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14. September

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„Es war wieder richtig schön bei euch. Vor allem war’s toll, mal wieder ein paar Tage hintereinander hier zu sein. Obwohl ich ja noch nicht wieder arbeite, hatte ich das Gefühl, hier ein paar Tage Urlaub gemacht zu haben.“ So sehr Charlotta sich auch auf Rob freute, so sehr bedauerte sie es, das Dorf und seine Bewohner verlassen zu müssen.

Nelly erwartete ihr Kind im Grunde jeden Augenblick, und Charlotta wäre so gerne in ihrer Nähe gewesen. „Wir lassen euch so schnell wie möglich eine Nachricht zukommen, und dann sieh zu, dass du dich auch bald mal bringen lässt.“

„Oder ihr heiratet auch noch“, grinste Ben. „Und wenn’s die eigene Hochzeit ist, habt ihr übrigens nicht nur zwei, sondern drei Wochen, die Rob hierbleiben darf. Wusstest du das?“

„Äh … nein …“ Charlotta hatte das Gefühl, dass alle sie anstarrten und packte geschäftig die letzten Dinge in ihre Tasche. „Wieso ist das eigentlich so genau geregelt? Ich meine … gibt’s das so oft mit der Verbannung? Und dann auch so oft, dass in der Zeit geheiratet wird oder diejenigen, die verbannt wurden, selber heiraten wollen?“

„Die Strafe der Verbannung“, sagte der Pisap Inua, „gibt es wohl von jeher. Wer jemanden aus dem Dorf gefährdete oder ihm Schaden zufügte, der wurde zum Schutz für die anderen, aber auch als Strafe, verbannt. Das sollte nicht zuletzt auch abschreckend wirken.

Die meisten merken es nach wenigen Wochen, wie schrecklich das für sie ist, und man hoffte auch immer schon, dass sie das bei ihrer Rückkehr so drastisch wie möglich schildern. Wir leben hier in einer sehr engen und verschworenen Gemeinschaft. Es gibt zwar viele, die freiwillig über Monate nicht kommen, aber das ist in dem Augenblick deren eigene Entscheidung – allerdings wissen die dann auch, dass sie jederzeit willkommen sind. Und das ist ein enormer Unterschied. Enno beispielsweise ist nicht sehr oft hier. Ihn hat es aber dennoch sehr getroffen, nicht spontan entscheiden zu dürfen, doch mal wieder ins Dorf zu kommen.

Und deshalb hat man die Möglichkeit geschaffen, dass die Verbannten für bestimmte Veranstaltungen oder Feierlichkeiten wieder für eine kurze Zeit ins Dorf kommen durften. Das dient zum einen dem Zweck, schon mal sehen zu können, inwieweit sie vielleicht geläutert sind. Zum anderen aber auch, damit sie doch immer noch mal den Rückhalt unserer Gemeinschaft spüren konnten und können. Es ist auch schon mehr als einmal passiert, dass sich jemand, der verbannt wurde, das Leben genommen hat, weil er es einfach nicht mehr ertragen konnte.“

Entsetzt riss Charlotta die Augen auf.

„Das ist auch ein ganz wichtiger Grund, weshalb es diese Regelung gibt. Dazu gehören Hochzeiten und auch der Tod eines sehr nahen Verwandten. Allerdings ist das Glück nicht jedem so hold, dass gerade in der Zeit jemand heiraten will. – Dass nicht ausgerechnet in der Zeit auch nahe Angehörige sterben, ist dann eher für die Gemeinschaft glücklich.“ Der alte Schamane lächelte.

„Und die Geburt des eigenen Kindes zählt nicht?“

„Nein!“

„Na, gut, dass du das sagst! Stell dir vor, ich hätte jetzt erfahren müssen, dass es gar nicht nötig gewesen wäre, zu heiraten!“, rief Ben in gespieltem Entsetzen. Alle lachten, denn jeder im Dorf wusste, wie glücklich Ben war, dass Nelly seinen Heiratsantrag angenommen hatte, und er war so stolz wie nie, dass er nun auch Vater wurde. Das wurde auch noch mal deutlich, als er Nelly umarmte und ihr einen zärtlichen Kuss auf die Schläfe drückte.

„Dann müsst ihr Horst ja geradezu dankbar sein.“ Charlotta bemühte sich um ein ernstes Gesicht.

