Читать книгу Fordern und Fördern - Führungspraxis für Feuerwehrleute - Jens-Peter Wilke - Страница 15
1.11 »Ein Führer ist einer, der die anderen unendlich nötig hat«
ОглавлениеDiese Erkenntnis des französischen Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry (»Der kleine Prinz«) sollten auch wir uns zu eigen machen. Wenn es niemanden zu führen gibt, braucht man auch keinen Führer. Ein Dienstleistungsunternehmen wie die Feuerwehr basiert im Wesentlichen auf der Leistung seiner Mitarbeiter. Die Mitarbeiter sind seine »Maschinen«, sie sind für das Produktionsergebnis maßgeblich. Was nützt uns das modernste Löschfahrzeug, wenn es niemanden gibt, der damit zur Einsatzstelle fährt und dort die Lösch- und Rettungsgeräte einsetzt (Bild 3)? Feuerwehrarbeit, das ist trotz allen technischen Fortschritts vor allem immer noch Handarbeit. Als Führungskraft müssen wir darum den einzelnen Kameraden, den Mitarbeiter, als unser wichtigstes »Betriebskapital« verstehen. Alleine können wir so gut wie nichts ausrichten. Nach dem so genannten »Human-Relations-Ansatz« wird der Mitarbeiter als Ressource eines Wirtschaftsbetriebes mit mindestens der gleichen Bedeutung wie die Ressourcen Rohstoffe, Maschinen und Vermögen begriffen. Nach diesem Ansatz gilt es, die Ressource »Mensch« zu erhalten und sowohl ihren »Wert« als auch ihren Wirkungsgrad zu vermehren (Bild 4). Das heißt, wir müssen in die Ausbildung des Mitarbeiters und in seinen Schutz investieren, wir müssen störende Einflüsse beseitigen, wir müssen ihn motivieren und wir müssen mit seinen Ressourcen sorgsam umgehen, damit er seine maximale Produktivität entwickeln kann. Denn eins ist wohl unbestritten: Eine gut ausgebildete, hochmotivierte Truppe ist auch mit weniger modernem Einsatzgerät schlagkräftiger, als eine Truppe, die zwar über die neueste Technik verfügt, jedoch demotiviert ist und mit dieser Technik gar nicht umgehen kann. Optimal ist natürlich eine gut ausgebildete, hoch motivierte Truppe mit modernstem Gerät.
[26]Bild 3: »Ein Führer ist einer, der die anderen unendlich nötig hat.« [zurück]
Bild 4: Grundmodell des Human-Relations-Ansatzes [zurück]
Den Menschen, die uns bei der Feuerwehr begegnen, sollten wir zunächst erst einmal unterstellen, dass sie gerne bei der Feuerwehr sind und dass es ihr Ziel ist, hier etwas zu leisten. Nach der »Theorie Y« des Arbeitspsychologen McGregor erkennt der Mensch die Arbeit als Quelle seiner Befriedigung an, wenn die Bedingungen stimmen. Stimmen die Bedingungen nicht, glaubt der jeweilige Mitarbeiter nicht mehr, dass ihm seine Arbeit zur Befriedigung seiner Bedürfnisse dient. Seine Produktivität wird folglich nachlassen. Als Führungskraft sollten wir deshalb von dem Grundsatz ausgehen, dass es keine »faulen« Mitarbeiter gibt, sondern dass bei nachlassender Leistung irgendetwas mit den Bedingungen nicht stimmt. Es ist unsere Aufgabe herauszufinden, was nicht mehr stimmt. Ist das Betriebsklima gestört? Sieht der Mitarbeiter keine Entwicklungschancen mehr für sich? Sieht der Mitarbeiter nicht [27]mehr den Sinn seiner Arbeit? Sind seine Selbstständigkeit und seine Verantwortung eingeschränkt? Ist er unterfordert? Oder überfordert? Oder liegen seine Probleme außerhalb des Arbeitsbereiches? Natürlich können wir nicht seine Familien- oder Gesundheitsprobleme lösen, aber allein das Angebot zuzuhören, kann schon enormes bewirken. Als Führungskraft müssen wir nicht für jedes Problem unserer Mitarbeiter eine Lösung parat haben, aber wir sind ihnen in jeder Situation ein offenes Ohr für ihre Belange schuldig. Das verstehen wir zuallererst unter »Hege und Pflege der Ressource Mensch«.
