Читать книгу Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean-Jacques Rousseau - Страница 89
Fünfzehnter Brief.
Von Julie.
ОглавлениеJa, mein Freund, wir werden vereinigt sein, trotz unserer Trennung, werden glücklich sein, trotz unserem Schicksal. Die Vereinigung ist das, was die Herzen wahrhaft beglückt; ihre Anziehungskraft kennt das Gesetz der Entfernungen nicht und an den äußersten Enden der Welt würden die unsrigen sich berühren. Ich finde wie du, daß Liebende tausend Mittel haben, das Gefühl des Entferntseins zu mildern und im Augenblicke einander nah zu sein: manchmal sieht man sich sogar noch öfter, als wenn man sich alle Tage sähe; denn so oft einer von beiden allein ist, sind im Nu beide bei einander. Wenn du jeden Abend diese Freude hast, so habe ich sie hundertmal des Tages; ich lebe einsamer, überall sehe ich von dir die Spuren und ich kann auf keinen der Gegenstände, die mich umgeben, die Augen richten, ohne dich um mich zu sehen.
Quì cando dolcemente, e quì s'assise: Quì si rivolse, e quì ritenne il passo; Quì co' begli occhi mi trafise il core; Quì disse una parola e quì sorrise.
[Hier sang er lieblich, hier setzt' er sich nieder Hier wandt' er sich, hier hemmt' er seine Schritte Traf hier mein Herz mit seiner Augen Blitzen, Sprach hier mit mir, sah hier mich an mit Lächeln.
Bei Petrarca heißt es aber ,,sie" statt ,,er". Im italienischen Text ist dieser Unterschied nicht zu bemerken, da das persönliche Fürwort fehlt. D. Ueb.]
Aber du, kannst du dir an dieser friedlichen Lage genügen lassen? Bist du fähig eine stille zärtliche Liebe zu genießen, die nur zum Herzen spricht, ohne die Sinne aufzuregen? Und hältst du jetzt mehr Maß in deinen Klagen als einst in deinem Begehren? Der Ton deines ersten Briefes [Des zwölften Briefes dieser Abtheilung. D. Ueb.] macht mich zittern. Mir bangt vor jenen sinnbethörenden Aufwallungen, die um so gefährlicher sind, weil die Einbildungskraft, welche sie anregt, keine Schranken kennt und ich fürchte, du beschimpfst noch deine Julie vor lauter Liebe. Ach, du fühlst nicht, nein, dein Herz ist nicht zart genug, um zu fühlen, wie kränkend für die Liebe eine leere Huldigung ist; du bedenkst nicht, weder daß dein Leben mir gehört, noch daß man oft in den Tod rennt, indem man der Natur zu dienen meint. Sinnlicher Mensch, wirst du niemals lieben lernen? Erinnere dich doch, erinnere dich jenes stillen, sanften Gefühles, das du einmal in dir empfandst, und mit so rührendem, zärtlichem Ausdruck schildertest. Wenn es das köstlichste ist, das die beglückte Liebe irgend genießen kann, ist es jedenfalls für getrennte Liebende das einzige, das vergönnt ist, und wenn man es einen Augenblick zu schmecken fähig war, so muß man um kein anderes mehr klagen. Ich erinnere mich der Betrachtungen, welche wir einmal, da du mich Plutarch lesen ließest, über einen verderbten Hang, der die Natur schändet, angestellt haben. Wenn diese kläglichen Freuden auch nur dies hätten, daß sie nicht getheilt werden, so wäre es schon genug, sagten wir, um sie unschmackhaft und verächtlich zu machen. Wenden wir denselben Gedanken auf die Verirrungen einer zu lebhaften Einbildungskraft an, so wird er nicht weniger zutreffen. Bedauernswerther, was für Genuß hast du, wenn du allein genießest? Einsame Lust ist todte Lust. O Liebe! deine Wollust ist lebendig: die Vereinigung der Seelen ist das, was sie beseelt, und das Vergnügen, welches man dem Geliebten gewährt, giebt dem Werth, welches er uns zurückgiebt.