„Horst?“, riefen mehrere Stimmen im Chor. „Dieser Psychopath?“, wollte Nelly wissen und sah Charlotta verständnislos an. „Wieso sollten wir ausgerechnet dem dankbar sein?“

„Weil du Rob helfen wolltest, mich zu retten, hast du dir Ben geschnappt, der ein Rabe ist und so leichtsinnig war, gerade in dem Augenblick um dein Haus herumzuschleichen, um dann mit ihm in die Stadt zu fliegen. Und dadurch habt ihr mehr miteinander zu tun gehabt und …“

„Uff, das ist aber weit hergeholt“, stöhnte Marc gequält auf.

„Stimmt aber“, beharrte Charlotta und grinste dennoch. „Na gut, dann seid mir dankbar, dass ich mich hab entführen lassen. Und ich bin dir, Ben, noch mal ganz besonders für dein Opfer dankbar, weil du Robs und meinetwegen seine Schwester geheiratet hast. Ist doch schön, wenn wir alle gegenseitig dankbar sind für das, was andere für uns getan haben.“ Sie lachte.

„… was genau das Konzept ist, nach dem unser Dorfleben über die vielen Generationen funktioniert“, sagte der Pisap Inua ernst. „Jeder tut etwas für den anderen, und aus dieser Dankbarkeit heraus versucht man sich zu revanchieren. Dadurch entsteht ein Gleichgewicht und ein Geflecht, dass jeder das Gefühl hat, dem anderen mal was schuldig zu sein oder ihm schuldig gewesen zu sein, weil man eben eng miteinander verbunden ist.“

„Mhm … das geht aber auch nur in so einem relativ engen begrenzten Rahmen, denke ich.“

„Vermutlich ja. Denn hier kennt jeder jeden. Das ist in einer Stadt gar nicht möglich. Und dazu kommt bei uns ja eben noch, dass uns das Geheimnis um unsere Gaben miteinander verbindet und geradezu zusammenschweißt.“

„Es ist mir sowieso unerklärlich, wie das so lange ein Geheimnis bleiben konnte. Es hätte ja durchaus längst passieren können, dass jemand mal im Suff was verrät, oder einem Partner oder einer Partnerin, die aus der Stadt kommen, weil man so verliebt ist. Oder, dass sich jemand, der verbannt wurde rächen wollte …“

„Ja, das ist wirklich ein Wunder“, bestätigte Marc und grinste. „Das soll aber nicht davon ablenken, dass ihr die Chance hättet, noch mal gemeinsam ins Dorf kommen zu dürfen. Abgesehen davon fänd ich’s schön, dich zur Schwägerin zu haben.“

Der Pisap Inua sah seinen Gehilfen nachdenklich an. Es freute ihn für Marc, dass der es schaffte, seine eigenen Gefühle für das Glück Charlottas und seines Bruders zurückzustellen, indem er ihr sogar riet, Rob zu heiraten. Damit wäre die Bindung zwischen den beiden so eng … obwohl … sie war ohnehin unglaublich eng. Eine Eheschließung würde vermutlich nichts daran ändern.

Sein Blick fiel auf die junge Frau die gerade wieder die Schultern hochzog und angestrengt atmete. „Ich hab den Eindruck, Charlotta gehört nicht zu den Frauen, die sehnsüchtig darauf warten, dass ihnen jemand einen Heiratsantrag macht“, sagte er ruhig und strich ihr über den Rücken.

„Ähm … ja … Juli …“

„… lässt sich gerade von Paul verwöhnen. Die beiden sind in der Küche und …“

„Was ein gerissenes Biest!“.

„Paul?“

„Nein, Juli! Ich hab ihr gesagt, heute gibt’s keine Leckereien mehr, weil sie beim Frühstück so ein Theater gemacht hat. Und ich wette, dass sie Paul in die Küche gelotst hat, um sich dort von ihm …“ Während sie sprach, stapfte sie Richtung Küche und war froh, den Frotzeleien der anderen entkommen zu können.

Und richtig: Bei ihrem Auftauchen hatte Juli den Mund mit Marmelade verschmiert und sah ihre Mutter schuldbewusst an. „Na, wenigstens hast du so was wie ein schlechtes Gewissen, Fräuleinchen!“

„Oh, bin ich dir in den Rücken gefallen?“ Paul hingegen wirkte nicht sonderlich schuldbewusst.

