von dem das kultisch vermittelte, gesegnete Leben sowie die Verfluchung der Sünder ausgehen werden.5 Göttliche Katabasis und Verpflanzung des paradiesischen Lebensbaumes werden die jetzt visionär enthüllte himmlische Perspektive des Zion real werden lassen.

Vergleicht man 1Hen 24f. mit der spätprophetischen Zionseschatologie, so sieht man, dass der Apokalyptiker beim himmlischen Hintergrund der traditionellen Kulttheologie ansetzt. Der Sprung in die Zukunft geschieht mittels eines Rückgriffs auf das himmlische Geheimnis des Zion. Er ist Thronsitz des himmlischen Königs und Ausgangsort gesegneten Lebens.6 Dieses Hindurchdringen auf das himmlische Geheimnis und der Vorgriff auf die eschatologische Erfüllung implizieren eine Kritik am nachexilischen Kult als einem theologisch missglückten Unternehmen, wie dann deutlich in der Tierapokalypse (89,73) ausgesprochen. Das apokalyptische Kultwissen nimmt offenbar den alten priesterlichen Grundsatz der Priorität des himmlischen Teils der Schöpfung (Gen 1,1) ernst. Deshalb wird der traditionelle Anspruch des Zionskultes, vom göttlichen Herrn und seiner Präsenz aus Leben und Gerechtigkeit zuzusprechen,7 am himmlischen Hintergrund des Kultes festgemacht. Von ihm her scheint der irdische Zion als ersatzbedürftig. Am Ende der Zeiten wird er seiner himmlischen Bestimmung entsprechend verklärt. Er bedarf der Katabasis, der Verpflanzung, der Verklärung. Gegenwärtig ist zugänglich das visionär vermittelte Wissen darum, dass eine die heilsgeschichtliche Bestimmung des Zion tragende himmlische Wirklichkeit verlässlich gegeben ist. Dieser Prozess des betonten und ausgeformten Rückgriffs auf die himmlische Verankerung und des daraus entstehenden Vorausverweisens auf die eschatologische Erfüllung markiert die eigentlich apokalyptische Umsetzung priesterlichen Wissens.8 Es ist deshalb dem Inhalt und dem Sitz im Leben9 dieser Kultapokalyptik angemessen, dass der Apokalyptiker am Ende des visionären Durchgangs einstimmt in den Lobpreis des Herrn der Herrlichkeit: Er hat die Zionsherrlichkeit und den vom Zion ausgehenden Segen als Geheimnis seiner Schöpfung zubereitet.10

26-36 bringen in einer Art Dublette eine weitere Enthüllung des himmlischen Geheimnisses des Zion. Augenfällige Zionsattribute werden zur Bezeichnung des geschauten Ortes genannt: Mittelpunkt der Erde (26,1)11, Ort, von dem Segen und Fruchtbarkeit ausgehen (26,1f.)12, heiliger Berg (26,2)13. Diese kosmisch-kultischen Zionsattribute begegnen im Rahmen einer visionären Beschreibung der Jerusalemer Topographie.14 Der Deuteengel enthüllt, dass das Kidrontal Aufbewahrungsort der Sünder bis zum Gericht ist (27,2). So werden sich in den Tagen des Gerichtes die Gott preisende Gemeinde der Erwählten, die Gerechten, die Erbarmung fanden, und die vom Gotteslob Ausgeschlossenen gegenüberstehen (27,3). Der Zion ist Ort des Lebens und des Gerichtes, ja Paradies und Scheol sind jetzt schon mit dem Zion geheimnisvoll verbunden.15

Die folgenden Kapp. 28-36 zeigen die Auswirkungen der eschatologischen und himmlisch-irdischen Segenskraft des verklärten Zion auf die um Jerusalem herum liegenden Wüstengegenden: Sie haben Wasser und Fruchtbarkeit im Überfluss und bringen die edelsten Gewächse hervor (28f.).16 Die vom Zion ausgehende Segens- und Lebenskraft steht in Verbindung17 mit der Fruchtbarkeit und dem ewigen Leben im Garten der Gerechtigkeit. Unter den vom Seher geschauten Gewächsen dieses Gartens befindet sich der Baum der Weisheit, von dessen Frucht die Heiligen essen. Als Adam und Eva von diesem Paradiesbaum aßen, mussten sie den Garten verlassen, denn sie erkannten nun ihre Nacktheit und verloren dadurch das engelmäßige Leben ohne Geschlechtlichkeit. Hier klingt ein Thema an, das zur Erwartung der Verklärung des Zion und der erwählten Zionsbürgerschaft gehört: die Rückkehr zur Gemeinschaft mit den Engeln und die Realisierung engelähnlichen Lebens.18

Bezeichnend ist, dass diese augenscheinlich eschatologisch bedeutsamen Enthüllungen nahtlos zusammenstehen mit kosmischen Enthüllungen astronomischer und meteorologischer Geheimnisse (33-36). Offenbar handelt es sich überhaupt nur um einen Bereich des weisheitlichen Wissens: apokalyptisches Wissen ist hier Wissen um Schöpfungsgeheimnisse. Das traditionelle kultische Wissen um die Schöpfungsordnung dehnt der Visionär aus auf alle räumlichen Bereiche der Schöpfung, die für Leben und Tod, Segen und Gericht, Verklärung der Kultgemeinde des himmlischen Königs und Verdammung der Sünder entscheidend sind. Entsprechend steht auch am Ende dieses Durchgangs der abschließende Segensspruch: „Als ich (es) sah, pries ich (ihn), und zu jeder Zeit preise ich den Herrn der Herrlichkeit, der die großen und herrlichen Wunder(werke) geschaffen hat, um die Größe seines Werkes seinen Engeln und den Seelen der Menschen zu zeigen, damit sie sein Werk und seine ganze Schöpfung preisen, damit sie das Werk seiner Macht sehen und seine ganze Schöpfung preisen und ihn rühmen bis in Ewigkeit.“ (36,4) Damit sind die Grundmotive dieser sakralen Zionsapokalyptik in aller Klarheit summiert: Es geht um die Schöpfungsgeheimnisse, um die geheime Schöpfungsordnung,19 von denen zu wissen Engel und Menschen eint, und die deshalb gemeinsam in das Lob des Schöpfers einstimmen können. Formgeschichtlich ist auffällig, dass die abschließenden ברכות mit den Anfängen derהודיות der Qumran-Gemeinde übereinstimmen. Das himmlische Wissen, auf das die הודיות zurückblicken,20 ist im 1Hen breit ausgeformt, während die abschließende ברכהder Loblieder ausgestaltet ist. Man hat den Eindruck, als verwiesen diese Gattungen aufeinander, so dass der gleiche Grundbestand an apokalyptischem Wissen um die Schöpfungsgeheimnisse vorliegt, jedoch einmal mehr didaktisch und im anderen Fall im Lobpreis der bereits Belehrten und Wissenden vorgetragen wird. Es ergibt sich die Frage, ob für 1Hen nicht der Zion in seiner himmlisch-eschatologischen Qualität Ort des Offenbarungsempfangs ist.

