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Lake Winnepesaukee / New Hampshire
Der Blick aus den Panoramafenstern war atemberaubend. Über den Ossipee Mountains im Osten ging gerade die Sonne auf und schuf glitzernde Reflexe auf dem See. Im Westen verbarg ein Dunstschleier die Sicht auf die Belknap Range. Die Tür zu einer der Veranden stand offen. Frische, würzige Luft drang in den großen, gemütlich eingerichteten Wohnraum. Die Freunde saßen beim Frühstück. Schweigend genossen sie ihr Essen. Die Szene hatte etwas von Urlaubsstimmung und könnte fast vergessen machen, dass die Welt im Sterben lag, vielleicht größtenteils schon tot war oder von Untoten bevölkert wurde.
Mary-Ann Parker betrachtete nachdenklich ihre Kaffeetasse. »Ich finde, wir sollten die Ausflüge mit dem Hubschrauber einschränken. Candy, du warst erst letzte Woche in der Region. Unsere Lager sind gefüllt. Und Kerosin, Diesel und Benzin haben wir auch noch genügend.«
Candy stellte ihren Kaffeebecher ab. »Ich verstehe deinen Einwand, Mary-Ann. Aber ich denke, wir sollten uns nicht drauf verlassen, dass zu einem späteren Zeitpunkt noch genügend Treibstoff und Lebensmittel vorhanden sind. Da draußen sind noch immer Überlebende unterwegs. Es mag egoistisch klingen, aber ich finde, wir sollten zuerst an uns denken. Die Winter am Lake Winnepesaukee können verdammt kalt werden. Und es ist nicht mehr weit bis dahin ...«
»Das weiß ich«, wehrte Mary-Ann ab. Candy hatte recht. Trotzdem hatte sie ein ungutes Gefühl, den Hubschrauber schon wieder auf die Reise zu schicken.
Huntington meldete sich zu Wort, der die Diskussion der beiden Frauen interessiert verfolgt hatte. Joshua hatte damals in Whitehawk Air Force Base mehrfach von Mary-Ann erzählt, doch die Frau, die jetzt hier am Tisch saß, hatte wenig Ähnlichkeit mit der toughen Karrierefrau, die in der Medienbranche gefürchtet war, damals, als die Welt noch funktionierte, als es die Medien noch gab. Und bei Candy schien es, dass der Beschützerinstinkt für ihre Kinder immer stärker wurde. Am liebsten würde sie Leo und Janet den ganzen Tag über in der Hütte wissen, um sie immer im Auge behalten zu können. Huntington ahnte, dass es über kurz oder lang in ihrer kleinen Gemeinschaft zu Spannungen kommen würde. Mary-Ann und Candy waren beide starke Frauen; vielleicht zu stark. Und zwischen den beiden Frauen schien Joshua zu stehen, der dem Anschein nach nichts davon ahnte. Nicht nur Mary-Ann liebte ihn, auch Candy warf ihm hin und wieder verstohlene Blicke zu, sinnierte Huntington. Vielleicht fühlte Candy sich einsam. Ihr Mann war von den Schergen von Seamus Abigail ermordet worden. Sie war jung, gut aussehend - eine Frau in den besten Jahren - und sie war alleine.
»Wir machen den Flug«, meldete sich Joshua zu Wort. Ihm war aufgefallen, wie analysierend Huntington das Gespräch verfolgt hatte. Mary-Ann hob etwas indigniert die Brauen, sagte aber nichts. Offensichtlich passte es ihr nicht, dass Joshua sich Candys Vorschlag anschloss. Oder bist du etwa eifersüchtig? Mary-Ann nippte an ihrem Kaffee. Candy war eine sehr attraktive Frau, und ihr gefiel nicht, wie Joshua und sie sich hin und wieder ansahen. Aber - vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Mary-Ann schloss für einen Moment die Augen. Sie kam sich blöde vor. Früher war sie nie eifersüchtig gewesen. Na ja, was hieß das schon. Sie war lange Single gewesen und sprichwörtlich mit ihrem Beruf verheiratet, da war kein Platz für einen Mann. Die Beziehung zu ihrem Ex-Mann war schon vor Jahren in die Brüche gegangen. Unüberwindliche Differenzen, so hieß es. Ein Euphemismus - gegen Ende der Ehe war da nur noch Hass gewesen; und gegenseitige Verachtung. Nein, das war nicht schön.
