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Fünfundzwanzigster Brief.
An Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Ich muß noch einmal von deinem Bilde sprechen, liebe Julie! nicht mehr in jener ersten Bezauberung, die dir so viel Freude gemacht hat, sondern im Gegentheil mit dem Leide eines Menschen, den eine falsche Hoffnung genarrt hat, und den nichts entschädigen kann für das, was er verlor. Dein Bild hat anmuthige, schöne Züge, sogar auch die deinigen, es gleicht dir ziemlich und ist von einem geschickten Manne gemalt, aber um zufrieden damit zu sein, müßte man dich nur nicht kennen.

Der erste Vorwurf, den ich ihm mache, ist, daß es dir gleicht und doch nicht dein Ich ist, daß es dein Gesicht zeigt und doch keine Empfindung. Vergeblich hat der Maler deine Augen, deine Züge treu wiederzugeben gemeint, er hat die Sanftmuth nicht wiedergegeben, welche sie belebt und ohne die sie, wie reizend sie sind, doch nichts sein würden. In deinem Herzen, Julie, liegt das, was dein Gesicht schminkt und das ist unnachahmlich. Freilich ist hier ein Punkt berührt, wo die Unzulänglichkeit der Kunst eintritt; aber es ist wenigstens des Künstlers Schuld, daß er nicht in dem, was von ihm abhing, treu war. Er hat z. B. die Haarwurzel zu weit von den Schläfen entfernt, wodurch der Stirn etwas von ihrem gefälligen Umrisse und dem Blicke etwas von seiner Feinheit geraubt ist. Er hat ferner die Purpurästchen weggelassen, welche dort zwei oder drei Aederchen unter der Haut andeuten, fast wie auf den Blumen der Iris, die wir eines Tages im Garten von Clarens betrachteten. Die Röthung der Backen ist zu nah an die Augen geführt und ruht nicht so köstlich gegen den unteren Theil des Gesichtes hin auf einem Rosenroth wie bei dem Vorbilde; man möchte sagen, es sei künstliches Roth, gleich dem Carmin der Damen hier zu Lande, aufgetupft. Dieser Fehler ist nicht unbedeutend, denn er macht dir das Auge weniger sanft und den Blick kecker.

Aber, sage, was hat er mit jenen Amorsnestchen gemacht, die sich in den beiden Winkeln deines Mundes verstecken, und die ich meinen glücklichen Tagen manchmal mit dem meinigen zu wärmen wagte? Er hat diesen Mundwinkeln nicht ihre Lieblichkeit gegeben, er hat dem Munde nicht jenen anmuthig ernsten Zug gegeben, der bei dem geringsten Lächeln plötzlich wechselt und auf das Herz ich weiß nicht was für einen unbekannten Zauber übt, in ihm ich weiß nicht was für ein plötzliches Entzücken weckt, das sich nicht ausdrücken und beschreiben läßt. Es ist wohl wahr, daß dein Porträt nicht so vom Ernst zum Lächeln übergehen kann, Ach! das ist ja gerade, worüber ich jammere; um alle deine Reize abzuschildern, müßte man dich in jedem Augenblicke deines Lebens malen.

Lassen wir es dem Maler hingehen, daß er einige Schönheiten weggelassen, aber etwas, worin er deinem Gesichte nicht weniger Unrecht gethan hat, ist, daß er die Fehler weggelassen hat. Er hat das fast unmerkliche Fleckchen nicht gemacht, das du unter dem rechten Auge hast, noch jenes am Halse auf der linken Seite. Er hat nicht .... o Götter! war denn dieser Mann von Eisen? .... hat nicht die kleine Narbe gemacht, die dir auf der Lippe zurückgeblieben ist. Er hat die Haare und Brauen von einerlei Farbe gemacht, und das ist nicht wahr: die Brauen sind mehr kastanienbraun, die Haare mehr blondlich:

Blonda testa, occhi azurri e bruno ciglio. [“Blondes Haar, blaue Augen und dunkle Brauen.“ Marini.]

Er hat dem Untertheil des Gesichts ein reines Oval gegeben, hat nicht die leichte Einbiegung bemerkt, welche, Kinn und Wangen trennend, den Umriß unregelmäßiger und anmuthiger macht. Das sind die merklichsten Mängel. Er hat noch andere weggelassen, worüber ich sehr böse auf ihn bin, denn nicht blos in deine Schönheiten bin ich verliebt, sondern in dich ganz und gar, wie du bist. Wenn du nicht willst, daß der Pinsel dir etwas leihe, so will ich nicht, ich, daß er dir etwas nehme, und mein Herz fragt so wenig nach Reizen, die du nicht hast, als es eifersüchtig ist auf das, was statt dessen da ist.

