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4. August

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Auch wenn sie sich sicher waren, dass Juli nicht wissen konnte, dass sie Geburtstag hatte, schien sich die Aufregung der Eltern auf das Kind zu übertragen. Morgens war sie schon quengelig und hing permanent an Charlottas Bein, sodass diese kaum dazu kam, ihre Kuchen zu backen. Bei jedem Schritt befürchtete sie, auf das Kind zu treten. Wenn man aber zehneinhalb Leute beköstigen wollte, von denen die Hälfte aus Werwölfen bestand, brauchte man viele Kuchen.

„Ich wünschte, wir hätten den Laufstall schon“, seufzte sie und beschloss, dass heute die Zeit zum Füttern etwas früher begann. Juli griff aber auch dabei immer wieder nach dem Löffel, sodass nur gut die Hälfte des Gemüsebreis in dem Kind landete, der Rest auf dem Kind. Und natürlich auf seiner Mutter, dem Tisch und dem Teppich!

„So, Spätzelein“, sagte sie in einem Ton, der Rob aufhorchen ließ. Er hatte den angenehmeren und vor allem stressfreieren Part des Vormittags und war noch mal einkaufen gewesen. Gerade kam er mit den Tüten und Taschen in die Wohnung. Er hatte Charlotta bitten wollen, ihm ein paar Sachen abzunehmen. Doch die Stimmung schien für solch ein Ansinnen gerade nicht sehr glücklich. „Wir beide gehen jetzt in dein Zimmer. Du gehst da ins Bett und ich gehe wieder in die Küche. Alleine!“, hörte er.

„Oha“, wagte er anzumerken.

„Deine Tochter ist heute etwas unleidlich. Und wenn ich noch was fertig kriegen will, um deine Mischpoke satt zu bekommen, muss sie aus der Küche.“

„Ach“, lachte Rob, „jetzt ist sie meine Tochter?“

„Ja, genau!“ Charlotta versuchte vergeblich, ernst auszusehen. „Lass sie bitte einfach schreien“, bat sie. „Umso eher ist sie müde und schläft vielleicht noch etwas, bis ihre Gäste kommen.“ Sie atmete tief durch und verschwand mit Juli, die natürlich gar nichts von der Idee ihrer Mutter hielt, und entsprechend lautstark in ihrem Zimmer protestierte.

„Ach ja, ich hab übrigens noch eine ganze Menge Kekse mitgebracht und Brot und Schinken und Käse und so was“, rief Rob hinter ihr her. „Ich koche noch ein paar Eier, die kommen in Scheiben geschnitten auch aufs Brot. Mach einfach nur zwei Kuchen, und dann ist’s gut.“

„Nur zwei Kuchen? Rob, die teilen sich drei deiner Brüder – wenn sie sich zurückhalten. Und dann?“

„Ich kann keine Kuchen backen. Aber ich kann Schnittchen schmieren. Es stehen nicht alle Leute nur auf süße Kuchen. Ich schmiere hier gleich, als ginge es um mein Leben, und dann gibt’s eben nicht mehr!“

„Aber …“

„Meine Familie, meine Verantwortung, okay?

„Mhm.“ Zugegebenermaßen war das ein sehr arbeits- und gewissenserleichterndes Angebot.

Sie versuchten Julis wütendes Geschrei zu ignorieren und machten weiter.


Die Wölfe kamen mit ihren Frauen, Marc hatte seine Schwester getragen und die wiederum eine Tasche, damit Ben sich etwas anziehen konnte, wenn er sich zurückgewandelt hatte. Enno kam direkt hinter ihnen. Er trug ein großes Paket unter dem Arm. „Es muss noch zusammengebaut werden.“

„Holz?“, fragte Ben. Der Tischler.

„Ja klar! Unbehandelt, zertifizierte Nachhaltigkeit und … ich weiß nicht mehr … auf jeden Fall höllisch ökologisch, wurde mir versichert. Ich weiß nur nicht, ob ich’s zusammenkriege. Ich bin Arzt. Bei handwerklichen Geschichten versage ich, sobald sie nicht mit einem Skalpell zusammenhängen.“ Er wirkte verlegen, doch Rob, der ihn genau beobachtet hatte, schürzte die Lippen und nickte anerkennend mit dem Kopf. Sein Blick fiel auf Marc, der Enno offensichtlich ebenfalls durchschaut hatte und nun mit großem Spaß verfolgte, wie Ben, Martin und Paul sich in Fachsimpeleien ergingen und mit vereinten Kräften den Laufstall zusammenbauten. Dabei unterhielten sie sich miteinander und auch mit Enno, als habe es nie Probleme gegeben.

