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4. Das Institut der Pflichtverteidigung
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Das Institut der Pflichtverteidigung hat auf den ersten Blick nichts mit der „Freiheit der Mandatsübernahme“ zu tun. Denn rechtlich ist der bestellte Verteidiger zur Übernahme des Mandats verpflichtet, wenn er als solcher bestellt wurde nach § 142 StPO. Nur aus wichtigem Grund kann er nach den §§ 48 Abs. 2, 49 BRAO Befreiung von der Bestellung verlangen,[40] da dieses Institut als Konkretisierung des in Art. 20 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip den „Geboten der Waffengleichheit“ und der fairen Verfahrensführung Rechnung trägt.[41]
In der Praxis wird der zu bestellende Verteidiger aber oftmals jedoch schon einen Kontakt zum Mandanten gehabt haben, so dass dieser den Verteidiger für die Bestellung vorschlägt i.S.d. § 142 Abs. 1 StPO. Zudem hat es sich eingebürgert, dass die zuständigen Richter sich durchaus vorher bei einem Verteidiger vergewissern, ob er zur Übernahme des Mandats als Pflichtmandat bereit stünde.[42] Das ist ausdrücklich zu begrüßen. Denn nichts ist schädlicher für die effektive Durchführung eines Strafverfahrens als der Streit über die Wirksamkeit einer (fort)bestehenden Pflichtverteidigung zwischen Gericht, Anwalt und Mandanten, der regelmäßig zum Widerruf der Bestellung führt.[43]
Im Ermittlungsverfahren spielte die Pflichtverteidigung in der Vergangenheit eine eher untergeordnete Rolle, wenngleich § 141 Abs. 3 S. 1 StPO die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Vorverfahren vorsah.[44] Vielmehr wirkte sich dieses Institut regelmäßig im Zwischenverfahren und im Stadium der Vorbereitung der Hauptverhandlung aus.[45] Die Situation der notwendigen Verteidigung liegt vor in den Fällen der §§ 140, 117 Abs. 4, 364a, 364b, 408b, 418 Abs. 4 StPO, § 68 JGG oder § 40 Abs. 2 Nr. 1 IRG (Europäischer Haftbefehl).[46]
In Zukunft werden die Pflichtverteidigungsmandate im Vorverfahren jedoch zunehmen. Hatte der Bundesgerichtshof jüngst noch auf die Beachtung von Art. 6 MRK und auf die notwendige frühe Bestellung eines Pflichtverteidigers hingewiesen, wenn der Beschuldigte anderenfalls bei einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung des „zentralen Belastungszeugen“ ausgeschlossen wird,[47] wurde zum 1.1.2010 die gesetzliche Regelung ergänzt.[48] Nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO liegt nun ein Fall der notwendigen Verteidigung zeitlich schon dann vor, wenn gegen den Beschuldigten die Untersuchungshaft nach §§ 112 oder 112a StPO oder die einstweilige Unterbringung nach §§ 126a oder 275a StPO vollstreckt wird (vgl. auch § 141 Abs. 3 S. 4 StPO).[49] Die Zuständigkeit auf Gerichtsseite folgt aus § 141 Abs. 4 StPO. Die neuen gesetzliche Regelungen sind von der Anwaltschaft begrüßt worden.[50]
Das Recht des Beschuldigten auf unverzügliche anwaltliche Hilfe darf jedoch nicht dazu führen, dass dem Beschuldigten – an seinem Wunsch vorbei und ohne Berücksichtigung auf ein etwaig bestehendes Vertrauensverhältnis zu einem anderen Anwalt – ein beliebiger möglicherweise nicht gewünschter Pflichtverteidiger von Seiten des Gerichts bestellt wird.[51] Der Beschleunigungsgrundsatz darf auch nicht ohne weiteres dazu missbraucht werden, dem Beschuldigten einen Anwalt seiner Wahl z.B. wegen dessen Arbeitsüberlastung auszuschlagen.