Sie vertrieb die Gedanken und lächelte plötzlich.
»Was ist?«, fragte Joshua, der ihr Lächeln bemerkte.
»Nichts«, erwiderte Mary-Ann verlegen. Sie kam sich wie ein verliebter Teenager vor, der grundlos eifersüchtig war. »Okay. Schauen wir uns in der Shoppingmall in Laconia um und bunkern dann an Treibstoff, was wir kriegen können. Wir fliegen zu dritt, oder?«
Huntington grinste sie an. »Klar. Du, Joshua und Candy. Und ich spiele die Nanny für die Kleinen.«
»So klein sind wir nicht mehr«, meinte Janet, Candys Tochter. Sie verzog schmollend das Gesicht, und Candy strich ihr besänftigend über die Haare.
Mary-Ann und Candy nickten sich zu.
»Gut«, sagte Joshua, »das wäre dann geklärt.« Ihm war nicht entgangen, dass Mary-Ann Candy für einen Moment einen sehr giftigen Blick zugeworfen hatte. Zwischen ihm und Candy lief zwar überhaupt nichts, doch Mary-Ann schien das hin und wieder anders zu sehen. Es war nicht gut, wenn es zu Spannungen in der Gruppe käme. Nichts war schlimmer als zwei eifersüchtige Frauen - oder eine eifersüchtige Frau, die der vermuteten Konkurrentin die Hölle auf Erde bereitete. Joshua fühlte sich plötzlich unwohl. Er liebte Mary-Ann, dessen war er sich sicher; aber Candy hatte einfach etwas. Er hätte es nicht definieren können. Vielleicht lag es an diesem Widerspruch von Stärke und Verletzlichkeit. Sie war tough, abgebrüht und selbstständig und trotzdem ganz Frau. Geh kalt duschen!, sagte er sich. Ein kompliziertes Beziehungsdreieck war das Letzte, was sie hier und jetzt - und auch in Zukunft - gebrauchen konnten.
»Scheint alles ruhig zu sein«, meinte Candy, als sie neben dem Hubschrauber standen. Mary-Ann und Joshua sahen zum gläsernen Portal der Shoppingmall.
»Doch nicht so ruhig«, stellte Mary-Ann nach einem Moment fest. Jetzt hörten es auch die anderen. Ein dumpfes Stöhnen lag in der Luft. Irgendwo mussten sich noch immer Untote auf dem Gelände aufhalten. Wenn es Einzelne wären, würden sie keine großen Probleme bekommen. Anders verhielt es sich, wenn sie auf eine Herde stießen.
Candy nahm ihre Pilotenbrille ab und sah Mary-Ann in die Augen. »Mir gefällt die Geräuschkulisse nicht. Letzte Woche waren die Grunzlaute nicht so stark. Ich glaube, da sind etliche Zombies dazugekommen. Am besten bleibe ich im Hubschrauber. Im Falle des Falles können wir dann schneller abhauen. Ihr solltet euch beeilen. Ich lasse die Rotoren im Leerlauf laufen. Das macht zwar etwas Krach, aber was soll´s. Ich bin mir noch immer nicht sicher, worauf die Viecher reagieren. Wenn der Hubschrauber in der Luft ist, reagieren sie jedenfalls nicht. Keiner von denen hat je nach oben gesehen.«
»Machen wir es so«, sagte Joshua. Er sah kurz zu Mary-Ann. Beide trugen Motorradkleidung mit an den Ellbogen und Knien verstärkten Blenden, die auch ein Untoter nicht so ohne Weiteres durchbeißen konnte. An Waffen hatten sie lediglich ihre Messer dabei. Sie legten es nicht auf einen Kampf mit den Untoten an. Am wichtigsten war immer noch ihre Schnelligkeit. Beide - wie der Rest - des Teams trainierten regelmäßig, um sich fit zu halten. Schnelligkeit und Beweglichkeit waren alles in diesen Zeiten, sie entschieden über Leben oder Tod.