„Super, nun habt ihr euch auch was zu essen verdient!“, lobte Charlotta. „Und wir werden gleich alles, was wir an Spielzeug haben, da reintun, damit sie in den Laufstall muss, wenn sie spielen will!“

„Oha, höre ich da irgendwelche negativen Schwingungen?“, lachte Helen und ließ sich von Charlotta den bisherigen Tag schildern. In der Zwischenzeit hatten die anderen ihre Geschenke herausgeholt, und Juli packte sie mit wachsender Begeisterung aus. Das Geräusch des zerreißenden Geschenkpapiers war klasse! Vor allem, wenn die bunten Fetzen herumflogen, sah das schön aus!

Es machte einfach Spaß, Juli dabei zuzusehen, und immer wieder strich ihr jemand über die braunen Locken.

Ben hatte einen Hampelmann gebastelt. Extra stabil, wie er versicherte und mit ungiftigen Farben bemalt. Die anderen hatten pädagogisch wertvolles Spielzeug besorgt, mit dem Formen, Farben und die motorische Geschicklichkeit geübt werden sollten.

„Oh, super! Jetzt fixen wir sie an, damit sie unbedingt damit spielen will, und dann packen wir das alles in den Laufstall“, freute Charlotta sich.

Entgegen aller Unkenrufe funktionierte das sogar. Zuerst war Juli verunsichert, und Charlotta zeigte ihr, dass sie durchaus wieder rauskonnte – wenn Mama das wollte. Und dann war’s auch überraschend schnell gut.

Robs Idee mit den belegten Broten war der Hit, und fast wäre von den beiden Kuchen noch etwas übrig geblieben. Glücklich drückte Charlotta ihm in der Küche einen Kuss auf die Wange. Das ging allerdings auch nur deshalb, weil er sich gerade zur Spülmaschine heruntergebückt hatte. „Danke, du bist der Beste!“

Auch wenn es sich um einen Kindergeburtstag handelte, war Juli doch das einzige Kind. Somit mussten sie sich nicht in falscher Zurückhaltung üben und boten auch Bier und Wein an. Enno war der Einzige, der zu Tarnungszwecken mit dem Auto unterwegs war, auch wenn er ebenfalls hätte laufen können. Der hielt sich lieber an Wasser und bot Ella und Martin an, sie anschließend nach Holzbach mitzunehmen. Ohne zu zögern, sagten die beiden zu, was Charlotta sehr erleichterte. Denn das konnte doch nur bedeuten, dass sie Enno akzeptierten.

Für den Abend hatte Charlotta einen riesigen Topf Suppe gemacht, und Rob schmierte noch ein paar von den Schnittchen. „Sag mal, wie viele Brote hast du eigentlich gekauft?“, erkundigte sie sich erstaunt, nahezu fassungslos.

„Sechs. Gut ein Kilo Wurst und Schinken, genauso viel Käse und dreißig Eier!“ Charlotta riss die Augen auf, und Rob setzte hinzu: „Ich hab aber nur zwanzig davon gekocht.“ Er grinste.

„Och, ja dann …“ Charlotta wollte gerade ihrem Erstaunen über diese ungeheuren Mengen Ausdruck verleihen, doch ihr fiel gerade noch rechtzeitig ein, dass die Hälfte derjenigen, die gerade in ihrem Wohnzimmer saßen, ihr Gespräch mit Leichtigkeit verfolgen konnten. „Sehr weise und vorausschauend. Du bist mein Held!“

Auch am Abend bekam sie augenscheinlich alle satt, und Charlotta war sehr beruhigt. Es war das erste Mal, dass sie so viele Leute bewirtete, und sie hatte keine Ahnung gehabt, wie viel die Wölfe wirklich verputzten.

„Sag mal“, begann Charlotta, als die Gäste alle wieder auf dem Weg nach Hause waren und sie gemeinsam mit Rob noch den Rest aufräumte, „wie haben deine Eltern euch eigentlich satt bekommen? Dein Vater muss ja unglaublich reich gewesen sein, um das alles einkaufen und auch bezahlen zu können.“

Rob zuckte mit den Achseln. „Ich muss sagen, dass ich mir darüber nie Gedanken gemacht habe. Wir hatten es nie sonderlich dicke, besondere Sachen waren nicht drin. Aber das war wohl alleine schon der Tatsache geschuldet, dass wir so viele Kinder waren. Aber wir sind immer alle satt geworden. Ja, das war ein Schock für dich heute, was?“ Er schmunzelte.

