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Vierundzwanzigster Brief.
Von Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Ja, ja, ich sehe es wohl, die glückliche Julie ist dir stets theuer. Noch ganz das Feuer, das ehedem aus deinen Augen strahlte, läßt sich in deinem letzten Briefe spüren; ich finde in ihm alle die Glut, die mich beseelt und die meinige entbrennt daran noch mehr. Ja, mein Freund, laß immer das Schicksal uns trennen, wir wollen nur unsere Herzen fest an einander schließen, daß sie sich ihre natürliche Wärme mittheilen wider allen Frost des Fernseins und der Verzweiflung, und Alles, was unsere Anhänglichkeit lockern sollte, möge nur dazu dienen, sie immer fester und fester zu schlingen.

Stelle dir aber vor, was für ein Kind ich bin: seit ich diesen Brief erhalten habe, spüre ich etwas von den zauberischen Wirkungen, von denen er spricht, und der Scherz mit dem Talisman, obgleich von mir selbst ersonnen, bestrickt mich und kommt mir wie Wahrheit vor. Hundertmal des Tages, wenn ich allein bin, ergreift mich ein Beben, als fühlte ich dich neben mir. Ich bilde mir ein, daß du mein Bild in den Händen hältst, und ich bin so närrisch, daß ich die Küsse, mit denen du es bedeckst, zu fühlen glaube; mein Mund glaubt sie zu empfangen, mein liebendes Herz sie zu genießen, O süße Täuschungen! O Trugbilder! letzte Zuflucht des Unglücklichen! ach, dient uns, wenn es möglich ist, anstatt der Wirklichkeit! Ihr seid doch immer noch etwas für Den, dem das Glück nichts mehr ist.

Wie ich es angestellt habe, dieses Porträt zu erlangen? Ja, die Liebe hat dabei gewaltet, aber glaube mir, wenn es wahr wäre, daß sie Wunder thun kann, so würde sie sich nicht dieses ausgesucht haben. Wir hatten vor einiger Zeit einen Miniaturmaler hier, der aus Italien kam; er brachte Briefe von Milord Eduard, der vielleicht, als er sie ihm gab, das im Auge hatte, was geschehen ist. Herr von Orbe wollte die Gelegenheit benutzen, um meine Cousine malen zu lassen; ich wollte ihr Porträt ebenfalls haben, Sie und meine Mutter verlangten das meinige, und auf meine Bitte machte er heimlich noch eine Copie. Ich wählte dann, ohne mich um Original oder Copie zu kümmern, schlau das ähnlichste von den dreien, um es dir zu schicken. Das ist ein Schelmstreich, aus dem ich mir kein großes Gewissen gemacht habe, denn auf ein Bißchen Aehnlichkeit mehr oder minder kommt es meiner Mutter und meiner Cousine nicht an; aber die Huldigungen, die du einem andern Gesichte als dem meinigen darbrächtest, wären eine Art Untreue und um so gefährlicher, je mehr mein Porträt mich überträfe, und auf alle Fälle will ich nicht, daß du Geschmack an Reizen findest, die nicht die meinigen sind. Uebrigens hat es nicht in meiner Macht gestanden, mich ein wenig sorgfältiger bekleidet vorstellen zu lassen; man hat nicht auf mich gehört, und mein Vater selbst hat gewollt, daß das Bild so bliebe, wie es nun ist. Ich bitte dich wenigstens zu glauben, daß, den Kopfputz abgerechnet, die Toilette nicht nach der meinigen gemacht ist, sondern daß der Maler Alles nach seinem Gutdünken geordnet und meine Person mit den Erzeugnissen seiner Einbildungskraft ausgeziert hat.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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