[52] Die junge Praxiserfahrung mit den neuen gesetzlichen Regelungen zeigt leider auch, dass Beschuldigte ihren einmal frühzeitig bestellten Pflichtverteidiger nicht mehr „los werden“ oder etwa vereinzelte Kollegen darum buhlen, auf der Anwaltsliste des Ermittlungsrichters ganz oben zu stehen. Letzteres ist berufsrechtswidrig und mindestens fragwürdig.[53] Ersteres sollte nicht sein, da angesichts der Eile, in welcher die Beiordnung zu erfolgen hat, erleichterte Anforderungen an den Wechsel des Verteidigers zu stellen sind.[54] Denn in der Regel ist es weniger das Vertrauensverhältnis als die zeitliche Eingeschränktheit, welches die Beiordnung bestimmt hat. Um all solche Problemsituationen zu vermeiden hat der Strafrechtsausschuss des DAV Empfehlungen herausgegeben, welche als Richtwerte und auch als Argumentationshilfen verwandt werden können.[55]
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Es wird jedem selbst überlassen bleiben, ob und inwieweit er ein Mandat als Pflichtverteidigungsmandat führt oder nicht. Für oder gegen eine solche Entscheidung werden aber nicht alleine monetäre Gesichtspunkte ausschlagegebend sein dürfen. Denn es ist schon keine Verpflichtung des Pflichtverteidigers, Kosten gegenüber der Staatskasse geltend zu machen. In der Praxis finden sich unterschiedliche Gründe für die Übernahme eines Pflichtverteidigungsmandats. So macht es gerade bei jüngeren Kollegen Sinn, solche Mandate zu übernehmen, da sie Erfahrung sammeln und sich einen Namen machen können. Die Gefahr, bei den Gerichten „beliebt“ zu sein, schwingt dabei jedoch immer mit. Meist sind die unbequemen Verteidiger eher nicht derart beliebt. Deswegen ist es ein zweifelhaftes Kompliment, wenn man in Justizkreisen ein „beliebter“ Pflichtverteidiger ist. Das hat nichts mit Ansehen zu tun. Zuweilen werden andererseits auch besonders erfahrene und angesehene Verteidiger von Vorsitzenden Richtern gebeten, in einem Fall tätig zu werden; sei es, weil er sehr öffentlichkeitswirksam ist, sei es, weil das Vertrauen der Vorsitzenden in den Wahlverteidiger nicht ausreichend stark ist, dass der Wahlverteidiger der Aufgabe gewachsen wäre. In solchen Fällen kann es fast zur Pflicht werden, das Pflichtmandat zu übernehmen, wenn man seit vielen Jahren am maßgeblichen Landgericht tätig ist und eine solche Anfrage als Wertschätzung durch den Vorsitzenden Richter verstanden werden kann. Auch kommt es vor, dass ein Pflichtverteidiger zur Verfahrenssicherung bestellt wird. Dies kann dann durchaus der Wahlverteidiger oder aber ein zweiter Wahlverteidiger sei. Kritisch wird der „Sicherungs-Pflichtverteidiger“, wenn er in eine laufende Hauptverhandlung hinein bestellt wird und sofort „los-verteidigen“ soll. Dies geschieht nicht selten, wenn ein Wahlverteidiger sein Mandat niederlegt oder aber die Hauptverhandlung umfangreich und kontrovers geführt wird. Unverständlich ist es, dass es in diesen Situationen immer wieder Verteidiger gibt, die diese Aufgabe auch ohne Kenntnis der Akten wahrnehmen; selten geschieht dies in absoluter Übereinstimmung mit den Interessen des Mandanten. Dies spielt jedoch alles eher im Hauptverfahren eine Rolle und soll deswegen hier ausgeblendet bleiben. Für den jungen Kollegen bedeutsam zu wissen ist noch, dass die meisten Rechtsanwaltskammern Listen mit zur Verfügung stehenden Pflichtverteidigern vorhalten, die auch von den Gerichten genutzt werden.