„Das kannst du wohl sagen. – Du sag mal … wenn wir jetzt häufiger von deiner Verwandtschaft Besuch bekommen … was ich mir durchaus wünsche! … Müssen wir auf irgendetwas achten, damit die Nachbarschaft nicht mitbekommt, dass ihr ein bisschen anders seid als die anderen kleinen Kinder? Ich weiß nicht, ob jemand beobachtet, dass gelegentlich eine Eule und ein Rabe auf unserer Terrasse landen und wir die ins Haus lassen … oder, wie wir jedes Mal Lebensmittel heranschaffen, die für eine ganze Kompanie reichen, wenn nur vier van Heemstras zusammenkommen. Ich frag nur, nimm’s mir bitte nicht übel.“

Rob zuckte erneut und ungerührt mit den Schultern. „Die Menschen sehen meist nur das, was sie sehen wollen oder, was sie sich vorstellen können. Wenn sie etwas sehen, gleichen sie das mit dem ab, was sie bislang erlebt haben und das in ihr bisheriges Weltbild passt. Klappt das, ist es gut. Nur wenn das krass auseinanderklafft, kann es zum Problem werden. Aber wir sind es gewohnt, immer ein bisschen aufzupassen, damit wir keinen Verdacht erregen und das Weltbild anderer zerstören.“ Er grinste ironisch. „So trage ich zum Beispiel nach dem Einkaufen nicht so viel nach Hause, wie ich kräftemäßig könnte, oder schlage eben ein normales Tempo an. Wenn ich jemandem die Hand drücke, halte ich Maß. Ich hoffe, bei dir gelingt mir das auch, dass ich nicht zu feste zupacke oder dir sonstwie wehtue. Eigentlich habe ich meine Kräfte ganz gut im Griff.“ Er grinste. „Auch wenn ich schon mal ungeduldig bin, weil ich mehr tragen könnte oder schneller von A nach B kommen könnte, als ich darf.“

„Ähm …“ Charlotta wirkte plötzlich sehr nachdenklich. „Du hast gerade gesagt, dass die Menschen meistens nur das sehen, was sie sehen wollen. Oder das, was sie sich vorstellen können … und wenn das auseinanderklafft, könnte es zum Problem werden …“

„Ja, wieso?“

„Da fällt mir dieser Mike ein. Der Jäger, den wir nach dem Kampf wieder in die Stadt geschickt haben. Der hatte doch deshalb versucht, Kontakt zu mir aufzunehmen, weil das, was er bei der Jagd gesehen hatte, nämlich die riesigen Wölfe, eben nicht in sein bisheriges Weltbild passten. Und weil er das nicht glauben wollte, stattdessen aber bestätigt haben wollte … oder warum auch immer … Der hat es uns doch echt schwer gemacht. Was ist eigentlich mit dem? Hatte der sich nicht noch mal gemeldet, nachdem ich weg war?“ Fragend sah sie Rob an und erkannte, dass sie ihn damit überrascht hatte und er für einen kurzen Augenblick die Kontrolle über seine Gesichtszüge verlor. „Was ist, Rob? Was ist mit Mike?“

„Ich hab keine Ahnung!“

„Das glaube ich dir nicht. Und wenn du mich schon anschwindelst, hat das auch seinen Grund, und den wüsste ich gerne. Also? Ich will das wissen!“

„Lotta, lass es gut sein. Bitte!“

„Ich erinnere mich an eine Bemerkung von dir, als du vor einem Jahr versucht hast, mich zu überreden, rechtzeitig vor Julis Geburt ins Dorf zu gehen. Da hast du was von Mike erzählt und irgendwas von ‚Fass aufgemacht’, oder so. Ich hab immer vergessen, dich zu fragen. Was hat er getan und wieso soll ich das nicht wissen?“, beharrte sie auf einer Antwort.

