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Achtzehnter Brief.
Von Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Ich habe den schönsten Anblick genossen, mein Freund, der je mein Auge entzücken kann. Das sittsamste, liebenswürdigste der Mädchen ist endlich die würdigste, beste der Frauen geworden. Der brave Mann, dessen Wünsche sie gekrönt hat, voll Achtung und Liebe für sie, lebt nur dafür, sie liebzuhaben, sie anzubeten, sie glücklich zu machen; und ich genieße das unaussprechliche Entzücken, Zeugin zu sein von dem Glücke meiner Freundin, das heißt, es zu theilen. Du wirst nicht weniger innigen Antheil nehmen, weiß ich gewiß, du, den sie immer so herzlich liebte, du, der du ihr fast von Kindheit auf theuer warst und dem so viele Wohlthaten sie noch theurer machen müssen. Ja, Alles, was sie fühlt, wird in unseren Herzen mitempfunden. Ist es für sie ein freudiges Gefühl, so ist es ein tröstliches für uns, und solchen Werth hat die Freundschaft, die uns vereint, daß das Glück des einen von uns dreien genug ist, um den beiden anderen ihre Leiden zu versüßen.

Verhehlen wir uns indessen nicht, daß diese unvergleichliche Freundin uns zum Theil genommen sein wird.

Für sie beginnt nun eine neue Lebensordnung; sie hat neue Verbindlichkeiten, hat neue Pflichten auf sich genommen; und ihr Herz, das nur uns gehörte, muß sich jetzt anderen Regungen hingeben, denen die Freundschaft den ersten Rang einräumt. Und noch mehr, mein Freund, wir müssen auch unsererseits gewissenhafter sein in Bezug auf die Freundschaftsbeweise, die wir von ihr in Anspruch nehmen; wir dürfen nicht mehr darauf allein sehen, wie lieb sie uns hat, und wie sehr wir ihrer bedürfen, sondern auf das, was sich für ihren neuen Stand schickt und was ihrem Manne angenehm sein oder mißfallen könnte. Wir haben nicht erst nöthig, zu untersuchen, was wohl in solchem Falle die Tugend erheischte, die Gesetze der Freundschaft allein sind ausreichend. Würde Der verdienen einen Freund zu haben, der fähig wäre, ihn um eigenen Vortheils willen in Unannehmlichkeiten zu verwickeln? Als sie Mädchen war, war sie frei, hatte nur sich selbst wegen ihrer Schritte Rechenschaft zu geben, und ihre gute Absicht war hinreichend, sie in ihren eigenen Augen zu rechtfertigen, Sie betrachtete uns wie zwei für einander bestimmte Gatten, und indem ihr gefühlvolles und reines Herz die keuscheste Schamhaftigkeit für ihren Theil mit dem zärtlichsten Mitgefühl für ihre strafbare Freundin verband, deckte sie meine Schuld zu, ohne sie zu theilen. Aber jetzt ist Alles anders geworden; sie ist einem Andern für ihr Betragen Rechenschaft schuldig; sie hat nicht nur ihre Treue angelobt, sie hat sich ihrer Freiheit entäußert. Mit der Ehre zweier Personen zugleich betraut, ist es für sie nicht genug, ehrbar, sie muß auch in Ehren sein; nicht genug, nichts zu thun als was Recht ist, sie muß auch nichts thun, was Mißbilligung finden könnte. Eine tugendhafte Frau muß nicht nur die Achtung ihres Mannes verdienen, sondern sie sich auch gewinnen; wenn er sie tadelt, ist sie tadelnswerth, und, wäre sie auch unschuldig, sie hat schon Unrecht, sobald sie in Verdacht fällt, denn selbst den Schein zu wahren, gehört zu ihren Pflichten.

Ich weiß nicht gewiß, ob alle diese Gründe gut sind, du wirst darüber urtheilen; aber ein gewisses inneres Gefühl sagt mir, daß es nicht gut ist, wenn meine Cousine noch ferner meine Vertraute bleibt, und ebensowenig, daß sie es mir zuerst sage. Ich habe oft in meinen Vernunftschlüssen fehlgegriffen, nie haben mich die inneren Regungen, welche mich zu ihnen führten, mißleitet, und daher habe ich mehr Vertrauen zu meinem Instinkt als zu meiner Vernunft.

Diesem Grundsatze zufolge habe ich denn schon einen Vorwand ergriffen, deine Briefe von ihr zurückzufordern, welche ich, aus Furcht vor Entdeckung, ihr in Verwahrung gegeben hatte. Sie gab sie mir, und mit beklommenem Herzen, wie mein eigenes mir wohl verrieth, aber ich fand darin die Bestätigung, daß ich gethan hatte, was sich gehörte. Wir haben uns mit keinem Worte verständigt, aber unsere Blicke sagten Alles; sie umarmte mich weinend; wir sprachen kein Wort und fühlten, wie wenig die zärtliche Sprache der Freundschaft der Worte bedarf.