Bestimmt gibt es den einen oder anderen Leser, der bei diesen Zeilen die Stirn in Falten legt und sinngemäß so etwas wie »Ich habe zehn Mitarbeiter und den ganzen Schreibtisch voll Arbeit, woher soll ich mir da auch noch die Zeit nehmen, mir die Wehwehchen jedes einzelnen anzuhören?« denkt. Wer so denkt, sollte dringend weiterlesen, denn er hat den Kern seiner Führungsfunktion noch nicht begriffen: Führen ist Arbeit. Und zwar unsere wichtigste, ihr sollten wir den größten Teil unserer Zeit widmen. Andere Aufgaben müssen wir delegieren, denn wir sind nicht der »erste Sachbearbeiter«, sondern die Führungskraft. »Das ist immer so leicht gesagt…« wird jetzt wieder der eine oder andere denken. Ihnen entgegne ich: Versuchen Sie es doch einfach mal! Verteilen Sie Aufgaben, die nichts unmittelbar mit Ihrer Führungsfunktion zu tun haben auf Ihre Mitarbeiter. Natürlich müssen Sie den Eindruck vermeiden, Sie wollten nur unangenehme Aufgaben, zu denen Sie keine Lust haben, wegdrücken. Ich bin sicher, Sie werden einige Überraschungen erleben. Das Ergebnis wird vielleicht anders, aber deshalb nicht schlechter sein, als wenn Sie es selbst gemacht hätten und obendrein werden die Mitarbeiter durch das gewachsene Maß an Verantwortung und Selbstständigkeit stärker motiviert sein.
Der Erfolg auf diesem Weg wird uns erleichtert, wenn wir uns von der grundsätzlichen Einstellung verabschieden können, dass unsere Mitarbeiter dümmer sind als wir. Gerade bei den Feuerwehren ist vielfach sowohl bei Mitarbeitern als auch bei Führungskräften noch die Ansicht vertreten, dass ein Vorgesetzter in seinem Gebiet der oberste Experte sein muss. Viele Chefs fühlen sich daher ständig bemüßigt, ihren Nachgeordneten unter Beweis zu stellen, dass sie von der jeweiligen Materie mehr Ahnung haben. Damit scheitern sie nicht selten, denn natürlich ist ein Sachbearbeiter, der sich fast ausschließlich mit einem Problem beschäftigt, seinem Chef, der sich mit einer Vielzahl von ganz unterschiedlichen Problemen beschäftigen muss, meistens im jeweiligen Detailwissen überlegen. Dies führt immer wieder zu peinlichen Situationen. Oft kann man beobachten, wie ein Mitarbeiter seinen Vorgesetzten regelrecht »auflaufen« lässt. Doch wer lässt sich schon gerne vorführen? Der Vorgesetzte sitzt letztlich immer noch am längeren Hebel und wird nur auf den Moment warten, in dem er seinem Mitarbeiter zeigen kann, wer hier der Chef ist.
[28]Chef und Mitarbeiter kommen am ehesten zum Erfolg, wenn sie eine Partnerschaft eingehen. Dazu ist zunächst erforderlich, dass der Vorgesetzte seinen Mitarbeiter als »Experten« anerkennt, also als den jeweiligen Fachmann akzeptiert. Der Mitarbeiter hingegen muss erkennen, dass sein Vorgesetzter nicht seine Detailkenntnis haben muss, dass aber letztlich nur er der Schlüssel zu seinem Erfolg ist. Er muss wissen: Nur mein Vorgesetzter kann mir die Arbeitsmittel und -kräfte beschaffen, die ich benötige und nur er verleiht dem Ergebnis meiner Arbeit auch die Möglichkeit zur Realisierung. Letztlich ist es mein Vorgesetzter, der über mein weiteres Vorwärtskommen entscheidet. Der psychologische Effekt dieser Partnerschaft ist leicht verständlich: Der Mitarbeiter wird sich anerkannt fühlen, wenn er spürt, dass sein Vorgesetzter seiner Fachkenntnis vertraut. Dies wird ihn in aller Regel motivieren, dieses Vertrauen auch zu rechtfertigen. Sieht er dann seine Arbeit auch realisiert, wird ihn das zusätzlich motivieren. So haben wir die Motivation unseres Mitarbeiters gefördert und wir können das »große Ganze« im Auge behalten, ohne uns mit Detailfragen aufhalten zu müssen.