Dies scheint der Beginn des Reiseberichtes in Kap 17 anzudeuten. Henoch wird eingangs an einen Ort gebracht, „wo die dort (Befindlichen)21 wie flammendes Feuer sind, und wenn sie wollen, erscheinen sie wie Menschen.“ Ein loderndes Feuer nennt 18,8f. im Zusammenhang einer Thronvision, so dass Beeinflussung durch Ez 1,4f.13f. wahrscheinlich ist. Auch der Sturmwind zu Beginn der Vision begegnet hier wie dort. Der Berg, der bis in den Himmel reicht, erinnert an den ‚sehr hohen Berg‘, von dem aus Ezechiel das auf ihm liegende himmlische Tempelgebäude sieht (40,2ff.).22 17,1 und 17,2 hängen dann so zusammen, dass Henoch auf den Zionsberg entrückt wird bzw. auf den als himmlisches Geheimnis hinter dem Zion liegenden himmlisch-irdischen Ort. Auf dem Zion als Verbindungsort von Himmel und Erde liegt der Zugang zur heiligen Thronwelt Gottes; von hier aus erschließen sich die Schöpfungsgeheimnisse (17,3-10; 33f.), sowie die Geheimnisse der Aufbewahrungsorte in Paradies und Unterwelt.23 Der Zionsberg ist der Punkt, von dem aus sich die Erkenntnis der Schöpfungsgeheimnisse dem Visionär erschließt. Auch 14,8ff. bezeugen dies alte Offenbarungsschema: Der Apokalyptiker empfängt seine Offenbarung vom himmlischen Thron aus. I. Gruenwald sieht hierin eine traditionsgeschichtliche Abhängigkeit von der priesterlich-apokalyptischen Merkaba-Lehre Ezechiels.24

Auch die aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert stammende Tiervision (Kapp. 85-90)25 geht von diesem kultapokalyptischen Offenbarungsverständnis aus. Die rein gebliebenen, weißen Engel führen den kultisch reinen (85,3) Henoch an dem Punkt der Vision, an dem sich der Umschwung zu Gericht und Erlösung eröffnet, auf einen hohen Ort und zeigen ihm einen Turm hoch über der Erde, von dem aus alle anderen Hügel niedrig sind (87,2). Es handelt sich um den Zion als Himmelsberg, um den himmlisch-irdischen Tempel in der Gestalt des Turmes.26 Diese Symbolik wird ausdrücklich in der von diesem Berg und Turm aus anhebenden Vision mit dem Tempel in Verbindung gebracht. Zum 1. Tempel heißt es in 89,50: „Jenes Haus aber wurde groß und breit, und ein hoher und großer Turm wurde für jene Schafe gebaut, jenes Haus war niedrig, aber der Turm war ragend und hoch, und der Herr der Schafe stand auf jenem Turm, und man setzte ihm einen vollen Tisch vor.“ 89,73 heißt es vom 2. Tempel: „Da begannen sie wiederum wie zuvor zu bauen und führten jenen Turm auf, und man nannte ihn den hohen Turm; sie begannen wiederum einen Tisch vor den Turm zu stellen, aber alles Brot auf ihm war befleckt und unrein.“ Das eschatologische Haus ersetzt dann diesen nicht mehr seiner Bestimmung entsprechenden Ort. Ein neues Haus wird sichtbar, in das, als der neuen Basis der Verbindung von Himmel und Erde, der Seher nunmehr hinaufgebracht wird. Der himmlisch-irdische Kultort, der einst ganz in eine neue Verbindung von Himmel und Erde verklärt werden wird, ist der Bezugspunkt des Visionärs, seine Warte27, von der aus er Offenbarung empfängt und von der aus die eschatologischen Heilsprozesse sich entrollen. Die Zehn-Wochen-Apokalypse (93,3-10, 91,12-17)28 verweist auf die Zionsverklärung am Ende eines von Anfang an eschatologisch ausgerichteten Geschichtssummariums: Von Henoch über Noah, den Noahbund und Abraham (Pflanze der Gerechtigkeit) berührt dieser Überblick den Sinai-Bund, welcher durch die Elemente ‚Gottesvision‘29,‘Tora-Gabe‘ und Einrichtung einer ‚Einfriedung‘30 gerahmt ist. Danach nennt der Überblick sofort den salomonischen Tempelbau, bezeichnet als Bau des ‚Hauses der Herrlichkeit und Herrschaft für immer‘ (93,7). Es folgt eine Epoche der Verblendung und des Mangels an Weisheit, aus der nur Elia positiv herausragt; das Haus der Herrschaft wird verbrannt und mit ihm die auserwählte Wurzel (der Gerechtigkeit) zerstreut (93,8). In Zuspitzung des Schemas der Tiersymbolapokalypse (89,73) wird die nachexilische Restauration ganz übersprungen. In die anhaltende Epoche des nachexilischen Abfalls fällt die (gegenwärtige) eschatologische Wende: „Am Ende derselben (der 7. Woche, die durch die verfehlte nachexilische Restauration gekennzeichnet ist) werden die auserwählten Gerechten der ewigen Pflanze der Gerechtigkeit auserwählt werden, um siebenfache Belehrung über seine ganze Schöpfung zu empfangen.“ (93,10)31 Der Umschwung beginnt also als apokalyptische Belehrung der ewigen Pflanze der Gerechtigkeit, also mit einer Neu-Konstituierung der Abrahamkindschaft und der mit dem Haus der Herrschaft verbundenen Wurzel.32 Danach hebt die Zeit der Gerechtigkeit an, in der die Ungerechten und Sünder beseitigt werden (91,12). Am Ende der Zeit der Gerechtigkeit werden die Auserwählten Häuser erwerben und „das Haus des großen Königs wird in Herrlichkeit für immer gebaut werden.“ (91,13)33 Das apokalyptische Wissen als Gabe am Beginn der eschatologischen Zeiten zielt auf die Beseitigung der Ungerechtigkeit und Sünde und wird so selbst zur Voraussetzung des Tempelbaus und seiner eschatologischen Segnungen für eine in einem sündlosen Land wohnende Bürgerschaft.34 Von der Erfüllung der im 1. Tempel angedeuteten, im 2. ganz verfehlten himmlischen Bestimmung des Kultes aus vollzieht sich der Ausblick auf das ewige Ende der Heilsgeschichte: Die ganze Menschheit schaut auf die Zionsherrlichkeit, so dass auf der ganzen Erde alle Gottlosigkeit verschwindet (91,14).35 Dem korrespondiert das Gericht unter den Engeln (91,15), so dass nun im Himmel und auf der Erde die Voraussetzungen gegeben sind für eine neue Schöpfung.36 Ein neuer Himmel wird mit siebenfacher Intensität des Segens37 über der Erde stehen (91,16), die in zahllosen Wochen bis in Ewigkeit ohne Sünde und ganz in Güte und Gerechtigkeit sein wird (91,17).

Die Verklärung der Schöpfung bis in den Himmel hinein geht von dem zu seiner himmlischen Bestimmung gekommenen Zion aus. Sie setzt ein als Belehrung über die Schöpfungsgeheimnisse. Das siebenfache Wissen der Apokalyptiker entspricht der siebenfachen Erleuchtung der eschatologischen Schöpfung und ist damit der erste Ausdruck des eschatologischen Umschwungs. Formal und inhaltlich gibt sich die apokalyptische Offenbarung des 1Hen auch in diesem Stück als Wissen um die geheime Ordnung der Schöpfung und damit als vom Zion ausgehendes Geheimwissen zu erkennen.