Wegen einer Adresse an der Stelle der ihrigen hatte ich zuerst an Fanchon Anet gedacht und es wäre allerdings der sicherste Weg gewesen, den wir wählen konnten; aber wenn diese junge Frau von geringerem Stande ist als meine Cousine, ist das ein Grund, im Punkte der Ehrbarkeit weniger Rücksicht für sie zu haben? Ist nicht im Gegentheil zu fürchten, daß bei minder gehobenem Gefühle mein Beispiel ihr gefährlicher werde, daß was für die Eine nur das Opfer einer erhabenen Freundschaft war, der Anderen zu einem Anfang der Verderbniß werde, und daß ich durch Mißbrauch ihrer Erkenntlichkeit die Tugend selber zwinge dem Laster zum Werkzeuge zu dienen? Ach, ist es nicht schon genug für mich, strafbar zu sein? Soll ich noch Mitschuldige machen und mein Unrecht mit der Last fremden Unrechts vergrößern? Nein, denken wir nicht daran, mein Freund! ich habe ein anderes Mittel ausgedacht, das allerdings weniger sicher, aber doch weniger verwerflich ist, da es Niemanden compromittirt und uns keinen Vertrauten auflädt; nämlich, daß du mir unter einem aus der Luft gegriffenen Namen schreibst, wie z. B, Herrn Du Bosquet [Du Bosquet „Vom Gebüsch“, eine Anspielung auf die Kußgeschichte im Bosket. S. Abth. I. Br. 14. D. Ueb.] und darüber ein Couvert an Regianino machst, dem ich die nöthige Anweisung geben werde. So wird Regianino selber um nichts wissen, höchstens Vermuthungen hegen, die er nicht weiter zu verfolgen wagen wird, denn Milord Eduard, von dem sein Glück abhängt, hat mir für ihn gut gesagt. Während unsere Correspondenz auf diesem Wege fortgeht, will ich sehen, ob wir wieder jenen, der uns während deiner Reise nach dem Wallis diente, oder irgend einen andern einschlagen können, der dauernder und sicherer ist.

Wenn ich nicht den Zustand deines Herzens kennte, würde ich an der Verstimmung, die in deinen Berichten herrscht, merken, daß das Leben, welches du führst, nicht nach deinem Geschmacke ist. Die Briefe des Herrn von Muralt, über die man sich in Frankreich beschwert hat, waren weniger scharf als die deinigen; wie ein Kind, das ärgerlich auf seine Lehrmeister ist, rächst du dich dafür, daß du gezwungen bist die Welt zu studiren an den ersten die sie dich kennen lehren. Was mich am meisten Wunder nimmt, ist, daß dich gerade das zuerst aufbringt, was sonst alle Fremden einnimmt, nämlich das freundliche Entgegenkommen der Franzosen und im Allgemeinen ihr geselliger Ton, wiewohl du dich nach deinem eigenen Geständnisse des Besten in dieser Hinsicht zu rühmen hast. Ich habe die Unterscheidung nicht vergessen, die du zwischen Paris im besonderen und der großen Stadt überhaupt machtest, aber während du ungewiß bist, was hierhin und was dorthin gehöre, sehe ich doch, daß du deine Kritik auf alle Fälle machst, ehe du noch weißt, ob es böse Nachrede oder richtige Beobachtung ist. Wie dem nun sei, ich liebe die französische Nation und du erzeigst mir nichts Angenehmes, wenn du schlecht von ihr sprichst. Ich verdanke den guten Büchern, die uns von ihr zukommen, das Meiste von dem, was wir mit einander gelernt haben [Vgl. „Bekenntn.“ Th. 3. S. 12 bis 14. D. Ueb.]. Wenn unser Land nicht mehr barbarisch ist, wem sind wir den Dank dafür schuldig? Die beiden größten, die beiden tugendhaftesten Menschen der Neuzeit, Catinat, Fénelon, waren beide Franzosen; Heinrich IV. war es, der König, den ich liebe, der gute König. Wenn Frankreich nicht das Land der Freien ist, so ist es doch das Land der Wahren, und die eine Freiheit ist so viel werth als die andere in den Augen des Weisen. Gastfrei und hülfreich dem Fremden, lassen ihm die Franzosen selbst die Wahrheit hingehen, welche sie verletzt, und man würde in London gesteinigt werden, wenn man dort halb so viel Böses von den Engländern sagte, als die Franzosen von sich in Paris sagen lassen. Mein Vater, der sein Leben in Frankreich zugebracht hat, spricht nur mit Entzücken von diesem guten, liebenswürdigen Volke. Wenn er dort im Dienste des Monarchen sein Blut vergossen hat, so hat der Fürst ihn nach seiner Entlassung nicht vergessen und beehrt ihn noch mit seinen Wohlthaten; so sehe ich mich betheiligt bei dem Ruhme eines Landes an, in welchem mein Vater den seinigen gefunden hat. Mein Freund, wenn doch jedes Volk seine guten und seine schlechten Eigenschaften hat, so halte auch die Wahrheit im Loben ebenso in Ehren als im Tadeln!