»Okay«, sagte Mary-Ann. »Wie besprochen, zuerst die Apotheke im Erdgeschoss, dann schnell noch kurz hoch in die Lebensmittelabteilung - und dann wieder raus. Am wichtigsten sind die Medikamente. Falls unten zu viele Untote sind, können wir die Lebensmittelabteilung auch bleiben lassen. Ich bezweifele eh, dass dort noch viel zu holen sein wird.«
Joshua nickte. Dann setzten sie sich in Bewegung. Candy stieg in den Hubschrauber und schaltete die Rotoren an. Durch die Verglasung sah sie sich nach allen Seiten um, doch da war nichts. Keine Untoten und auch keine anderen Überlebenden. Trotzdem blieb dieses ungute Gefühl, das ihr schon seit einigen Tagen im Nacken saß. Es war nur eine Ahnung. Vielleicht lag es an der friedlichen Atmosphäre am See, die sie langsam paranoid werden ließ. Das Ambiente passte nicht zu der Welt der Untoten. Am See war alles zu harmonisch, bis auf die Nachbarn auf den anderen Inseln, die keinen Kontakt wollten. Doch immerhin ließ man sie in Ruhe. Noch ...
Joshua und Mary-Ann schlichen durch die spärlich beleuchteten Gänge. Durch einige zerbrochene Deckenlichter fiel das Sonnenlicht in den weitläufigen Bau der Mall und schuf an verschiedenen Stellen Inseln von Licht. Noch immer lagen an verschiedener Stelle erlöste Zombies, die langsam verfielen. Es sah genauso aus, wie sie es in Erinnerung hatten. Der Gestank war auch nicht besser geworden, eher schlimmer. Es roch süßlich, nach Verwesung, nach Tod.
»Stopp«, flüsterte Mary-Ann, als sie fast bei der Apotheke angekommen waren.
Joshua sah sie von der Seite her an, dann wurde ihm klar, was Mary-Ann störte. Die große Haupttür der Apotheke stand offen. Als sie letztes Mal hier gewesen waren, hatten sie sie geschlossen., als sie sich auf den Rückweg machten.
»Verdammt«, presste Mary-Ann zwischen den Lippen hervor. »Da war sonst wer hier ...«
Joshua erwiderte nichts. Er nickte ihr kurz zu, dann bewegten sie sich leise auf den Eingang zu. Immer wieder drehten sie sich um und horchten in die Stille. Ganz entfernt war ein Raunen und Grunzen zu vernehmen. Also hielten sich noch Untote irgendwo im Gebäude auf. Es war nicht anders zu erwarten gewesen. Das hohe Portal der Shoppingmall stand offen. Die schweren, elektrisch betriebenen Türen funktionierten schon lange nicht mehr. Untote latschten ohne jedes System durch die Gegend - und wie es der Zufall wollte, verirrte sich der eine oder der andere im Halbdunkel des Einkaufszentrums. Mary-Ann hatte den Eingang der Apotheke erreicht und spähte hinein, während Joshua den Blick durch die Mall schweifen ließ. Die Regale und das diffuse Licht erschwerten die Sicht in den hinteren Bereich. Es herrschte Stille, was allerdings nicht zwangsläufig bedeuten musste, dass sich kein Untoter hier drinnen aufhielt.
»Ich sehe mich schnell um, was noch da ist«, flüsterte Mary-Ann und huschte ins Innere der Apotheke, sorgsam darauf achtend, nicht von einem Untoten überrascht zu werden.
Joshua nickte kurz zur Bestätigung.