Auch die Tiervision (85-90), auf deren Offenbarungsverständnis wir oben bereits hinwiesen,38 bezieht ihren eschatologischen Zielpunkt für den Geschichtsüberblick von Adam bis in die Hasmonäerzeit aus der geschauten Verklärung des Zion. Bis zum Fall der Sterne (= Engel)39, geschildert in 86,1-3, war die Schöpfung in kultisch reiner Ordnung (85). Der Verunreinigung der Schöpfungsordnung durch die Sterne (86,4-6) steuern vier menschengestaltige, weiße, und d. h. reine Engelwesen entgegen (87). Die gefallenen Himmelssöhne werden gefesselt (88) und der verunreinigte Teil der irdischen Schöpfung der Sintflut übergeben. Die Heilsgeschichte wird fortgesetzt mit dem weißen (= reinen) Farren Noah und seinen drei weißen Genossen (Vertreter der übrigen Menschheit). Den vier reinen, menschengestaltigen Engeln, welche den himmlischen Teil der Schöpfung zur kultischen Reinheit zurückbringen,40 entsprechen die vier weißen Farren, welche den kultisch reinen Neubeginn der irdischen Schöpfung bezeichnen. Der Umschwung von der unreinen Zeit der Vermischung in die der Wiederdurchsetzung der Reinheit beginnt irdisch damit, dass Noah in ein Geheimnis eingeweiht wird (89,1). Auch bei ihm begleitet eine Art apokalyptisches Geheimwissen den heilsgeschichtlichen Umschwung. Der weitere Überblick über die Geschichte entspricht ganz der 10-Wochen-Apokalypse. Seit dem Exil untersteht Israel der Fremdherrschaft und damit auch einem ihr entsprechenden himmlischen Element (Fremdgötter, Strafengel, Dämonen [89,59]). Michael wird beauftragt, darüber zu wachen, dass die fremden Hirten nur entsprechend dem Befehl Gottes mit Israel verfahren (89,61-71). Der nachexilische Neubeginn ändert nichts an dieser Lage, weil die Neugründung des Kultbetriebs in Befleckung stecken bleibt (89,73). Mit 90,6ff. steuert die Schilderung auf die anti-hellenistische Erneuerung zu: Nicht von den blinden Kulterneuerern geht der Umschwung aus, sondern von den ‚weißen‘ Schafen, die wieder an die ‚weiße‘ Linie der Geschichte Israels anknüpfen. Michael tritt im makkabäischen Kampf als Helfer der Bedrängten auf (90,14). Bezeichnenderweise besteht seine Hilfe darin, dass der dem Böckchen (einem Makkabäerführer41) „alles“ zeigte. Darauf beginnt das Gericht über die fremden Herrscher, bzw. ihre himmlischen Entsprechungsfiguren: Die Macht geht zu den Schafen über. Zum Gericht wird der Gottesthron in dem lieblichen Land sichtbar, auf dem Zion.42 Gott thront, und Michael tritt vor ihn mit den geöffneten Gerichtsbüchern. Auf dem Zion beginnt also eine himmlisch-irdische Gerichtsszene. Wie die Tiere in den Abgrund geworfen wurden, so werden nun Hirten, Sterne und verblendete Schafe von den 7 ersten Weißen, Erzengeln, in den Abgrund geworfen, der rechts neben dem Haus ist (98,26). Hier klingt deutlich die apokalyptische Zionstopographie von 26f. an. Wie das kosmische Gericht vom Zion ausgeht, so besteht auch die Erlösung in einem Zionsereignis. Das alte Haus wird eingewickelt und zur Seite geschafft.43 Gott selbst bringt ein neues Haus, den eschatologischen Tempel, auf den Zion und wohnt selbst in ihm. In dem durch die Gottesgegenwart eschatologisch verklärten Tempel sind alle zu himmlischer Reinheit gewandelt (90,32).44 Alle Geschöpfe beten die neue Herrlichkeit am Zion an (90,30)45, ja die kultische Gottesschau wird geradezu zur Seinsform der Verklärten (90,35).46 Damit wird auch das apokalyptische Sehen nochmals in Entsprechung gesetzt zum kultischen Sehen der verklärten Gemeinde. In dieser schon endzeitlichen, auf dem verklärten Zion wohnenden, reinen Priestergemeinde wird der Messias geboren, als weißer Farre (90,37: es handelt sich um einen Rückgriff auf die Urzeit, vgl. 85-89,10), in dessen kultisch reine Gestalt sich alle Geschlechter verwandeln (90,38). Die Geschichte kehrt zurück aus der sündhaften Unordnung an ihren reinen und kultisch geordneten Anfang. Bemerkenswert ist der Hinweis auf die messianische Figur. Es ist wohl kaum ein davidischer Messias, sondern eher eine der kultischen, weißen Linie entstammende, priesterliche Erlöser-Gestalt. Ihre Aufgabe ist auch nicht der kriegerische Kampf gegen die Feinde, sondern er ist Anführer der Verklärung. Die Reinheit seiner Gestalt bewirkt, dass seine Gemeinde an seiner Reinheit teilbekommt.

Die Verklärung der Zionsgemeinde ist schließlich auch Hauptmotiv der Bilderreden (37-71).47 Kap. 38 nennt das Thema der ersten Bilderrede und der dann visionär erschlossenen Antworten: Es geht um das Sichtbarwerden der Gemeinde der Gerechten und um die Bestrafung der Sünder. Der Gerechte erscheint vor den Gerechten, wobei das Licht über ihnen leuchten wird, ja, das leuchtende Antlitz der Gerechten, das durch das Zionslicht48 geradezu mit himmlischer Qualität scheint, wird die Sünder wegtreiben, weil sie dieses Licht nicht aushalten können. Kap. 39 führt das in 38 Genannte visionär aus: Henoch schaut die Wohnungen der Gerechten und die Lagerstätte der Heiligen. Es handelt sich um die himmlische Gemeinde der verstorbenen Gerechten, die bei den Engeln, den Heiligen, wohnen und mit ihnen eine Gemeinde bilden (39,4-5). Sie sind die Fürsprecher der irdischen Gemeinde und begleiten ihr irdisches Geschick mit Gebeten. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit bilden ihre himmlische Sphäre und sind geradezu Attribute ihrer himmlischen Herrlichkeit (39,5). Was der Kultus der irdischen Gemeinde je und je darbietet,49 ist in der himmlischen Lagerstatt immerwährende Wirklichkeit. Dem Bild der himmlischen Gemeinde, die am Ende der Tage auf dem verklärten Zion sichtbar werden wird, entspricht das Bild von dem Gerechten. Er wohnt direkt unter den Fittichen des Herrn der Geister, also über der Gemeinde aus Gerechten und Engeln (39,6f.). Das Erstrahlen himmlischen Lichtes, von dem in Kap. 38 in Bezug auf die verklärte Zionsgemeinde die Rede war, wird nun als Auszeichnung der zum himmlischen Gottesdienst versammelten Gemeinde gedeutet (39,7). Strukturell stößt man hier besonders deutlich auf den offenbar grundlegenden Dreischritt apokalyptischen Wissens: Kultmotiv, himmlischer Hintergrund, eschatologische Verklärung. Der himmlische Lobpreis ist die besondere Daseinsform der Engel und Gerechten (39,7). Kap. 38 benennt also den Zustand, an dem auch irdisch der im Kultus stets als Geheimnis gewusste, aber bis jetzt nur im Himmel verwirklichte Glanz der Schekina sichtbar werden wird. Wie der Farre in der Tiersymbolapokalypse, so ist hier der Gerechte, bzw. der Auserwählte der Gerechtigkeit, inklusiver Repräsentant der Gemeinde der Endzeit. Er ist jetzt im Himmel eine Art himmlischer Kultleiter, der über den verstorbenen Gerechten, aber auch über den Engeln steht.50 Das Geheimnis dieses Auserwählten der Gerechtigkeit wird hier schon für einen Moment gelüftet: Der Seher Henoch hat Verlangen nach der geschauten himmlischen Wohnung der Gerechten und Heiligen; denn er weiß, dass hier der Ort ist, der ihm schon früher vom Herrn der Geister zugewiesen wurde. So mischt er sich ein in den himmlischen Chor und zitiert das den Engeln obliegende Trishagion. Er hat sein Wissen als einer, der jetzt schon Zugang zur himmlischen Gemeinde hat und damit auch in den Bereich des Auserwählten der Gerechtigkeit gehört. Damit enthüllt 39 visionär, was die Einleitungsrede Kap. 37 voraussetzt: Henoch trägt seine Weisheitsrede vor dem Herrn der Geister vor, also im Zusammenhang einer kultischen Gegenwart Gottes. Als kultische Rede ist sie ausdrücklich ein Generationen verbindendes Sprechen. Urvater und Nachkommen sind verbunden, wenn das Wort ergeht, das vor dem Herrn der Geister vorgetragen wird.51 Diese Generationen verbindende und kosmische Ordnung ausdrückende Rede bedarf aber einer besonderen Legitimation. Wer diese Worte bringt, mit ihnen vom gegenwärtigen Herrn der Geister aus spricht, ist mehr als ein dem gegenwärtigen Geschlecht entsprechender Mensch. Dem Urvater Henoch ist Weisheit und das Los himmlischen Lebens beschieden (37,4). Henoch spricht also schon in Kap. 37 als Himmlischer. Kap. 39 deutet dies als Zugehörigkeit zur himmlischen Gemeinde. Apokalyptisches Wissen ergeht also im 1Hen als kultische Rede und vor dem Hintergrund einer kultisch geordneten und himmlisch gehaltenen Schöpfung.