Ich will dir noch mehr sagen: warum willst du die Zeit, welche du dort zuzubringen hast, in müßigen Visiten verlieren? Ist Paris weniger als London ein Schauplatz für Talente und machen daselbst Fremde weniger leicht ihren Weg? Glaube mir, nicht alle Engländer sind Lord Eduard's, und es gleichen nicht alle Franzosen jenen Schönrednern, die dir so sehr mißfallen. Schau dich einmal um, thu' einen Schritt, versuche einmal, wäre es auch nur, um die Sitten tiefer zu ergründen und die Leute am Werke zu sehen, die so gut zu reden wissen. Der Vater meiner Cousine sagt, du kenntest die Verfassung des Reiches und die Interessen der Fürsten, Milord Eduard findet ebenfalls, daß du die Principien der Politik und die verschiedenen Regierungssysteme nicht übel studirt habest. Ich habe mir in den Kopf gesetzt, daß dasjenige Land, in welchem die Fähigkeit am meisten geschätzt ist, das passendste für dich sein wird, und daß du dich nur bekannt zu machen brauchst, um Beschäftigung zu finden. Du erwähnst der Religion, aber warum sollte die deinige dir mehr als manchem Andern hinderlich sein? Schützt nicht die Vernunft vor Intoleranz und Fanatismus? Ist man in Frankreich bigotter als in Deutschland? Was sollte dich denn wohl hindern, in Paris denselben Weg zu machen, den Herr von Saint-Saphorin [Eine Familie aus dem Wallis. Von dem hier genannten Herrn von Saint-Saphorin (der vermuthlich die diplomatische Karriere gemacht hat) ist nichts weiter bekannt. D. Ueb.] in Wien gemacht hat? Wenn du das Ziel in Betracht nimmst, wird nicht der Erfolg um so eher zu erwarten sein, je schleuniger du Versuche machst? Wenn du die Mittel vergleichst, ist es nicht noch anständiger, sich durch seine Talente zu befördern als durch seine Freunde? Wenn du bedenkst …. ach, dieses Meer!.... eine längere Ueberfahrt …. Ich würde England lieber haben, wenn Paris auch drüben wäre.

Bei Gelegenheit dieser großen Stadt darf ich wohl eine Affectation hervorheben, die ich in deinen Briefen bemerke? Du hast mir mit so vielem Vergnügen von den Walliserinnen erzählt, warum sagst du nichts von den Pariserinnen? Verdienen diese galanten und berühmten Frauen weniger eine Schilderung als ein Paar einfältige Gebirgsdirnen? Fürchtest du vielleicht, mir Unruhe zu machen, wenn du mir ein Gemälde von den verführerischesten Personen der Welt entwirfst? Täusche dich nicht, mein Freund! das Schlimmste für meine Ruhe, was du thun kannst, ist, nicht von ihnen zu sprechen, und was du mir auch sagen könntest, dein Stillschweigen über sie ist mir viel verdächtiger als dein Lob sein würde.

Ich würde mich auch freuen, ein Wörtchen über die Pariser Oper zu vernehmen, von der man hier Wunder sagt [Ich würde eine sehr schlechte Meinung von Denen haben, welche, mit Juliens Charakter und Situation bekannt, nicht Augenblicks erriethen, daß diese Neugier nicht von ihr ausgeht. Man wird bald sehen, daß ihr Liebhaber sich darüber nicht täuscht; wäre das, so wäre klar, daß er sie nicht mehr liebte.]; denn im Grunde, wenn auch die Musik schlecht ist, kann doch die Aufführung ihre Schönheiten haben; wo nicht, ist es wieder ein Gegenstand für deine Schmählust, wobei du wenigstens Niemanden beleidigen wirst.