Mary-Ann bewegte sich fast lautlos zu den Schiebetüren, hinter denen sich die Medikamente verbargen. Sie öffnete die erste Tür, doch alles war leer geräumt. Genauso sah es bei den anderen Schränken aus. Hier hatte jemand gründlich ausgemistet. Als sie letztes Mal hier gewesen waren, hatten sie etliches nicht mitnehmen können, weil ihre Taschen schon übervoll waren.
Mary-Ann fluchte unterdrückt. Wenigstens fand sie noch einige Hustenbonbons. Ob die Dinger etwas taugten, wusste sie nicht. Aber sie schmeckten süß. Vielleicht würde es die Kinder freuen. Es war besser als nichts. Sie ließ den Blick über die leer gefegten Regale gleiten. Da war wirklich nichts mehr. Wer immer hier gewesen war, hatte nichts übrig gelassen.
Sie huschte zum Eingang zurück, wo Joshua mit gerunzelter Stirn zur oberen Etage sah. Die Galerie lag im Halbdunkel, trotzdem glaubten sie beide, schlurfende Schritte zu hören.
Mary-Ann und Joshua sahen sich an. »Da oben muss sich ein Schleicher aufhalten«, flüsterte Mary-Ann. »Sollen wir noch hochgehen, oder ...«
»Ich befürchte, wir werden auch oben nichts mehr finden. Die Apotheke ist derart gründlich geplündert, das kann nicht nur einer gewesen sein. Und ich denke nicht, dass sie hier unten haltgemacht haben. Oben ist bestimmt auch nichts mehr zu holen«, meinte Joshua.
»Wenn wir schon einmal hier sind ...« Mary-Ann zuckte mit den Achseln.
Joshua legte ihr eine Hand auf den Arm. »Gut. Komm! Schauen wir kurz oben nach!«
Sie huschten die Treppe hoch, vorbei an zwei zerstückelten Leichen, bei denen die Gedärme heraushingen. Bei einem der Toten standen die Schienbeinknochen hervor, bei dem anderen waren die Arme aus dem Schultergelenk gedreht. Es sah fast so aus, als hätte man die Untoten mutwillig verstümmelt. Der Gestank wurde immer schlimmer. Eingetrocknetes Blut hatte die Treppe stellenweise schwarz gefärbt. Ein süßlicher Geruch hing in der Luft. Kurz darauf hatten Mary-Ann und Joshua die erste Galerie erreicht. Sie sahen nach links und rechts. Zu beiden Seiten lagen Leichen, doch keine von ihnen regte sich, offensichtlich waren die Untoten erlöst worden. Von irgendwo kam ein Stöhnen. Vielleicht war ein Untoter eingeschlossen worden und grunzte sinnlos vor sich hin. Sie bewegten sich weiter auf die Lebensmittelabteilung zu. Einige Einkaufswagen lagen umgekippt am Boden. Die Scheiben waren eingeschlagen. Das war letzte Woche auch noch nicht gewesen.
Joshua blieb stehen und hielt Mary-Ann am Arm fest. »Hier hat jemand gewütet«, sagte er leise. Sie nickte. Vorsichtig bewegten sie sich entlang der zerbrochenen Scheibe auf den Eingang zu, doch schon von ihrer Position aus war zu erkennen, dass die Regale der Lebensmittelabteilung leer standen. Da war gar nichts mehr. Ein Grunzen erklang. Mary-Ann und Joshua bewegten sich ein Stück weiter, dann sahen sie einen Untoten, dem der Unterleib fehlte. Das Ding lag im rechten Gang des Lebensmittelgeschäftes am Boden. Der Untote hob den Kopf. Leere Augenhöhlen starrten in ihre Richtung. Er bewegte langsam den Kiefer und schien zu kauen, dann jedoch kam Bewegung in ihn. Er wurde unruhig, stöhnte und grunzte lauter, gerade so, als hätte er erst jetzt die Witterung aufgenommen. Mit seinen Armen schleppte er sich mühselig den Gang entlang und stieß hin und wieder ein wütendes Zischen aus. Man konnte meinen, das Ding ärgere sich darüber, dass es nur so langsam vorankam..