Kap. 40 enthüllt die Rolle der Erzengel: Sie sind Fürsprecher der Menschen und bringen ihr irdisches Geschick in die Liturgie vor Gott ein. Diese Vermittlung ist unmittelbar bezogen auf das himmlische Gericht, die Verteilung des Reiches und die Zuweisung der himmlischen Wohnungen (Kap. 41). Die Verteilung des Reiches, das Anteilbekommen am Reich, ist in 41,1f. gleichbedeutend mit der Zuweisung einer himmlischen Wohnung bei den Engeln. Das Reich ist ein Reich der Verklärung. Kap. 41 macht in besonderer Weise die Nähe von apokalyptischem Wissen und Verklärungseschatologie deutlich: Die Vereinigung von Himmel und Erde ist Ziel dieser Verklärungseschatologie, ein Vorgang, den der Visionär durch seine Himmelsreise geradezu vorwegnimmt.

45,1 nennt als Thema der zweiten Bilderrede das Schicksal der Sünder. Ihre Sünde besteht im Leugnen dessen, was die apokalyptische Gemeinde ‚weiß‘: Es geht um die Wohnung der Heiligen, also den Zwischenort der verklärten, engelgleichen Gemeinde, und um Gott als den Herrn der Geister.52 Das Geschick der Sünder besteht entsprechend darin, dass sie von dem ausgeschlossen werden, was sie leugnen: Für sie gibt es keine (intramortale)53 Himmelfahrt und keine Herabkunft auf die eschatologisch verklärte Erde: „Sie werden nicht in den Himmel hinaufsteigen und auf die Erde nicht gelangen.“ Damit liegt in 1Hen 45,lf. eine lehrmäßige Zusammenfassung (wenn auch im Negativabdruck) der Erlösungslehre, die sich auch in den älteren Schichten des 1Hen abzeichnete: Die Zuversicht der apokalyptischen Gemeinde kommt aus dem Wissen um die Wohnung der Heiligen und das Verbundensein mit dem Herrn der Geister. Dieses kultspirituale Grundwissen kennen wir aus den Psalmen. Es ist die Andeutung einer Entrückung durch den Tod hindurch, die hier konsequent mit der Zionstheologie verbunden ist. Die Entrückung zur himmlischen Gemeinde ermöglicht eine intensivierte kultische Verbundenheit mit den Himmlischen, weitergehende Gemeinschaft mit der irdischen Gemeinde und die eschatologische Rückkehr auf die verklärte Zionserde.54 Das Wissen der Kultspiritualen wird vor dem Hintergrund der Zionseschatologie ausgeformt. Die Gewissheit um die Entrückung im Tod erscheint als ein Wissen um Wohnungen der heiligen, entrückten, engelgleichen Gemeinde.

Die lehrmäßige, thetische ‚Oberfläche‘ (45,1f.) wird durch 45,3ff. und die Kapp. 46ff. in zwei Schichten begründet und ausgeführt. 46,3ff. beziehen das Wissen um Wohnung, Himmelfahrt und Verklärung auf den Tag, an dem der Auserwählte auf dem Thron der Herrlichkeit sitzen wird. Die Parallelität des Anfangs in 46,3 und 46,4 legt es nahe, das Gericht als himmlisch-irdische Szene vorzustellen, anhebend gleichsam auf dem in den Himmel ragenden bzw. aus dem Himmel herausragenden Zionsthron.55 Die Wohnungen der (unter den dann Lebenden?) Auserwählten werden zahllos sein, d. h. sie werden alle auf dem Zion wohnen und dort Platz haben.56 Sie werden vereint mit der Gemeinde der himmlischen Auserwählten, indem sie sie sehen und dabei ihr Geist erstarkt. Die Verklärung vollzieht sich im Sehen und als Stärkung des Geistes.57 V. 3 beschreibt also die anabatischen Seite des Vorgangs der Verklärung, während V. 4 die katabatische Seite ausdrückt: Der Auserwählte wird in der Mitte der verklärten Gemeinde wohnen und der Zionssegen wird als ewiger Segen und himmlisches Licht von einem verwandelten Himmel aus über ihnen sein.58 In diesem Vorgang wird auch die Erde verklärt und zu einer einzigen Segensquelle. Die Zionsattribute ‚Quelle des Segens‘59, des ‚Lebens‘60, der ‚Gerechtigkeit‘61, des ‚Lichtes‘62 und der ‚göttlichen Gegenwart‘63 bilden die Grundlage des apokalyptischen Wissens. Der Zionsthronende, der Auserwählte, steht hier in einer kaum noch sichtbaren David-Nachfolge; vielmehr ist er Repräsentant der himmlischen Gerechtigkeit und damit Repräsentant Gottes und der Gemeinde der auserwählten Gerechten. Auf der verklärten Zionserde haben natürlich die Sünder keinen Platz (45,5); für sie steht das Gericht bevor, das sie von der dann verklärten Erde ausschließen wird, während die Gerechten jetzt schon von Gott gesehen werden und sie – mit Heil gesättigt – jetzt schon vor ihm stehen zum kultischen Dienst.64