„Weil … ich …“ Rob atmete tief durch. Er wusste, wenn Charlotta einmal bei Dingen Lunte gerochen hatte, die ihr wichtig waren, gab es nichts, was sie ablenken konnte. Und ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war ihr das Thema sehr wichtig. „Er ist mir noch ein paarmal über den Weg gelaufen“, sagte Rob widerwillig. „Er hat mich dann immer so komisch angeguckt, hat mich aber nicht angesprochen. Er hat wohl auf dich gewartet. Was für mich übrigens auch immer wieder eine Bestätigung war, dass es das Beste für dich war, ins Dorf zu gehen.“

„Das haben wir längst geklärt, das ist jetzt auch nicht das Thema!“, sagte Charlotta kühl, als Rob nicht weitersprach.

Rob überlegte, wie er aus der Situation rauskommen konnte, zog dann aber die Schultern hoch und ließ sie mit einem Seufzer resigniert wieder sinken. „Irgendwann hat er mich dann doch angesprochen. Er meinte, ich sei doch sicherlich von dir über alles informiert. Ich hab so getan, als ob ich ihn nicht wiedererkenne, aber er hat mich dann ziemlich renitent an das Gespräch bei Henry erinnert – damals, als er von uns wissen wollte, ob es wirklich die riesigen Wölfe gibt und er dich im Wald gesehen haben kann.

Lotta, der sah total fertig aus. Ich weiß nicht, ob wir dem einen Gefallen getan haben, dass wir ihn nach dem Kampf haben laufen lassen. Ich meine, es gab damals keinen Grund, ihn zu töten. Und ich finde es auch ganz, ganz tragisch, aber ich glaube, der Mann ist völlig abgerutscht“, sagte er bedrückt. „Der wurde immer hartnäckiger, war dann oft auch betrunken, wenn er mich ansprach und meinte jedes Mal, er wollte bestätigt haben, dass er wirklich Riesenwölfe gesehen hat.

Schließlich hab ich ihm gesagt, ja, er hätte recht. Also, selbst ich war irgendwann mürbe durch seine Hartnäckigkeit, wie wär’s dir dann wohl gegangen? Ich hab ihm dann gesagt, ich hätte dich gefragt, und du hättest bestätigt, da wären tatsächlich ziemlich große, aber freundliche Wölfe im Wald gewesen. Ich hab gehofft, er hört dann endlich auf zu fragen. Aber da fing er an ganz hysterisch zu lachen und schrie ‚Freundlich? Die haben zwei gestandene Männer getötet.’“

„Oh Mann, und dann?“ Charlotta war entsetzt und heimlich froh, Mike nicht noch einmal persönlich begegnet zu sein.

„Ich hab ihm erklärt, dass die gestandenen Männer wohl beide bewaffnet gewesen wären – und auf der Jagd. Nach Wölfen! Und, dass die Wölfe doch anscheinend alle Jäger, die keine Waffe gehabt hätten, laufen gelassen hätten. Da schrie er wieder, dass die bestimmt wiederkämen, die Wölfe. Und die würden ihn holen und sich an ihm und seinem Kumpel Luke rächen, weil sie dabei waren, und er hätte das ja immer schon gewusst. Schließlich ist er so ausgerastet und hat sich an meiner Jacke festgekrallt, dass mir andere zu Hilfe gekommen sind, weil sie dachten, ich könnte mich nicht wehren und die Polizei gerufen haben. Die haben dann wiederum einen Krankenwagen geholt und ihn schließlich weggebracht.“

„Wohin?“ Atemlos vor Schreck sah Charlotta ihn an.

Rob zuckte mit den Achseln. „Ich musste noch mal zur Polizei, ’ne Aussage machen und hab dann da erzählt, er hätte die ganze Zeit was von Wölfen gefaselt. Er hätte anscheinend vor einem Jahr, als mal so ’ne Hysterie war, an einer Wolfsjagd teilgenommen und da hätte er vermutlich irgendwas nicht verkraftet. Zu viel Fantasie? Zu viel Angst? Der Polizist hat mir dann erklärt, dass Mike wohl erst mal per Gerichtsbeschluss in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht wäre. Ob und wann der wieder rauskäme, wüssten sie allerdings nicht. Ich hab schließlich auf eine Anzeige verzichtet und bin gegangen. Danach hab ich dann auch nichts mehr von ihm gehört.“

„Wie lange ist das denn her?“

„Na, ein gutes Jahr. Das war wohl so sechs oder acht Wochen, bevor Nelly und Ben mich zur Hochzeit eingeladen haben.“

„Und seitdem hast du ihn auch nicht wiedergesehen?“

„Nein! Und ich muss gestehen, ich hab ihn auch vergessen. Oder verdrängt … keine Ahnung. Komm, Lotta, lass uns nicht ausgerechnet am ersten Geburtstag unserer Tochter über so was Unerfreuliches reden. Wir sind die Verwandtschaft los, Juli ist im Bett und scheint zu schlafen, wir haben hier gleich alles aufgeräumt … Ich würde mich gerne einfach noch ein bisschen mit dir aufs Sofa setzen und mich unterhalten. Aber nicht über Mike, ja?“ Er wedelte mit dem Lappen herum, mit dem er den Tisch abwischen wollte.

