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Zweiter Brief.
Juliens Liebster an Frau v. Étange.

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Inhaltsverzeichnis

Von einem Schmerze durchdrungen, der nur mit meinem Leben enden wird, werfe ich mich Ihnen zu Füßen, Madame, nicht um Ihnen eine Reue auszudrücken, die sich mein Herz nicht willkürlich geben kann, sondern um ein unvorsätzliches Vergehen zu büßen, indem ich Allem entsage, was fähig war mir das Leben süß zu machen. Wie niemals menschliche Gefühle denen gleichkamen, die Ihre anbetungswürdige Tochter in mir erweckte, hat es niemals ein Opfer gegeben, dem gleich, welches ich hier der verehrungswerthesten der Mütter bringe; aber Julie hat mich zu sehr gelehrt, wie man das Glück der Pflicht opfern muß: sie ist mir zu muthig mit ihrem Beispiele vorangegangen, als daß ich ihr nicht wenigstens einmal nachahmen sollte. Wenn zur Heilung Ihrer Leiden mein Blut genügte, so würde ich es stillschweigend vergießen und nur beklagen, daß ich Ihnen einen so schwachen Beweis meines Eifers gebe; aber das süßeste, reinste, heiligste Band zu zerreißen, das je zwei Herzen vereinigt hat, ach! das ist eine That, die mir die ganze Welt nicht abgewonnen hätte und die nur Sie allein von mir erlangen konnten.

Ja, ich gelobe, so lange fern von ihr zu leben, als Sie es fordern werden; ich werde mich enthalten, sie zu sehen und ihr zu schreiben, ich schwöre es Ihnen bei Ihrem kostbaren Leben, das so nothwendig zur Erhaltung des ihrigen ist. Ich unterwerfe mich, nicht ohne Bangen, aber ohne Murren, Allem, was Sie über sie und über mich verfügen werden. Ja noch mehr: ihr Glück ist genug, mich zu trösten, wenn ich elend werden muß, und ich werde zufrieden sterben, wenn Sie ihr einen Gatten geben, der ihrer würdig ist. Ach! möge er gefunden werden, der Mann, der zu mir sagen darf: Ich werde sie besser zu lieben wissen als du! Madame, wenn er Alles hat, was mir fehlt, es ist umsonst; wenn er nicht mein Herz hat, wird er für Julie nichts haben: ich aber habe nichts als mein redliches, zärtliches Herz, Ach weh! und so habe ich Nichts, Die Liebe, die Alles ausgleicht, hebt nicht die Person, sie hebt nur das Innere. O, hätte ich nur meinem Inneren folgen dürfen, wie oft würde mein Mund, wenn ich mit Ihnen sprach, den süßen Namen Mutter ausgesprochen haben!

O trauen Sie Schwüren, die nicht leichtsinnig ausgesprochen werden, und einem Manne, der kein Betrüger ist. Wenn ich einst Ihre Achtung hintergangen habe, so hatte ich zuerst mich selbst hintergangen. Mein unerfahrenes Herz erkannte die Gefahr erst, als es zu spät war, ihr zu entrinnen, und ich hatte damals noch nicht von Ihrer Tochter die grausame Kunst gelernt, die Liebe durch sich selbst zu besiegen, eine Kunst, die sie mir seitdem so trefflich gelehrt hat Verbannen Sie Ihre Furcht, ich beschwöre Sie. Giebt es Jemanden auf der Welt, dem ihre Ruhe, ihr Glück, ihre Ehre theurer wären als mir? Nein, mein Herz und mein Wort sind Ihnen Bürgen für das, was ich im Namen meines edeln Freundes wie in meinem eigenen verspreche. Seien Sie versichert, daß keine Indiscretion begangen werden wird, und ich werde den letzten Seufzer aushauchen, ohne daß man erfahren soll, welcher Schmerz meine Tage endete. Beschwichtigen Sie daher denjenigen, welcher Sie aufzehrt und der mir den meinigen noch verbittert; trocknen Sie diese Thränen, die mir die Seele ausreißen; stellen Sie Ihre Gesundheit wieder her und erstatten Sie der zärtlichsten Tochter, die je gelebt, das Glück, auf das sie Ihretwegen verzichtet hat; seien Sie selbst glücklich durch sie; mit Einem Worte, leben Sie, um ihr das Leben lieb zu machen. Ach! Juliens Mutter zu sein ist trotz aller Verirrungen der Liebe noch immer ein Loos, schön genug, um sich Glück zu wünschen, daß man lebe.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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