Wie die Kleidung, so kann ich sie um so weniger gelten lassen, da du, geputzt oder im Hauskleide, immer mit mehr Geschmack angezogen bist als in deinem Bilde. Der Kopfputz ist zu reich; man wird entgegnen; es sind ja nur Blumen; ja! aber schon zuviel. Erinnerst du dich des Balles, , wo du dein Walliser Kleid anhattest und deine Cousine sagte, ich tanzte philosophisch? Du hattest als Kopfputz nichts weiter als eine lange Haarflechte rund um den Kopf geschlungen und mit einer goldenen Nadel nach Art der Berner Bäuerinnen festgesteckt. Nein, die Sonne mit allen ihren Strahlen geschmückt, hat nicht mehr Glanz, als du den Augen und den Herzen spendetest, und sicherlich wer dich an diesem Abend sah, vergißt dich in seinem Leben nicht. So, mein Julie, mußt du coiffirt sein; das Gold deiner Haare muß dein Gesicht zieren, nicht diese Rose, welche es verdirbt und deine Gesichtsfarbe todt macht. Sage der Cousine (denn ich merke wohl, daß sie geholfen und gewählt hat), daß diese Blumen, mit denen sie dein Haar bedeckt und entweiht hat, nicht geschmackvoller sind als jene, die sie im Adone [Das Hauptwerk Marini's, ein Epos in 20 Gesängen. D. Ueb.] pflückt und daß man es ihnen wohl nachsehen kann, wenn sie der Schönheit zur Aushülfe dienen, aber nicht, wenn sie sie verstecken.

Hinsichtlich des Oberkörpers ist es sonderbar, daß ein Liebhaber strenger sein soll als ein Vater, aber in der That, ich finde dich nicht sorgfältig genug bekleidet. Juliens Portrait muß züchtig sein wie sie. Liebe! nur dir gehört das Verborgenste. Der Maler, sagst du, hat Alles aus seiner Phantasie genommen. Ich glaube es, ich glaube es. Ach! wenn er das Mindeste, gesehen hätte von diesen verhüllten Reizen, seine Augen hätten sie verschlungen, aber nicht hätte seine Hand sie zu malen versucht: was wagte sich doch seine vorwitzige Kunst daran? Das ist nicht nur ein Mangel an Schicklichkeit, ich behaupte, daß es auch ein Mangel an Geschmack ist. Ja, dein Gesicht ist zu keusch, um sich mit dieser unordetlichen Bekleidung des Busens zu vertragen, man sieht, daß jedes von beiden dem andern das Recht des Daseins streitig macht; nur der Liebeswahnsinn kann sie in Uebereinstimmung bringen. Wenn dessen glühende Hand zu enthüllen wagt, was die Schamhaftigkeit bedeckt, dann sagt die Trunkenheit und die Verwirrung deines Blickes, daß du nicht daran denkst, nicht daß du es zur Schau stellst.

Dies ist, was ich nach anhaltend aufmerksamer Betrachtung an deinem Bilde auszusetzen fand. Ich bin daher auf den Gedanken gekommen, es nach meinen Ansichten umarbeiten zu lassen. Ich habe diese einem geschickten Maler mitgetheilt, und nach dem, was er bereits gemacht hat, hoffe ich, dich bald dir selbst ähnlicher zu sehen. Um das Portrait nicht etwa zu verderben, versuchen wir die Aenderungen an einer Copie, die ich ihn danach habe machen lassen und er trägt sie auf das Original erst dann über, wenn wir ihrer wirkung vollkommen gewiß sind. Obgleich ich nur ein mittelmäßiger Zeichner bin, kann doch dieser Künstler nicht aufhören, die Feinheit meiner Bemerkungen zu bewundern; er begreift nicht, um wie viel geschickter als er der Meister ist, der sie mir eingiebt. Ich komme ihm manchmal auch sehr wunderlich vor; ich sei, sagt er, der erste Liebhaber, der Sachen versteckt haben will, die man Anderer Geschmack nach nie genug bloßstellen kann, und wenn ich ihm antworte, es geschehe, um dich desto besser vor Augen zu haben, daß ich dich so sorgfältig bekleide, so sieht er mich wie ein Narr an. Ach! um wie viel herzbewegender würde dein Bild sein, wenn ich Mittel erfinden könnte, deine Seele zugleich mit deinem Gesichte zu zeigen und deine Züchtigkeit zugleich mit deinen Reizen darzustellen! Ich schwöre dir, Julie, daß sie bei meiner Umänderung viel gewinnen werden. Man sah in dem Bilde nur die, welche der Maler dafür genommen hatte und der ergriffene Beschauer wird sie so nehmen, wie sie sind. Ich weiß nicht, was für ein geheimer Zauber in deiner Person herrscht, aber Alles, was sie berührt, scheint daran Theil zu erlangen; man braucht nur einen Zipfel deines Kleides zu sehen, um Die anzubeten, welche es trägt. Man sieht, indem man deinen Anzug betrachtet, daß es in allen Stücken der Schleier der Grazien ist, welcher die Schönheit umhüllt, und der Geschmack, der deinen bescheidenen Putz ordnet, scheint den Herzen alle Reize zu verrathen, welche er verbirgt.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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