Kapp. 46ff. vertiefen in verschiedenen Anläufen diese am Zion orientierte Verklärungseschatologie. 46,1 führt die 45,3 angekündigte Gerichtsszene visionär aus. Henoch sieht den Betagten und den Auserwählten mit den Attributen der himmlischen Reinheit. Der Betagte hat ein Haupt weiß wie Wolle und ‚der bei ihm‘ ein Antlitz wie das eines Menschen und zugleich anmutig wie das von einem Engel. Der bei Gott Seiende ist das Urbild der zur engelgleichen Heiligkeit verklärten Gemeinde der Gerechten. Als Repräsentant der Gemeinde ist er nach 46,3 Ursprung ihres himmlischen Wissens.65 Er steht ganz in der himmlischen Gerechtigkeit, und dieser entspricht die irdische Seite seines menschlichen Lebens in Rechtschaffenheit.66 Er ist bei Gott, um vom Zion aus die fremden Herrscher zurückzuweisen: Sie werden in die Finsternis (= Zionsferne) eingehen und nicht von den Toten auferstehen.67 V. 7 trägt nach, dass auch die innerjüdischen Opponenten, die die ‚Sterne des Himmels‘, die Glieder der apokalyptischen Gemeinde,68 richten, aus den Häusern seiner Versammlung und der Gläubigen vertrieben werden, „die da aufbewahrt sind bei dem Herrn der Geister.“ (46,8) Bei der eschatologischen Verklärung der Gemeinde wird sie von Leugnern gereinigt. Die Sünder, mögen sie sich auch zum Gottesvolk rechnen, haben nicht Anteil an der himmlischen Segnung, während für die Gerechten jetzt schon die heiligen Engel vor Gott ihre Gebete darbringen (Kap. 47). ‚Gebet‘ und ‚Blut der Gerechten‘ werden in den Tagen des Endgerichtes vor Gott ihre Wirksamkeit zeigen, in diesen Tagen (des geschichtlichen Weitergangs69) aber sorgen die himmlischen Heiligen dafür, dass Gott ‚Gebet‘ und ‚Blut der Gerechten‘ annimmt. Auch hier ist die Verklärung von Gemeinde, Himmel und Erde eine gegenwärtig verborgene Realität der kultischen Gemeinschaft der leidenden Gemeinde mit den heiligen Engeln.

Nach 48,1 haben die himmlischen Gerechten, Heiligen und Auserwählten einen ‚Brunnen der Gerechtigkeit‘ und viele ‚Brunnen der Weisheit‘. An die Zionstradition erinnern die Wasser, die die Schöpfung erquicken.70 Die Gerechten, die jetzt schon in den himmlischen, paradiesischen Teil des Zion eingegangen sind, bekommen aus diesen wunderbaren Wassern die himmlischen Gaben, die zum Wohnen im Bereich himmlischer Heiligkeit befähigen: ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Weisheit‘. Das kultisch gesegnete Leben ist für die himmlische Zionsgemeinde Wirklichkeit. Mit Kap. 50 werden die in Kapp. 48f. angedeuteten Zionsmotive zu einer Umwandlungslehre ausgeformt: „In jenen Tagen wird eine Umwandlung für die Heiligen und Auserwählten stattfinden.“ (50,1) Immerwährendes Tageslicht wird über ihnen wohnen, dazu Herrlichkeit und Ehre.71 Die Herrlichkeit der Zionsgemeinde wird die Sünder in das Unheil ausstoßen, aber diejenigen, die diese Herrlichkeit sehen und Buße tun, werden dadurch gerettet werden.72 Mit der Verklärung der dann lebenden Gemeinde der Heiligen und Auserwählten einher geht die Rückgabe der Toten aus Erde, Scheol und Hölle (51,1). Der Auserwählte, der auf dem Thron sitzt, wird die Gerechten und Heiligen unter ihnen auswählen; offenbar sind nach 51,2 auch die Heiligen und Gerechten dem Totenreich anheimgegeben und keinesfalls bereits in einen paradiesischen Zwischenzustand eingegangen. Entscheidend für unseren Zusammenhang ist jedoch, dass mit dem Thronen des Auserwählten die Verklärung der Gemeinde einhergeht: Die anderen Berge weichen furchtsam vor dem Zion zurück;73 „alle werden Engel im Himmel werden. Ihr Antlitz wird vor Freude leuchten, weil in jenen Tagen der Auserwählte sich erhoben hat, die Erde wird sich freuen, die Gerechten werden auf ihr wohnen …“ (51,4f.). Durch die Verklärung und Engelwerdung hört der jetzt bestehende, der Schöpfungsordnung nicht entsprechende Auseinanderfall von Himmel und Erde auf; die auf der Erde wohnenden Verklärten wohnen um den himmlisch-irdischen Zionsberg herum.

Die 3. Bilderrede nennt in Kap. 58 die Verklärung der auserwählten Gerechten als Ziel der eschatologischen Seligkeit. Kultische Segensfülle wird ihnen zukommen: ‚herrliches Los‘74, ‚Licht der Sonne‘75, ‚Licht ewigen Lebens‘ (V. 2f.). Ihre Lebenstage als Heilige werden kein Ende haben (V. 3). ‚Licht‘, ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Frieden‘ werden sie finden, ja der Himmel steht ihnen offen: Dort werden sie die Geheimnisse der Gerechtigkeit und das Los des Glaubens finden (V. 4f.). Freilich wird der Himmel nicht wie jetzt ein von der Erde getrennter Raum sein; indem auf der Erde die Finsternis ganz dem Licht weichen muss, so treten Himmel und Erde in eine neue, im ursprünglichen Sinne schöpfungsmäßige Beziehung zueinander. Die in aller Fülle kultisch gesegnete Erde ist der Zielort dieser zionstheologischen Apokalyptik. Nochmals wird deutlich, dass die traditionell kultische Beziehung zur himmlischen Welt, wie sie in besonderer Weise in der Zionstheologie geschichtlich ausgestaltet ist, die apokalyptische Perspektive trägt und allererst ermöglicht. Für diese Art Kultapokalyptik ist es entsprechend charakteristisch, dass in ihr die Segnungen der himmlisch verklärten Erde mit den Geheimnissen der Schöpfungsordnung zu tun haben. Das kultisch segnende Licht über der verklärten Zionsbürgerschaft ist eine Sonderform des in der Schöpfung waltenden Lichtes der Sterne und Blitze (Kap. 59). Kapp. 61ff. entfalten dann wieder im Visionsstil die in 58 in der Form des Makarismus vorangestellte, lehrmäßige Zusammenfassung. Zentralmotiv in 61,4a ist die Enthüllung der himmlisch-irdischen Gemeinschaft der dann verklärten Gemeinde: „Die Auserwählten werden anfangen bei den Auserwählten zu wohnen.“ Dazu bringen die Engel die Maße, mit denen die Geheimnisse der Gerechtigkeit und des Glaubens ergründet werden können, „damit sie (die Gerechten) sich für immer und ewig auf den Namen des Herrn der Geister stützen“ (61,3). ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Glaube‘ sind ebenso himmlische Schöpfungsgeheimnisse wie die Tiefe der Erde. Die verklärende Gemeinschaft mit den Auserwählten beginnt nach 61,1-5 mit der Offenbarung dieses himmlischen Wissens und geht hinüber in die Darstellung des himmlischen Gerichtes. Der Auserwählte wird himmlisch inthronisiert, begleitet von einer akklamierenden Anbetung durch die Himmlischen, die einstimmig, in einem Licht, in Weisheit und im Geist des Lebens geschieht. Dieser das Gericht begleitende einstimmige Lobgesang vereint Himmlische und Irdische (61,8-13).76 Auch das Bild dieser kultischen Gerichtsszene stammt aus der Zionseschatologie: Kap. 62 bringt als Ausführung zur Gerichtsszene die Aufforderung Gottes an die irdischen Könige, auf den Auserwählten zu schauen, wie er auf seinem Thron der Herrlichkeit sitzt.77 Die irdischen Herrscher müssen geradezu in das Lob Gottes und seines Auserwählten einfallen, aber sie werden von der Erde vertilgt. Nun wird der verklärte Endzustand der Gemeinschaft der irdisch-himmlischen Gemeinde aus Heiligen und Auserwählten einkehren. Die Schekina kommt mitten unter sie, und sie werden gesegnete Lebensgemeinschaft mit dem Menschensohn in Ewigkeit haben (62,14). Die verklärte Gemeinde erhält himmlische Kleider der Herrlichkeit und Reinheit. Die Einwohnung der Schekina in der verklärten Gemeinde, (Opfer-)Mahlgemeinschaft mit dem Menschensohn und Bekleidetwerden mit himmlischer ‚Dienstkleidung‘ bilden den Abschluss der zionstheologischen Verklärungslehre.