Zu den entscheidenden persönlichen Kompetenzen einer Führungskraft gehört auch die Fähigkeit, anderen vertrauen zu können. Eine Führungskraft muss in der Lage sein, ihren Mitarbeitern Vertrauen zu schenken. Kontrollmechanismen sind aufwändig, teuer und demotivieren den Mitarbeiter, wenn er spürt, dass ihm misstraut wird. Wenn wir Vertrauen schenken, übertragen wir damit zugleich auch Verantwortung. Dies erhöht wiederum die Motivation des einzelnen Mitarbeiters, wenn er erkennt, dass wir nicht nur seine Kompetenz anerkennen, sondern ihm auch auf Augenhöhe begegnen. Welcher Mensch will ein solches Vertrauen enttäuschen? Natürlich kann es auch einmal die eine oder andere negative Erfahrung geben. Diesem Fall muss dann natürlich mit aller gebotenen Entschiedenheit entgegengetreten werden. Solche »schwarzen Schafe« sollten uns jedoch nicht dazu bringen, allen Mitarbeitern grundsätzlich zu misstrauen und aufwändige Kontrollmechanismen zu installieren.
Merke: Erfolgreiches Führen ist ohne Vertrauensvorschuss kaum möglich. Von Hause aus misstrauische Menschen werden es daher in ihrer Führungsfunktion stets schwerer haben. |
Aufgaben zu delegieren, ist einer der schwierigsten Aspekte der Personalführung. Delegieren darf nicht bedeuten, nur unangenehme Aufgaben auf andere abzuwälzen. Vielmehr ist unter Delegieren zu verstehen, dass die Bearbeitung verantwort[29]licher Aufgaben ganzheitlich mit allen dafür erforderlichen Kompetenzen übertragen wird. Delegation setzt zunächst voraus, dass wir uns als Vorgesetzte von unserer konkreten Vorstellung, wie das Ergebnis aussehen muss, verabschieden. Es ist wenig verwunderlich, dass die wichtigsten Prinzipien der Menschenführung beim Militär entwickelt wurden und noch heute entwickelt werden. Lediglich die Begrifflichkeiten unterscheiden sich etwas. So wurde das Delegationsprinzip beim deutschen kaiserlichen Heer unter dem Begriff »Auftragstaktik« bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelebt. Zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter wird ein Ziel vereinbart, der Weg zu Erreichung dieses Ziels ist dem Mitarbeiter weitgehend selbst überlassen. Entscheidend ist allein, dass das Ziel erreicht wird. Auch U. S.-General George S. Patton zeigte sich bald von diesem Führungsprinzip überzeugt: »Schreiben Sie den Leuten nicht vor, wie sie etwas erledigen sollen. Sagen Sie ihnen, was zu tun ist, und sie werden Sie mit ihrem Einfallsreichtum verblüffen.« Als Führungskraft sollten wir die Bereitschaft haben, uns überraschen zu lassen. Natürlich kann eine solche Überraschung auch einmal unangenehm ausfallen. Dies sollte uns jedoch nicht sofort davon abbringen, neue Dinge auszuprobieren.
