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2. Gesetzliche Vorschriften

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Selbstverständlich darf die Mandatsübernahme nicht zu einer Begünstigung (§ 257 StGB), Strafvereitelung (§ 258 StGB) oder etwa einem Parteiverrat (§ 356 StGB) führen.[9] Es existieren noch eine Vielzahl weiterer Strafvorschriften, hinsichtlich derer der Verteidiger schnell risikobehaftet verdächtig sein kann. Insoweit wird auf die sehr ausführliche und hilfreiche Darstellung bei Beulke/Ruhmannseder verwiesen.[10]

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Besondere Erwähnung verdient das Verbot der Doppelverteidigung gem. § 146 StPO. Man kann gegen diese Vorschrift manches einwenden. Das Bundesverfassungsgericht hat sie jedoch für verfassungsgemäß erklärt,[11] die Rechtsprechung legt sie extensiv aus, der Gesetzgeber hat sie mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 (modifizierend) bestätigt. Damit muss der Verteidiger leben. In der alltäglichen Praxis dagegen anzugehen, kann dem Mandanten Schaden zufügen, wenn dieser plötzlich ohne Verteidiger dasteht. Deswegen muss der Verteidiger insbesondere wissen:

Eine gemeinschaftliche Verteidigung ist unzulässig, wenn wegen einer Tat gegen mehrere Beschuldigte ermittelt wird (§ 146 S. 1 StPO, sog. prozessuale Tatidentität). Maßgebend hierfür ist der prozessuale Tatbegriff des § 264 StPO[12]. Daher scheiden Begünstigung, Hehlerei und Strafvereitelung aus[13], was früher umstritten war.[14] Es ist unerheblich, wenn diese Tat Gegenstand verschiedener Ermittlungsverfahren ist,[15] auch dann, wenn diese Verfahren nicht verbunden werden.
Werden Verfahren gegen mehrere Beschuldigte verbunden, ist eine gemeinschaftliche Verteidigung stets unzulässig, unabhängig also von dem Tatbegriff (§ 146 S. 2 StPO, sog. Verfahrensidentität)[16]. Dabei beginnt die Unzulässigkeit mit der Verfahrensverbindung und endet mit der Trennung. Im Ermittlungsverfahren reichen dafür weder die bloße Gleichzeitigkeit der Ermittlungen noch die bloße faktische Zusammenführung mehrerer Ermittlungsverfahren in einen Vorgang aus. Erforderlich ist vielmehr, dass die prozessuale Gemeinsamkeit durch eine ausdrückliche Entscheidung der Staatsanwaltschaft fixiert und begründet wird; dies kann auch durch eine nach außen erkennbare konkludente Verbindungserklärung erfolgen.[17] Das freie Ermessen der Staatsanwaltschaft kann aber eingeschränkt sein, wenn der Beschuldigte durch die Verbindung ohne zwingenden prozessökonomischen Gewinn den Verteidiger seines Vertrauens verlieren würde.[18] In dem Verbindungsbeschluss liegt dann ein Verstoß gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens und auch eine Behinderung der Verteidigung, welche die Revision begründen kann.[19]

Verboten ist jedoch lediglich die gleichzeitige Verteidigung mehrerer Beschuldigter. Die sog. sukzessive Mehrfachverteidigung ist damit grundsätzlich denkbar und zulässig.[20] Gleichzeitigkeit liegt vor, wenn die Mandatsverhältnisse gleichzeitig bestehen; also auch dann, wenn das Verfahren gegen einen Beschuldigten rechtskräftig abgeschlossen oder eingestellt worden ist.[21] Zulässige sukzessive Mehrfachverteidigung setzt somit voraus, dass das Mandat zu dem (einen, früheren) Mandanten beendet ist. Ist dem so, dann ist es nicht erforderlich, dass das Verfahren gegen den früher verteidigten Beschuldigten abgeschlossen ist: Es ist also ein Mandatswechsel während eines laufenden Verfahrens zulässig.[22]

Das alles dem potenziellen Mandanten zu erklären, ist nicht einfach. Zumal – was einem Laien noch einleuchten würde – ein Interessenwiderstreit im konkreten Fall nicht vorzuliegen braucht, vielmehr unwiderleglich vermutet wird.[23] Hierbei muss der Verteidiger beachten, dass es Probleme geben kann, wenn er mit einem Mitbeschuldigten Kontakt aufnimmt. Geschieht dies zum Zwecke einer Mandatsanbahnung (Mandatswechsel), so ist dies zulässig, weil darin noch keine Verteidigung liegt.[24] Auch zu einer Kontaktaufnahme, um mit dem Mitbeschuldigten die Ausübung des Schweigerechts zu erörtern, ist der Verteidiger berechtigt.[25] In der Praxis bietet es sich deswegen an, den Kontakt zu einem Mitbeschuldigten – wenn überhaupt – über dessen eigenen Verteidiger zu suchen.