»Der war letzte Woche nicht hier«, meinte Joshua. Der Untote war zu weit entfernt, um ihnen gefährlich werden zu können. Trotzdem hatte Joshua ein mehr als ungutes Gefühl. Nicht wegen dem Untoten, der sich auf sie zu schleppte, sondern wegen der Unbekannten, die die Shoppingmall derart gründlich geplündert hatten. Das musste eine größere Gruppe sein. Und große Gruppen konnten Gefahr bedeuten.
»Ich möchte zu gerne wissen, wo sich die Leute aufhalten«, meinte Joshua, als er den Gang rauf und runter blickte, doch da war nichts, bis auf das entfernte Stöhnen irgendwelcher Untoter.
»Meinst du, wir sollten mit ihnen Kontakt aufnehmen?«, fragte Mary-Ann.
»Ich weiß nicht. In normalen Zeiten würde ich sagen, wir sollten nach ihnen suchen, aber was ist noch normal ...«
Mary-Ann nickte. »Komm, schaffen wir uns hier raus. Vielleicht haben wir mit dem Kerosin mehr Glück. Wir haben noch genügend Medikamente - und Lebensmittel sowieso. Aber vom Kerosin kann man nie genug haben - und ich denke jetzt nicht an den Hubschrauber.«
Joshua grinste. Er wusste, was Mary-Ann meinte. Eine totsichere Möglichkeit, die Untoten auszuschalten, war, sie abzufackeln, das hielt selbst der strammste Zombie nicht aus. Zur Not konnte man am Ufer sogar eine brennende Kerosinwand errichten, Umweltschutz hin oder her ...
Als sie auf den Hubschrauber zuliefen, sah Candy sofort, dass die Exkursion kein großer Erfolg gewesen sein konnte. Keiner der beiden hatte einen gefüllten Beutel in der Hand, auch die Rucksäcke wirkten flach, da war nichts drin.
»Hier war jemand und hat gründlich ausgemistet«, sagte Mary-Ann, als sie und Joshua im Hubschrauber saßen und Candy die Rotoren langsam hochfuhr.
Kurz darauf hoben sie ab und flogen den kleinen Flugplatz an, wo Candy noch Brennstoff zu finden hoffte, doch auch hier war bereits jemand gewesen. Nicht ein Kanister stand noch herum. Die großen Zapfsäulen gaben auch nichts mehr her, was verwunderlich war, immerhin waren dort Tausende von Litern gebunkert gewesen. Candy hatte beim letzten Mal die Tankanzeige kontrolliert. Jetzt war kaum noch ein Tropfen vorhanden. Wer immer das Kerosin weggeschafft hatte, musste über einen Tankwagen verfügen oder sogar mehrere. Es war unheimlich.
»Fliegen wir heim«, sagte Candy resigniert.
Sie gingen zur Bell-212 zurück und stiegen ein.
»Sollen wir uns noch bei einigen anderen Malls umsehen, wenn wir schon einmal hier draußen sind?«, fragte Mary-Ann. Sie hoffte, dass es für die nächste Zeit der letzte Flug gewesen war. Irgendjemand machte sich offensichtlich im Umland breit, und die Luxusferienhäuser auf den Inseln waren bekannt. Genauso die Feriendomizile. Das hieß: Über kurz oder lang bekamen sie Besuch.
»Nein«, meinte Joshua. »Ich denke, wir sollten direkt nach Hause fliegen.«
Candy nickte, sagte aber: »Nach Hause schon, aber nicht direkt. Ich werde es machen wie zu der Zeit, als Seamus Abigail nach mir suchte, und fliege einen Verschleierungskurs. Wir fliegen zuerst nach Norden und drehen dann ab. Ich gehe davon aus, dass man längst weiß, dass wir hier sind, aber ich will sie nicht vorzeitig auf die Inseln aufmerksam machen. Wer immer sich hier herumtreibt, kommt früh genug auf die Idee, sich auf den Inseln umzusehen ... Da können wir sicher sein.