Sage doch, ich bitte dich, theurer Freund, was ist das für eine Sprache, oder vielmehr für ein Jargon in der Schilderung, die dein letzter Brief enthält? Sollte es etwa schöngeistisch sein? Wenn du dich desselben öfter mit mir zu bedienen gedenkst, so sollst du mir nur erst das Wörterbuch davon schicken, Bitte, was heißt das, eine Meinung, die der Rock eines Mannes hat? eine Seele, die man wie eine Livree anzieht? Maximen, die man nach der Elle abmessen muß? Wie magst du nur denken, daß eine arme Schweizerin diese hochtrabenden Figuren verstehen soll? Fängst du nicht gar schon an, wenn auch nicht wie die Andern, Seelen nach den Farben des Hauses anzuziehen, doch deinen Geist nach der dortigen Mode anzustreichen? Nimm dich in Acht, Freund, ich fürchte, daß der Anstrich auf diesem Grunde nicht gut steht. Was meinst du, ob wohl die Traslati [Redefiguren.] des Cavalier Marin, über die du so oft gespottet hast, im entferntesten an diese Metaphern reichen? Wenn man in einem Briefe einen Rock Meinungen haben läßt, warum sollte man nicht in einem Sonett das Feuer schwitzen [Sudate o fochi, a preparar metalli („Schwitzet, ihr Feuer, Metalle zuzubereiten,“ d. h. Arbeitet mit Schweiß, mit Anstrengung!) heißt es in einem Sonett des Cav. Marin.] lassen?
In drei Wochen alle Gesellschaften einer großen Stadt kennen lernen, das was gesprochen wird, charkterisiren, gründlich das Wahre vom Falschen, das Wirkliche vom Scheinbaren, das was man sagt, von dem was man denkt, unterscheiden, sieh, das giebt man den Franzosen Schuld, daß sie es auswärts bisweilen thun, aber ein Fremder sollte es nicht bei ihnen ebenso machen, denn sie verdienen wohl, gründlich studirt zu werden. Auch finde ich es nicht schön, wenn man schlecht spricht von dem Lande, worin man lebt und gut aufgenommen worden: ich wollte lieber, man ließe sich durch den Anschein täuschen, als daß man auf Kosten seiner Wirthe moralisirt. Endlich ist mir jeder Beobachter verdächtig, der geistreich sein will; ich habe immer Furcht, daß er die Wahrheit der Sache dem Witze aufopfere und seine Phrase auf Kosten der Gerechtigkeit spielen lasse.
Du weißt wohl, mein Freund, Esprit, sagt unser Muralt, ist die Manier der Franzosen. Ich finde an dir Hang zu dieser Manier, nur mit dem Unterschiede, daß sie bei ihnen voll Grazie ist, und daß sie unter allen Völkern der Welt uns am wenigsten kleidet. In mehren deiner Briefe finde ich Gesuchtes und Gespieltes. Ich meine nicht die lebhaften Wendungen und gesteigerten Ausdrücke, welche die Lebhaftigkeit des Gefühls eingiebt, sondern eine gewisse Geziertheit des Styls, die, weil sie unnatürlich ist, sich nicht von selbst dem Schreibenden anbietet und verräth, daß er sich zeigen will. O Gott, dem Geliebten gegenüber sich zeigen wollen! Läßt man nicht vielmehr den geliebten Gegenstand allein Alles sein? ist man nicht sogar stolz auf jedes Verdienst, worin man sich von ihm übertroffen findet? Nein, wahrlich, wenn man gleichgültige Conversationen mit einigen bunten Einfällen belebt, welche wie Blitze vorüberfahren, so ist doch unter Liebenden eine solche Sprache nicht am Orte und der blumenreiche Jargon der Galanterie ist viel weiter entfernt vom Gefühle als der einfachste Ton, den man annehmen kann. Ich berufe mich deshalb auf dich selbst. Hat der Esprit je Zeit gehabt hervorzutauchen, wenn wir unter vier Augen waren? und wenn der Zauber eines Liebesgespräches ihn fernhält und nicht aufkommen läßt, wie können dann Briefe, die die Abwesenheit immer ein wenig mit Bitterkeit würzt und in denen das Herz wehmüthiger spricht, ihn ertragen? Wiewohl jede starke Leidenschaft ernsthaft ist, und selbst die übermäßige Freude uns eher weinen als lachen macht, verlange ich deshalb doch nicht, daß die Liebe immer trübsinnig sei, aber ich verlange, daß ihre Heiterkeit natürlich, schmucklos, kunstlos, nackt wie sie selbst sei, mit einem Worte, daß sie mit der ihr eigenen Anmuth glänze, aber nicht, daß sie sich geistreich aufputze.