Ich weiß nicht, ob es der Mühe werth ist, dir zu sagen, daß mir bei Gelegenheit der Hochzeit in den letztvergangenen Tagen zwei Bräutigame zugleich, als ob sie sich bestellt hätten, zugeflogen sind, der eine von Yverdun, von Schloß zu Schloß einsprechend und jagend, der andere aus dem deutschen Land, mit der Berner Kutsche. Der erstere ist eine Art Petit-maitre, der seine Worte sehr kurz und prall hinwirft, damit diejenigen, welche nichts als den Klang davon hören, sie für geistreich halten sollen; der andere ist ein äußerst verlegener schüchterner Tropf, nicht von jener liebenswürdigen Schüchternheit, die von der Furcht zu mißfallen herrührt, sondern von der Verlegenheit eines Dummkopfs, der nicht weiß, was er reden soll und dem Unbehagen eines Wüstlings, der sich einem anständigen Mädchen gegenüber nicht an seinem Platze fühlt. Da ich die Absichten meines Vaters in Betreff dieser beiden Herren sehr bestimmt weiß, so mache ich mit Vergnügen von der Freiheit Gebrauch, die er mir läßt, sie nach meiner Laune zu behandeln und ich denke nicht, daß gegen diese Laune jene, die die Herren hergeführt hat, lange Stich halten wird. Ich hasse sie, daß sie auf ein Herz, in welchem du herrschest, Angriffe wagen, ohne Waffen, um es dir streitig zu machen; hätten sie deren, würde ich sie noch mehr hassen; aber woher sollten sie sie nehmen, sie, und Andere, und alle Welt? Nein, nein, sei ruhig, mein liebenswürdiger Freund! wenn ich ein Wesen fände, das sich mit dir vergleichen könnte, wenn sich dein zweites Selbst mir vorstellte, würde doch der zuerst Gekommene der einzige bleiben, der Gehör findet. Mache dir also keine Unruhe um diese beiden Subjecte, von denen ich es kaum der Mühe werth finde, dir etwas zu sagen. Was für eine Lust wäre es mir, könnte ich ihnen zwei Dosen Ekel so vollkommen gleich einrühren, daß sie den Entschluß faßten, zusammen abzureisen, wie sie gekommen sind, und daß ich dir Beider Abreise zugleich melden könnte!

Herr von Crouzas hat uns mit einer Refutation der Episteln Pope's beschenkt, und ich habe mich damit gelangweilt. Ich weiß nicht, die Wahrheit zu sagen, wer von Beiden Recht hat, aber das weiß ich, daß das Buch des Herrn von Crouzas mich nie zu etwas Gutem anregen wird, während es nichts Gutes giebt, wozu man nicht Lust in sich spürte, wenn man Pope aus der Hand legt. Ich für mein Theil habe keine andere Methode, die Bücher, welche ich lese, zu beurtheilen, als daß ich auf die Stimmung achte, welche sie in meiner Seele zurücklassen, und ich kann mir gar nicht denken, was an einem Buche Gutes sein kann, das nicht seine Leser zum Guten leitet [Wenn der Leser diesen Maßstab gut findet, so gebrauche er ihn zur Beurtheilung dieser Sammlung; der Herausgeber wird gegen seinen Spruch keine weitere Berufung einlegen.].

Adieu, mein allzulieber Freund; ich habe gar nicht Lust, so rasch aufzuhören, aber man erwartet mich, man ruft nach mir. Ich scheide ungern von dir, denn ich bin heiter und theile meine Freude so gern mit dir. Was sie belebt und steigert, ist, daß sich meine Mutter seit einigen Tagen besser befindet; sie hat sich kräftig genug gefühlt, um der Hochzeit beizuwohnen und bei ihrer Nichte oder vielmehr zweiten Tochter Mutterstatt einzunehmen. Die gute Clara hat vor Freuden darüber geweint; nun denke dir mich, die ich so wenig verdiene, daß sie mir erhalten bleibe und immer zittere, sie zu verlieren. In der That, sie macht die Honneurs bei dem Feste mit so viel Grazie, wie bei ihrer vollkommensten Gesundheit; ein Rest von Schwäche scheint ihrer ungesuchten Höflichkeit nur etwas noch Rührenderes zu geben. Nein, nie war die einzige Frau so gut, so bezaubernd, so anbetungswürdig .... Weißt du, daß sie sich bei Herrn von Orbe mehrmals nach dir erkundigt hat? Obgleich sie mit mir nicht von dir spricht, weiß ich doch recht gut, daß sie dich lieb hat, und daß, wenn sie je Gehör fände, dein und mein Glück ihr erstes Werk sein würde. Ach, wenn dein Herz der Dankbarkeit fähig ist, wie dankbar muß es sein und welche Schulden hat es abzutragen!

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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