Die Chance des Erfolges erhöht sich, je eher wir den oder die betreffenden Mitarbeiter in den Auftrag miteinbeziehen. Ziele sollten wir gemeinsam mit dem Mitarbeiter formulieren. Bei der Erfüllung seiner Aufgabe wird der Mitarbeiter vielleicht unsere Unterstützung benötigen. Wir sollten stets ein offenes Ohr für seine Fragen haben und ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen. Dazu gehört, alle verfügbaren Informationen bereitzustellen. Das Zurückhalten von »Herrschaftswissen« wird nicht nur unseren Mitarbeiter scheitern lassen, sondern in letzter Konsequenz auch uns. Es ist aber nicht unsere Führungsaufgabe, fertige Lösungsschablonen zu liefern. Die Bereitschaft, unkonventionelle Wege zu gehen, sollten wir fördern. Das schließt auch ein, vielleicht unpopuläre Entscheidungen unserer Mitarbeiter mitzutragen und ihnen nach außen hin den Rücken zu stärken. Bei der Beurteilung des Ergebnisses dürfen wir nicht an unseren eigenen Lösungsschablonen haften. Warum soll unsere Lösung die einzig Wahre sein? Das beginnt schon im Kleinen: Viele detailverliebte Vorgesetzte neigen dazu, die Formulierungen in Schriftsätze ihrer Mitarbeiter durch kleinteilige Änderungen zu »verbessern«. Bei nüchterner Betrachtung ist das Ergebnis hinterher meist nicht gelungener als vorher. Peinlich kann es sogar werden, wenn er bei der fünften Vorlage desselben Textes anfängt, seine eigenen »Verbesserungen« zu verbessern. Solche »Verbesserungen« kosten viel Zeit und enervieren die Mitarbeiter. Bevor wir eine Textpassage ändern, sollten wir sorgfältig abwägen, ob diese Änderung wirklich unumgänglich, also zur Erreichung des Ziels unverzichtbar ist oder ob diese Änderung nicht lediglich unserer Meinung nach netter klingt. Mitarbeiter sollten hingegen angehalten werden, sich [30]ihre Texte gegenseitig zu korrigieren. Das prägt den Team-Geist und gewährleistet nebenbei, dass alle auf dem gleichen Informationsstand sind. Ansonsten gilt auch hier: Wir kümmern uns nicht um Details, sondern ums große Ganze, was in diesem Zusammenhang meint: Wir lektorieren nicht die Entwürfe unserer Mitarbeiter, sondern sorgen für eine Fortbildung oder eine andere Verwendung, wenn ein Mitarbeiter beim besten Willen nicht in der Lage ist, verständliche, präzise Texte zu formulieren.
Wenn wir in der Führungshierarchie höher angesiedelt sind, uns also weitere Führungskräfte unterstellt sind, die jeweils einen eigenen Mitarbeiterkreis haben, dann gelten diese Regeln erst recht. Schließlich delegieren wir hier nicht nur einzelne Aufgaben, sondern vor allem Verantwortung. Selbstständige, leistungsbereite Führungskräfte werden wir nur bekommen, wenn wir unseren Führungskräften klare Ziel- und Zeitvorgaben geben. Selbstständigkeit werden wir auch hier nur erreichen, wenn wir es uns verkneifen, den Lösungsweg vorzugeben und in laufende Prozesse einzugreifen. Entscheidungen, die durch eine nachgeordnete Führungskraft getroffen wurden, sollten wir nur im äußersten Notfall, also zum Beispiel bei einem erkennbaren Gesetzesverstoß, aufheben. Nach außen hin sollten wir die Entscheidung unserer nachgeordneten Führungskraft stets verteidigen, auch dann, wenn wir vielleicht tief in unserem Innern anderer Meinung sind. Nicht nur der Mitarbeiter muss gegenüber seinem Vorgesetzten loyal sein, auch der Vorgesetzte muss dies gegenüber seinem Mitarbeiter sein. Abweichende Meinungen können wir mit dem Betreffenden später immer noch unter vier Augen klären.
Merke: Wer führen will, muss frei von anderen Tätigkeiten sein. Führen heißt nicht, dass man alles (besser) weiß. Nicht nur der Mitarbeiter muss gegenüber seinem Vorgesetzten loyal sein, auch der Vorgesetzte muss dies gegenüber seinem Mitarbeiter sein. |