Die Eschatologie des 1Hen besteht im Zentrum also offenbar in einer apokalyptischen Ausgestaltung der Verklärungslehre, wie sie in der biblischen Tradition an der Zionserwartung hängt. Über die biblische Grundlage hinaus weist die explizite Formulierung einer Engelgestaltigkeit der verklärten Gemeinde und ihres himmlischen Repräsentanten. Schon terminologisch durchbricht 1Hen mitunter die sonst durchgehaltene Trennung von (irdischen) ‚Gerechten und Auserwählten‘ einerseits und (himmlischen) ‚Heiligen‘ andererseits.78 Damit ist deutlich, dass die normale der Schöpfungsordnung entsprechende Trennung von Mensch und Engel, himmlischer Gemeinde und irdischer Gemeinde, ja von Himmel und Erde nicht absolut gilt. Das Noahbuch nennt in 69,11 einen Grund: Die Menschen sind im Ursprung nicht anders als die Engel geschaffen worden, damit sie gerecht und rein bleiben; deswegen sollen sich die Gerechten in Engelgestalt zurückwandeln (51,4). Diese angelogische Anthropologie hat kultische Wurzeln.79 Der Himmel ist der Bereich göttlicher Heiligkeit und Reinheit; deshalb heißen die Engel ‚Heilige‘ und ‚Weiße‘ .80 Der Himmel ist für 1Hen, und wohl für das ganze antike Judentum, kultisch bebildert. Die irdische Kultgemeinde partizipiert an einem Kultort, der aus der himmlischen Heiligkeit als Sitz der Gegenwart Gottes abstrahlt. Die Teilnehmer am irdischen Kult kommen in Kontakt mit einer überirdischen, himmlischen Heiligkeit; dies ist ein gefährlicher Kontakt, sofern man als Mensch der himmlischen Heiligkeit entsprechen müsste, was man nicht kann. Daraus entsteht die Erwartung einer Verwandlung in himmlisch-engelmäßige Reinheit und Heiligkeit.

Der Kontakt zur himmlischen Heiligkeit wird zunächst brisant im Priesterdienst. Der Priester muss sich reinhalten und weiße Schutzkleidung anziehen.81 Für den Hohenpriester ist der Dienst am Versöhnungstag geradezu lebensgefährlich. Andererseits sind Schutzmaßnahmen im Grunde gewährte Anpassungen an die himmlische Reinheit. Der Priester wird durch göttliche Stiftung für seinen Dienst zugerüstet. Mal. 2,7 weiß darum, dass der Priester im Grunde מלאך Gottes ist: Die Lippen des Priesters bewahren Erkenntnis, und von seinem Munde sucht man Weisung. Auch Philo deutet Lev 16,17 als gewährte Anpassung an die himmlische Heiligkeit. Der Hohepriester muss und darf sich in einen Engel verwandeln.82 Die rabbinische Überlieferung deutet das Hinaufsteigen der Priester auf den Altarstufen als Aufstieg in den über dem Altar offenen Himmel hinein.83 Dass im Kultus die Himmlischen und damit das erste und höherwertige Glied der Schöpfung präsent ist,84 führt also einerseits zum Vorgang der Sonderung und andererseits zur Eröffnung der Möglichkeit, an der himmlischen Heiligkeit, Reinheit und Gerechtigkeit teilzubekommen. Die Vollendung dieser zweiten Möglichkeit, nämlich Glied himmlischer Reinheit, Heiligkeit und Gerechtigkeit zu werden, setzt die Überwindung aller Unreinheit, Unheiligkeit und Ungerechtigkeit voraus. Deswegen ist im 1Hen die Engelwerdung der gerechten Gemeinde an die vom Himmel ausgehende Verklärung der irdischen Schöpfung gebunden. Während der Kultus in Jerusalem durch Regression die Heiligkeit schützen musste, weiß die apokalyptische Gemeinde um die Hilfe der Himmlischen, durch welche die himmlische Reinheit und Heiligkeit gleichsam aggressiv wird und die Schöpfung in Richtung auf die Verklärung hin in Ordnung bringt.

Versucht man, von dieser kultischen Grundlage her die Engels- und Verklärungsmotive zu ordnen, so erkennt man, dass die kultische Gemeinschaft der irdischen Gemeinde und der himmlischen Engelschar das Hauptmotiv zu bilden scheint. In der Thronvision des Noah stehen die Engel und die Gerechten um den Thron Gottes (60,2). Ist in der klassischen Thronvision des Jesaja der himmlische Engelchor anwesend, so ist in 1Hen dieser die Vision einleitende Hintergrund um die Repräsentanten der irdischen Gemeinde erweitert. Entsprechend Ps 29 spricht 1Hen 36 von den großen und herrlichen Wunderwerken der Schöpfung, die die Engel und die Geister der Menschen gemeinsam erkennen und loben. Die Himmel und Erde einende Schöpfungsordnung ist das Ziel der gemeinsamen kultisch-apokalyptischen Erkenntnis und des kultischen Lobpreises der Engel und Menschen umfassenden heiligen Gemeinde.

Die kultische Grundlage der Engelgemeinschaft ist auch im Thema der Fürbitte erkennbar: Nach 39,4ff. legen die Heiligen Fürsprache für die Menschen ein. Der Kontext zeigt, dass die heiligen Engel von dem Ort aus Fürsprache halten, an dem auch die Wohnungen der Gerechten sind. Der himmlische Chor der Fürbitter besteht aus Engeln und aus verklärten Gerechten. Der irdischen Gemeinde steht nicht einfach die himmlische gegenüber, sondern beide sind dadurch vereint, dass die himmlische Gemeinde durch die Verstorbenen vergrößert wird. In 100,5 wird der Gedanke der fürbittenden Gemeinschaft so ausgedrückt, dass jeder irdische Gerechte und Heilige einen heiligen Engel als Schutzpatron bekommt, der sein Geschick bewahrt.85 Die kultische Erkenntnis-, Lobpreis- und Fürbittgemeinschaft zwischen irdischer und himmlischer Gemeinde ergibt zwangsläufig die Erwartung einer tatsächlichen Vereinigung an einem gemeinsamen Wohnort. Dieser Wohnort ist im 1Hen das Paradies, in dem die Gerechten und Auserwählten wohnen und in dem der Baum der Weisheit steht (32,2f.; 60,8). Nach 48,1f. schaut Henoch einen Brunnen der Gerechtigkeit an jenem Orte und viele Brunnen der Weisheit; daraus trinken die Glieder der himmlisch-eschatologischen Gemeinde der Gerechten, Heiligen und Auserwählten. Dieser Ort überquellenden, gesegneten Lebens liegt nach 25,4-6 am verklärten Zion. Es ist die himmlische Segensnahrung, die einst den engelähnlichen Adam im Paradies erquickte. Das Paradies ist Ort der verborgenen Schöpfungsgeheimnisse, an dem Heilige und Gerechte gemeinsam wohnen. Dies wird nach der Erwartung des 1Hen vom Zion aus zu einer Wirklichkeit der neuen Schöpfung.