Die Unzertrennliche, in deren Stube ich dir diesen Brief schreibe, meint, als ich ihn anfing, wäre ich in solcher frohen Stimmung gewesen, wie die Liebe sie weckt oder doch verträgt; aber ich weiß nicht, was im Schreiben allmählig daraus geworden ist. Je weiter ich kam, desto mehr bemächtigte sich ein gewisses Wehgefühl meiner Seele und ließ mir kaum die Kraft, die Scheltreden hinzuschreiben, auf welche die schlechte Person durchaus bestand; denn du mußt nur wissen, daß die Kritik deiner Kritik mehr ihr als mein Werk ist; sie hat mir besonders den ersten Artikel dictirt, wobei sie wie nicht klug lachte und nicht leiden wollte, daß ich ein Wort änderte. Sie sagte, es sei nur, um dich den Marini immer so despectirlich behandeln zu lehren, dessen Gönnerin sie ist und über den du dich lustig machst.
Weißt du aber, was uns beide so guter Laune macht? Ihre bevorstehende Hochzeit. Der Contract ist gestern Abend ausgefertigt worden, und der Tag auf Montag über acht Tage anberaumt. Hat es je eine lustige Liebschaft gegeben, so ist es die ihrige; man kann sich kein Mädchen denken, das komischer verliebt wäre als sie. Der gute Herr von Orbe, dem seinerseits von allem Glück der Kopf schwindelt, ist entzückt über ihre tolle Laune. Nicht so schwierig wie du sonst warst, giebt er sich gern zu ihren Späßen her und hält es für ein Meisterstück in der Liebe, die Geliebte lustig zu machen. Bei ihr denn wieder hat man gut predigen, ihr den Anstand vorhalten, sie erinnern, daß sie kurz vor dem entscheidenden Augenblick eine ernsthaftere Haltung annehmen, gesetzter sein, und dem Stand, den sie zu verlassen im Begriff ist, ein Bischen mehr Ehre machen sollte: sie erklärt das Alles für dumme Ziererei, sagt Herrn von Orbe in's Gesicht, am Hochzeittage werde sie die beste Laune von der Welt haben, und man könne gar nicht lustig genug in die Ehe hineinhüpfen. Aber die kleine Heuchlerin sagt nur nicht Alles: heute Morgen fand ich sie mit rothgeweinten Augen, und ich wette darauf, daß sie Nachts mit ihren Thränen das Gelächter des Tages bezahlt. Sie soll nun neue Ketten auf sich nehmen, welche die süßen Bande der Freundschaft lockern werden; soll eine Lebensart anfangen, welche von der, die ihr lieb war, so verschieden ist: sie lebte ruhig und zufrieden, und soll sich nun der Ungewißheit preisgeben, welche von der besten Ehe nicht zu trennen ist; und, sage sie was sie wolle, wie ein reines, stilles Wasser sich zu trüben anfängt bei der Annäherung des Sturmes, so sieht ihr schüchternes, züchtiges Herz nicht ohne einige Unruhe dem nahen Wechsel ihres Looses entgegen.
O mein Freund, wie glücklich sind sie! Sie lieben einander, sie werden sich einander heiraten; sie werden ihre Liebe ohne Hinderniß, ohne Furcht, ohne Gewissensbisse genießen. Adieu, adieu; ich kann nicht weiter.
N. S. Wir haben Milord Eduard nur einen Augenblick gesehen, so große Eile hatte er weiterzukommen. Voll, wie mir das Herz von dem ist, was wir ihm schuldig sind, wollte ich ihm mein und dein Gefühl ausdrücken, aber eine gewisse Scham hielt mich zurück. In der That. einen Mann wie ihn heißt es beleidigen, wenn man ihm für etwas dankt.