„Ja, allerdings. Das kannst du damit wiedergutmachen, indem du uns jetzt sofort nach Hause bringst“, grinste sie.

Es war ohnehin abgemacht gewesen, dass Paul sie in die Stadt bringen sollte, und so beugte er sich verschwörerisch zu Juli hinüber. „Ich glaube, deine Mutter ist jetzt böse mit uns“, raunte er ihr zu.

Juli lachte und streckte ihre Arme nach Charlotta aus. Die rollte mit den Augen. „Nimmt mich denn hier niemand mehr ernst? Wenigstens hast du aufgepasst, dass nicht das ganze Kind verklebt ist.“

„Na, ich weiß doch, was sich gehört!“

„Ja, sicher!“ Sie lachte und freute sich immer wieder, dass sie sich so gut mit Robs Geschwistern verstand. „Los, Onkel Paul, auf geht’s!“


„Rob scheint noch nicht zurück zu sein. Willst du trotzdem noch eben mit reinkommen?“

„Danke, ich hau gleich wieder ab. Unsere Jungs und Eva wollten heute Abend vorbeikommen, da will ich rechtzeitig wieder zurück sein.“ Er setzte Juli in den Laufstall, was dieser allerdings nicht sonderlich gut gefiel.

„Oh ja, das ist ein Grund! Grüß die Familie von mir.“

„Mach ich.“ Paul grinste, dann wurde seine Miene wieder etwas ernster. „Ach, Lotta?“

„Ja?“

„Verheiratet zu sein tut wirklich nicht weh. Und wenn dir das ein Mann sagt, der schon seit mehr als zwanzig Jahren mit derselben Frau verheiratet ist …“

„Du hast mit meiner Tochter in der Küche gesessen, sie gegen mein Verbot verwöhnt und trotzdem noch zugehört, was wir im Versammlungsraum geredet haben?“ Charlotta versuchte ihre Verlegenheit mit Empörung zu überspielen. Was hatten die denn plötzlich alle mit heiraten?

Paul zuckte schmunzelnd mit den Achseln. „Von dem Verbot wusste ich nichts, ich schwöre es. Außerdem habe ich erst nur ein paar Bruchstücke mitbekommen und hab dann etwas genauer hingehört.“

„Ach!“

„Komm, Lotta, sei nicht sauer. Ich hab Rob mal gefragt, warum ihr nicht heiratet und … wir van Heemstras sind ziemlich altmodisch erzogen. Ich glaube, er würde dich wirklich gerne heiraten. Er hat zwar was gesagt wie ‚man kann auch so zusammenleben’ oder … ‚wir brauchen keinen Trauschein, um …’“

„Wann war das? Vor oder nach Julis Geburtstag?“, unterbrach sie ihn

„Ähm … nachher … vor drei Wochen oder so, als ich zwischendurch hier war … wieso?“

„Ach, nur so.“

Paul sah Charlotta von der Seite an. „Du bist mir hoffentlich nicht böse jetzt, aber du bist echt die erste Frau, die mir begegnet, die das nicht will. Und dabei geht’s mir nicht nur darum, dass Rob noch mal ins Dorf kann. Natürlich auch, aber ich hab mich vorhin so über deine Ablehnung gewundert. Mich hatte schon Robs Antwort verblüfft, aber ich glaube, jetzt weiß ich, weshalb er das gesagt hat.“ Spontan drückte er sie an sich und grinste sie an. „Ich glaube, ich mache mich mal besser vom Acker, bevor du doch noch sauer auf mich bist.“ Er wandte sich zu Juli um, die nach den ersten Unmutsbekundungen den beiden Erwachsenen aufmerksam zugehört zu haben schien. „Mach’s gut, Süße, und grüß den Papa von mir, ja?“ Er nickte und freute sich, dass Juli ihn kopierte und ebenfalls eifrig mit dem Kopf nickte.


Wieso reden auf einmal alle vom Heiraten? Also, dass ich heiraten soll! Erst Rob an Julis Geburtstag. Dann Ben und Nelly. Und Marc haut in die gleiche Kerbe und Paul nun auch noch. Obwohl sich einem der Verdacht aufdrängen könnte, würde ich trotzdem fast behaupten, die haben sich nicht abgesprochen. Aber okay, sie könnten ihrem Bruder damit die Möglichkeit verschaffen, wieder für kurze Zeit ins Dorf zu kommen. Und diesmal nicht nur für zwei, sondern sogar für drei Wochen. Aber

Liege ich denn so falsch mit meiner Ansicht? Stehe ich alleine damit da?

