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1.12 Führungsstile: Welcher ist der richtige?

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Jeden Tag erleben wir dutzende von Ereignissen. Wir lernen täglich neu, ob wir mit unserem Verhalten Erfolg haben, also unsere Bedürfnisse befriedigen können oder dabei scheitern. Egal ob Erfolg oder Misserfolg, in jedem Fall lernen wir aus dem Erlebten und ziehen daraus Konsequenzen für unser weiteres Verhalten, wobei häufig die Misserfolge einprägsamer sind. Diesen immerwährenden Lernprozess [31]nennen wir Erfahrung. Wir hören niemals auf, Erfahrungen zu sammeln und daraus Konsequenzen für unser Verhalten zu ziehen. Als Führungskraft ist es unsere Aufgabe, den Lernprozess unserer Mitarbeiter so zu steuern, dass diese ihr Verhalten in unserem Sinne verändern. Die Kunst des Führens besteht also darin, dass unsere Mitarbeiter lernen, dass sie ihre Bedürfnisse nur dann befriedigen können, wenn sie sich unsere Ziele zu den ihren machen. Den einen oder anderen Leser mögen an dieser Stelle Zweifel beschleichen: Wird ein Mensch so ohne weiteres seine Ziele gegen meine tauschen? Muss ich hierzu nicht erst seinen Willen, wenn nicht gar seine Persönlichkeit brechen? Die Antwort auf diese Zweifel ist ebenso einfach wie ernüchternd: Nein. Wir Menschen sind viel opportunistischer als wir es uns selbst eingestehen möchten. Einige Grundprinzipien, von denen abzuweichen wir nicht so ohne weiteres bereit sind, haben wir zwar alle − die einen mehr, die anderen weniger − im Alltag sind wir jedoch in aller Regel zumindest unterbewusst sehr schnell bereit, unsere Ziele den Gegebenheiten anzupassen.

Es gibt verschiedene Wege, das Verhalten unserer Mitarbeiter auf unsere Ziele hin auszurichten. Das Motiv des Mitarbeiters, sein Verhalten zu ändern, ist davon abhängig, welchen Weg wir auswählen. Im besten Fall ist es innere Überzeugung. Der Mitarbeiter hat dann das Gefühl, sich selbst das Ziel gesetzt zu haben. Im ungünstigsten Fall ist das Motiv schlicht, Angst zu haben vor den Repressalien, die ihn erwarten, wenn er das Ziel nicht erreicht.

Es wird zwischen verschiedenen Führungsstilen unterschieden (Bild 5). Beim autoritären Führungsstil entscheidet der Vorgesetzte allein und ordnet an, ohne seine Mitarbeiter an der Problemlösung zu beteiligen (»Befehls-Führung«). Der Mitarbeiter wird die Anordnung ausführen, also sein Verhalten in der vom Vorgesetzten befohlenen Art und Weise ändern. Sein Hauptmotiv für die Verhaltensänderung wird überwiegend Angst vor den Konsequenzen sein, die er zu erwarten hat, wenn er den Befehl nicht in der befohlenen Art und Weise ausführt. Er wird daher weder den Befehl noch sein Handeln kritisch hinterfragen. Da sein eigener Handlungs- und Entscheidungsspielraum gegen null tendiert, trägt er allerdings auch nahezu keine Verantwortung für das Ergebnis.

Bild 5: Systematik der Führungsstile [zurück]

Den patriarchalischen Führungsstil kennzeichnet eine ansatzweise Einbeziehung der Mitarbeiter vor der Anordnung. Die Frage »Was meinen Sie?« ist hier meist nur rein rhetorischer Natur, der Vorgesetzte hat sich bereits entschieden und sucht nur die Bestätigung für seine Entscheidung. Findet er diese Bestätigung nicht, wird er jedoch nicht seine Entscheidung in Frage stellen, sondern seinen Mitarbeiter. Die Mitarbeiter wissen dies und werden in aller Regel ihrem Vorgesetzten zum Munde reden und ihr Verhalten entsprechend ausrichten. Ihr Motiv ist dabei ebenfalls Angst [32]vor eventuellen Repressalien. Folglich tendiert auch beim patriarchalischen Führungsstil die Verantwortung und Selbstständigkeit des Mitarbeiters gegen null.

Der beratende Führungsstil beinhaltet eine echte Mitarbeiterbeteiligung. Die Mitarbeiter werden vor einer Entscheidung nach ihrer Meinung gefragt, bei seiner Entscheidung lässt sich der Vorgesetzte jedoch nur in geringem Maße von der Meinung seiner Mitarbeiter beeinflussen. Eine kritische Hinterfragung seiner Entscheidung lässt er zwar zu, doch der Mitarbeiter besitzt keinerlei Entscheidungskompetenzen, trägt also auch keine Verantwortung.

Beim kooperativen Führungsstil ist die Auseinandersetzung mit den Mitarbeitern stärker ausgeprägt. Der Führer wendet verstärkt Energien darin auf, die Mitarbeiter von seinen Zielen zu überzeugen und sie zu Mitstreitern zu machen. Die Mitarbeiter sind in den Entscheidungsfindungsprozess eingebunden, ihre Meinung beeinflusst den Vorgesetzten in seinem Entscheidungsprozess. Die Mitarbeiter müssen keine Repressalien fürchten, wenn ihre Meinung von der ihres Vorgesetzten abweicht. Die Entscheidung wird jedoch letztlich allein vom Vorgesetzten getroffen. Die Mitarbeiter haben sich seiner Entscheidung zu beugen. Der Grad ihrer Verantwortung ist entsprechend eingeschränkt.