Kultische Gemeinschaft mit den Himmlischen, kultische Anthropologie, die Gemeinschaft der Gerechten im Paradies und schließlich die Verklärung zur Engelgestalt vom eschatologischen Zion aus – dieses apokalyptisch ausgeformte Bild der kultisch aufeinander bezogenen Schöpfungshälften setzt voraus, dass die entscheidenden Prozesse der Sünden- und Heilsgeschichte in Korrelation von himmlischer und irdischer Ebene ablaufen, ja, dass den himmlischen Vorgängen eine Priorität zukommt. 1Hen entfaltet deshalb seit der ältesten Traditionsschicht eine Engellehre, die, ohne Gefährdung der Allmacht Gottes, sowohl Sünde als auch Erlösung der Intervention von Engeln zuschreibt.86 Die gefallenen bringen die Sünde in die Welt, indem sie die kultische Schöpfungsordnung durch Vermischung der Gattungen durcheinanderbringen. Mit dieser greuelhaften Vermischung verbunden ist die Mitteilung verbotenen himmlischen Wissens, das die Menschen magisch verwenden.87 Erlösung bedeutet von diesem Ansatz her Restituierung der kultischen Schöpfungsordnung vom Himmel aus. Es geht um Vermittlung kultischen Wissens durch die Engel, Enthüllung der himmlisch-kosmischen Bedeutung des Ritus des Versöhnungstages88 und vor allem auch um die Erwählung des Auserwählten als des Repräsentanten der Gemeinde der Gerechten zu einer Position in und über der himmlischen Engelwelt.

Nach 10,16ff. ist Michael Befreier von Sünde, Gottlosigkeit und Unreinheit. Er stellt den kultisch gesegneten, ordentlichen Zustand wieder her. Kapp. 10f. bilden eine Kurzfassung des Schemas der Erlösung durch kultisch-kosmische Neuordnung, die Segen erwirkt. 69,14ff. fügen aus dem gleichen Stratum des Noah-Buches hinzu, dass die Erlösung aus der Macht der gefallenen Engel durch Verwendung des geoffenbarten, geheimen Gottesnamens geschehen kann. Kultisches Wissen, apokalyptisch offenbart, kann vollmächtig gegen verderblichen Zauber eingesetzt werden.

12,2 deutet die Entrückung Henochs so, dass er bereits während seines Lebens in ständiger Verbindung mit den Wächtern und den Heiligen stand. 46,1ff. setzen auf der himmlischen Ebene an: Der ‚andere bei Gott‘ hat ein Antlitz wie das eines Menschen und zugleich wie das eines Engels. Der ‚andere bei Gott‘ ist zugleich menschlich und engelhaft. Bei ihm liegt jedoch keine Vermischung vor wie bei den ‚Biestern‘, die aus der Verbindung der Engel mit den Menschen hervorgegangen sind. Vielmehr ist er kultisch ganz rein. Wie die Sünde durch Verunreinigung per Vermischung zustande kommt, so die Gerechtigkeit durch ein verklärendes Wunder der Neuschöpfung.

Im Noah-Buch, in dem Henoch ganz als entrückter, himmlischer Offenbarer fungiert, wird von Noah gesagt: „Gott hat deinem Namen unter den Heiligen ewige Dauer verliehen … aus deinem Samen wird eine Quelle von zahllosen Gerechten und Heiligen immerdar hervorgehen.“ (65,12) Noahs Name ist bei den himmlischen Heiligen präsent und seine Nachkommenschaft ist eine Schar von Gerechten und Heiligen. Durch den zum Kreis der Himmlischen gehörigen, reinen Urvater weiß sich die Nachkommenschaft als ebenfalls mit dem himmlischen Ursprung der Reinheit und Heiligkeit verbunden. Die von Noah überlieferte Geburtslegende in 106f. entspricht 46,1ff: Noah wird als Kind mit Attributen engelhafter Reinheit, himmlischen Lichtes und Gotteslobes geboren.89 Henoch offenbart, dass dieses Wunderkind ‚in Ordnung‘ ist und an ihm die göttliche Macht der Neuschöpfung sichtbar wird, den Menschen zu seiner ursprünglichen, engelähnlichen Gestalt zu bringen (106,15f.). Kultische Reinheit, Wissen als Erleuchtung und himmlisches Gotteslob sind deshalb Kennzeichen der Noah-Söhne. Der engelähnliche Urstand ihres Vaters ist Anbruch einer Neuschöpfung, die auch an ihnen sichtbar wird.

Das Engelmotiv gehört also in die Grundschicht der kultischen Apokalyptik der Henochtradition. Es bestimmt, noch über die klassische Priesteranthropologie von Ps 8,6 hinausgehend, den kultisch mit der himmlischen Ordnung und dem himmlischen Wissen verbundenen Menschen als engelmäßig. Die Henoch-Gemeinde erwartet, über die Begnadigung des leidenden Menschen der Psalmen hinaus, eine Restituierung zu vollkommen gesegnetem Leben, ja für ihre Glieder eine postmortale Existenz. Diese Erhöhung der auserwählten Gerechten zu engelhaftem, verklärten Leben auf einer erneuerten Erde wird vom Zions-Berg ausgehen, an dem sich Himmel und Erde zu einer Neuschöpfung verbinden.

Damit ist auch die Rolle des Auserwählten in den Grundzügen klar: Er ist Repräsentant der himmlischen Zions-Gemeinde; an ihm ist die Neuschöpfung der kultischen Heiligkeit und Reinheit real geworden. Wie die gesamte Henoch-Tradition sich am himmlischen Urgrund des Kultes festmacht und von ihm her die eschatologische Verklärung zur Neuschöpfung erwartet, so ist die Engel-Gestaltigkeit nicht an einer irdischen hochpriesterlichen Figur festgemacht, sondern an einem zur himmlischen Welt wunderbar als Engel gehörenden Menschen. Über dem Menschensohn liegt deshalb ein neuer Glanz himmlischer Heiligkeit.

Dass die Tradenten der Henoch-Überlieferung ihr apokalyptisches Wissen in Bezug auf eine kultisch orientierte Gemeinde in einer kultisch strukturierten Schöpfung verstanden haben, zeigt die vermutlich redaktionell vorgeschaltete Einleitung Kapp. 1-5;90 durch sie erscheint die ganze Apokalypse als eine Segensrede. Die visionäre Begegnung mit Gott und seinen heiligen Engeln ist vermittelt als eine kultische Anrede. Die Segensrede hat deuteronomische Anklänge und steht formgeschichtlich in der Tradition der kultischen Begehung der Bundeserneuerung.91 Schon Ps 78,2 bezeichnet die Gegenüberstellung der Heilstaten Gottes und des Undankes Israels als משל (Ψ 77,2 παραβολή) aus der Vorzeit der Väter.92 Die Vision des Henoch kommt aus dem Bereich der himmlischen Heiligen und weist voraus auf die Theophanie des großen Heiligen (1,3). Dem entspricht die aus dem Corpus entnommene, bzw. dort entfaltete, Bezeichnung der Gemeinde als ‚auserwählte Gerechte‘ (1,1), die dereinst ganz zu Gott gehören werden (1,8; 5,7). Die Einleitung zu den Bilderreden macht deutlich, dass die Weisheitsrede des Henoch vor dem Herrn der Geister vorgetragen wird. Das apokalyptische Wissen ergeht als kultische Anrede in der Gegenwart Gottes und verbindet Urvater, Nachkommen und die eschatologische Zukunft vor dem himmlischen Hintergrund der Schöpfung. Die sie verbindende Geschichte erscheint als Darstellungsfeld einer stark an räumlichen Kategorien orientierten Betrachtung.