»Gut«, sagte Joshua. Mary-Ann nickte nur. Auch sie beschlich ein ungutes Gefühl. Sie fragte sich, wie sehr sie und die anderen sich schon verändert hatten und paranoid auf andere Menschen reagierten. Früher hätten andere Menschen Hilfe bedeutet. Und jetzt? Jeder Mensch konnte der Feind sein, der einem das Essen nahm - oder die Kleidung. Oder gar das Leben ... Es erschien wie gestern, als die Welt noch in Ordnung war, mit all ihrer Schlechtigkeit, mit all den verkommenen Politikern und Heilspredigern, doch jetzt nahm alles eine neue Dimension an. Es war bestimmt keine gute ...
Candy ließ den Hubschrauber steigen und ging auf Nordkurs. Der Blick nach unten zeigte nichts Außergewöhnliches. Zerfallene Häuser, verstopfte Straßen, Untote und Leichen. Einige Untoten standen in Gruppen herum, andere liefen ziellos umher. An einigen Stellen brannte es, doch es war niemand da, um die Flammen zu löschen. Vielleicht würden die Brände ja auch von selbst ausgehen - oder durch den Regen gelöscht, der garantiert bald wieder fallen würde. Es blieb sich gleich. Vielleicht verbrannten in den Flammen wenigstens einige der Untoten. Davon gab es eh viel zu viele.
Der Rest des Fluges verlief schweigend.
»Ein weiterer Hubschrauber fehlt uns noch in der Sammlung«, meinte der stiernackige Mann zu seinem kleineren Partner. »Das wird den Chef freuen.«
Sein Partner spuckte auf den Boden. »Die Gruppe ist fast schon zu groß.«
»Lass das den Chef entscheiden!« Die Stimme des Stiernackigen klang aggressiv. »Der Chef will Ordnung schaffen. Er weiß, was er tut.«
Der kleinere Mann wollte etwas erwidern, entschied sich dann aber anders. Es war nicht gut, den großen Mann zu reizen. Sie kannten sich erst seit zwei Wochen, doch der kleinere Mann wusste, dass sein Partner nur über wenig Humor verfügte und zu gerne und vor allem zu schnell zuschlug.
»Machen wir uns auf den Weg zurück ins Camp«, sagte der Stiernackige nach einem Moment.
Der kleinere Mann erwiderte nichts. Sie sahen dem Hubschrauber hinterher, der nur noch ein kleiner schwarzer Punkt war, der sich nach Norden bewegte. Der Chef würde einen Spähtrupp nach Norden entsenden, da waren sich beide sicher. Ein Hubschrauber hieß Mobilität. Der Pilot würde sich bestimmt kooperativ zeigen. Und wenn nicht ... Nun, es gab Mittel und Wege. Gewalt führte immer zum Ziel, das wusste der stiernackige Mann. Brutale, bestialische Gewalt, es war die einzig gültige Währung, mit der man alles bekam, in diesen Zeiten. Es war nicht gut, sich unkooperativ zu zeigen, wenn Seymour Duncan etwas wollte. Gar nicht gut ...
»Verstehst du eigentlich alles, was Duncan so sagt?«, fragte der kleinere Mann.
Der Stiernackige zuckte die Achseln. Er furzte, dass es nach faulen Eiern stank. »Nö, der war mal Professor oder so was. Das ist mir zu hoch. Aber er und seine Leute werden schon recht haben. Besonders diese Shalia. Mann, ist die scharf, die würde ich gerne mal vernaschen ...«
Der kleinere Mann grinste und griff sich zwischen die Beine. »Ich habe gehört, dass die auf ganz schlimme Sachen steht. Ich habe mal gelauscht, als sie einen in der Mangel hatte, im Krankenbereich. Der Kerl hat geschrien wie am Spieß ...«
»Vor Geilheit?«
»Woher soll ich das wissen ...«
»Auch egal, los, machen wir, dass wir zurückkommen.«