Für die Frage der Mehrfachverteidigung ist es unerheblich, wenn die Vollmachtsurkunde jeweils auf alle Sozien ausgestellt ist.[26] Es empfiehlt sich jedoch, die nichtverteidigenden Sozien jeweils auf der Vollmachtsurkunde zu streichen; überflüssiger Streit wird so vermieden.

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§ 146 StPO verbietet nicht die Entwicklung und Durchführung einer gemeinsamen Verteidigungskonzeption für mehrere Beschuldigte (sog. Sockelverteidigung oder Basisverteidigung)[27]. Eine solche Abstimmung kann zweckmäßig sein, wenn der Grundvorwurf bei allen Beschuldigten gleich ist (z.B. angebliche Fehlerhaftigkeit eines Produkts). Sobald aber (nicht nur vorübergehende) Nachteile für den Mandanten die Folge sind, ist die Grenze für den Verteidiger erreicht: Das Individualinteresse des Mandanten hat stets Vorrang. Der Verteidiger muss zudem von Anfang an den Mandanten sorgfältig aufklären und beraten.

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§ 43a Abs. 4 BRAO i.V.m. § 3 Abs. 1 BORA verbieten auch eine Übernahme der Verteidigung, wenn der Verteidiger damit widerstreitende Interessen vertreten würde.[28] § 43a Abs. 4 BRAO lautet:

Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertreten.

§ 3 Abs. 2 BORA a. F. stellte bislang klar, dass dieses auch für den Fall einer Sozietät, Bürogemeinschaft oder sonstigen gemeinschaftlichen Berufsausübungen galt.[29]

§ 3 Abs. 1 und Abs. 2 BORA a.F. lautete:

(1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er, gleich in welcher Funktion, eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45, 46 Bundesrechtsanwaltsordnung beruflich befasst war.

(2) Das Verbot gilt auch, wenn ein anderer Rechtsanwalt oder Angehöriger eines anderen Berufes im Sinne des § 59a Bundesrechtsanwaltsordnung, mit dem Rechtsanwalt in Sozietät, zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in sonstiger Weise (Anstellungsverhältnis, freie Mitarbeit) oder in Bürogemeinschaft verbunden ist oder war, in derselben Rechtssache, gleich in welcher Funktion, im widerstreitenden Interesse berät, vertritt, bereits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise beruflich befasst ist oder war.[30]

Diese Regelung erschwerte mit Abs. 2 vor allen Dingen den Kanzleiwechsel, da Mitglieder einer aufnehmenden Sozietät mitunter sogar aufgrund der Vertretung von Mandanten im Bereich der alten Sozietät des neuen Rechtsanwalts aktuelle Mandate beenden mussten. Das Bundesverfassungsgericht stellte mit Beschluss vom 3.7.2003[31] – wegen der fehlenden Einschränkung bei einer Sozietätserstreckung – die Unvereinbarkeit mit Art. 12 GG und damit die Verfassungswidrigkeit der Norm fest.[32] Sie wurde deswegen mit Wirkung zum 1.7.2006 neu gefasst und lautet heute in Abs. 2:

(2) Das Verbot des Abs. 1 gilt auch für alle mit ihm in derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft gleich welcher Rechts- oder Organisationsform verbundenen Rechtsanwälte. Satz 1 gilt nicht, wenn sich im Einzelfall die betroffenen Mandanten in den widerstreitenden Mandaten nach umfassender Information mit der Vertretung ausdrücklich einverstanden erklärt haben und Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen. Informationen und Einverständniserklärung sollen in Textform erfolgen.

Daher können im Rahmen einer Sozietät durchaus widerstreitende Mandate begründet bzw. (nach einem Wechsel eines Anwalts) weitergeführt werden, wenn sich die betroffenen Mandanten im Einzelfall nach umfassender Information mit der Vertretung ausdrücklich einverstanden erklärt haben und Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen. Allerdings wird der Verteidiger stets zu prüfen haben, ob nicht durch die Übernahme eines weiteren Mandats in derselben Sozietät der Anschein eines abgestimmten Verhaltens erweckt wird, der sich letztlich vor allem für die Beschuldigten nachteilig auswirkt. Dieser Gesichtspunkt muss stets Vorrang vor dem Interesse haben, seinen Beruf ausüben zu wollen. Denn für Außenstehende erscheinen Verteidigungshandlungen nicht assoziierter Verteidiger stets selbstständiger, als wenn Verteidigungshandlungen, Schriftsätze, Anträge bei verschiedenen Beschuldigten aus derselben Sozietät kommen.