Wir stoßen auf ein kultisches Ordnungsdenken, welches auf dem zugewiesenen Raum aller Dinge insistiert und von der Erlangung des gehörigen Raumes das Heil erwartet. Schöpfung bedeutet räumliche Einteilung, und die die Zeit heraussetzenden Lichtvorgänge in der himmlischen Welt sind ein Durchschreiten von Räumen.93

Auch die Entschlafenen gehören zur Schöpfung und finden den ihnen zugewiesenen Ort (Kap. 22). Die Auferstehung bedeutet in diesem kultapokalyptischen Kontext Verwirklichung der Teilnahme des zu seiner schöpfungsmäßigen Urgestalt zurückkehrenden Menschen an der engelartigen Reinheit der Heiligen. Ähnliche Grundzusammenhänge zeigen auch die dem Pharisäismus zugerechneten Psalmen Salomos aus der 2. Hälfte des 1. vorchristlichen Jahrhunderts.94

Im Zentrum steht hier das Bekenntnis zur βασιλεία Gottes und zu Gottes βασιλεύς-Sein. Mit diesem Bekenntnis ist verbunden die Aussage, dass Gott es ist, der ‚mich aufstellt, hinstellt, auferweckt zur δόξα‘(2,31). Gottes Handeln am Frommen bewirkt, dass er aufgestellt wird vor ihm in Kraft und dass das Gotteslob in Ewigkeit ergeht im Gegenüber seiner Knechte (2,36f.). Man muss hier an die Auferstehung als Einfügung in den Chor der lobpreisenden Engel denken. Der Fromme, dem Gott das Haus rein erklärt (3,8), weiß, dass er auferstehen wird in unvergänglichem Licht (3,11ff.)95. Auch hier schlägt Kultspirualität durch, die aber nicht den Tempelkult, sondern häusliche Reinheit unter dem Licht der himmlischen Herrlichkeit und im Glanze der himmlisch-weißen Reinheit sieht.

Charakteristisch pharisäisch sind dann auch die Aufgaben des Messias als Davidssohn: Er wird Jerusalem reinigen (17,22ff.30) und ein heiliges Volk zusammenbringen (17,26); er ist rein von Sünden, denn Gott hat ihm den Heiligen Geist gegeben (17,36); wenn er in der Volksversammlung des heiligen und reinen Gottesvolkes Recht spricht, so gleicht er einem himmlischen Erzengel und Israel den geheiligten Völkern des Himmels (17,43). Der pharisäische Fromme sieht sich und Israel vor dem Hintergrund des himmlischen Engelreiches Gottes, an dem er jetzt bereits durch seinen heiligen Lebenswandel teilnehmen darf und der ihn unter die Erwartung der Verwandlung in die himmlische δόξα und die ζωὴ αἰώνιος stellt.

Auch die Argumentation des Paulus nach Apg 23,8 und die Jesu nach Mk 12, 18-27 stützte sich auf diesen kultapokalyptischen Grundzusammenhang. Zur Kommentierung der Taktik des Paulus in seiner Rede vor dem Synhedrion fügt Lukas in Apg 23,8 ein: "Die Sadduzäer nämlich sagen, dass es keine Auferstehung gebe und auch nicht Engel und Geist, die Pharisäer jedoch bekennen sich zu beidem.“

Die Kommentare weisen darauf hin, dass die Leugnung von Engeln den Sadduzäern nicht gut möglich sei, da der מלאך יהוהsehr wohl in der Tora begegne.96 Hat Lukas also die Sadduzäer in überzeichnendem Sinne zu radikalen Skeptikern gemacht?97

L. Finkelstein98 verweist darauf, dass die spätbiblischen und intertestamentarischen Schriften, die von der Auferstehung handeln, auch eine ausgeführte Angelologie kennen;99 während die Schriften, die über das Thema ‚Auferstehung‘ mehr oder weniger hinweggehen, auch keine ausgeführte Angelologie bezeugen.100

Nach unseren Bemerkungen zu PsSal und ihrem weiteren kultapokalyptischen Hintergrund steht fest, dass Lukas hinsichtlich der Pharisäer die Zusammenhänge richtig deutet: Die Existenz von Engeln und die Teilhabe an ihrer kultischen Reinheit ist Vorausverweis auf die Auferstehung.

Man wird an die Wirksamkeit einer besonderen Anthropologie erinnert, deren Kenntnis Lukas auch in Apg 12,15 bezeugt: zum Menschen gehört sein himmlischer Genius, ein Engel, der mit ihm eine doppelgängerische Identität hat. Auch 1Hen 100,5 bezeugt, dass die den Heiligen und Gerechten zugewiesenen heiligen Wächter-Engel sie während der Zeit ihres Todesschlafs beschützen, wohl um ihre von Dämonen und Sündenträgern nicht befleckte Identität zu wahren.

Nach Mk 12,25 setzt auch Jesus voraus, dass die Seinsweise der Auferstandenen der der Engel entspricht. Gott ist Gott der Lebendigen (Ex 3,2.6 nach Mk 12,26), also ist die Grundtatsache der Auferstehung in der Tora bezeugt; der schöpfungsmäßige Rahmen aber, in dem sich die Auferstehung vollzieht, ist durch das himmlische Reich der Engel gegeben: Wie sie werden die Auferstandenen sein, rein und sündlos, ohne Befleckung durch Geschlechtsverkehr und Nahrungsaufnahme/-ausscheidung.

Da die Tradition Jesus eine Eschatologie zuweist, die von einem inneren Zusammenhang von Auferstehung und Engelsexistenz ausgeht, entsteht daraus für uns die Frage, ob Jesus nicht an dem kultapokalyptischen Hintergrund dieser Eschatologie partizipiert; diese kennt jedenfalls nicht eine rein zukünftige Transzendenz.101 Es geht hierin vielmehr um die Enthüllung der verborgenen, himmlischen Schöpfungsdimension, an der die Gerechten und Heiligen jetzt schon Anteil haben. Die visionäre Erkenntnis mündet nicht zuerst in der Bitte um raschen Vollzug, sondern in der Beracha des Herrn der wohlgeordneten Schöpfungsdimensionen (1Hen 22,14). Jesu Naherwartung der βασιλεία sprengt darum jeden Rahmen einer rein zeitlichen Verrechnung, weil sie wie die Kultapokalyptik in der Grundlage getragen ist von der Einsicht in die himmlische Dimension des Schöpfungsgeheimnisses. Die himmlische Dimension der Schöpfung, in der die βασιλεία Gottes um seinen heiligen Thron herum Wirklichkeit ist, reißt Jesus als die die Gegenwart bestimmende Kraft auf. Dies setzt voraus, dass diese himmlische Dimension ihm zugänglich ist, ja er zu ihr gehört. Sein Wirken in Tat und Wort vollzieht sich aus der himmlischen βασιλεία heraus und bezieht den irdischen Ort seiner Gegenwart in sie hinein. Er bringt ihre Reinheit und Sündlosigkeit, ihre lebensschaffenden Segenskräfte in den irdischen Teil der Schöpfung hinein und ermöglicht so die verklärende, eschatologische Neuverbindung der geschiedenen Schöpfungsräume.

Die Kultapokalyptik des 1Hen (und auch die der Pharisäer nach PsSal und Apg 23,8) hängt an der Vorgabe der Zions-Tradition. Um den möglichen Zusammenhang Jesu mit der kultapokalyptischen Zuspitzung der Zions-Tradition näher eingrenzen zu können, müssen wir sehen, welche Christologie zu dieser Tradition gehört. Mit welchen Traditionsvorgaben wurde die Erlösergestalt versehen, die das von der Kultapokalyptik als jenseits des irdischen Zion erfahrene Heil aus dem himmlischen Teil der Schöpfung zur irdisch erfahrbaren Realität hinüberführt?

Jesus und die himmlische Welt

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