Okay, Rob hat recht, wenn er sagt, dass wir im Grunde schon lange so leben wie ein Ehepaar. Wir haben beide für den anderen auf viel verzichtet, und wir lieben uns. Ja, immer noch. Ich glaube, wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätten wir nach dieser Zeit, die ich vor Julis Geburt alleine im Dorf verbracht habe, nicht wieder zueinandergefunden. Es war schwierig, aber weil dieses Gefühl bei uns beiden

Aber wieso sollten wir heiraten?

Na ja, wenn einem von uns was passiert, ist der andere abgesichert Aber das sind alles Vernunftsgründe! Absicherung, zeitweise Aufhebung der Verbannung, zur Familie dazuzugehören

Obwohl Ich hab mich noch nie so wohlgefühlt und so sehr angenommen, wie in Robs Familie.

Aber das zeigt doch auch noch mal, dass dafür kein Trauschein nötig ist!

Marc will mich als Schwägerin. Was ist denn da der Unterschied, ob ich seine Schwägerin oder die Freundin seines Bruders bin?

Okay, mit ‚meine Schwägerin’ hab ich einen eigenen Status und bin nicht nur ‚die Freundin von’

Wenn man mich fragen würde, wären die van Heemstras die Familie, die mir als erste einfallen würde, in die ich gerne reingeboren worden wäre Obwohl die sich als Kinder wohl auch nichts geschenkt haben, was gegenseitiges Ärgern angeht, und vielleicht sollte ich doch froh sein, ein Einzelkind zu sein

Würde ich dann anders zur Familie gehören? Also, wenn wir verheiratet wären. Wäre das dann anders?

Ich hab’s neulich wohl selber so ausgedrückt, und deshalb hat Rob mich ja auch darauf festgenagelt, mit dem Zur-Familie-Gehören.

Ich will mich aber von niemandem drängen lassen! Wenn’s dann nicht läuft, wäre ich immer auf denjenigen sauer.

Auf der anderen Seite haben wir’s auch nach dieser Geschichte wieder hingekriegt wir würden es wohl wieder schaffen. Es sei denn, einer von uns würde sich irgendwann für einen anderen Partner entscheiden. Na ja, da sind noch die alten Geister, die eindeutig gesagt haben sollen, dass wir beide

Robs Geister, nicht meine. Auf der anderen Seite komme ich auch aus der Nummer mit den Geistern nicht mehr raus. Spätestens nachdem ich weiß, was meine Gabe ist und ich sie auch eingesetzt habe oder das bei der Beerdigung von Julian da war ich ja so richtig im direkten Kontakt zu den alten Geistern

Charlotta van Heemstra? Charlotta van Heemstra! Obwohl – muss ich meinen Namen abgeben? Okay, wenn ich schon heirate, will ich so heißen wie Rob, und Julis Namen müssten wir dann ja auch noch ändern.

Aber aber ich will nicht heiraten. Ich will nicht, weil weil

Charlotta zuckte zusammen, als Juli einen harten Plastikball aus dem Laufstall warf, und der mit lautem Getöse durchs Wohnzimmer rollte. „Hey, du Rabauke! Das war übrigens ein Eigentor, Süße. Ich sehe nämlich gerade, dass es Zeit ist, um etwas zu essen. Danach geht’s ab ins Bett!“

Bett! Das war ein Wort, das Juli verstand, aber gerade im Moment nicht hören wollte. Und das tat sie auch lautstark kund.

„Keine Chance“, lachte Charlotta. Sie hob ihre weinende Tochter aus dem Laufstall und stellte sie auf die Füße. „Möchtest du denn was zu essen?“

Essen! Das war schon eher nach ihrem Geschmack. Das mit den Keksen und der Marmelade war schon wieder furchtbar lange her. Verflixt, vor dem Vergnügen kam die Arbeit. Sie musste selbst in die Küche kommen. Die Mama ließ sie einfach stehen und ging weg. Konnte das denn wahr sein? Tränen? – Halfen nichts. Und noch mehr Tränen? – Halfen noch immer nichts. Na toll!

„Ja fein! Du bist ja schon richtig groß! Ganz alleine bis in die Küche! Du bist die Beste!“ Charlotta hob Juli hoch und wirbelte sie durch die Luft.


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