Erst recht hat dies zu gelten, wenn Mandate innerhalb einer Kanzlei geführt werden, bei denen sich die Beschuldigten bzw. die betroffenen natürlichen und/oder juristischen Personen gegenseitig belasten und/oder gegenläufige Interessen haben. Die Führung solcher Mandate in derselben Kanzlei wird sich in aller Regel verbieten. Stets zu befürchten ist gerade in diesen Fällen, dass Mandanten die Sorge haben, ihre unter dem Deckmantel der Vertraulichkeit geführten Gespräche könnten innerhalb der Kanzlei gerade den anderen Betroffenen/Beschuldigten zu Ohren kommen. Spätestens problematisch werden solche Konstellationen dann, wenn Sozietätskollegen urlaubsabwesend sind oder ihnen gar etwas zustößt, aufgrund dessen sie ihren Beruf nicht weiter ausüben können. Beispiele aus der Praxis belegen, dass gerade in solchen Fällen die unterschiedlichen Interessen ursprünglich getrennt geführter Mandate zum Problem werden. Schlimmstenfalls müssen in solchen Fällen verschiedene Mandate ggf. trotz langjähriger Beratungsverhältnisse plötzlich beendet werden. Gerade in langen und größeren Verfahren kann dies dann zu ganz erheblichen Nachteilen auch für denjenigen Mandanten führen, dessen Mandat plötzlich und unerwartet beendet werden muss.

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Ein Beschuldigter kann sich durch mehrere Verteidiger verteidigen lassen. § 137 Abs. 1 S. 2 StPO begrenzt die Zahl der Wahlverteidiger jedoch auf drei. Das gilt auch für Angehörige einer Sozietät. Die Nichtbeachtung dieser Vorschrift kann zu unangenehmen Situationen führen, da „überzählige“ (Wahl-)Verteidiger von Staatsanwaltschaft und Gericht zurückgewiesen werden müssen.[33] Der Verteidiger sollte daher vor Übernahme des Mandats den potenziellen Mandanten fragen, ob er bereits einem anderen Verteidiger Vollmacht erteilt hat. Insbesondere bei Mandanten aus der Untersuchungshaft ist diesbezüglich Vorsicht geboten.

§ 137 Abs. 1 S. 2 StPO gilt, wie schon aus dem Wortlaut folgt, nicht für Pflichtverteidiger. Die Bestellung eines solchen ist vielmehr gem. § 143 StPO zurückzunehmen, wenn ein Verteidiger gewählt wird und dieser das Mandat annimmt. In der Praxis sieht es allerdings nicht selten anders aus. Denn in umfangreicheren Verfahren bleibt die Bestellung oft bestehen.[34]

Steht (in den dargelegten Grenzen) einer Übernahme des Mandats neben anderen Verteidigern gesetzlich nichts entgegen, so muss sich der Verteidiger fragen, ob er neben/mit einem anderen Verteidiger verteidigen will, kann und sollte. Eine gemeinschaftliche Verteidigung ist beispielsweise zweckmäßig, wenn es um eine Spezialmaterie geht: Hier kann der eine Verteidiger die materiell-rechtliche Seite bearbeiten, während der andere für die prozessuale Komponente zuständig ist. Oder bei einem auswärtigen Verteidiger: Hier ist die Einschaltung eines ortsansässigen Verteidigers dienlich, der die örtlichen Gepflogenheiten der Justizbehörden kennt und die entsprechenden Insiderinformationen besitzt. Auch in fachlich übergreifenden Konstellationen kann die Vertretung von mehreren Verteidigern mindestens hilfreich, wenn nicht sogar erforderlich, sein. Stellt man sich bspw. umfangreiche Verfahren vor, in denen auch die Ermittlungsbehörden Fachkräfte aus den unterschiedlichsten Disziplinen hinzugezogen haben, erscheint es fast zwingend, dass die Verteidigung nicht nur zur Sichtung der Akten entsprechend aufgestellt ist. Dies ist nicht lediglich in Wirtschaftsstrafsachen denkbar, sondern auch in umfangreichen Mordverfahren oder etwa in Bereichen mit spezialgesetzlichem materiell-rechtlichem Hintergrund (z.B. Umweltstrafsachen, Lebensmittelstrafrecht, Steuerstrafsachen, etc.). In der Praxis hilft der Gedankenaustausch auch, komplexere Strategien zu entwickeln und zu vertreten. Die Verteidigung im Team verlangt von den Mitgliedern des Teams jedoch einiges ab. Denn während der Verteidiger in der Regel auf sich alleine gestellt und vertrauensvolle Gespräche unter vier Augen gewohnt ist, muss er sich nun umstellen. Schon das Verteidigerprivileg des § 148 StPO erfordert eine klare Struktur in der Kommunikation. Auch der Kontakt zu den Ermittlungsbehörden muss kommunikativ und personell gut durchdacht sein, um ein einheitliches Bild nach außen zu kommunizieren und sich durch die Mehrzahl der Verteidiger nicht mit unkoordinierten unterschiedlichen Verteidigungsansätzen zu schwächen. Insbesondere bei Terminierungsfragen ist eine Abstimmung erforderlich.[35] Profilierungssüchte eines einzelnen Verteidigers sind im Verteidigungsteam erst Recht fehl am Platz. Das Mandanteninteresse steht auch hier im Mittelpunkt.

Teil 1 Die Übernahme des MandatsII › 3. Berufsrechtliche Grundsätze

Verteidigung im Ermittlungsverfahren

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