Charlotta zögerte noch einen Augenblick, dann nickte sie. „Okay, Mike ist kein Thema mehr, heute.“

„Heute“, wiederholte Rob tonlos, wandte sich dann aber um und machte sich daran, die Glasplatte des Wohnzimmertisches abzuwischen.


„Darf Enno denn Thema sein?“, erkundigte Charlotta sich, als sie auf dem Sofa saßen. Sie hatten sich auf einen Musiksender im Radio geeinigt, Charlotta hatte sich mit dem Rücken an Rob gelehnt und genoss seine Nähe und Wärme.

Rob hatte einen Arm um sie geschlungen und stützte sein Kinn auf ihren Kopf. „Was ist denn mit Enno?“, fragte er, und bei jeder Silbe spürte Charlotta den Druck seines Unterkiefers auf ihrem Kopf.

Sie kicherte und griff nach oben, um ihm über die Wange zu streichen. „Ich fand, er hat sich heute hier gut eingefügt, auch wenn die anderen alle ausnahmslos zur Familie gehörten. Helen, Ella und Ben durch die Ehe mit deinen Geschwistern auch … Und ich bin heilfroh, dass deine Brüder ihn nicht haben spüren lassen, wie blöd er sich damals verhalten hat.“

„Mhm … Ich hatte den Eindruck, als sei er am Anfang da nicht so sicher gewesen. Und ich fand seine Hilflosigkeit, mit der er alle dazu gebracht hat, den Laufstall gemeinsam mit ihm aufzubauen, sehr geschickt.“

„Meinst du, das war Absicht?“ Charlotta drehte den Kopf, um Rob anzuschauen. Sie spürte am Rücken, dass er lachte und dann, dass er ihr einen Kuss auf die Nase drückte. Empört wischte sie sich durchs Gesicht. „Nicht!“, schimpfte sie.

„Das hat er aber mal ganz sicher absichtlich gemacht. Marc hat’s auch durchschaut, und wir haben beide nur gegrinst und mit viel Spaß beobachtet, wie die anderen darauf abgefahren sind. Aber – ich find’s legitim, und so kam erst gar keine komische Stimmung auf. Nein, um auf deine Bemerkung zurückzukommen, ich finde auch, dass er sich gut eingefügt hat. Und ich hab auch nicht das Gefühl, er will sich mit den Geschenken hier einschleimen oder so. Ich hab inzwischen den Eindruck, dass er wirklich Spaß daran hat, Juli was zu schenken.“

„Als ich Enno eingeladen habe, meinte er, er wüsste nicht, wie er sich verhalten sollte. Wenn er uns oder Juli was schenkt, möchte er nicht, dass wir uns blöd dabei fühlen – so als wären wir Almosenempfänger. Ich glaube, der will wirklich unbedingt jemandem eine Freude machen. Und da kommt Juli gerade recht.“ Sie zuckte mit den Achseln und sah auf den Laufstall. „Vielleicht sollten wir ihn machen lassen. Solange er nicht plötzlich kommt und uns wer-weiß-was schenken will … Wenn es für Juli ist und es nicht ausartet, sollten wir unserer Tochter das nicht verwehren. Oder? Schließlich hat sie auch keine Großeltern mehr, die sie mit Geschenken verwöhnen können.“

Rob gab ihr einen Kuss aufs Haar und atmete tief ein. „So soll es sein!“, sagte er abschließend. Charlotta merkte an der Art, wie er die Worte aussprach, dass er mit seinen Gedanken schon wieder woanders war. Sie lächelte, wenn sie daran dachte, wie gut sie sich doch inzwischen kannten. Sie überlegte, ob sie ihn darauf aufmerksam machen und fragen sollte, woran er gerade dachte, als Rob von sich aus zu sprechen begann.