[33]Beim partizipativen Führungsstil ist der Grad der Mitarbeiterbeteiligung am Entscheidungsprozess stark ausgeprägt. Die Gruppe entwickelt gemeinsam mehrere Entscheidungsalternativen, von denen der Vorgesetzte nach Beratung durch die Gruppe eine auswählt. Dabei ist der Vorgesetzte im Einzelfall durchaus gewillt, sich der mehrheitlichen Meinung in der Gruppe zu beugen, auch wenn diese seiner eigenen Überzeugung widerspricht. Indem die Gruppenmitglieder um die Umsetzung ihrer Vorschläge wissen, steigt auch ihre Verantwortung.

Im Rahmen des delegativen Führungsstils werden Entscheidungen aus dem Kompetenzbereich des Vorgesetzten auf die Mitarbeiter übertragen. Im Rahmen gemeinsam definierter Regeln entscheiden die Mitarbeiter weitgehend selbst, wie sie das Ziel erreichen. Dies setzt eine hohe Zielidentifikation voraus, welche nur dann erreicht werden kann, wenn die Gruppe bereits aktiv in den Zielfindungsprozess einbezogen wurde. Bei diesem Führungsstil haben die Mitarbeiter ein sehr großes Maß an Eigenverantwortung. Da sie für den einzelnen Mitarbeiter mit größtmöglicher Selbstständigkeit verbunden ist, ist seine Motivation entsprechend hoch.

Welcher Führungsstil ist nun der richtige? Der autoritäre Führungsstil erscheint uns heute allenfalls noch in Extremsituationen angebracht, ansonsten aber eher nicht mehr zeitgemäß. Der delegative Führungsstil hat auf den ersten Blick durchaus attraktive Aspekte. Aber können wir uns vorstellen, bei einem brennenden Wohnhaus mit der Löschgruppe erst einmal eine Teamsitzung zu machen, gemeinsam Ziele zu definieren und dann die Gruppe allein entscheiden zu lassen, was nun gemacht wird? Wohl eher nicht. Sicherlich streben wir an, unseren Mitarbeitern ein großes Maß an Selbstständigkeit einzuräumen, aber ist jeder unserer Kameraden eigentlich dazu in der Lage, ein solches Maß an Eigenverantwortung zu tragen? Allein bei diesen Fragen erkennen wir bereits: Den allgemeingültigen Führungsstil gibt es nicht. Wir müssen unser Führungsverhalten den jeweiligen Bedingungen anpassen. Der jeweils »richtige« Führungsstil ist abhängig von

 der Führungssituation,

 der Persönlichkeit der Führungskraft,

 der Persönlichkeit des Geführten,

 den Bedürfnissen des Einzelnen,

 den Bedürfnissen der Gruppe,

 der Beziehung zwischen Führer und Geführtem,

 der vorhandenen Führungsstruktur,

 Art und Umfang des Zieles.

Es ist leicht nachvollziehbar, dass nicht jede Führungskraft jeden Führungsstil glaubhaft anwenden kann. Gleiches gilt natürlich auch für die Geführten. Die [34]Motivationslage wird ebenfalls von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein. Der eine sucht die kameradschaftliche Geselligkeit, der andere intellektuelle Herausforderung, der dritte eher Spaß und Abenteuer. Entscheidend ist auch, in welcher Beziehung Führer und Geführter stehen. Ist es eine eher distanzierte, von gegenseitigem Misstrauen geprägte Beziehung oder eine vertrauensvolle, fast schon freundschaftliche? In aller Regel werden wir auf bereits bestehende Führungsstrukturen treffen. Bei der Feuerwehr sind diese, geprägt durch den Einsatzdienst, überwiegend noch autoritärer bis kooperativer Art. Wenn wir versuchen, von heute auf morgen einen delegativen Führungsstil zu praktizieren, werden wir wohl schnell an Grenzen stoßen. Viele Mitarbeiter werden damit überfordert sein. Uns übergeordnete Führungskräfte werden uns argwöhnisch beäugen und wahrscheinlich bald in unsere Schranken verweisen. Ganz entscheidend ist natürlich Art und Umfang unseres Auftrages. Für die Planung und Durchführung von Verschönerungsmaßnahmen in unserer Feuerwache empfiehlt sich naturgemäß ein anderer Führungsstil als im Einsatz, wo es zuweilen unter hohem Zeitdruck um Menschenleben geht. Unter Einbeziehung all dieser Faktoren den richtigen Führungsstil auszuwählen, das ist der Schlüssel zum Erfolg. Es soll an dieser Stelle deshalb auch der Begriff vom »intelligenten Führen« geprägt werden.

Intelligentes Führen heißt, sich situativ auf die individuellen Bedürfnisse und Eigenschaften der Mitarbeiter einzustellen und die jeweiligen Kenntnisse, Erfahrungen und Kreativität zu nutzen, um die eigenen Ziele beziehungsweise die Ziele der Behörde zu den Zielen des Mitarbeiters zu machen.

Merke: Führen heißt, Menschen ans Ziel bringen. Intelligentes Führen heißt: das eigene Führungsverhalten jederzeit den jeweils aktuellen Faktoren anpassen.
Fordern und Fördern - Führungspraxis für Feuerwehrleute

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