„Du hast gerade gesagt, dass wir heute, außer Enno, ausnahmslos zur Familie gehört haben.“

„Äh … ja!?“

„Und dann hast du noch dazugesagt, dass Helen, Ben und Ella durch die Ehe mit meinen Geschwistern auch zur Familie gehören.“

„Äh … jaa!?“ Charlotta rätselte, worauf Rob wohl hinauswollte, ahnte aber ganz plötzlich, was nun kommen würde und überlegte hastig, wie sie ablenken konnte. Vergeblich.

„Wenn man das nur so sieht, dann gehörst du selbst, nach deiner eigenen Auffassung, aber irgendwie nicht zur Familie. Nun, als Mutter von Juli, meiner Tochter, aber nicht … nicht so …“

„Na ja …“

„Wir haben uns nie so konkret darüber unterhalten, aber ich hab durch Bemerkungen von dir ab und zu schon mal mitbekommen, dass du nicht heiraten magst. Kannst du mir sagen, weshalb?“

Charlotta fühlte sich augenblicklich in die Enge gedrängt und unwohl. Sie kämpfte sich in eine aufrechte Position und drehte sich herum, um Rob anzusehen. „Ich hab’s oft genug mitbekommen, dass sich Leute scheiden lassen, mit allem, was damit zusammenhängt. Wohnungseinrichtung trennen, die Kinder … Und auch in der Ehe schon! Irgendwann kristallisiert sich heraus, dass einer alles bestimmt und der andere mitmacht. Einer wechselt den Job, der andere muss mit. Weil man ja verheiratet ist! Das ist jetzt nur ein Beispiel, aber … ich hab’s auch bei meinen Eltern gesehen, dass mein Vater dann alles für meine Mutter gemacht hat …“

„Und das war nur, weil sie offiziell verheiratet waren?“

„Äh … ja!“ Charlotta war überrascht wegen des offensichtlichen Erstaunens in Robs Stimme.

„Lotta, wenn wir uns trennen, müssen wir auch die Wohnungseinrichtung aufteilen, und wir werden gucken müssen, wie wir es hinkriegen, dass es auch für Juli gut ist. Ob wir nun eine Heiratsurkunde haben oder nicht. Und das andere … Ich habe meine Wohnung aufgegeben, obwohl ich wirklich sehr daran gehangen habe. Das habe ich aber getan, weil ich mit dir zusammenleben wollte. Also freiwillig. Und dann meine Verbannung. Du hast damals zu Mona gesagt, dass du zu mir gehörst und deshalb auch mit mir weggehst. Ich hab dich nicht gezwungen, sondern dir immer wieder gesagt, dass du das nicht tun musst. Aber du wolltest das. Ich hab dir nicht eine Heiratsurkunde unter die Nase halten müssen, damit du mit mir in die Verbannung gehst.

Und deshalb frage ich dich noch mal: Wenn du das alles berücksichtigst, nämlich das, was wir freiwillig für den anderen tun, eben weil wir ihn lieben, was würde eine Eheschließung ändern?“

„Ich … ich weiß nicht … Mir war immer klar, ich werde nicht heiraten. Und ich war auch sehr froh, dass du nie davon angefangen hast. Das erste Mal habe ich etwas anders darüber nachgedacht, als Ben Nelly einen Heiratsantrag gemacht hat und sie so glücklich war. Ich meine, sie waren schon ein Paar, sie mussten nicht heiraten. Und trotzdem hat es sie glücklich gemacht. Beide!“, setzte sie hinzu, als könnte sie es gar nicht glauben.

„Jaaa?! Und?!“

„Ich weiß nicht … Wieso fragst du überhaupt?“

Rob spürte, dass sie sich unwohl fühlte, sprach aber weiter. „Ich frage deshalb, weil die Tatsache, dass meine Geschwister verheiratet sind, deren Partner für dich genau aus diesem Grund zur Familie zugehörig machen. Das würde eben im Umkehrschluss bedeuten, dass du nicht dazugehörst. Sowohl Ella und Martin als auch Helen und Paul haben gemeinsame Kinder. Aber nach deiner Argumentation gehören meine Schwägerinnen nicht deshalb zur Familie, sondern weil sie mit meinen Brüdern verheiratet sind.“

Er lachte leise und zog ihren Kopf zu sich heran, um ihr einen sanften Kuss auf die Lippen zu drücken. „Ich hör schon auf. Ich fand nur, dass es sich lohnen könnte, darüber nachzudenken. Auch für dich.“

Charlotta zuckte mit den Achseln. Misstrauisch wartete sie noch einen Augenblick, und als Rob wirklich nicht weitersprach, atmete sie erleichtert auf.


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